Wirtschaftspolitische Beiräte in der KritikSchlecht beraten?

Informationsfreiheit gilt auch für Protokolle von wissenschaftlichen Beiräten. Das steht seit unserer Klage fest. Die Otto Brenner Stiftung hat jetzt eine Studie veröffentlicht, die das Problem dieser Gremien offenlegt. 

- Moritz Neujeffski
Deckblatt OBS-Arbeitspapier 65: "Schlecht beraten?Die wirtschaftspolitischen Beratungsgremien der Bundesregierung in der Kritik"

eigene Bearbeitung

Vor anderthalb Jahren konnten wir mit unserer Klage gegenüber dem Bundesfinanzministerium einen Sieg für die Transparenz feiern. Damals hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden: Protokolle von wissenschaftlichen Beiräten der Ministerien müssen bei IFG-Anfragen herausgegeben werden. 

Dies ist nicht nur ein Erfolg für die Informationsfreiheit, sondern auch für die Wissenschaft. Die durch unsere Klage gewonnenen Protokolle dienten der Studie als wichtige Quelle für Hintergrundinformationen, um Debatten im Bundesfinanzministerium besser nachvollziehen zu können.

Gemeinsam haben die Politikwissenschaftler Dieter Plehwe, Jürgen Nordmann und ich uns für die Otto Brenner Stiftung die Beiräte des Sachverständigen Rat sowie die wissenschaftlichen Beiräte des Bundeswirtschafts- (BMWK) und des Bundesfinanzministeriums (BMF) genauer angesehen. Die Protokolle waren dabei richtungsweisend, um zu erörtern, welche wirtschaftspolitischen Sichtweisen in den Diskussionen, zum Beispiel zur Steuerpolitik, Gehör finden und welche nicht. Der Fokus der Studie lag auf der Zusammensetzung und der Arbeit der Beratungsgremien von 1982 bis 2022 sowie deren Einstellung zu haushaltspolitischen Maßnahmen, Stichwort Austerität.

Die Studie zeigt: Die Beratungsgremien der Bundesregierung in Wirtschafts- und Finanzpolitik zeichnen sich durch starke personelle Kontinuität aus, die zu einer nur begrenzten Vielfalt an wirtschaftspolitischen Perspektiven führt. Stimmen gegen Sparmaßnahmen, Sozialstaatsabbau und Deregulierung sind seit Jahrzehnten eine Minderheit. Die jüngsten Diskussionen im Sachverständigenrat über eine mögliche Aussetzung oder Reformierung der Schuldenbremse signalisieren demgegenüber möglicherweise einen Wendepunkt.

Die begrenzte Meinungsvielfalt entsteht zum einen durch lange Mitgliedschaften. In den Beiräten von BMF und BMWK waren Mitglieder durchschnittlich rund 25 Jahre aktiv. Dies trägt zu einer Verstetigung von wirtschaftspolitischen Perspektiven bei. Zum anderen wählen im BMF und BMWK die aktiven Mitglieder selbst die neuen Mitglieder. Auffällig dabei: Knapp jedes vierte Mitglied des BMWK-Beirates war zeitgleich mit dem*der eigenen akademischen Lehrer*in im Gremium aktiv.  Dies führt ebenfalls zu einer Kontinuität in der wirtschaftspolitischen Ausrichtung der Beiräte.

Frauen spielten in den Beiräten über Jahrzehnte kaum eine Rolle. Auch wenn es in den vergangenen Jahren Verbesserungen hinsichtlich der Zusammensetzung der Gremien gab, sind nichtmännliche Wirtschaftswissenschaftlerinnen nach wie vor in dem Beirat des Bundeswirtschafts- und des Finanzministeriums stark unterrepräsentiert.

Insbesondere in den Beiräten des BMWK und des BMF braucht es verbindliche Regeln für Geschlechterparität, befristete Mitgliedschaften und eine stärkere Paradigmenpluralität. Die Mitgliederauswahl des Sozialbeirat des Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), kann hier als Vorbild dienen, weil neben sozialwissenschaftlichen Expert*innen auch Repräsentanten der Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen vertreten sind. Auch die übrigen Ministerien Beiräte zeichnen sich durch ein breiteres Spektrum von Disziplinen und Paradigmen aus.

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Hier geht es zur Studie der Otto Brenner Stiftung

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