Steuermilliarden für die ÖlindustrieWie das Finanzministerium beim Tankrabatt alle Warnungen ignorierte

Mit dem Tankrabatt versprach Christian Lindner sinkende Preise an der Zapfsäule. Sein Ministerium sollte sicherstellen, dass die milliardenschwere Steuerentlastung bei der Bevölkerung ankommt. Am Ende profitierten die Ölkonzerne. Interne Dokumente zeigen: Dieser Ausgang war dem Finanzministerium von Anfang an bewusst – doch Warnungen wurden ignoriert und die Verantwortung weggeschoben.

- , Marcus Engert

eigene Bearbeitung

„Die dümmste Idee der Ampel” – so bezeichnete die Süddeutsche Zeitung den Tankrabatt. Selbst der ADAC kritisierte die Aktion, die Autofahrende entlasten sollte, weil sie die Kassen der Ölkonzerne gefüllt habe. Interne Dokumente aus dem Finanzministerium zeigen nun: Für das Prestigeprojekt von Finanzminister Christian Lindner ignorierte sein Haus zahlreiche Warnungen – und setzte Milliarden an Steuergeldern aufs Spiel.

„Der Tankrabatt wird kommen!”, preschte Lindner Mitte März 2022 vor und versprach ohne Absprache mit seinen Koalitionspartnern etwas, das er anschließend auch durchsetzte – trotz großer Bedenken von Wissenschaftler*innen und lautstarken Warnungen aus anderen Ministerien. Wenige Tage später beschloss die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket, um die wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffskriegs zu lindern. Eine der Maßnahmen: Um steigenden Spritpreisen entgegenzuwirken, wird für drei Monate die Mineralölsteuer gesenkt. Ölkonzerne zahlen weniger Steuern und sollen die Preise an der Zapfsäule dementsprechend senken. So geht zumindest die Theorie. „Wir stellen sicher, dass die Absenkung an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben wird”, heißt es dazu im Koalitionsbeschluss. Mit dem Projekt feierten sich Lindner und die FDP später öffentlichkeitswirksam. 

Wir haben in den vergangenen Monaten einen gesamten Umzugskarton voll Akten zum Tankrabatt ausgewertet. Das Finanzministerium hat die Dokumente auf eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) herausgeben müssen. Sie zeigen: Von Anfang an war den Verantwortlichen klar, dass man den Koalitionsbeschluss gar nicht umsetzen kann. Ob der Rabatt auch bei den Kund*innen ankommt, konnte nicht nur niemand garantieren – es gab auch explizite Warnungen, dass der Steuernachlass in den Kassen der Mineralölkonzerne versacken könnte. Der Tankrabatt könnte zum Bumerang werden, zur Milliardenspritze für Konzerne, die ohnehin schon Übergewinne machten. Ein Risiko, das Lindner offenbar lieber bei jemand anderem sehen wollte. Auf kritische Nachfragen schob er die Verantwortung dafür, dass die Preissenkung auch bei den Kund*innen ankommt, Robert Habecks Wirtschaftsministerium (BMWK) zu.

Mahnende Stimmen

Schon Ende März kursiert im FDP-geführten Finanzministerium ein Eckpunktepapier zum Tankrabatt. Es enthält eine überdeutliche Warnung: „Eine gesetzliche Verpflichtung der Wirtschaft auf Weitergabe des steuerlichen Vorteils an die Endverbraucher ist nicht möglich.“ Die letzten beiden Wörter sind unterstrichen.

Auch im SPD-geführten Arbeits- und Sozialministerium (BMAS) von Hubertus Heil bemerkt man früh das drohende Risiko und fordert eine Regelung, die die Weitergabe der Steuersenkung an die Verbraucher*innen garantiert. Irritiert schreibt ein Referatsleiter an das Finanzministerium: „Seitens BMAS wird die Umsetzung des Teils des Beschlusses des Koalitionsausschusses vermisst, wonach eine Weitergabe der Absenkung der Energiesteuer an die Verbraucherinnen und Verbraucher sichergestellt wird.“ Heils Haus knüpft seine Zustimmung zu dem Gesetzentwurf daran, dass dieser „zentralen Forderung” nachgekommen werde: „Dies war dem Vernehmen nach eine Bedingung für die Umsetzung der Maßnahme insgesamt“.

Doch Lindners Finanzministerium spielt den Ball zurück: Sicher zu stellen, dass der Nachlass bei Verbraucher*innen ankommt, sei „nicht Gegenstand dieses Gesetzgebungsverfahrens“. Die Verantwortung schieben sie stattdessen den Kartellbehörden zu – und damit dem Wirtschaftsministerium von Habeck.

Lindner spielt den Ball zurück

Die Lösung, die das Finanzministerium präsentiert, um sicherzustellen, das der Tankrabatt bei Verbraucher*innen ankommt: Die sogenannte „Markttransparenzstelle für Kraftstoffe“. Diese sammelt seit 2013 in Echtzeit die Spritpreise an Tankstellen ein und stellt sie als offene Daten allen zur Verfügung, zum Beispiel bestimmten Apps – und sie untersteht dem Bundeskartellamt und damit Habecks Wirtschaftsministerium. Eine Lösung, die auch deswegen bemerkenswert ist, weil auch das grün-geführte Wirtschaftsministerium eine jener Stellen ist, die von Beginn an Kritik an der Idee Tankrabatt äußern.

So kommentiert eine Beamtin aus dem Wirtschaftsministerium Anfang April 2022 in einer Entwurfsfassung des Gesetzes, daraus gehe gar nicht hervor, „wie sichergestellt wird, dass die temporäre Absenkung der Energiesteuern die Verbraucher erreicht“. Stattdessen werde darauf hingewiesen, dass eine rechtlich bindende Verpflichtung nicht möglich sei. Auch sie richtet eine bereits bekannte Forderung an das Finanzministerium: „Wir bitten daher um Erläuterung, wie die gemeinsame Vereinbarung aus dem Entlastungspaket ,Wir stellen sicher, dass die Absenkung an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben wird’ umgesetzt werden soll.”

Die Antwort von einem von Lindners Beamten: „Mittels Verbrauchssteuerrecht ist dies nicht möglich. BMWK will dazu die Markttransparenzstelle Kraftstoff stärken”. Mit anderen Worten: Dafür seid ihr zuständig, nicht wir.

Dann muss alles ganz schnell gehen

Tatsächlich hat das Kabinett wenige Tage zuvor nicht nur den Gesetzesentwurf zum Tankrabatt beschlossen, sondern auch, dass die Markttransparenzstelle Kraftstoff gestärkt werden soll. Sie soll zukünftig auch Raffinerien und den Großhandel stärker beobachten, also jenen Teil der Wertschöpfungskette, der vor der Tankstelle liegt. 

Doch wie unklar es ist, ob das überhaupt zur Absicherung des Tankrabatts beitragen kann, zeigt eine besonders skurrile Mail vom 12. April 2022: Erst nachdem das Gesetz beschlossen ist und nachdem das Finanzministerium unter anderem gegenüber dem Wirtschaftsministerium auf Kritik hin erklärte, durch die Markttransparenzstelle Kraftstoff sei die geforderte Absicherung gegeben, wendet es sich hilfesuchend an eben dieses Ministerium: Das Finanzministerium bittet darum, sich die Arbeitsweise der Markttransparenzstelle erläutern zu lassen. 

Zugleich muss offenbar alles schnell gehen. So findet sich am Ende dieser Mail die dringende Bitte um schnelle Rückmeldung, da noch am gleichen Tag eine Ressortabstimmung laufen müsse.

„Maßnahmen werden nicht greifen“

Dass selbst einen Monat nach Beschluss der ganze Tankrabatt noch immer ein einziges Glücksspiel ist, zeigen die Unterlagen zu einer Expert*inenanhörung im Finanzausschuss des Bundestags. Eine Professorin des ifo-Instituts weist darauf hin, dass bei vergangenen Steuersenkungen bei Kraftstoffen nur etwa zwei Drittel der Ersparnis an die Konsument*innen weitergegeben wurde. Es gibt also offensichtlich ein immenses Risiko, dass Steuereinnahmen in Milliardenhöhe versacken werden. Umso drastischer klingt das, was ein Vertreter des Kartellamts in der Anhörung klarstellt: Noch immer könne niemand garantieren, dass der Rabatt von den Konzernen auch tatsächlich an die Kunden weitergegeben wird – auch mit dem jetzt beschlossenen Modell nicht. Und er nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Wettbewerb auf dem Tankstellenmarkt funktioniere „nur eingeschränkt”, vor allem die großen Ketten bildeten ein Oligopol, mahnt er gegenüber den Abgeordneten. Sein klares Fazit: „Das Risiko zur Nichtweitergabe besteht.”

Diese Erkenntnis scheint kurz vor Beginn des dreimonatigen Tankrabatts auch endlich im Finanzministerium angekommen zu sein. Am 24. Mai will die Abteilung „Leitung und Kommunikation“ abstimmen, wie der Tankrabatt nach außen kommuniziert wird. Es geht um Antworten auf häufig gestellte Fragen, die auf der Website des Ministeriums veröffentlicht werden sollen. Zur Frage „Wann werden Kraftstoffe an der Zapfsäule billiger?“ möchte man die in den Wochen zuvor erprobte Argumentation einfügen, wonach die Verantwortung dafür, dass der Rabatt auch ankommt, beim Bundeskartellamt und damit beim grün-geführten BMWK liege.

Doch eine andere Abteilung im Haus interveniert und streicht die Passage wieder. Die Begründung: „Nach Auffassung des Referats III B 3 werden die Maßnahmen des Bundeskartellamts nicht während der temporären Senkung greifen.“ Hinter dem Kürzel III B 3 steckt das Referat, das den Tankrabatt entwickelt und durch den Gesetzgebungsprozess begleitet hat – und das gegenüber Einwänden aus Arbeits- und Wirtschaftsministerium stets auf das Bundeskartellamt als Lösung verwiesen hatte. 

Finanzministerium schweigt zu Kritik

Statt einer Lösung für die Frage, wie sichergestellt werden sollte, dass der Rabatt auch bei den Kund*innen ankommt, regierte offenbar das Prinzip Hoffnung – Hoffnung, der Markt werde schon dafür sorgen, dass die Rabatte an die Kund*innen weitergegeben werden, weil die Menschen dort tanken, wo es am billigsten ist. Und Hoffnung, dass keine der kritischen Stellen merkt, dass die Antwort, die man auf Kritik präsentiert hat, gar nicht stimmt – dass die versprochene Absicherung nicht funktionieren wird und man das sogar selbst weiß. Ist das verantwortungsvoll? Sollte eine Regierung mehrere Milliarden Euro nach dem Prinzip Hoffnung ausgeben? Fragen die das Finanzministerium nicht beantworten will.

Wir haben Lindners Ministerium einen ausführlichen Fragenkatalog geschickt, doch klare Antworten gab es darauf nicht. Man bitte um Verständnis, dass das Finanzministerium sich nicht zu „internen Abstimmungen der Bundesregierung“ äußere, teilte ein Sprecher in aller Kürze mit. Dass unsere Fragen sich auf konkrete Vorgänge innerhalb des Finanzministeriums beziehen und auf Unterlagen basieren, die nach dem IFG herausgegeben werden mussten, wurde trotz entsprechender Nachfragen ignoriert. Stattdessen beendete der Ministeriumssprecher seine kurze Antwort mit der Bemerkung: „Ergänzend weisen wir auf den Deutschen Bundestag als Gesetzgeber hin.“

Es scheint, als wolle im Finanzministerium noch immer niemand die Verantwortung für die kritischen Aspekte des Prestigeprojekts Tankrabatt übernehmen. Dass dort überhaupt je versucht wurde, die im Koalitionsbeschluss festgehaltene Weitergabe der Steuererleichterung abzusichern, daran kann man heute Zweifel haben. Denn während das Finanzministerium im ersten Eckpunktepapier zu dem Gesetz noch schrieb, mangels gesetzlicher Grundlagen für eine Verpflichtung zur Weitergabe des Rabatts seien „flankierende Gespräche der Politik mit den Mineralölwirtschaftsunternehmen geboten”, um diese Weitergabe sicherzustellen, musste es Ende Juni 2022 – einen Monat nach Einführung des Tankrabatts – im Bundestag einräumen: Solche Gespräche gab es nie

Besonders schnell freute sich damals jedenfalls einer: Der Bundesverband Tankstellen. Der schreibt am 8. April, nur zwei Tage nach der Verabschiedung des Gesetzes an Lindner: „Freudig haben wir vernommen, dass Sie beschlossen haben, die Energiesteuer zu senken, damit sowohl Verbraucher*innen als auch den Tankstellenbetreiber*innen eine Entlastung zugute kommt“. Inwiefern das wirklich für beide zutrifft, ist die große Frage. 

Insgesamt verbuchte die Mineralölindustrie im Krisenjahr 2022 allein in Deutschland 70 Milliarden Euro zusätzliche Gewinne – auch durch den Tankrabatt. Zwar sanken die Preise an den Zapfsäulen damals tatsächlich, zugleich passierte laut Bundeskartellamt genau das, was von Anfang an befürchtet wurde: Die Ölkonzerne gaben den milliardenschweren Steuernachlass nicht in vollem Umfang an die Verbraucher weiter. Rund 3,4 Milliarden Euro kostete der Tankrabatt die Staatskasse. Zumindest ein Teil davon wanderte offensichtlich als Übergewinn in die Kassen der Mineralölkonzerne. Eine Untersuchung des Bundeskartellamts kam bereits im November 2022 zu einem zwiespältigen Ergebnis: Ohne den Tankrabatt wären die Spritpreise im Juni 2022 „mit großer Wahrscheinlichkeit erheblich höher gewesen”, zugleich gebe es Hinweise, dass vor allem bei Diesel mindestens in der Anfangsphase „nicht der gesamte Betrag der Steuersenkung weitergegeben wurde”. Auch wissenschaftliche Studien kamen zu dem Ergebnis, der Tankrabatt sei von den Ölkonzernen „im Wesentlichen“ weitergegeben worden, demnach jedoch nicht vollständig.

Die Worte, mit denen das Bundeskartellamt sein Fazit zum Tankrabatt einleitet, lesen sich wie eine Anspielung an ignorierte Warnungen: Man müsse berücksichtigen, „dass selbst bei einem vollkommen funktionsfähigen Wettbewerb eine produktbezogene Steuersenkung nur in extremen, für den Kraftstoffmarkt tendenziell nicht gegebenen Ausnahmefällen vollständig an die Abnehmer weitergegeben wird”.

Nicht berücksichtigt wurde genau dies offensichtlich vom Finanzministerium, das Lindners Versprechen trotz aller Einwände durchgedrückt hatte.

Der Tankrabatt galt vom 1. Juni bis zum 31. August 2022. Nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine waren die Energiepreise rapide gestiegen. Die Ampel-Koalition beschloss als Reaktion, für einen Zeitraum von drei Monaten die Energiesteuer auf Kraftstoffe auf das in der Europäischen Union vorgeschriebene Mindestmaß zu senken. Kosten für das Programm laut Bundesfinanzministerium: 3,4 Milliarden Euro.

Zur Anfrage und den Dokumenten

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