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Aktenzeichen
7 A 15.10
Datum
27. Juni 2013
Gericht
Bundesverwaltungsgericht
Gesetz
Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG)
Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG)

Urteil: Bundesverwaltungsgericht am 27. Juni 2013

7 A 15.10

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass ihm die (nach zwischenzeitlich erfolgtem in-camera-Verfahren, geänderter Sperrerklärung sowie anschließender Offenlegung bestimmter Informationen) noch streitgegenständlichen Unterlagen, die dem Bundesnachrichtendienst zu Adolf Eichmann vorliegen, zugänglich gemacht werden. Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass ein Anspruch aus dem Informationsfreiheitsgesetz aufgrund dessen Bereichsausnahme gegenüber den Nachrichtendiensten nicht hergeleitet werden kann. Die Begründung des Urteils basiert im Wesentlichen auf dem Bundesarchivgesetz und enthält Ausführungen zum Verhältnis zwischen den fachgesetzlichen Versagungsgründen im Hauptsacheverfahren und dem Ergebnis des Zwischenverfahrens vor dem Fachsenat. (Quelle: LDA Brandenburg)

Anwendungsbereich/ Zuständigkeit Konkurrierende Rechtsvorschriften

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BUNDESVERWALTUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL BVerwG 7 A 15.10 In der Verwaltungsstreitsache
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-2- hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Dr. Külpmann für Recht erkannt: Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3. Gründe: I 1 Der Kläger ist Journalist. Er beantragte Anfang Juli 2010 beim Bundesnachrich- tendienst Zugang zu allen dort vorliegenden Unterlagen über Adolf Eichmann. 2 Über diesen Antrag entschied der Bundesnachrichtendienst nicht, sondern ver- wies auf das beim Bundesverwaltungsgericht anhängige Klageverfahren einer anderen Antragstellerin, das den Zugang zu denselben Unterlagen zum Ge- genstand habe und dessen Ausgang abgewartet werden solle. 3 Der Kläger hat daraufhin Ende August 2010 - gestützt auf § 1 Abs. 1 IFG und § 5 BArchG - Untätigkeitsklage zum Verwaltungsgericht Berlin erhoben, das den Rechtsstreit mit Beschluss vom 15. September 2010 an das Bundesverwal- tungsgericht verwiesen hat. 4 Durch prozessleitende Verfügung vom 24. September 2010 forderte der Vorsit- zende des erkennenden Senats die Beklagte auf, die Unterlagen des Bundes- nachrichtendienstes zu Adolf Eichmann im Original vorzulegen. Das Bundes- kanzleramt gab mit Schreiben vom 16. Dezember 2010 eine Sperrerklärung
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-3- nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ab, die die im Bundesnachrichtendienst zu Adolf Eichmann vorliegenden Aktenbestände mit den Signaturen 3 187, 100470, 100471, 121099 (Band 1 bis 6) und 121082 (Band 1 und 2) betraf. Entsprechend dieser Sperrerklärung wurden zahlreiche, nach Blattzahlen der jeweiligen Aufbewahrungseinheit bezeichnete Dokumente gar nicht oder teil- weise geschwärzt vorgelegt. 5 Der Kläger beantragte daraufhin die Durchführung eines Zwischenverfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO. Nach Abgabe der Sache an den Fachsenat hob das Bundeskanzleramt die Sperrerklärung auf, soweit sie sich auf Abschriften der sog. „Sassen-Interviews“ bezog (Signatur 121099, Blatt 067 bis Blatt 989). 6 Mit Beschluss vom 10. Januar 2012 (BVerwG 20 F 1.11) stellte der Fachsenat fest, dass die Verweigerung der vollständigen und ungeschwärzten Aktenvorla- ge durch das Bundeskanzleramt teilweise rechtwidrig ist. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt; wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Beschlusses verwiesen. 7 Nachdem die Beklagte im Anschluss an das Zwischenverfahren die Akten ohne die beanstandeten Schwärzungen vorgelegt hat, haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache teilweise für erledigt erklärt. Hinsichtlich eines Teils der vorgelegten Unterlagen hat der Kläger den Rechtsstreit auch wegen mangelnder Lesbarkeit zunächst fortgeführt. Nach Zusicherung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, die technischen Möglichkeiten zur Verbesse- rung der Lesbarkeit nochmals zu überprüfen, haben die Beteiligten insoweit übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben. Im Übrigen hält der Kläger an seiner Klage fest. Er rügt Verstöße gegen Art. 5 Abs. 1 und 3, Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6, 8 und 10 EMRK. Zur Begründung führt er im Wesentli- chen aus: 8 Der erkennende Senat sei nicht an die Entscheidung des Fachsenats gebun- den, weil diese unter offensichtlicher Verkennung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe ergangen sei. Zudem stimmten die Geheimhaltungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO und die Versagungsgründe nach § 5 Abs. 2, Abs. 6
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-4- Nr. 1 und 2 BArchG nicht vollständig überein, so dass dem Senat ein Rest an Überprüfungsmöglichkeit verbleibe. 9  Die vom Fachsenat gebilligten Schwärzungen würden nicht durch Geheimhal- tungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gerechtfertigt. Auch die von der Beklagten geltend gemachten fachgesetzlichen Versagungsgründe nach dem Bundesarchivgesetz lägen daher nicht vor. Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 6 Nr. 1 BArchG sei schon nicht plausibel dargelegt worden. Die Ausfüh- rungen des Fachsenats zu möglichen Nachteilen für das Wohl des Bundes überzeugten nicht. Seine Begründung erschöpfe sich darin, die Leerformeln der Sperrerklärung zu wiederholen. Dies verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG. 10 Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 6 Nr. 2 BArchG greife bei den geschwärz- ten Namen nicht ein, weil es sich durchweg um Personen der Zeitgeschichte handele. Entgegen der Auffassung des Fachsenats habe das Bundeskanzler- amt sein Ermessen beim Schutz personenbezogener Daten Dritter in der Sperrerklärung nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Forschung und Geschichts- schreibung seien in Deutschland nicht möglich, wenn das Zugangsrecht nach dem Bundesarchivgesetz auf diese Weise missverstanden werde. Bei einer ordnungsgemäßen Abwägung hätten die Namen wegen des Vorrangs des jour- nalistischen Offenbarungsinteresses offengelegt werden müssen. 11 Wie sich der Fachsenat davon habe überzeugen können, dass die persönlichen Daten von Personen der Zeitgeschichte aus Gründen des Persönlichkeitsschut- zes, auch von Angehörigen oder Nachkommen der Person selbst, zu Recht nicht offengelegt worden seien, könne nicht nachvollzogen werden. Soweit der Fachsenat auf die angeblichen „Mutmaßungen“, in die der Kläger mangels Kenntnis des Akteninhalts habe eintreten müssen, nicht näher eingegangen sei, leide der Beschluss an einem Begründungsausfall. 12 Der Kläger beantragt zuletzt, die Beklagte zu verpflichten, ihm uneingeschränkten Zu- gang zu gewähren zu den
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-5- 1. vollständig geschwärzten Aktenteilen: Signatur 100470, Bl. 80; 284-285; 293 Signatur 121099, Bl. 1757; 1759-1761; 1763-1766; 1805; 1807; 1811; 1819-1820; 1848-1849; 1893; 1900-1902; 1909-1912; 2065; 2202-2207; 2254; 2301-2304 Signatur 121082, Bl. 255-263; 266-274 2. teilweise geschwärzten Aktenteilen: Signatur 100470, Bl. 1-4; Karteikarte „Memo-D-2037-G/4373-Nr. 9400-Jan.1952“ nebst Rückseite; 8-11; 16; 36; 40; 47; 63-64; 66-68; 71-75; 77; 79; 83; 96; 98-99; 102; 104; 111; 115; 120-121; 123; 126; 127-128; 148; 151; 175; 177; 179; 181; 244-246; 257; 259; 264-265; 270-271; 276; 283; 286; 288; 290; 292; 294; 295; 297-299; 310; 312; 318; 322-323; 360-361; 364-365; 369-370; 373-374; 401; 408; 420-421; 423; 432; 434-435; 437-440; 442-443 Signatur 100471, Bl. 444; 446-447; 449; 451; 453; 458; 459-461; 463; 467-468; 031-037; 481; 483-484; 486; 497-502; 504-506; 508; 576-577; 582; 192 Signatur 121099, Bl. 1658; 1662; 1672-1673; 1690; 1692-1694; 1698; 1710; 1712; 1715; 1717; 1726; 1730- 1734; 1737; 1744; 1745-1748; 1751; 1756; 1758; 1762; 1767-1768; 1772; 1774-1776; 1779; 1784; 1788; 1791-1792; 1794; 1796; 1798; 1800-1801; 1804; 1806; 1808-1810; 1812-1813; 1815-1818; 1821-1829; 1831- 1835; 1837-1839; 1844; 1846-1847; 1850- 1852; 1855-1856; 1860-1866; 1868-1870; 1872-1879; 1882; 1884; 1887-1892; 1898- 1899; 1903-1908; 1914-1916; 1941-1942; 1944-1945; 1959; 1964-1970; 1980; 1992; 1999; 2005-2011; 2013-2015; 2017-2018; 2020; 2064; 2066; 2069-2070; 2073-2078; 2098-2099; 2101; 2107-2121; 2129-2130; 2132; 2136-2137; 2139-2149; 2158-2161; 2165-2176; 2178-2185; 2187-2188; 2190- 2192; 2197-2199; 2208-2212; 2216-2218; 2222-2225; 2228-2230; 2235-2236; 2238; 2240; 2246; 2248-2253; 2264; 2293-2297; 2312; 2314; 2326-2329; 2398-2401; 2416- 2421
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-6- Signatur 121082, Bl. 180; 207; 209; 212; 215; 253-254; 264-265 Signatur   3 187, Bl. 001-002; 005; 007; 013-018. 13 Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. 14 Der Kläger könne nicht verlangen, dass ihm die noch streitgegenständlichen Unterlagen ungeschwärzt zugänglich gemacht werden. Da eine Vorlage dieser Unterlagen nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht in Betracht komme, sei der Zu- gang auch nach § 5 Abs. 2 und Abs. 6 Nr. 1 und 2 BArchG ausgeschlossen. Die Behauptung des Klägers, die vom Fachsenat anerkannten Schwärzungen seien zu einem Gutteil nicht begründet, treffe nicht zu. Die Anforderungen, die § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „Nachteil für das Wohl des Bundes“ aufstelle, seien strenger als diejenigen, die § 5 Abs. 6 Nr. 1 BArchG für eine Nutzungsversagung fordere. Jedenfalls sei von einem Gleichklang der Geheimhaltungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO und der Versagungsgründe nach § 5 Abs. 2, Abs. 6 Nr. 1 und 2 BArchG auszugehen. II 15 Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren nach § 161 Abs. 2 VwGO einzustellen. 16 Im Übrigen ist die Verpflichtungsklage unbegründet. Der Kläger hat keinen An- spruch darauf, dass ihm die noch streitgegenständlichen Unterlagen, deren vollständige oder teilweise Schwärzung der Fachsenat mit Beschluss vom 10. Januar 2012 als rechtmäßig erachtet hat, in ungeschwärzter Form zugäng- lich gemacht werden. Hinsichtlich der vom Klageantrag zu 2 erfassten Blätter 115 der Signatur 100470, 192 (andere Paginierung) der Signatur 100471 sowie 1745 und 1999 der Signatur 121099 hat die Beklagte dem Begehren des Klä- gers bereits entsprochen (1). Für die verbleibenden Unterlagen lässt sich ein Anspruch auf ungeschwärzte Vorlage nicht aus § 1 Abs. 1 IFG herleiten (2).
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-7- Einem Anspruch aus § 5 Abs. 8 i.V.m. Abs. 1 BArchG stehen fachgesetzliche Versagungsgründe entgegen (3). Aus Art. 5 Abs. 1 und 3, Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6, 8 und 10 EMRK folgt nichts anderes (4). 17 1. Das Blatt 115 der Signatur 100470 und die Blätter 1745 und 1999 der Signa- tur 121099 waren nicht von der Sperrerklärung umfasst. Diese Blätter hat die Beklagte dem Kläger durch Vorlage lesbarer Ausdrucke vom Mikrofiche bzw. digitalisierten Mikrofilm zugänglich gemacht. Die auf Blatt 115 der Signatur 100470 und Blatt 1999 der Signatur 121099 vorhandenen schwarzen Balken finden sich - wie die Beklagte auf entsprechende Nachfrage hin mit Schriftsät- zen vom 18. März 2013 und 10. Juni 2013 erklärt hat - auch auf den dort vor- handenen „Original-Ausdrucken“. Sie sind also offenbar älteren Datums und nicht anlässlich des Einsichtsverlangens des Klägers angebracht worden. Das- selbe gilt ausweislich des mit Schriftsatz vom 10. Juni 2013 vorgelegten „Origi- nal-Ausdrucks“ auch für Blatt 192 (andere Paginierung) der Signatur 100471. 18 2. Der Kläger kann einen Anspruch auf ungeschwärzte Vorlage der sonst noch streitgegenständlichen Unterlagen nicht aus § 1 Abs. 1 IFG herleiten. Nach der in § 3 Nr. 8 IFG geregelten Bereichsausnahme besteht gegenüber den Nach- richtendiensten kein Anspruch auf Informationszugang. Die Einschränkung in § 3 Nr. 8 Halbs. 2 IFG („soweit sie Aufgaben im Sinne des § 10 Abs. 3 des Si- cherheitsüberprüfungsgesetzes wahrnehmen“) gilt nur für die sonstigen Stellen (Rossi, IFG, 2006, § 3 Rn. 62; Schoch, IFG, 2009, § 3 Rn. 199). 19 3. Einen Anspruch in entsprechender Anwendung von § 5 Abs. 1 BArchG auf Zugang zu archivwürdigen Unterlagen, die noch nicht an das Bundesarchiv ab- gegeben worden sind, kann der Kläger gemäß § 5 Abs. 8 i.V.m. § 2 Abs. 1 BArchG auch gegen den Bundesnachrichtendienst richten. Diesem Anspruch stehen aber Ausschlussgründe nach § 5 Abs. 2 und Abs. 6 Nr. 1 und 2 BArchG entgegen. 20 Ob die von der Beklagten (noch) geltend gemachten Ausschlussgründe der Ge- fährdung des Wohls der Bundesrepublik Deutschland (§ 5 Abs. 6 Nr. 1 BArchG), entgegenstehender schutzwürdiger Belange Dritter (§ 5 Abs. 6 Nr. 2
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-8- BArchG) sowie auf natürliche Personen bezogenen Archivguts (§ 5 Abs. 2 BArchG) vorliegen, kann nur anhand des konkreten Inhalts der ungeschwärzten Akten verifiziert werden (vgl. Beschlüsse vom 10. Januar 2012 - BVerwG 20 F 1.11 - AfP 2012, 298 = juris Rn. 9 und vom 19. April 2010 - BVerwG 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 f. = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 58 Rn. 4 f.). Na- mentlich können aus den ungeschwärzten Passagen der Unterlagen keine trag- fähigen Rückschlüsse darauf gezogen werden, ob hinsichtlich der geschwärz- ten Passagen die archivgesetzlichen Versagungsgründe vorliegen oder nicht. 21 Die Möglichkeit, das Vorliegen der Ausschlussgründe durch Einsicht in die un- geschwärzten Originalakten selbst zu überprüfen, ist dem erkennenden Senat hier allerdings versagt, weil der Fachsenat mit Beschluss vom 10. Januar 2012 festgestellt hat, dass die Weigerung, die noch streitgegenständlichen Unterla- gen ohne Schwärzungen vorzulegen, rechtmäßig ist. Ob Akten oder Unterlagen vorgelegt und verwertet werden dürfen, entscheidet ausschließlich und ab- schließend der Fachsenat nach § 189 VwGO (Beschluss vom 15. August 2003 - BVerwG 20 F 3.03 - BVerwGE 118, 352 <356> = juris Rn. 10). Die Zwischen- entscheidung ist im weiteren Verfahren zur Hauptsache wie ein rechtskräftiges Zwischenurteil zugrunde zu legen (Beschluss vom 24. November 2003 - BVerwG 20 F 13.03 - BVerwGE 119, 229 <230 f.> = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 36 S. 27 = juris Rn. 4; BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <120> = juris Rn. 55 f.). Dem Gericht im Hauptsa- cheverfahren ist eine eigenständige - ggf. abweichende - Bewertung der öffent- lichen Geheimschutzbelange und deren Abwägung mit dem Rechtsschutzinte- resse des Betroffenen verwehrt (Urteil vom 27. September 2006 - BVerwG 3 C 34.05 - BVerwGE 126, 365 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 43 Rn. 29). 22 Werden vom Gericht der Hauptsache für entscheidungserheblich gehaltene Unterlagen von der Behörde nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO aus Gründen der Geheimhaltungsbedürftigkeit nicht vorgelegt und unterbleibt die Vorlage auch als Ergebnis des gerichtlichen Zwischenverfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO, ist die Möglichkeit, die Überzeugung nach § 108 Abs. 1 VwGO aus dem Gesamt- ergebnis des Verfahrens zu gewinnen, daher aus gesetzlichen Gründen einge- schränkt. Dies darf grundsätzlich weder der Behörde im Sinne einer Beweisver-
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-9- eitelung zum Nachteil gereichen, weil die dadurch entstandene Beweislage durch § 99 VwGO ausdrücklich gedeckt ist, noch wird umgekehrt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung durch eine gesetzliche Beweisregel zugunsten des Beklagten eingeschränkt (Urteil vom 21. Mai 2008 - BVerwG 6 C 13.07 - BVerwGE 131, 171 = Buchholz 402.7 BVerfSchG Nr. 11 Rn. 29). Vielmehr ist im Einzelfall angemessen zu würdigen, dass bestimmte Umstände nicht auf- klärbar bleiben. 23 Beruht die im Hauptsacheverfahren zu treffende Sachentscheidung nicht allein auf der geheim gehaltenen Tatsachengrundlage, kann die Aufklärungslücke dadurch überbrückt werden, dass die übrigen Erkenntnisse verwertet werden und die nicht aufklärbare Tatsache nur mit minderem Beweiswert berücksichtigt wird. Diese Möglichkeit entfällt hier, denn Streitgegenstand des Hauptsachever- fahrens ist gerade die Vorlage von (ungeschwärzten) Unterlagen, die die Be- klagte nach dem Ergebnis des Zwischenverfahrens zu Recht verweigert. Weil die Beklagte für das Vorliegen der geltend gemachten fachgesetzlichen Versa- gungsgründe des § 5 Abs. 2 und Abs. 6 Nr. 1 und 2 BArchG nach dem sog. Günstigkeitsprinzip die Beweislast trägt, befindet sie sich aufgrund der für sie positiven Entscheidung im Zwischenverfahren in einem unverschuldeten sach- typischen Beweisnotstand. Könnte die Beklagte ihr Vorbringen zu den Versa- gungsgründen nach § 5 Abs. 2 und Abs. 6 Nr. 1 und 2 BArchG nur durch Vorla- ge der streitgegenständlichen Unterlagen in ungeschwärzter Fassung bewei- sen, hätte dies zur Folge, dass der Geheimnisschutz ihr nur um den Preis des Prozessverlustes gewährt würde (Mayen, NVwZ 2003, 537, 538). Dann machte es aber keinen Sinn, dass sie zuvor im Zwischenverfahren den Schutz ihrer Geheimnisse durchgesetzt hat. Diese Rechtsfolge würde dem Anliegen des § 99 VwGO nicht gerecht. 24 Dem durch die Sperrerklärung verursachten Beweisnotstand der Beklagten ist in dieser Fallgestaltung im Rahmen der Beweiswürdigung dergestalt Rechnung zu tragen, dass der Entscheidung des Fachsenats im Zwischenverfahren präju- dizielle Wirkung beigemessen wird. Die Beklagte beruft sich im Hauptsachever- fahren auf archivgesetzliche Versagungsgründe, die sich von den Gründen, die eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen können, in der
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- 10 - Sache nicht unterscheiden. Der absolute Geheimhaltungsgrund des § 5 Abs. 6 Nr. 1 BArchG setzt voraus, dass Grund zu der Annahme besteht, dass das Wohl der Bundesrepublik Deutschland gefährdet würde. Dieser Geheimhal- tungsgrund greift nicht weiter als das Nachteilbereiten für das Wohl des Bundes im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO. Auch der von § 5 Abs. 2 BArchG bezweckte Schutz persönlicher Daten sowie der Versagungsgrund des § 5 Abs. 6 Nr. 2 BArchG zugunsten schutzwürdiger Belange Dritter folgen keinen anderen materiellen Maßstäben als denjenigen, die für einen Schutz persönli- cher Daten und der Belange Dritter als Geheimhaltungsgrund „ihrem Wesen nach“ gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO von Bedeutung sind. Damit stimmt das Prüfprogramm für die prozessuale Entscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO hier mit den fachgesetzlichen Vorgaben des Bundesarchivgeset- zes faktisch überein (vgl. Beschlüsse vom 19. April 2010 a.a.O. Rn. 24 und vom 21. Februar 2008 - BVerwG 20 F 2.07 - BVerwGE 130, 236 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 46 Rn. 19). Der Fachsenat ist in seiner - in den von § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO gesteckten Grenzen - ausführlich begründeten Entscheidung vom 10. Januar 2012 in Kenntnis des Inhalts der Unterlagen zu der Einschät- zung gelangt, dass die mit der Sperrerklärung geltend gemachten Geheimhal- tungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO hinsichtlich der noch streitgegen- ständlichen Schwärzungen vorliegen. Dies rechtfertigt angesichts des Gleich- klangs der jeweils geltend gemachten Geheimhaltungsgründe den Schluss, dass damit auch die Versagungsgründe des § 5 Abs. 2 und Abs. 6 Nr. 1 und 2 BArchG vorliegen. Entscheidet der Fachsenat in solchen Fällen gleichgelager- ter Geheimhaltungsgründe zugunsten des Geheimnisschutzes, bleibt mithin auch die Klage auf Akteneinsicht erfolglos (VGH Mannheim, Urteil vom 24. November 2006 - 1 S 2321/05 - VBlBW 2007, 340 <342> = juris Rn. 45). 25 Mit seiner Rüge, dem Beschluss des Fachsenats dürfe jedenfalls vorliegend keine Präjudizwirkung beigemessen werden, weil der Fachsenat die verfas- sungsrechtlichen Maßstäbe und Begründungsanforderungen verkannt habe, dringt der Kläger nicht durch. Es kann dahinstehen, welche Folgerungen sich in solchen Fällen für das Hauptsacheverfahren ergeben könnten, weil es dafür vorliegend an jeglichen Anhaltspunkten fehlt. Abgesehen davon kann, wenn in einem Zwischenverfahren über eine für das weitere Verfahren wesentliche
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