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Aktenzeichen
2 K 286.12
Datum
6. Juni 2013
Gericht
Verwaltungsgericht Berlin
Gesetz
Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG)
Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG)

Urteil: Verwaltungsgericht Berlin am 6. Juni 2013

2 K 286.12

Das Bundesministerium des Innern wird verpflichtet, dem Kläger Zugang zu einem bestimmten Tagesordnungspunkt des Protokolls einer Ausländerreferentenbesprechung (Bund-Länder-Treffen) zu gewähren. Das Verwaltungsgericht stellt fest, dass die Verfügungsberechtigung an dem Protokoll nicht bei allen beteiligten Ländern, sondern beim federführenden Bundesministerium, das die Protokolle selbst erstellt, liegt. Der von der Behörde geltend gemachte Schutz der Beratungen von Behörden kommt als Ausschlussgrund nicht zum Tragen, da entweder nicht erkennbar ist, dass die streitbefangenen Tagesordnungspunkte Angaben über den geschützten Beratungsprozess enthalten oder eine mögliche Beeinträchtigung nicht plausibel dargelegt wurde bzw. nicht nachvollziehbar ist, dass eine solche zum Zeitpunkt der Verhandlung noch bestehen soll. Siehe auch Parallelverfahren: VG Berlin, 2 K 176.13 und 2 K 255.12. (Quelle: LDA Brandenburg)

Anwendungsbereich/ Zuständigkeit Beratungsgeheimnis (behördlicher Entscheidungsprozess)

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VG 2 K 286.12 Mitgeteilt durch Zustellung an a) Kl.          am b) Bekl.        am als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle VERWALTUNGSGERICHT BERLIN URTEIL Im Namen des Volkes In der Verwaltungsstreitsache Klägers, gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium des Innern, Alt-Moabit 101 D, 10559 Berlin, Beklagte, hat das Verwaltungsgericht Berlin, 2. Kammer, aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2013 durch den Richter am Verwaltungsgericht Becker als Einzelrichter für Recht erkannt: Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesministeriums des Inneren vom 6. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2012 verpflichtet, dem Kläger Zugang zu dem Tagesord- nungspunkt 20 des Protokolls der Ausländerreferentenbesprechung vom 27. und 28. September 2011 durch Herausgabe einer Ablichtung zu gewähren. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. -2-
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-2- Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Tatbestand Der Kläger begehrt Zugang zu Informationen aus den Verwaltungsvorgängen des Bundesministeriums des Inneren (BMI). Zweimal im Jahr findet unter Vorsitz des BMI eine sogenannte Ausländerreferenten- besprechung statt. Dabei handelt es sich um ein Bund-Länder-Treffen, bei dem ne- ben den zuständigen Behörden des Bundes die Landesinnenministerien mit ihren Ausländerrechtsreferaten vertreten sind. Dieses Gremium befasst sich mit d er Koor- dinierung der ausländerrechtlichen bzw. -politischen Vorgehensweisen von Bund und Ländern. Mit E-Mail vom 6. Juli 2012 beantragte der Kläger unter Hinweis auf das Informa- tionsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG), ihm u.a. Zugang zu dem Tagesordnungspunkt 20: „Möglichkeit der Abgabe einer Verpflichtungserklärung durch eine Bevollmächti g- te“ des Protokolls der Ausländerreferentenbesprechung vom 27. und 28. September 2011 (Seite 24 des Protokolls) zu gewähren. Mit Bescheid des BMI vom 6. August 2012 lehnte die Beklagte den Antrag des Klä- gers ab. Zur Begründung verwies sie auf § 3 Nr. 3 Buchst. b) IFG und führte aus, die Protokolle der Ausländerreferentenbesprechung seien vom Informationszugang au s- geschlossen, weil ansonsten die notwendige Vertraulichkeit der Beratungen von Be- hörden beeinträchtigt werde. Bei der erforderlichen Einzelfallprognose seien die konkret an den Beratungen Beteiligten, die konkreten Beratungsgegenstände und die konkrete Art des Verfahrens zu berücksichtigen. An den Grad der Wahrschei n- lichkeit einer Beeinträchtigung der notwendigen Vertraulichkeit seien Hinblick auf den Teilnehmerkreis keine hohen Anforderungen zu stellen. Es handele sich um ein Treffen auf Referatsleiterebene bei dem eine analytisch-sachliche Auseinanderset- zung mit Fachfragen stattfinde, der in der Regel keine Abstimmung mit der Behör- denspitze vorausgehen. Bei einer Veröffentlichung der Protokolle sei mit einer do p- pelten Vorzensur in den Köpfen der Teilnehmer zu rechnen, weil diese sich bei jeder Meinungsäußerung überlegen müssten, ob sie mit der Auffassung der Leitung ihres -3-
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-3- jeweiligen Ministeriums übereinstimme, und welche Wirkung ihre Äußerung bei der interessierten Fachöffentlichkeit hervorrufen könne. Insoweit sei die Vertraulichkeit der Beratungen tendenziell von noch größerer Bedeutung als bei einer von einem Ministerium auf gesetzlicher Grundlage eingesetzten Kommission unabhängiger Sachverständiger. Die Besprechung liege noch nicht so lange zurück, dass die betei- ligten Personen nicht noch personenidentisch mit den heute an den Besprechungen beteiligten Personen seien. Die Beratungsgegenstände forderten ebenfalls eine ve r- trauliche Behandlung, weil es sich um aktuelle Themen handele, die große politische Tragweite hätten und im politischen Kampf der Meinungen kontrovers diskutiert wür- den. Eine Prognose, ob und wann der Vertraulichkeitsschutz ende und der Informat i- onszugang ganz oder teilweise voraussichtlich möglich sei, könne derzeit nicht a b- gegeben werden. Der Beratungsprozess erfordere im besonderen Maße die Vertra u- lichkeit, weil die Besprechungen nicht Teil eines Verwaltungsverfahrens sein, da sie nicht auf Erlass eines Verwaltungsaktes oder den Abschluss eines öffentlich- rechtlichen Betrages zielten. Es gehe vielfach um die Vorbereitung von später zu treffenden verbindlichen Entscheidungen, deren Effizienz darauf beruhe, dass sie keinen verwaltungsrechtlichen Zwängen unterliegen. Die Teilnehmer müssten in der Lage sein, offen und spontan zu diskutieren, ohne Gefahr zu laufen, dass ihre Äuß e- rungen ständiger Beobachtung, Kritik oder Beeinflussung von außen ausgesetzt sei- en. Müssten die Teilnehmer mit der nachträglichen Publizität ihrer Äußerungen rec h- nen, würde ihre Bereitschaft sinken, sich auf eine offene, vorbehaltslose Diskussion aktueller Problemstellungen und Handlungserfordernisse einzulassen; hierdurch könnte der Nutz- und Ertragswert des Gremiums Einbußen erleiden. Der Informati- onszugang sei auch zu versagen, weil das BMI nicht die gemäß § 7 Absatz 1 S. 1 IFG erforderliche alleinige Verfügungsberechtigung besitze. Bei der Ausländerrefe- rentenbesprechung handele sich um ein aus den Vertretern des Bundes und der Länder gemischt besetztes Gremium bei dem die Verfügungsberecht igung über den Inhalt der Beratung gesamthänderisch bei den 17 beteiligten Behörden liege. Zwar habe das BMI in ständiger Verwaltungsübung die Federführung für die Organisation der Besprechung, erstelle also aufgrund der in den meisten Fällen von den Ländern geäußerten Wünsche die Tagesordnung, lade jeweils mit einem Land abwechselnd zu den Sitzungen ein, habe die Verhandlungsführung inne und fertige die Protokolle an. Dies sei jedoch nicht zwingend und führe nicht zwangsläufig zur Verfügungsb e- rechtigung. Die Tatsache, dass sich die Originale der Protokolle im Besitz des fede r- führenden Bundesministeriums befinden, bedeute lediglich, dass das Bundesminist e- rium der richtige Adressat für IFG-Anträge sei. Es dürfe auch nicht von dem Zufall abhängen, ob die federführende Behörde einem Informationsfreiheitsgesetz unterlie- -4-
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-4- ge oder nicht. Die einzig vertretbare Lösung sei, dass alle Beteiligten als gleicher- maßen verfügungsberechtigt anzusehen seien. Daher müssten die Landesminister i- en einer etwaigen Herausgabe der Protokolle zustimmen. Die Beklagte habe bereits am 7. Juni 2012 eine Länderumfrage durchgeführt und die Länder Baden- Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schles- wig-Holstein und das Saarland hätten der Herausgabe widersprochen. Der Kläger widersprach dem Ablehnungsbescheid. Er rügte, dass die Beklagte nicht geprüft habe, ob der Zugang zu dem Teil des Protokolls gewährt werden könne, der keine Meinungsäußerungen enthalte. Er wies auf das Urteil des Verwaltungsg ericht Saarlouis vom 26. April 2012 - 10 K8 22/11 - hin, wonach über die Protokolle allein das BMI verfügungsberechtigt sei. Er trug vor, es bedürfe für den behandelten Ge- genstand der Darlegung, inwieweit eine konkrete Beeinträcht igung der Beratungen möglich sei. Die Äußerungen von weisungsgebundenen Beamten würden durch das Informationsfreiheitsgesetz gerade nicht geschützt. Die Argumentation der Beklagten laufe darauf hinaus, die Beratung und den Meinungsaustausch der Ministerien zu Fragen des Ausländerrechts und seiner Praxis ganz generell vom Anwendungsb e- reich des Informationsfreiheitsgesetzes auszunehmen. Die Besprechungen fänden gerade nicht in einem Gremium statt, dass mit externen, unabhängigen und in ke i- nem Dienst- und Weisungsrecht stehenden Experten besetzt sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 7. November 2012 wies die Beklagte den Wider- spruch des Klägers aus den Gründen des Ausgangsbescheides zurück. Der Kläger hat am 10. November 2012 Klage erhoben. Er meint, durch das Urteil der Kammer vom 25. August 2011 - VG 2 K 50.11 - sei bereits geklärt, dass die Ergebnisse der Ausländerreferentenbesprechungen regelmäßig zugänglich zu machen seien. Wenn dies im Einzelfall anders sein sollte, müsse die Beklagte das konkret darlegen. Das BMI habe die Informationen selbst erhoben, indem es Protokolle mit den Äußeru n- gen der Teilnehmer aufzeichne, und sei daher als Urheber der Informationen auch darüber verfügungsberechtigt. Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesministeriums des Innern vom 06. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. November 2012 zu verpflichten, ihm Zugang zu dem Tagesordnungspunk- ten 20 des Protokolls der Ausländerreferentenbesprechung vom 27.und 28. September 2011 durch Herausgabe einer Ablichtung zu gewähren. -5-
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-5- Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält daran fest, dass für die Protokolle eine gesamthänderische Verfügungsbe- fugnis der 16 Länder und des Bundes bestehe. Die Veröffentlichung der Protokolle würde auch die notwendige Vertraulichkeit der Beratungen beeinträchtigen. Der Vertreter der Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage erklärt, dass sie zu dem Inhalt des streitbefangenen Tagesordnungspunkts der Ausländerreferentenbesprechung keine Erklärungen abgeben, da sie grundsätzlich davon ausgehen, dass die Beklagte über die Protokolle nicht allein verfügung sbefugt ist. Die Kammer hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 16. Mai 2013 dem Berichte r- statter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelhe i- ten des Sach- und Streitstandes wird auf die Inhalte der Streitakte und des Verwa l- tungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gege n- stand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. Entscheidungsgründe Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet. Die Ablehnung der Gewährung des Zugangs zu den streitbefangenen Informationen ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; der Kläger hat einen Anspruch auf Zugang zu den fragl i- chen Informationen (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). Anspruchsgrundlage für das Informationsbegehren des Klägers ist § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG. Danach hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG liegen vor. Der Kläger ist als natürl i- che Person „jeder“ im Sinne dieser Bestimmung und das BMI ist eine Behörde des Bundes. Bei den von der Beklagten nicht zugänglich gemachten Teilen de s Proto- kolls handelt es sich um amtliche Informationen im Sinne des § 2 Nr. 1 IFG. Denn sie dienen der Erfüllung der Aufgaben des Ministeriums und sind daher bestimmungs- gemäß Bestandteil eines Vorgangs geworden. Der Wahl des Klägers entsprechend -6-
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-6- ist die Beklagte zur Herausgabe einer Ablichtung verpflichtet (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 und 2 IFG). Das BMI ist zur Verfügung über die Protokolle der Ausländerr eferentenbesprechun- gen berechtigt (1.). Ausschlussgründe stehen dem Informationszugang nicht entg e- gen (2.). 1. Nach der als Zuständigkeitsbestimmung ausgestalteten Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 1 IFG entscheidet diejenige Behörde über den Informationszugang, der die Ver- fügungsberechtigung zusteht. Dies ist hier das BMI. Verfügungsberechtigt über eine Information ist grundsätzlich deren Urheber (siehe BT-Drs. 15/4493 S. 14). Demjenigen, der die Information im Rahmen der Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben erhoben oder selbst geschaffen hat, ist sie auch zur weiteren Verwendung zugewiesen. Das umfasst auch die Entscheidung, welchem Personenkreis sie zugänglich gemacht werden soll. Wird die Information im weiteren Verlauf anderen Behörden übermittelt und ist sie demnach an mehreren Stellen ver- fügbar, soll mit dem Merkmal der Verfügungsberechtigung eine sachangemessene Entscheidungszuständigkeit ermöglicht werden, die sowohl der Aufgabenverteilung auf Seiten der Behörden als auch dem Interesse des Informationsberechtigten an einer aus seiner Sicht nachvollziehbaren Bestimmung der auskunftspflichtigen Stelle Rechnung trägt. Bei einer umfangreichen Abstimmungspraxis unter den Behörden, aufgrund deren diese in großem Umfang als Teil der bei ihnen geführten Akte n über Informationen verfügen, die nicht von ihnen erhoben worden sind, sollen die Verfa h- ren auf Informationszugang bei der Behörde konzentriert werden, der die größte Sachnähe zum Verfahren zukommt bzw. die die Verfahrensführung innehat (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 2011 - 7 C 4.11 - Juris Rn. 27 f.). Danach ist das BMI schon deshalb verfügungsbefugt, weil es die Federführung bei den Ausländerreferentenbesprechungen hat, die Protokolle selbst aufzeichnet und diese im Original zu seinen Vorgängen nimmt. Der Umstand, dass die Protokolle von den anderen Teilnehmern genehmigt werden müssen, ändert nichts an der Federfü h- rung durch das BMI. Vielmehr ist dieser Begriff gerade dadurch gekennzeichnet, dass es auch mitzeichnende Behörden geben muss. Dies führt jedoch nicht zu einer gesamthänderischen Verfügungsbefugnis. Gerade dann, wenn mehrere Behörden an der Erstellung einer Information mitwirken, soll durch § 7 Abs. 1 Satz 1 IFG b ewirkt werden, dass jedenfalls die Behörde für den Informationszugang zuständ ig ist, die das Verfahren führt oder der Sache am nächsten ist (vgl. BVerwG, a.a.O.). -7-
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-7- Auch das Kriterium der Sachnähe führt zu keiner anderen Betrachtung. Die Auffa s- sung der Beklagten, es stünden Themen im Vordergrund, bei denen die Zuständi g- keit bei den Ländern liege, drängt sich jedenfalls nach der Bezeichnung der Tage s- ordnungspunkte, zu denen der Kläger in dem vorliegenden Verfahren und in dem Klageverfahren VG 2 K 255.12 den Informationszugang begehrt, nicht auf. Es han- delt sich danach überwiegend um Auslegungsfragen in Anwendungsbereich des Aufenthaltsgesetzes, wobei jedenfalls teilweise über das Bundesrecht hinaus auch die Anwendung des Unionsrechts thematisiert wird. Insoweit liegen die Gesetzge- bungskompetenz und die Verhandlungskompetenz gegenüber den Organen der Europäischen Union bei dem Bund und nicht bei den Ländern. Ferner zeigt auch § 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, dass das BMI der Sache nach für die Themen der Ausländerreferentenbesprechun- gen zuständig sein muss. Denn danach dürfen die Bundesministerien nur solche Aufgaben wahr nehmen, die der Erfüllung oder Unterstützung von Regierungsfunkt i- onen dienen, also insbesondere die strategische Gestaltung und Koordination von Politikfeldern, die Realisierung von politischen Zielen, Schwerpunkten und Program- men, die internationale Zusammenarbeit, die Beteiligung am Gesetzgebungsverfa h- ren sowie die Wahrnehmung von Steuerungs- und Aufsichtsfunktionen gegenüber dem nachgeordneten Geschäftsbereich. Die Vorbereitung und Durchführung der Be- sprechungen mit den Landesinnenministerien auf der Arbeitsebene der Referatsleiter kann daher ebenso wie das anschließende Abfassen der Protokolle nur im Rahmen der eigenen Aufgaben des Bundesministeriums erfolgt sein. Insoweit räumt auch die Beklagte ein, dass das BMI aus den Besprechungen Erkenntnisse über die Rech t- sanwendungspraxis gewinnt und diese insbesondere bei der Vorbereitung von G e- setzesentwürfen der Bundesregierung umsetzt. Es ist auch – anders als die Beklagte meint – nicht von Zufällen geprägt, ob amtliche Informationen von einem Informationsfreiheitsgesetz erfasst werden. Vielmehr o b- liegt diese Entscheidung dem dazu demokratisch legitimierten Bundes- oder Lan- desparlament. Im Übrigen ist nach Auffassung der Kammer ein Bundesministerium auch dann über eine Information verfügungsbefugt, wenn es in Wahrnehmung einer eigenen Aufgabe durch seine Beamten an Gremiensitzungen einer anderen Behörde teilnimmt und darüber ein Protokoll erhält, das es in seinen Aktenbestand übernimmt (vgl. Urteil vom 29. November 2012 - VG 2 K 28.12 - Juris, Rn. 31 f.). -8-
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-8- 2. Ausschlussgründe in Sinne der §§ 3 bis 6 IFG stehen dem Informationsbegehren des Klägers nicht entgegen. Maßstab für die Prüfung von Ausschlussgründen ist zu- nächst, ob deren Vorliegen von der Behörde plausibel dargelegt ist; dabei müssen die Angaben nicht so detailliert sein, dass Rückschlüsse auf die geschützte Inform a- tion möglich sind, sie müssen aber so einleuchtend und nachvollziehbar dargetan sein, dass das Vorliegen von Ausschlussgründen geprüft werden kann (vgl. Urteil der Kammer vom 25. August 2011 - VG 2 K 50.11 - Juris Rn. 20, m.w.N.). In diesem Sinne hat die Beklagte den allein geltend gemachten Ausschlussgrund des § 3 Nr. 3 Buchst. b) IFG nicht plausibel gemacht. Nach der vorgenannten Be- stimmung besteht ein Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn und solange die Beratungen von Behörden beeinträchtigt werden. Es ist bereits nicht erkennbar, dass der streitbefangene Tagesordnungspunkt allein Angaben über den geschützten Be- ratungsprozess enthält (a). Soweit er teilweise den Beratungsprozess wiedergeben könnte, ist nicht dargelegt, dass das Bekanntwerden der Information zu einer Beei n- trächtigung führen könnte (b). Jedenfalls ist nicht nachvollziehbar, dass dies auch noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der Fall ist (c). a. Zweck der Vorschrift ist es, einen unbefangenen und freien Meinungsaustausch innerhalb einer Behörde oder zwischen Behörden zu gewährleisten. Schutzobjekt des § 3 Nr. 3 Buchst. b) IFG und der vergleichbaren Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG ist hierbei nur der eigentliche Vorgang der behördlichen Entscheidungsfi n- dung, d.h. die Besprechung, Beratschlagung und Abwägung, mithin der eigentliche Vorgang des Überlegens. Die Tatsachengrundlagen und die Grundlagen der Wil- lensbildung sind ebenso wie das Ergebnis der Willensbildung nicht von § 3 Nr. 3 Buchst. b) IFG geschützt (vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. November 2010 - 8 A 475/10 -, Juris Rn. 92 f. m.w.N., und dazu BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2011 - BVerwG 7 B 14.11 -, Juris, sowie das o.a. Urteil der Kammer; vgl. zu § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UIG: BVerwG, Urteil vom 2. August 2012 - BVerwG 7 C 7.12 - Juris). Auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten kann der Tagesordnungspunkt neben einer Problemschilderung und dem ebenfalls nicht geschützten Beratungser- gebnis auch Beratungsbeiträge enthalten, die dem Grunde nach unter den Au s- schlussgrund fallen können. Dies kann jedoch gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 IFG nur eine teilweise Ablehnung des Informationszugangs rechtfertigen. Letzteres muss jedoch nicht vertieft werden, denn die Beklagte hat auch hinsichtlich des Inhalts des Tagesordnungspunkts, der möglicherweise den Beratungsprozess -9-
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-9- wiedergibt, die weiteren Voraussetzungen des Ausschlussgrundes nicht plausibel dargelegt hat. b. § 3 Nr. 3 Buchst. b) IFG setzt eine Beeinträchtigung der Beratungen von Behö r- den voraus. Insoweit bedarf es einer Prognose, ob das Bekanntwerden der Inform a- tion sich auf die Beratungen einer Behörde behindernd oder hemmend auswirken kann. An die Wahrscheinlichkeit der Behinderung oder Hemmung sind hierbei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer die möglicherwe i- se eintretende Beeinträchtigung ist. Dies wiederum bemisst sich insbesondere nach dem Gewicht des öffentlichen Interesses an einem ungestörten Verlauf des in Frage stehenden behördlichen Willensbildungsprozesses (vgl. Urteil der Kammer vom 25. August 2011 - VG 2 K 50.11 - m.w.N.). Die Beklagte hat zu dem konkreten Tagesordnungspunkt und den Inhalten der Bei- träge der Teilnehmer aus den Entsendestellen nichts vorgetragen. Daher kann die von der Beklagten geäußerte Befürchtung, Teilnehmer der Ausländerreferentenbe - sprechung würden ihre Meinung zukünftig nicht mehr oder gerade deswegen äußer n, weil sie mit einer späteren Veröffentlichung ihrer Meinung rechnen müssten, nicht nachvollzogen werden. Insoweit müssen auch im Anwendungsbereich des § 3 Nr. 3 Buchst. b) IFG die befürchteten negativen Auswirkungen anhand der jeweiligen U m- stände des Einzelfalles nachvollziehbar belegt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 2011 - 7 C 3.11 - Juris Rn. 31). Die Kammer konnte schon den Angaben der Beklagten in dem Verfahren VG 2 K 50.11 nicht entnehmen, dass der dort fragliche Protokollteil persönliche Erklärungen, Ideen oder Stellungnahmen von Teilnehmern - die möglicherweise sogar namentlich benannt werden - enthält, wie sie Gegenstand des Urteils des OVG Nordrhein- Westphalen vom 2. November 2010 - 8 A 475/10 - (Juris) waren. So verhält es sich auch hier. Nach Angaben der Beklagten werden Beiträge zu dem jeweiligen Tage s- ordnungspunkt ohne Nennung des Namens des jeweiligen Referenten durch ein Kürzel des Entsendedienststelle zugeordnet. Im Übrigen fällt auf, dass auf die Nachfrage der Beklagten nur die Hälfte der teil- nehmenden Bundesländer der Informationsgewährung an den Kläger widersprochen hat. Dies könnte darauf hinweisen, dass jedenfalls einige der Teilnehmer die B e- fürchtungen der Beklagten im Allgemeinen oder jedenfalls bezogen auf ihre Beiträge nicht teilen. - 10 -
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- 10 - c. Unabhängig davon enthält § 3 Nr. 3 Buchst. b) IFG mit der Wendung „solange“ ausdrücklich eine zeitliche Begrenzung. Die Dauer des Aufschubs bestimmt sich d a- nach, ob der Schutz der Vertraulichkeit weiterhin eine Offenlegung der Beratungsi n- terna verbietet. Dieser kann über den Abschluss des laufenden Verfahrens hinau s- reichen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2011 - BVerwG 7 B 14.11 -, Juris Rn. 5). Wird die Versagung des Informationszugangs im gerichtlichen Verfahren auf den Ablehnungsgrund des § 3 Nr. 3 Buchst. b) IFG gestützt, bedarf es der substan- tiierten Darlegung durch die Behörde, dass die Bekanntgabe der streitigen Informat i- onen auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Verpflichtungsbegehren noch die Vertraulichkeit der behördlichen Beratungen beeinträchtigt (OVG Berlin- Brandenburg, Urteil vom 5. Oktober 2010 - OVG 12 B 6.10 -, Juris Rn. 31). Pauscha- le Erwägungen losgelöst vom jeweiligen Beratungsgegenstand genügen diesen A n- forderungen nicht. Die Auffassung der Beklagten zielt der Sache nach darauf ab, die Protokolle der Ausländerreferentenbesprechung ohne inhaltliche Überprüfung generell vom An - wendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes auszunehmen. Insoweit übe r- zeugt auch der Vergleich mit der nach § 16 Abs. 1 Lebensmitt el- und Futtermittelge- setzbuch (LFGB) beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Ve r- braucherschutz gebildeten Kommission nicht. Denn diese Kommission ist mit una b- hängigen Experten besetzt, die vertraulich tagen und einstimmige Beschlüsse fass en müssen, die für die Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln von Bedeutung sind (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westphalen, Urteil vom 2. November 2010 - 8 A 475/10 -, Juris Rn. 2 f.). Die Ausländerreferentenbesprechung ist hingegen eine von vielen Bund - Länder-Besprechungen, die auf der Arbeitsebene der zuständigen Referenten Ent- scheidungen der dazu berufenen Amtsträger bloß vorbereiten. Dabei müssen die Referenten nach der Wertung des Informationsfreiheitsgesetzes grundsätzlich damit rechnen, dass Name, Titel, akademischer Grad, Berufs- und Funktionsbezeichnung, Büroanschrift und -telekommunikationsnummer mit ihrer amtlichen Tätigkeit in Ver- bindung gebracht werden, wenn kein Ausnahmetatbestand erfüllt ist (vgl. § 5 Abs. 4 IFG). Allerdings besteht selbst diese Gefahr bei den hier relevanten Protokollen nicht, da die dort festgehaltenen Äußerungen nach Angaben der Beklagten ohne Nennung des Namens des jeweiligen Referenten durch ein Kürzel des Entsend e- dienststelle zugeordnet werden. Es ist auch wegen dieses bloß mittelbaren Bezug eines Beitrags zu der Person eines Referenten nicht nachvollziehbar, dass dessen Bekanntwerden sich noch auf die aktuellen Beratungen auswirken könnte. - 11 -
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