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Aktenzeichen
2 K 255.12
Datum
6. Juni 2013
Gericht
Verwaltungsgericht Berlin
Gesetz
Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG)
Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG)

Urteil: Verwaltungsgericht Berlin am 6. Juni 2013

2 K 255.12

Das Bundesministerium des Innern wird verpflichtet, dem Kläger Zugang zu bestimmten Tagesordnungspunkten der Protokolle einer Ausländerreferentenbesprechung (Bund-Länder-Treffen) zu gewähren. Das Verwaltungsgericht stellt fest, dass die Verfügungsberechtigung an dem Protokoll nicht bei allen beteiligten Ländern, sondern beim federführenden Bundesministerium, das die Protokolle selbst erstellt, liegt. Der von der Behörde geltend gemachte Schutz der Beratungen von Behörden kommt als Ausschlussgrund nicht zum Tragen, da die streitbefangenen Tagesordnungspunkte entweder keine Angabe über den geschützten Beratungsprozess, sondern nur über das Ergebnis enthalten oder eine mögliche Beeinträchtigung nicht plausibel dargelegt wurde bzw. nicht nachvollziehbar ist, dass eine solche zum Zeitpunkt der Verhandlung noch bestehen soll. Siehe auch Parallelverfahren: VG Berlin, 2 K 176.13 und 2 K 286.12. (Quelle: LDA Brandenburg)

Anwendungsbereich/ Zuständigkeit Beratungsgeheimnis (behördlicher Entscheidungsprozess)

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VG 2K 255.12

Mitgeteilt durch Zustellung an
a) Kl. am
b) Bekl. am

 

als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle

VERWALTUNGSGERICHT BERLIN

URTEIL

Im Namen des Volkes
In der Verwaltungsstreitsache

des

Klägers,
gegen
die Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch das Bundesministerium des Innern,
Alt-Moabit 101 D, 10559 Berlin,
Beklagte,

hat das Verwaltungsgericht Berlin, 2. Kammer, aufgrund
der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2013 durch

den Richter am Verwaltungsgericht Becker
als Einzelrichter

für Recht erkannt:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesministeriums
des Inneren vom 5. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
7. November 2012 verpflichtet, dem Kläger Zugang zu den folgenden Tages-
ordnungspunkten (TOP) der Protokolle der Ausländerreferentenbesprechun-
gen zu gewähren:

TOP 5, 6 und 7 des Protokolls vom 17. und 18. April 2007,

TOP 21 des Protokolls vom 25. und 26. September 2007,

TOP 11, 12, 13, 22 und 28 des Protokolls vom 15. und 16. April 2008,

TOP 4, 10, 15 und 30 des Protokolls vom 8. und 9. Oktober 2008,

TOP 2, 3 und 20 des Protokolls vom 25. und 26. März 2009 und

TOP 16 des Protokolls vom 23. und 24. September 2009.
1

-2-

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden
Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Zugang zu Informationen aus den Verwaltungsvorgängen des
Bundesministeriums des Inneren (BMi).

Zweimal im Jahr findet unter Vorsitz des BMI eine sogenannte Ausländerreferenten-
besprechung statt. Dabei handelt es sich um ein Bund-Länder-Treffen, bei dem ne-
ben den zuständigen Behörden des Bundes die Landesinnenministerien mit ihren
Ausländerrechtsreferaten vertreten sind. Dieses Gremium befasst sich mit der Koor-
dinierung der ausländerrechtlichen bzw. -politischen Vorgehensweisen von Bund und
Ländern.

Mit E-Mails vom 3. Juni 2012 beantragte der Kläger unter Hinweis auf das Informa-
tionsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG), ihm Zugang zu den folgenden 17 Tagesord-
nungspunkten in Protokollen der Ausländerreferentenbesprechungen aus den Jahren
2007 - 2009 zu gewähren:

1) Protokoll vom 17. und 18. April 2007 zu Tagesordnungspunkt 5: „Erteilung
von Schengenvisa durch andere Staaten mit anschließender Einreise nach Deutsch-
land zur Eheschließung (in Dk)" (Seite 10 des Protokolls),

2) . Protokoll vom 17. und 18. April 2007 zu Tagesordnungspunkt 6: "Schleichen-
de Familienzusammenführung" (Seite 11 des Protokolls),

3) Protokoll vom 17. und 18. April 2007 zu Tagesordnungspunkt 7: „Familien-
nachzug von drittstaatsangehörigen Ehegatten zu Unionsbürgern unter Umgehung
nationaler Familiennachzugsbestimmungen" (Seite 12 des Protokolls),

4) Protokoll vom 25. und 26. September 2007 zu Tagesordnungspunkt 21: „Qua-
litätskontrolle AZR" (Seite 26 des Protokolls),

5) Protokoll vom 15. und 16. April 2008 zu Tagesordnungspunkt 11: „Verhältnis
zwischen Ehegattennachzug mit Sprachnachweis und Nachzug zum deutschen Kind"
(Seite 20 des Protokolls),

6) Protokoll vom 15. und 16. April 2008 zu Tagesordnungspunkt 12: „Zustim-
mungsverfahren zum Ehegattennachzug: Ausnahme vom Sprachnachweis des er-
kennbar geringen Integrationsbedarfs bei Hochschulabsolventen" (Seite 21 des Pro-
tokolls),

7) Protokoll vom 15. und 16. April 2008 zu Tagesordnungspunkt 13: „Umge-
hungsversuche beim Sprachnachweis zum Ehegattennachzug durch Aufenthalts-
zweckwechsel im Inland" (Seite 22 des Protokolls),
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8) Protokoll vom 15. und 16. April 2008 zu Tagesordnungspunkt 22: "Ausnah-
men vom Erfordernis einfacher Sprachkenntnisse nach 8 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3
AufenthG" (Seite 31 des Protokolls),

9) Protokoll vom 15. und 16. April 2008 zu Tagesordnungspunkt 28: „Einfache
deutsche Sprachkenntnisse als Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltser-
laubnis zum Ehegattennachzug im Bundesgebiet bzw. Erteilung einer Niederlas-
sungserlaubnis gemäß $ 28 Abs. 3 AufenthG" (Seite 37 des Protokolls),

10) Protokoll vom 8. und 9. Oktober 2008 zu Tagesordnungspunkt 4: „Umge-
hungsversuche beim Sprachnachweis zum Ehegattennachzug durch Aufenthalts-
zweckwechsel im Inland" (Seite 8 des Protokolls),

11) _ Protokoll vom 8. und 9. Oktober 2008 zu Tagesordnungspunkt 10: „Verein-
barkeit von Regelungen des AufenthG mit EU-Recht" (Seite 14 des Protokolls),

12) Protokoll vom 8, und 9. Oktober 2008 zu Tagesordnungspunkt 15: „Familien-
nachzug von drittstaatsangehörigen Ehegatten zu Unionsbürgern unter Umgehung
nationaler Familiennachzugsbestimmungen" (Seite 19 des Protokolls),

13) _ Protokoll vom 8. und 9. Oktober 2008 zu Tagesordnungspunkt 30 Unterpunkt
a): „Merkblatt zur Verwendung des bundeseinheitlichen Vordruckes für Verpflich-
tungserklärungen nach $ 68 AufenthG - Bonitätsprüfung -" (Seite 34 des Protokolls),
14) Protokoll vom 25. und 26. März 2009 zu Tagesordnungspunkt 2: „Frage der
Visumpflicht bei der Einreise von türkischen Staatsangehörigen als Dienstleistungs-
erbringer oder -empfänger" (Seite 5 des Protokolls),

15) Protokoll vom 25. und 26. März 2009 zu Tagesordnungspunkt 3: „Visumfrei-
heit für Brasilianer auch für langfristige Aufenthaltszwecke (z.B. Familiennachzug)
und sich daraus ergebende Fragen (z.B. Sprachnachweis)" (Seite 6 des Protokolls),
16) Protokoll vom 25. und 26. März 2009 zu Tagesordnungspunkt 20: „$ 39 Nr. 3
AufenthV: Anwendbarkeit bei Umgehung des Sprachnachweises vor Einreise" (Seite
23 des Protokolls),

17) Protokoll vom 23. und 24 September 2009 zu Tagesordnungspunkt 16:
„Grenzübertrittsbescheinigungen" (Seite 20 des Protokolls).

Mit Bescheid des BMI vom 5. Juli 2012 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers
ab. Zur Begründung verwies sie auf $ 3 Nr. 3 Buchst. b) IFG und führte aus, die Pro-
tokolle der Ausländerreferentenbesprechung seien vom Informationszugang ausge-
schlossen, weil ansonsten die notwendige Vertraulichkeit der Beratungen von Be-
hörden beeinträchtigt werde. Bei der erforderlichen Einzelfallprognose seien die
konkret an den Beratungen Beteiligten, die konkreten Beratungsgegenstände und
die konkrete Art des Verfahrens zu berücksichtigen. An den Grad der Wahrschein-
lichkeit einer Beeinträchtigung der notwendigen Vertraulichkeit seien Hinblick auf
den Teilnehmerkreis keine hohen Anforderungen zu stellen. Es handele sich um ein
Treffen auf Referatsleiterebene bei dem eine analytisch-sachliche Auseinanderset-
zung mit Fachfragen stattfinde, der in der Regel keine Abstimmung mit der Behör-
denspitze vorausgehen. Bei einer Veröffentlichung der Protokolle sei mit einer dop-
pelten Vorzensur in den Köpfen der Teilnehmer zu rechnen, weil diese sich bei jeder
Meinungsäußerung überlegen müssten, ob sie mit der Auffassung der Leitung ihres
jeweiligen Ministeriums übereinstimme, und welche Wirkung ihre Äußerung bei der
interessierten Fachöffentlichkeit hervorrufen könne. Insoweit sei die Vertraulichkeit
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der Beratungen tendenziell von noch größerer Bedeutung als bei einer von einem
Ministerium auf gesetzlicher Grundlage eingesetzten Kommission unabhängiger
Sachverständiger. Bei den mit den Anträgen 1, 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 15,
16 und 17 begehrten Protokollauszügen werde nicht nur das Beratungsergebnis
sondern auch der Beratungsverlauf wiedergegeben. Die Besprechungen lägen noch
nicht so lange zurück, dass die beteiligten Personen nicht in manchen Fällen noch
personenidentisch mit den heute an den Besprechungen beteiligten Personen seien.
Die Beratungsgegenstände forderten ebenfalls eine vertrauliche Behandlung, weil es
sich um aktuelle Themen handele, die große politische Tragweite hätten und im poli-
tischen Kampf der Meinungen kontrovers diskutiert würden. Eine Prognose, ob und
wann der Vertraulichkeitsschutz ende und der Informationszugang ganz oder teilwei-
se voraussichtlich möglich sei, könne derzeit nicht abgegeben werden. Der Bera-
tungsprozess erfordere im besonderen Maße die Vertraulichkeit, weil die Bespre-
chungen nicht Teil eines Verwaltungsverfahrens sein, da sie nicht auf Erlass eines
Verwaltungsaktes oder den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Betrages zielten.
Es gehe vielfach um die Vorbereitung von später zu treffenden verbindlichen Ent-
scheidungen, deren Effizienz darauf beruhe, dass sie keinen verwaltungsrechtlichen
Zwängen unterliegen. Die Teilnehmer müssten in der Lage sein, offen und spontan
zu diskutieren, ohne Gefahr zu laufen, dass ihre Äußerungen ständiger Beobach-
tung, Kritik oder Beeinflussung von außen ausgesetzt seien. Müssten die Teilnehmer
mit der nachträglichen Publizität ihrer Äußerungen rechnen, würde ihre Bereitschaft
sinken, sich auf eine offene, vorbehaltslose Diskussion aktueller Problemstellungen
und Handlungserfordernisse einzulassen; hierdurch könnte der Nutz- und Ertrags-
wert des Gremiums Einbußen erleiden. Der Informationszugang sei auch zu versa-
gen, weil das BMI nicht die gemäß $ 7 Absatz 1 S. 1 IFG erforderliche alleinige Ver-
fügungsberechtigung besitze. Bei der Ausländerreferentenbesprechung handele sich
um ein aus den Vertretern des Bundes und der Länder gemischt besetztes Gremium
bei dem die Verfügungsberechtigung über den Inhalt der Beratung gesamthände-
risch bei den 17 beteiligten Behörden liege. Zwar habe das BMI in ständiger Verwal-
tungsübung die Federführung für die Organisation der Besprechung, erstelle also
aufgrund der in den meisten Fällen von den Ländern geäußerten Wünsche die Ta-
gesordnung, lade jeweils mit einem Land abwechselnd zu den Sitzungen ein, habe
die Verhandlungsführung inne und fertige die Protokolle an. Dies sei jedoch nicht
zwingend und führe nicht zwangsläufig zur Verfügungsberechtigung. Die Tatsache,
dass sich die Originale der Protokolle im Besitz des federführenden Bundesministe-
riums befinden, bedeute lediglich, dass das Bundesministerium der richtige Adressat
für IFG-Anträge sei. Es dürfe auch nicht von dem Zufall abhängen, ob die federfüh-

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rende Behörde einem Informationsfreiheitsgesetz unterliege oder nicht. Die einzig
vertretbare Lösung sei, dass alle Beteiligten als gleichermaßen verfügungsberechtigt
anzusehen seien. Daher müssten die Landesministerien einer etwaigen Herausgabe
der Protokolle zustimmen. Die Beklagte habe folglich am 7. Juni 2012 eine Länder-
umfrage durchgeführt und die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nieder-
sachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und das Saarland hätten der

Herausgabe widersprochen.

Der Kläger widersprach dem Ablehnungsbescheid. Er rügt, dass die Beklagte nicht
geprüft habe, ob der Zugang zu den Teilen der Protokolle gewährt werden könne, die
keine Meinungsäußerungen enthalten. Er wies auf das Urteil des Verwaltungsgericht
Saarlouis vom 26. April 2012 - 10 K8 22/11 - hin, wonach über die Protokolle allein
das BMI verfügungsberechtigt sei. Er trug vor, es bedürfe für jeden in den Protokol-
len behandelten Gegenstand der Darlegung, inwieweit eine konkrete Beeinträchti-
gung der Beratungen möglich sei. Die Äußerungen von weisungsgebundenen Beam-
ten würden durch das Informationsfreiheitsgesetz gerade nicht geschützt. Die Argu-
mentation der Beklagten laufe darauf hinaus, die Beratung und den Meinungsaus-
tausch der Ministerien zu Fragen des Ausländerrechts und seiner Praxis ganz gene-
rell vom Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes auszunehmen. Die
Besprechungen fänden gerade nicht in einem Gremium statt, dass mit externen, un-
abhängigen und in keinem Dienst- und Weisungsrecht stehenden Experten besetzt

sei.

Der Kläger hat am 9. Oktober 2012 Klage erhoben. Mit Widerspruchsbescheid vom
7. November 2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers aus den Gründen
des Ausgangsbescheides zurück. Der Kläger verfolgt sein Begehren unter Einbezie-
hung des Widerspruchsbescheides weiter. Er meint, durch das Urteil der Kammer
vom 25. August 2011 - VG 2 K 50.11 - sei bereits geklärt, dass die Ergebnisse der
Ausländerreferentenbesprechungen regelmäßig zugänglich zu machen seien. Wenn
dies im Einzelfall anders sein sollte, müsse die Beklagte das konkret darlegen. Das
BMi habe die Informationen selbst erhoben, indem es Protokolle mit den Äußerun-
gen der Teilnehmer aufzeichne, und sei daher als Urheber der Informationen auch
darüber verfügungsberechtigt.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesministeriums des

Inneren vom 5. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
7. November 2012 zu verpflichten, ihm Zugang zu den folgenden Tagesord-
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nungspunkten (TOP) der Protokolle der Ausländerreferentenbesprechungen
zu gewähren:

TOP 5, 6 und 7 des Protokolls vom 17. und 18. April 2007,

TOP 21 des Protokolls vom 25. und 26. September 2007,

TOP 11, 12, 13, 22 und 28 des Protokolls vom 15. und 16. April 2008,

TOP 4, 10, 15 und 30 des Protokolls vom 8. und 9. Oktober 2008,

TOP 2, 3 und 20 des Protokolls vom 25. und 26. März 2009 und

TOP 16 des Protokolls vom 23. und 24 September 2009.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält daran fest, dass für die Protokolle eine gesamthänderische Verfügungsbe-
fugnis der 16 Länder und des Bundes bestehe. Die vorliegende Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts betreffen nur Informationen, die im Rahmen der Aufga-
benerfüllung eines Bundesministeriums entstanden seien und die nur dieses Ministe-
rium haben konnte. Die Protokolle enthielten hingegen Informationen, die nicht nur
von dem Bundesministerium des Innern sondern von allen Beteiligten stammen. Die
Einzelbeiträge würden im Protokoll teilweise auch als solche kenntlich gemacht
(„Land X vertrat die Auffassung, dass ...") oder würden ein gemeinsam gefundenes
Ergebnis wiedergeben („Es bestand Einigkeit, dass..."). Der Mehrwert der Protokolle
bestehe für alle Beteiligten darin, dass die Einzelbeiträge zu einem Gesamtergebnis
führen. Das Interesse des BMI bestehe darin, auf diese Weise Probleme der
Rechtspraxis zu erkennen und bei etwaigen zukünftigen Gesetzesvorhaben zu be-
rücksichtigen. Die Themenanmeldungen stammten meistens von den Ländern und
dabei stünden eindeutig Rechtsanwendungsfragen im Vordergrund und bei denen
die Zuständigkeit bei den Ländern liegt. Die Erstellung des Protokolls sei eine Ge-
meinschaftsaufgabe, für die es jedoch keine eigene Geschäftsstelle gebe. Daher
erstelle das Referat für Ausländerrecht des BMI im Dienste der Ausländerreferenten-
besprechung das Protokoll. Es sei reiner Zufall, dass das BMI diese Aufgabe über-
nommen habe und daher sei sein Beitrag als Überlassung von personellen und säch-
lichen Mitteln anzusehen. Die Veröffentlichung der Protokolle würde auch die not-
wendige Vertraulichkeit der Beratungen beeinträchtigen. Denn in den Protokollen
werde aus Vereinfachungsgründen die dort festgehaltene Auffassung des Vertreters
eines Referates der Behörde eines Landes mit dem Länderkürzel wiedergegeben.
Bei einer Veröffentlichung eines solchen Protokolls könnte daher der Eindruck ent-
stehen, es handele sich um die abschließende Auffassung der jeweiligen Landesre-
gierung oder jedenfalls des jeweiligen Landesinnenministeriums. In der Regel fehle
es jedoch an einer Legitimation der Meinungsäußerungen der Ausländerreferenten
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durch eine ununterbrochener Weisungskette zu dem unmittelbar demokratisch legi-
timierten Minister. Die Herausgabe der Protokolle sei daher aus demokratietheoreti-
schen Gründen abzulehnen. Die Tagesordnungspunkte bestünden in der Regel aus
2 bis 3 kurzen Absätzen mit einer Problemschilderung, dem Beratungsverlauf und
dem Beratungsergebnis. Weitere Angaben zu den Inhalten der Tagesordnungspunk-
te könnten nicht gemacht werden, denn gegen die Herausgabe der streitgegenständ-
lichen Protokolle spreche die für alle Protokolle geltende Erwägung, dass schon die
Möglichkeit einer späteren Veröffentlichung der Protokolle die notwendige Vertrau-
lichkeit der Beratungen beeinträchtige.

Der Vertreter der Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage
erklärt, dass sie zu den Inhalten der streitbefangenen Protokolle der Ausländer-

referentenbesprechungen keine Erklärungen abgeben, da sie grundsätzlich davon
ausgehen, dass die Beklagte über die Protokolle nicht allein verfügungsbefugt ist.

Die Kammer hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 16. Mai 2013 dem Berichter-
statter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelhei-
ten des Sach- und Streitstandes wird auf die Inhalte der Streitakte und des Verwal-
tungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegen-
stand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet. Die Ablehnung der Gewährung des
Zugangs zu den streitbefangenen Informationen ist rechtswidrig und verletzt den
Kläger in seinen Rechten; der Kläger hat einen Anspruch auf Zugang zu den fragli-
chen Informationen (vgl. $ 113 Abs. 5 VwGO).

Anspruchsgrundlage für das Informationsbegehren des Klägers ist $ 1 Abs. 1 Satz 1
IFG. Danach hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden
des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen.

Die Voraussetzungen des 8 1 Abs. 1 Satz 1 IFG liegen vor. Der Kläger. ist als natürli-
che Person „jeder“ im Sinne dieser Bestimmung und das BMI ist eine Behörde des
Bundes. Bei den von der Beklagten nicht zugänglich gemachten Teilen der Protokol-
le handelt es sich um amtliche Informationen im Sinne des $ 2 Nr. 1 IFG. Denn sie
dienen der Erfüllung der Aufgaben des Ministeriums und sind daher bestimmungs-

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gemäß Bestandteil eines Vorgangs geworden.

Das BMI ist zur Verfügung über die Protokolle der Ausländerreferentenbesprechun-
gen berechtigt (1.). Ausschlussgründe stehen dem Informationszugang nicht entge-

gen (2.).

1. Nach der als Zuständigkeitsbestimmung ausgestalteten Vorschrift des $ 7 Abs. 1
Satz 1 IFG entscheidet diejenige Behörde über den Informationszugang, der die Ver-

fügungsberechtigung zusteht. Dies ist hier das BMI.

Verfügungsberechtigt über eine Information ist grundsätzlich deren Urheber (siehe
BT-Drs. 15/4493 S. 14). Demjenigen, der die Information im Rahmen der Erfüllung
der ihm obliegenden Aufgaben erhoben oder selbst geschaffen hat, ist sie auch zur
weiteren Verwendung zugewiesen. Das umfasst auch die Entscheidung, welchem
Personenkreis sie zugänglich gemacht werden soli. Wird die Information im weiteren
Verlauf anderen Behörden übermittelt und ist sie demnach an mehreren Stellen ver-
fügbar, soll mit dem Merkmal der Verfügungsberechtigung eine sachangemessene
Entscheidungszuständigkeit ermöglicht werden, die sowohl der Aufgabenverteilung
auf Seiten der Behörden als auch dem Interesse des Informationsberechtigten an °
einer aus seiner Sicht nachvollziehbaren Bestimmung der auskunftspflichtigen Stelle
Rechnung trägt. Bei einer umfangreichen Abstimmungspraxis unter den Behörden,
aufgrund deren diese in großem Umfang als Teil der bei ihnen geführten Akten über
Informationen verfügen, die nicht von ihnen erhoben worden sind, sollen die Verfah-
ren auf Informationszugang bei der Behörde konzentriert werden, der die größte
Sachnähe zum Verfahren zukommt bzw. die die Verfahrensführung innehat (vgl.
BVerwG, Urteil vom 3. November 2011 - 7 C 4.11 - Juris Rn. 27 f.).

Danach ist das BMI schon deshalb verfügungsbefugt, weil es die Federführung bei
den Ausländerreferentenbesprechungen hat, die Protokolle selbst aufzeichnet und
diese im Original zu seinen Vorgängen nimmt. Der Umstand, dass die Protokolle von
den anderen Teilnehmern genehmigt werden müssen, ändert nichts an der Federfüh-
rung durch das BMI. Vielmehr ist dieser Begriff gerade dadurch gekennzeichnet,
dass es auch mitzeichnende Behörden geben muss. Dies führt jedoch nicht zu einer
gesamthänderischen Verfügungsbefugnis. Gerade dann, wenn mehrere Behörden an
der Erstellung einer Information mitwirken, soll durch 8 7 Abs. 1 Satz 1 IFG bewirkt
werden, dass jedenfalls die Behörde für den Informationszugang zuständig ist, die
das Verfahren führt oder der Sache am nächsten ist (vgl. BVerwG, a.a.O.).
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Auch das Kriterium der Sachnähe führt zu keiner anderen Betrachtung. Die Auffas-
sung der Beklagten, es stünden Themen im Vordergrund, bei denen die Zuständig-
keit bei den Ländern liege, drängt sich jedenfalls nach der Bezeichnung der Tages-
ordnungspunkte, zu denen der Kläger den Informationszugang begehrt, nicht auf. Es
handelt sich danach überwiegend.um Auslegungsfragen in Anwendungsbereich des
Aufenthaltsgesetzes, wobei jedenfalls teilweise über das Bundesrecht hinaus auch
die Anwendung des Unionsrechts thematisiert wird. Insoweit liegen die Gesetzge-
bungskompetenz und die Verhandlungskompetenz gegenüber den Organen der
Europäischen Union bei dem Bund und nicht bei den Ländern. Ferner zeigt auch $ 3
Abs. 1 Satz 1 und 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien,
dass das BMI der Sache nach für die Themen der Ausländerreferenten-
besprechungen zuständig sein muss. Denn danach dürfen die Bundesministerien
nur solche Aufgaben wahr nehmen, die der Erfüllung oder Unterstützung von Regie-
rungsfunktionen dienen, also insbesondere die strategische Gestaltung und Koordi-
nation von Politikfeldern, die Realisierung von politischen Zielen, Schwerpunkten
und Programmen, die internationale Zusammenarbeit, die Beteiligung am Gesetzge-
bungsverfahren sowie die Wahrnehmung von Steuerungs- und Aufsichtsfunktionen
gegenüber dem nachgeordneten Geschäftsbereich. Die Vorbereitung und Durchfüh-
rung der Besprechungen mit den Landesinnenministerien auf der Arbeitsebene der
Referatsleiter kann daher ebenso wie das anschließende Abfassen der Protokolle
nur im Rahmen der eigenen Aufgaben des Bundesministeriums erfolgt sein. Insoweit
räumt auch die Beklagte ein, dass das BMI aus den Besprechungen Erkenntnisse
über die Rechtsanwendungspraxis gewinnt und diese insbesondere bei der Vorberei-
tung von Gesetzesentwürfen der Bundesregierung umsetzt.

Es ist auch - anders als die Beklagte meint - nicht von Zufällen geprägt, ob amtliche
Informationen von einem Informationsfreiheitsgesetz erfasst werden. Vielmehr ob-
liegt diese Entscheidung dem dazu demokratisch legitimierten Bundes- oder Lan-

desparlament.

Im Übrigen ist nach Auffassung der Kammer ein Bundesministerium auch dann über
eine Information verfügungsbefugt, wenn es in Wahrnehmung einer eigenen Aufgabe
durch seine Beamten an Gremiensitzungen einer anderen Behörde teilnimmt und
darüber ein Protokoll erhält, das es in seinen Aktenbestand übernimmt (vgl. Urteil
vom 29. November 2012 - VG 2 K 28.12 - Juris, Rn. 31 f.).

2. Ausschlussgründe in Sinne der $$ 3 bis 6 IFG stehen dem Informationsbegehren
des Klägers nicht entgegen. Maßstab für die Prüfung von Ausschlussgründen ist zu-

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nächst, ob deren Vorliegen von der Behörde plausibel dargelegt ist; dabei müssen
die Angaben nicht so detailliert sein, dass Rückschlüsse auf die geschützte Informa-
tion möglich sind, sie müssen aber so einleuchtend und nachvollziehbar dargetan
sein, dass das Vorliegen von Ausschlussgründen geprüft werden kann (vgl. Urteil
der Kammer vom 25. August 2011 - VG 2 K 50.11 - Juris Rn. 20, m.w.N.).

In diesem Sinne hat die Beklagte den allein geltend gemachten Ausschlussgrund
des $ 3 Nr. 3 Buchst. b) IFG nicht plausibel gemacht. Nach der vorgenannten Be-
stimmung besteht ein Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn und solange die
Beratungen von Behörden beeinträchtigt werden. Die streitbefangenen Tagesord-
nungspunkte enthalten jedenfalls überwiegend keine Angaben über den geschützten
Beratungsprozess (a). Soweit sie teilweise den Beratungsprozess wiedergeben kön-
nen, ist nicht dargelegt, dass das Bekanntwerden der Information zu einer Beein-
trächtigung führen könnte (b). Jedenfalls ist nicht nachvollziehbar, dass dies auch
noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der Fall ist (c).

a. Zweck der Vorschrift ist es, einen unbefangenen und freien Meinungsaustausch
innerhalb einer Behörde oder zwischen Behörden zu gewährleisten. Schutzobjekt
des $ 3 Nr. 3 Buchst. b) IFG und der vergleichbaren Vorschrift des $ 8 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 UIG ist hierbei nur der eigentliche Vorgang der behördlichen Entscheidungsfin-
dung, d.h. die Besprechung, Beratschlagung und Abwägung, mithin der eigentliche
Vorgang des Überlegens. Die Tatsachengrundiagen und die Grundlagen der Wil-
lensbildung sind ebenso wie das Ergebnis der Willensbildung nicht von $ 3 Nr. 3
Buchst. b) IFG geschützt (vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. November 2010 - 8 A 475/10
-, Juris Rn. 92 f. m.w.N., und dazu BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2011 - BVerwG
7 B 14.11 -, Juris, sowie das o.a. Urteil der Kammer; vgl. zu 8 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
UIG: BVerwG, Urteil vom 2. August 2012 - BVerwG 7 C 7.12 - Juris).

Auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten geben jedenfalls TOP 21 des Pro-
tokolls vom 25. und 26. September 2007 und TOP 2 des Protokolls vom 25. und

26. März 2009 allein das Beratungsergebnis wieder und können schon deshalb von
8 3 Nr. 3 Buchst. b) IFG nicht erfasst sein. Die weiteren streitbefangenen Tagesord-
nungspunkte können neben einer Problemschilderung und dem ebenfalls nicht ge-
schützten Beratungsergebnis auch Beratungsbeiträge enthalten, die dem Grunde
nach unter den Ausschlussgrund fallen können. Dies kann jedoch gemäß 8 7 Abs. 2
Satz 1 IFG nur eine teilweise Ablehnung des Informationszugangs rechtfertigen.

Letzteres muss jedoch nicht vertieft werden, denn die Beklagte hat auch hinsichtlich
solcher Inhalte der Tagesordnungspunkte, die möglicherweise den Beratungspro-

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