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Dieses Dokument ist Teil der Anfrage „Anfrage Rechtsgutachten Raeumung Hambacher Forst

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11 und Rückzugsmöglichkeiten liegt indes ein besonderes Gefahrenmoment. Derartige Maß- nahmen wären der Polizei über § 34 Abs. 2 PolG NRW jedoch von vornherein nicht möglich. IV. Vorliegend einschlägige Ermächtigungsgrundlagen Im Hinblick auf behördliche Zuständigkeiten und (sonderordnungsbehördliche) Befugnis- normen ist im Hambacher Forst zuvörderst an die Möglichkeit des bauordnungsbehördlichen Einschreitens zu denken (hierzu 1.). Daneben besteht unter bestimmten Umständen die Mög- lichkeit, auf landesforstgesetzlicher Grundlage zu einem Betretungsverbot für den Hambacher Forst zu gelangen (hierzu 2.). Dabei wird darauf hingewiesen, dass der Unterzeichner bereits in einem ausführlichen Ver- merk vom 06.08.2018 dargelegt hat, dass keine rechtlichen Zweifel daran bestehen dürften, dass es sich bei den im Hambacher Forst errichteten „Baumhäusern“ um bauliche Anlagen im Sinne von § 2 Abs. 1 BauO NRW handeln dürfte. 1. Bauordnungsbehördliches Einschreiten nach § 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW Zunächst sollen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die wesentlichen materiell-rechtlichen Voraussetzungen skizziert werden, die bei einem bauaufsichtlichen Einschreiten im Hamba- cher Forst Bedeutung erlangen können (hierzu a.). Im Anschluss soll dargestellt werden, wes- halb eine Prüfung der Zustände vor Ort zu dem Ergebnis gelangen könnte, dass der verwal- tungsvollstreckungsrechtliche Sofort-Vollzug das geeignete Mittel zur Durchsetzung der bau- rechtlichen Verpflichtungen darstellt (hierzu b.). a) Voraussetzungen eines Vorgehens nach § 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW Mit der bauordnungsrechtlichen Generalklausel des § 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW steht den Bauaufsichtsbehörden ein besonders „scharfes Schwert“ zum Einschreiten zur Verfügung. Dem Grunde nach genügt nämlich jeder Verstoß gegen Normen des öffentlichen Rechts, um eine bauordnungsrechtliche Standardmaßnahme zu verfügen. Werden bei der Nutzung einer baulichen Anlage (vgl. hierzu den Vermerk des Unterzeichners vom 06.08.2018) derartige Verstöße festgestellt, kommt insbesondere die Untersagung ihrer Nutzung in Betracht. Im
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12 Hinblick auf die rechtsuntreue Nutzerstruktur im Hambacher Forst, scheint es plausibel, dass darüber hinaus und additiv, die Beseitigung der baulichen Anlagen verfügt werden kann. Eine auf § 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW gestützte Nutzungsuntersagung umfasst zunächst das Gebot, die ausgeübte Nutzung einer baulichen Anlage einzustellen (vgl. Boeddinghaus u. a., BauO NRW, § 61, Stand: Mai 2015, Rn. 46). Insoweit wird darauf hingewiesen, dass die Nutzungsuntersagung insoweit ausschließlich einen „negativen Inhalt“ haben kann (so etwa Jäde, in: ders. u. a., Bauordnungsrecht Sachsen, § 80 SächsBO, Stand: Januar 2011, Rn. 164). Zugleich enthält die Nutzungsuntersagung das in die Zukunft wirkende Verbot, dieselbe Nut- zung wieder aufzunehmen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 18.01.2005 – 10 B 1565/04 –, juris Rn. 6 unter Hinweis auf OVG Münster, Urt. v. 27.04.1998 – 7 A 3818/96). Leisten Betroffene beim Vollzug einer bauaufsichtlichen Verfügung körperlichen Widerstand, kann die Polizei den Sonderordnungsbehörden bei der Ausübung unmittelbaren Zwangs unter den Vorausset- zungen des § 47 PolG NRW Vollzugshilfe leisten. Voraussetzung für ein bauaufsichtsrechtliches Einschreiten ist – dies wurde bereits erwähnt – ein Verstoß gegen Normen des öffentlichen Rechts im Zusammenhang mit der Nutzung einer baulichen Anlage. Nach dem Eindruck von vorliegenden Lichtbildaufnahmen, handelt es sich bei den baulichen Anlagen im Hambacher Forst in vielen Fällen um Gebäude im Sinne von § 2 Abs. 2 BauO NRW. Diese scheinen entweder als reine Holzkonstruktionen oder durch Ver- binden verschiedener Kunststoffteile ausgeführt zu sein. Teilweise erstrecken sich die Gebäu- de über mehrere Stockwerke. Vorliegend sprechen die Eindrücke der Lichtbildaufnahmen dafür, dass bei der Nutzung der baulichen Anlagen im Hambacher Forst insbesondere gegen Vorschriften des Brandschutzes verstoßen wird. Insbesondere bezüglich der vielfach verwen- deten Kunststoffmaterialien und unbehandelter Hölzer ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 17 Abs. 2 BauO NRW Baustoffe, die nach Verarbeitung oder dem Einbau leichtentflammbar sind, bei der Errichtung baulicher Anlagen nicht verwendet werden dürfen. Zudem müssen gemäß § 17 Abs. 3 S. 1 BauO NRW für jede Nutzungseinheit in jedem Geschoss mit einem Aufenthaltsraum zwei Rettungswege vorhanden sein. Der erste Rettungsweg muss dabei ge- mäß Satz 2 der Vorschrift in Nutzungseinheiten, die wie im Hambacher Forst nicht zu ebener Erde liegen, über mindestens eine notwendige Treppe führen; der zweite Rettungsweg kann eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle oder eine weitere notwendige
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13 Treppe sein. Gebäude, deren zweiter Rettungsweg über Rettungsgeräte der Feuerwehr führt und bei denen die Oberkante der Brüstungen notwendiger Fenster oder sonstiger zum Anlei- tern bestimmter Stellen mehr als 8m über der Geländeoberfläche liegt, dürfen gemäß § 17 Abs. 3 S. 4 BauO NRW nur errichtet werden, wenn die erforderlichen Rettungsgeräte von der Feuerwehr vorgehalten werden. Diese Voraussetzungen scheinen bei Betrachtung der Licht- bilder aus dem Hambacher Forst nicht gewahrt. Eine notwendige Treppe, die ggf. gemäß § 36 Abs. 3 S. 1 BauO NRW in der Feuerwiderstandsklasse F 90 und aus nicht brennbaren Bau- stoffen hergestellt werden und gemäß § 36 Abs. 5 BauO NRW eine nutzbare Breite von 0,8 m aufweisen müsste, ist bei keinem der Objekte vorhanden. Ob eine Rettung über Geräte der Feuerwehr möglich ist, muss im Hinblick auf die Lage im Hambacher Forst ebenfalls bezwei- felt werden. Insgesamt verfügen die Gebäude über keine funktionierenden Rettungswege. Schließlich ist auf die Vorschrift des § 17 Abs. 4 BauO NRW hinzuweisen, wonach bauliche Anlagen, bei denen nach Lage, Bauart oder Nutzung Blitzschlag leicht eintreten und zu schweren Folgen führen kann, mit wirksamen Blitzschutzanlagen zu versehen sind. Bezüglich der hier nicht abschließend zu beurteilenden brandschutzrechtlichen Lage, ist da- rauf hinzuweisen, dass die Vorgaben des Brandschutzes eine überragende Bedeutung im Bau- ordnungsrecht einnehmen. Daher muss sich die Behörde mit verbleibenden Unsicherheiten nicht begnügen. Die ordnungsbehördliche Eingriffsschwelle liegt nach der ausdrücklichen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen bei mögli- chen Brandgefahren tendenziell niedrig. Hinter der Brandschutzvorschrift des § 17 Abs. 1 BauO NRW und den diese Grundnorm konkretisierenden, weiteren brandschutzrechtlichen Vorschriften der BauO NRW steht die Vermeidung von Schäden an Leib und Leben einer unbestimmten Vielzahl von Menschen, die jederzeit eintreten können. Aus Gründen der Brandsicherheit kann die Bauaufsichtsbehörde zum Schutz dieser hochrangigen Rechtsgüter schon gefahrenabwehrend tätig werden, sobald eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür gege- ben ist, dass eine Gefahr für die Schutzziele explizit des § 17 Abs. 1 BauO NRW eintreten könnte, falls bestimmte Brandschutzmaßnahmen nicht ergriffen werden (vgl. ausdrücklich OVG Münster, Beschl. v. 20.02.2013 – 2 A 239/12 –, juris Rn. 28f .). Dem liegt die Erkennt- nis zugrunde, dass mit der Entstehung eines Brands praktisch jederzeit gerechnet werden muss. Ein fehlendes Brandereignis stellt nicht aus sich heraus einen Dauerzustand dar. Um schwerwiegende Brandgefahren abzuwehren, darf die Bauaufsichtsbehörde besondere Anfor-
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14 derungen stellen, die ohne Eingehung von Kompromissen in jeder Hinsicht „auf der sicheren Seite“ liegen. Daran anschließend ist bei der gerichtlichen Überprüfung einer behördlichen Gefahrenabwehrmaßnahme im Bereich des Brandschutzes im Hinblick auf die mit der Ent- stehung und Ausbreitung von Bränden verbundenen extremen Gefahren eine großzügige Be- trachtungsweise geboten (so explizit OVG Münster, Beschl. v. 04.07.2014 – 2 B 666/14 –, juris Rn. 18). Die Auswahl des richtigen Adressaten richtet sich nach der Art der Gefahr und der erforderli- chen Maßnahme. Die allgemeinen Grundsätze der Gefahrenabwehr mit ihren Rechts- und Ermessensschranken gelten auch für die Auswahl des richtigen Adressaten unter mehreren Verantwortlichen (vgl. nur Götz/Geis, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht. 16. Aufl., § 9, Rn. 38). Insbesondere Nutzungsuntersagungen sind grundsätzlich an denjenigen zu richten, der die bauliche Anlage tatsächlich nutzt. Der Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs ge- bietet, denjenigen zuerst in Anspruch zu nehmen, der mit dem geringsten Aufwand baurecht- mäßige Zustände herstellen kann (so ausdrücklich OVG Münster, Beschl. v. 13.01.1993 – 7 B 4794/92 –, juris Rn. 18). Dies ist mit der Aufgabe der Nutzung einer gegen das Brandschutz- recht verstoßenden Anlage zunächst geschehen. Bezüglich einer möglicherweise additiv er- forderlichen Beseitigungsverfügung, müsste die Adressateneigenschaft unter dem Gesichts- punkt der Effektivität der Gefahrenabwehr noch gesondert geprüft werden. Da es insoweit auch darauf ankommen könnte, wer durch den Einbau der Baumhäuser deren Eigentümer geworden ist (§§ 93 ff. BGB) und diese Frage auch von der tatsächlichen Belegenheit der Anlagen auf dem Grundstück bestimmt wird, kann hierauf im Rahmen dieses Vermerks nicht abschließend eingegangen werden. Wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse im Hambacher Forst jedoch dahingehend konkretisieren sollten, dass ein Vorgehen im Wege des Sofort- Vollzuges (§ 55 Abs. 2 VwVG NRW) notwendig wird (hierzu untern bei b.), könnte diese Frage im Ergebnis möglicherweise deshalb dahinstehen, weil eine hypothetische Grundverfü- gung gegen die Eigentümerin des Grundstückes oder der baulichen Anlagen gerichtet werden könnte und der jeweils der Eigentümer im Hinblick auf die Natur der Abrissverfügung der richtige Adressat wäre.
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15 b) Durchsetzung der bauordnungsrechtlichen Verfügung Die BauO NRW hat die Zwangsmittel nicht selbständig geregelt. Es gelten insoweit die Vor- schriften des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts, mithin die Vorschriften des VwVG NRW. Wie bereits erwähnt wurde, deuten sich auf den vorliegenden Lichtbildaufnahmen gravieren- de Verstöße gegen geltendes Brandschutzrecht an. Das konkrete Ausmaß der Mängel und der Zustand der baulichen Anlagen macht in aller Regel eine Begehung vor Ort erforderlich. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung der der Einsatzpra- xis der örtlichen Feuerwehr maßgebliche Bedeutung bei der Beurteilung brandschutzrechtli- cher Mängel und ihrer Auswirkungen im Brandfall eine besondere Bedeutung beimisst (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 20.02.2013 – 2 A 239/12 –, juris Rn. 29). Insoweit ist den Bauauf- sichtsbehörden zu raten, sich bei der Einschätzung fachkundiger Hilfe seitens der Feuerwehr zu bedienen. Dabei entsteht nun das Problem, dass das „gestufte Vollstreckungsverfahren“ nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW die Androhung und Festsetzung von Zwangsmitteln (§ 63 VwVG NRW) erfordern. Zudem erfordert das gestreckte Verfahren das Vorliegen einer wirk- samen Grundverfügung (inkl. Bekanntgabe), die zudem unanfechtbar oder sofort vollziehbar (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO) ist. Neben den bekannten praktischen Schwierigkeiten bei der Bekanntgabe der Verfügung ist in Fällen von (vermuteten) Verstößen gegen das Brandschutzrecht auch das zeitliche Zuwarten im gestreckten Verfahren regelmäßig nicht hinnehmbar. Insoweit käme die Vollstreckung im „sofortigen Vollzug“ im Sinne von § 55 Abs. 2 VwVG NRW in Betracht. Danach kann der Verwaltungszwang ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet werden, wenn das zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist und die Vollzugsbehörde hierbei innerhalb ihrer Befugnisse handelt. Die Voraussetzung des „Handelns innerhalb der Befugnisse“ liegt dann vor, wenn die Vollstreckungsbehörde (Bauaufsicht) berechtigt wäre, gegenüber dem Betroffenen einen Verwaltungsakt mit dem Inhalt zu erlassen, den sie im Rahmen des Sofort- vollzugs vollstreckt. Die Handlung, Duldung oder Unterlassung, die die Antragsgegnerin oh- ne vorausgehenden Verwaltungsakt vollstreckt, müsste sie von dem Betroffenen durch Ver- waltungsakt verlangen dürfen. Abzustellen ist damit auf die Rechtmäßigkeit einer (nur) hypo- thetischen Grundverfügung nach § 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW. Eine Anhörung ist jedenfalls
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16 nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW entbehrlich, ebenso die Androhung (§ 63 Abs. 1 S. 5 VwVG NRW) und die Festsetzung eines Zwangsmittels (§ 64 S. 2 VwVG NRW). Mit einem sofortigen Vollzug soll einer Gefahr begegnet werden können, die aufgrund außer- gewöhnlicher Dringlichkeit des behördlichen Eingreifens ein gestrecktes Vorgehen im Sinne des § 55 Abs. 1 VwVG NRW, also auf der Grundlage eines unanfechtbaren oder sofort voll- ziehbaren Verwaltungsaktes sowie nach vorheriger Androhung und Festsetzung des Zwangs- mittels, nicht zulässt. Ohne das sofortige Tätigwerden der Behörde im Wege des Verwal- tungszwanges muss mit einem sehr hohen Grad an Wahrscheinlichkeit der Eintritt eines Schadens für ein geschütztes Rechtsgut unmittelbar bevorstehen. Eine solche Situation ist insbesondere dann gegeben, wenn die mit einem Einschreiten gemäß § 55 Abs. 1 VwVG NRW verbundenen Verzögerungen die Wirksamkeit erforderlicher Maßnahmen zur Gefah- renabwehr aufheben oder wesentlich beeinträchtigen würden, wenn also allein der sofortige Vollzug geeignet ist, die Gefahr wirkungsvoll abzuwenden (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 29.06.2015 – 7 A 457/14 –, juris Rn. 6; Erlenkämper/Rhein, Verwaltungsvollstreckungsgesetz und Verwaltungszustellungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 4. Aufl., § 55 VwVG NRW, Rn. 64 f.). Eine solche zugespitzte Gefahrenlage kann insbesondere und gerade im Fall von Mängeln des Brandschutzes vorliegen. Denn – hierauf wurde bereits hingewiesen – um schwerwiegende Brandgefahren abzuwehren, darf die Bauaufsichtsbehörde besondere Anforderungen stellen, die ohne Eingehung von Kompromissen in jeder Hinsicht „auf der sicheren Seite" liegen. Da- ran anschließend ist bei der gerichtlichen Überprüfung einer behördlichen Gefahrenabwehr- maßnahme im Bereich des Brandschutzes im Hinblick auf die mit der Entstehung und Aus- breitung von Bränden verbundenen extremen Gefahren eine großzügige Betrachtungsweise geboten. In einer Gefahrensituation ist es Sache der Bauaufsichtsbehörde, im Interesse der Brandsicherheit effektiv und vor allem schnell zu handeln (neben den bereits zitierten Ent- scheidungen auch ausdrücklich in diesem Sinne VG Düsseldorf, Beschl. v. 17.10.2016 – 25 L 3460/16 –, juris Rn. 48 m. w. N.). Jedoch entbindet auch der Umstand, dass sie aufgrund von brandschutzrechtlichen Aspekten tätig wird, die Bauaufsichtsbehörde, will sie eine Gefahrenabwehrmaßnahme im gekürzten
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17 Verfahren nach § 55 Abs. 2 VwVG NRW umsetzen, nicht von der Einhaltung der hierfür vorgesehenen Voraussetzungen (hierauf weist auch VG Düsseldorf, a. a. O., juris Rn. 50 hin). Bei (eventuell sogar nach Einschätzung der Feuerwehr) schwerwiegendsten Gefahren für Leib und Leben von Bewohnerinnen und Bewohnern einer baulichen Anlage im (nach der Recht- sprechung) stets zu erwartenden Brandfall, Anhaltspunkten oder Erfahrungen, dass die Nutzer einer Anlage, bauaufsichtlichen Anordnungen nicht nachkommen oder dies in der Vergan- genheit nicht sind und einer schwierigen oder unsicheren Erreichbarkeit der Adressaten im Zeitpunkt der Entscheidung über die Anwendung der Vollstreckungsmaßnahme (!) und einer damit verbundenen unsicheren Umsetzung einer möglichen mündlichen Ordnungsverfügung unter Einhaltung kürzester Fristen, kann für ein rechtmäßiges Vorgehen im Wege des § 55 Abs. 2 VwVG NRW sprechen. Leisten Personen bei der (sofortigen) Durchsetzung einer Nutzungsuntersagung körperlichen Widerstand, kann dieser durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs überwunden werden. Insoweit kann die Polizei den Bauaufsichtsbehörden Vollzugshilfe nach § 1 Abs. 3 PolG NRW i. V: m. §§ 47 ff. PolG NRW leisten (vgl. auch § 65 Abs. 2 S. 2 VwVG NRW). 2. Forstrechtliche Eingriffsgrundlagen Hinzuweisen ist auch auf Vorschriften des Wald- und Forstrechts. Nach dem Erkenntnisstand des Verfassers, handelt es sich beim Hambacher Forst um einen Privatwald im Sinne von § 3 Abs. 3 BWaldG, dessen Eigentümerin RWE Power ist. In diesem Zusammenhang ist auf § 2 Abs. 4 S. 1 Landesforstgesetz NRW (LFoG) hinzuweisen. Danach sind organisierte Veran- staltungen im Wald vor ihrem Beginn der Forstbehörde anzuzeigen, sofern sie nicht mit ge- ringer Teilnehmerzahl zum Zwecke der Umweltbildung durchgeführt wird. Die dokumentier- ten Zustände im Hambacher Forst legen das Ausmaß einer organisierten Veranstaltung nahe. Wer entgegen der Vorschrift des § 2 Abs. 4 LFoG eine organisierte Veranstaltung im Wald der Forstbehörde nicht rechtzeitig anzeigt, handelt gemäß § 70 Abs. 1 Nr. 1c LFoG ord- nungswidrig. Damit liegt der Verdacht der Begehung einer forstrechtlichen Ordnungswidrig- keit im Hambacher Forst bereits aus diesem Grunde nahe. Zur Verhinderung (oder Fortset- zung) einer Ordnungswidrigkeit ist die Polizei jedoch weder nach § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW noch nach § 34 Abs. 2 PolG NRW originär zuständig. Darüber hinaus kann der Waldbesitzer
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18 den Zutritt zu bestimmten Waldflächen gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 LFoG tatsächlich ausschließen, untersagen oder zeitlich beschränken. Er bedarf hierzu nach § 4 Abs. 1 S. 2 LFoG der vorhe- rigen Genehmigung durch die Forstbehörde. Eine solche Genehmigung kann nach § 4 Abs. 3 LFoG bereits dann erteilt werden, wenn hierfür ein wichtiger Grund vorliegt und das Sperren verhältnismäßig ist. Der Rechtsbegriff des „wichtigen Grundes“ ist denkbar weit. In Betracht kommen könnte etwa eine bestehende Waldbrandgefahr, diesbezügliche Restriktionen enthält die Vorschrift jedenfalls ausweislich nicht. Gesperrte Waldflächen sind sodann durch in § 4 Abs. 4 LFoG näher beschriebene Schilder kenntlich zu machen. Rechtsfolge eines solchen Vorgehens ist gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 lit. c) LFoG, dass ein Betretungsverbot besteht. Das Be- treten eines Waldes trotz einer ordnungsgemäßen und beschilderten Sperrung stellt gemäß § 70 Abs. 1 Nr. 2 LFoG ebenfalls eine Ordnungswidrigkeit dar, für deren Verhinderung jedoch, wie bereits erwähnt, keine originäre Zuständigkeit der Polizei begründet ist. Münster, 09.08.2018
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Land NRW – Hambacher Forst (1254/18CH) Bauaufsichtliches Einschreiten im Hambacher Forst Im Hambacher Forst wurden im Laufe der Zeit mehrere Konstruktionen in den Bäumen er- richtet, die gebäudeähnliche Strukturen aufweisen. Lichtbildaufnahmen zeigen „Baumhäu- ser“, die teilweise über mehrere Stockwerke angelegt sind. Nach polizeilichen Erkenntnissen sind die Baumhäuser ohne künstliche Stützen errichtet worden und hängen gewissermaßen in den Bäumen. Auf einzelnen Bildern sind Treppen zu erkennen, teilweise scheint der Aufstieg über Seilkonstruktionen bewerkstelligt zu werden. Im Zusammenhang mit der von der Eigentümerin beantragten Räumung des Hambacher Fors- tes stellt sich die Frage, ob gegen die auf dem Grundstück errichteten Baustrukturen im Wege des bauaufsichtlichen Einschreitens (§ 61 Abs. 1 S. 2 BauO NRW bzw. ab 01.01.2019 § 82 BauO NRW) vorgegangen werden kann. Konkret stellt sich die Frage, ob die Gebäude unter den Begriff der „baulichen Anlage“ im Sinne von § 2 Abs. 1 BauO NRW fallen, obwohl es an einer unmittelbaren und festen Verbindung mit dem Erdboden fehlt. Hierzu liegt ein Schrei- ben des zuständigen Ministeriums an die Bezirksregierung Köln vom 16.06.2014 – Az.: VI A 3 -100/2 – vor, in dem die Auffassung vertreten wird, dass Bauprodukten hergestellte Baum- häuser allenfalls dann bauliche Anlagen wären, wenn sie (künstlich geschaffene) Verbindun- gen zum Erdboden hätten wie zum Beispiel Stützen oder Verankerungen bzw. Abspannungen mittels Stahlseilen. Da es sich hiernach bei den Baustrukturen im Hambacher Forst nicht um bauliche Anlagen im Sinne des Bauordnungsrechts handele, käme ein Einschreiten der Bau- aufsichtsbehörden bereits dem Grunde nach nicht in Betracht. Im Ergebnis ist die rechtliche Auffassung des Ministeriums nicht überzeugend. Im Rahmen dieses Vermerks sollen zunächst die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale zum Begriff der bau- lichen Anlage dargestellt werden (hierzu insgesamt I.). Anschließend sollen einige Hinweise
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2 zur zwangsweisen Durchsetzung bauordnungsrechtlicher Verfügungen gegeben werden (hier- zu II.). I. Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs des Bauordnungsrechts Bereits die Auslegung der bauordnungsrechtlichen Legaldefinition in § 2 Abs. 1 BauO NRW führt zu dem Ergebnis, dass überwiegende Gründe für die Annahme sprechen, dass es sich bei den Baumhäusern im Hambacher Forst um bauliche Anlagen im Sinne des Bauordnungs- rechts handelt (hierzu 1.). Dieses Ergebnis wird von einer Entscheidung des Verwaltungsge- richts München gestützt, deren Formulierungen diametral zur Auffassung des Ministeriums im Schreiben vom 16.06.2014 liegen (hierzu 2.). Abschließend soll auf einige Gesichtspunkte hingewiesen werden, die im weiteren Verlauf eine Rolle spielen können und bei Lektüre des Schreibens des Ministeriums vom 16.06.2014 auffallen (hierzu 3.). 1. Analyse der Legaldefinition in § 2 Abs. 1 BauO NRW Die „bauliche Anlage“ ist der „zentrale Begriff des gesamten öffentlichen Baurechts“. Die Begriffsbestimmung (Legaldefinition) in § 2 Abs. 1 BauO NRW ist von grundlegender Be- deutung für das materielle Recht, wie für das Verfahrensrecht nach der Bauordnung (vgl. nur Stollmann/Beaucamp, Öffentliches Baurecht, 11. Aufl., § 3, Rn. 19). Bauliche Anlagen sind gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 BauO NRW mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen. Eine Verbindung mit dem Boden besteht nach § 2 Abs. 1 S. 2 BauO NRW auch dann, wenn die Anlage durch eigene Schwere auf dem Boden ruht oder auf ortsfesten Bahnen begrenzt beweglich ist oder wenn die Anlage nach ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt ist, überwiegend ortsfest benutzt zu werden. Als Ausgangspunkt lässt sich der bauordnungsrechtlichen Legaldefinition entnehmen, dass es sich bei den in Rede stehenden Strukturen um Anlagen handeln muss (hierzu b.), die aus Bauprodukten hergestellt wurden (hierzu c.) und über eine Verbindung mit dem Erdboden verfügen (hierzu d.). Eingangs sollen allerdings einige allgemeine Auslegungsgrundsätze dar- gestellt werden, die für das Verständnis des Begriffs der baulichen Anlage von Bedeutung
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