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Aktenzeichen
8 A 475/10
Datum
2. November 2010
Gericht
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Gesetz
Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG)
Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG)

Urteil: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen am 2. November 2010

8 A 475/10

Einer Herausgabe der Protokolle der beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gebildeten Deutschen Lebensmittel-Kommission steht § 3 Nr. 3b IFG (Vertraulichkeit der Beratungen) entgegen. Durch die Bekanntgabe der Protokolle würde die notwendige Vertraulichkeit beeinträchtigt werden, wenn der Beratungsprozess offengelegt wird. Die Mitglieder der Kommission sind auf die Bildung von Kompromissen angewiesen und bedürfen daher eines geschützten Raumes für eine unbefangene Diskussion. Für die Ergebnisse der Beratungen gilt der Geheimhaltungsbedarf jedoch nicht. Das Oberverwaltungsgericht kommt somit im Wesentlichen zum selben Ergebnis wie das Verwaltungsgericht Köln, allerdings mit einer anderen Begründung. Das Verwaltungsgericht hatte den Ausnahmetatbestand des § 3 Nr. 4 IFG (besonderes Amtsgeheimnis) in den Mittelpunkt seiner Argumentation gestellt. (Quelle: LDA Brandenburg)

Anwendungsbereich/ Zuständigkeit (Gesetzliche) Geheimhaltungspflichten Beratungsgeheimnis (behördlicher Entscheidungsprozess)

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Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 475/10                                                 Seite 1 von 16 Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 475/10 Datum:                 02.11.2010 Gericht:               Oberverwaltungsgericht NRW Spruchkörper:          8. Senat Entscheidungsart:      Urteil Aktenzeichen:          8 A 475/10 Schlagworte:           Lebensmittel, Lebensmittelbuch, Kommission, Behörde, Informationsfreiheit, Beratung, Beratungsverlauf, Vertraulichkeit, Ausschlussgrund, Protokoll, Sitzung, Ergebnis, organisatorische Selbständigkeit, Geschäftsordnung, Leitsätze Normen:                IFG (Bund) §§ 1; 3 Nr. 3 b, Nr. 4; LFGB §§ 15; 16 Leitsätze:             1. Die nach § 16 Abs. 1 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ge-bildete Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission ist eine Behörde des Bundes im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG und damit (selbst) auskunftsverpflichtete Stelle. 2. Soweit die Protokolle dieser Kommission und ihrer Ausschüsse nicht auf die rei-nen Beratungsergebnisse beschränkt sind, sondern den Beratungsverlauf wiedergeben, steht einer Einsichtnahme in die Protokolle der Ausschluss¬grund des § 3 Nr. 3 b IFG entgegen, durch den eine offene Meinungsbildung und eine effektive, funktionsfähige und neutrale Entscheidungsfindung ge¬währleistet werden soll. Durch das Bekanntwerden der Protokolle würde die notwendige Vertraulichkeit der Beratung der Kommission beeinträchtigt wer¬den. Ohne den Schutz der Vertraulichkeit bestünde die Gefahr, dass bei zu¬künftigen Beratungen die für eine effektive Arbeit erforderliche Atmosphäre der Offenheit und Unbefangenheit fehlt. Tenor:                 Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache für er-ledigt erklärt worden ist, wird das Verfahren ein-gestellt. Insoweit wird das Urteil des Verwal- tungsgerichts Köln vom 25. Februar 2010 für un-wirksam erklärt. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zu-rückgewiesen. Die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Ver-fahrens tragen der Kläger zu ¾ und die Be¬klagte zu ¼. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig voll-streckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Voll¬streckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2010/8_A_475_10urteil20101102.html            22.08.2011
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Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 475/10                                                Seite 2 von 16 gleicher Höhe leistet. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand:                                                                                        1 Der Kläger ist Geschäftsführer des 2002 gegründeten, als gemeinnützig anerkannten Vereins          2 "G.       e. V.", der nach seinem Satzungszweck den Verbraucherschutz durch Verbraucherberatung und Verbraucheraufklärung fördern will. Er begehrt von der Beklagten Einsicht in verschiedene Protokolle von Sitzungen der Deutschen Lebensmittelbuch- Kommission (im Folgenden: Kommission). Die Kommission wird nach § 16 Abs. 1 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB)               3 beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (im Folgenden: Ministerium) gebildet. Ihr gehören 32 Mitglieder in gleichem Verhältnis aus den Kreisen der Wissenschaft, der Lebensmittelüberwachung, der Verbraucherschaft (Verbraucherzentralen, Gewerkschaften, Stiftung Warentest) und der Lebensmittelwirtschaft (Verbände und Lebensmittelunternehmen) an (vgl. § 16 Abs. 2 Satz 1 LFGB). Aufgabe der Kommission ist die Erstellung von sogenannten Leitsätzen, in denen Herstellung, Beschaffenheit oder sonstige Merkmale von Lebensmitteln, die für die Verkehrsfähigkeit der Lebensmittel von Bedeutung sind, beschrieben werden, und die im Deutschen Lebensmittelbuch zusammengefasst sind (§ 15 LFGB). Die Kommission soll über die Leitsätze grundsätzlich einstimmig beschließen; Beschlüsse, denen nicht mindestens drei Viertel der Mitglieder der Kommission zugestimmt haben, sind unwirksam (§ 16 Abs. 3 Sätze 1 und 2 LFGB). Das Ministerium bestellt den Vorsitzenden der Kommission und seine Stellvertreter und erlässt nach Anhörung der Kommission eine Geschäftsordnung (§ 16 Abs. 2 Satz 2 LFGB). Derzeit maßgeblich ist die Geschäftsordnung vom 25. Mai 2009 (Bundesanzeiger 2009,                 4 Nr. 82, S. 1970, im Folgenden: GO). Nach deren § 1 Abs. 3 Satz 2 haben die Mitglieder Verschwiegenheit über die Beratungen der Kommission und der Fachausschüsse zu bewahren, es sei denn das Ministerium hebt die Verschwiegenheitspflicht auf. An den Sitzungen der Fachausschüsse können sogenannte Sachkenner teilnehmen, die ebenfalls über die Beratungen des Fachausschusses Verschwiegenheit zu bewahren haben (§ 6 GO). Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 GO sind die Sitzungen von Plenum und Fachausschüssen nicht öffentlich, wobei nach Abs. 4 das jeweilige Gremium im Einvernehmen mit dem Ministerium entscheiden kann, ob und inwieweit die Öffentlichkeit über den Verlauf und das Ergebnis der Sitzung unterrichtet wird. Ein Leitsatzentwurf, soweit er zur Beratung in Fachkreisen dient, unterliegt nicht der Verschwiegenheitspflicht (§ 1 Abs. 3 Satz 2, § 6 Abs. 3 Satz 3 GO). Über die Sitzungen ist ein Ergebnisprotokoll anzufertigen, in das auf Wunsch von Sitzungsteilnehmern persönliche Erklärungen oder Stellungnahmen aufgenommen werden können (§ 5 Abs. 6 GO). Zur Durchführung der Aufgaben der Kommission, des Präsidiums und der Fachausschüsse unterhält das Ministerium ein Sekretariat, über das der Schriftverkehr geführt wird (§ 4 GO). Die "Beteiligung der betroffenen Kreise" wird näher in § 8 GO geregelt. Am 29. Januar 2007 beantragte der Kläger mit unmittelbar an die Kommission gerichtetem             5 Schreiben, ihm Einsicht in die Protokolle der Sitzungen des Plenums vom 2. Oktober 2001, 27. November 2002 und 17. Dezember 2003, des Fachausschusses Fleisch und Fleischerzeugnisse vom 11. Januar 2001, 1./2. Februar 2001, 8. Juni 2001, 21. April 2005 und 17. Februar 2006 sowie des Fachausschusses Alkoholfreie Getränke vom 26. Juni 2001, 29. Januar 2002, 15. April 2002 und 22. August 2002 in der Form zu gewähren, dass ihm entsprechende Fotokopien zur Verfügung gestellt würden. Dabei berief er sich auf das Gesetz http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2010/8_A_475_10urteil20101102.html            22.08.2011
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Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 475/10                                                 Seite 3 von 16 zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz - IFG). Nach Einholung einer gutachterlichen, im Ergebnis den Anspruch ablehnenden                          6 Stellungnahme des seinerzeitigen Vorsitzenden der Kommission lehnte das Ministerium den Antrag mit Bescheid vom 27. April 2007 ab. Zur Begründung führte es aus, es sei zwar anspruchsverpflichtete Behörde im Sinne des Informationsfreiheitsgesetzes, könne aber ohne Einwilligung der Kommission nicht über die Herausgabe der Informationen entscheiden. Der Vorsitzende der Kommission habe der Einsichtnahme in die Protokolle nicht zugestimmt. Die Kommission sei gesetzlich nicht in das Ministerium inkorporiert und nicht Teil dieser Behörde; Einwirkungsbefugnisse im Hinblick auf die Herausgabe von Informationen gebe es nicht. Zudem sei in der Geschäftsordnung die Vertraulichkeit der Beratungen und der Ergebnisse der Kommissionsarbeit geregelt. Das Gremium müsse frei von jedem Druck von außen, auch in Gestalt nachträglicher Angriffe und Kritik, agieren können. Nachdem der Kläger darauf hingewiesen hatte, dass sein Antrag nicht an das Ministerium,             7 sondern an die Kommission selbst gerichtet gewesen sei, nahm das Ministerium den ablehnenden Bescheid am 13. Juli 2007 zurück und kündigte eine Bescheidung durch die Kommission selbst an. Im August und September 2007 mahnte der Kläger erneut eine Bescheidung an und verwies auf die Erhebung einer Untätigkeitsklage. Mit formlosem Schreiben vom 6. September 2007 teilte der damalige Vorsitzende der Kommission dem Kläger mit, dass der Kommission der Status einer Behörde des Bundes im Sinne des § 1 Abs. 1 IFG fehle. Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch wiederholte er mit Schreiben vom 6. November 2007 seine Auffassung. Am 24. November 2007 hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Berlin erhoben,                   8 welches das Verfahren wegen örtlicher Unzuständigkeit mit Beschluss vom 11. Dezember 2007 an das Verwaltungsgericht Köln verwiesen hat. Zur Begründung hat der Kläger ergänzend vorgetragen, dass die Klage als                             9 Verpflichtungsklage zulässig sei, da es sich bei der Entscheidung über ein Informationsbegehren um einen Verwaltungsakt handele. Der geltend gemache Anspruch bestehe, weil es sich bei der Kommission um eine Stelle handele, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehme. Die Tätigkeit der Kommission sei hoheitlich verwaltend, da die im Lebensmittelbuch zusammengefassten Leitsätze erheblich in den privaten Lebensmittelhandel eingriffen. Bei der dem Anspruch entgegengehaltenen Geschäftsordnung der Kommission handele es                 10 sich mangels Außenwirkung nicht um eine Rechtsvorschrift im Sinne von § 3 Nr. 4 IFG. Dass eine interne Regelung nicht genüge, ergebe sich daraus, dass § 3 Nr. 4 IFG ausdrücklich die "Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen" erwähne. Dies sei überflüssig, wenn Verwaltungsvorschriften ohnehin vom Begriff der Rechtsvorschrift erfasst seien. Verwaltungsvorschriften könnten - soweit nicht im Gesetz ausdrücklich erwähnt - einem Anspruch nur dann entgegenstehen, wenn sie von einem obersten Verfassungsorgan - etwa dem Bundesrat - stammten und dementsprechende demokratische Legitimation aufwiesen. Auch die in der Geschäftsordnung der Kommission statuierte Verschwiegenheitspflicht begründe keine gesetzliche Geheimhaltungspflicht im Sinne des Informationsfreiheitsgesetzes, denn diese stehe nach § 1 Abs. 3 Satz 2 GO zur Disposition des Ministeriums und der jeweiligen Kommissions- und Ausschussmitglieder. Letzteres ergebe sich aus dem Text der Verschwiegenheitserklärung in Anhang 1 der Geschäftsordnung. Jedenfalls könne ihm die begehrte Einsicht in die Protokolle in der Form gewährt werden, dass die Namen der sich äußernden Mitglieder geschwärzt würden. Der Kläger hat beantragt,                                                                          11 12 die Bescheide der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission vom 6. September 2007 u 6. November 2007 aufzuheben, sowie die Beklagte zu verpflichten, ihm Einsicht in die Protokolle der Sitzungen 13 http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2010/8_A_475_10urteil20101102.html            22.08.2011
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Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 475/10                                                Seite 4 von 16 - des Plenums der Deutschen Lebensbuchmittel-Kommission vom 2. Oktober 2001, 27. November 2002 und vom 17. Dezember 2003, 14 - des Fachausschusses "Fleisch und Fleischerzeugnisse" der Deutschen Lebensbuchm Kommission vom 11. Januar 2001, vom 1./2. Februar 2001, 8. Juni 2001, vom 21. April und vom 17. Februar 2006 15 - sowie des Fachausschusses "Alkoholfreie Getränke" der Deutschen Lebensbuchmitte Kommission vom 26. Juni 2001, vom 29. Januar 2002, vom 15. April 2002 und vom 22. August 2002 16 in der Form zu gewähren, dass ihm entsprechende Fotokopien zur Verfügung gestellt w 17 hilfsweise, 18 die Beklagte zu verpflichten, ihm die beantragte Einsicht zu gewähren, dabei jedoch zuv Namen derjenigen zu löschen, deren persönliche Erklärungen oder Stellungnahmen ge § 5 Abs. 6 Satz 2 der Geschäftsordnung der Deutschen Lebensbuchmittel-Kommission protokolliert worden sind. 19 Die Beklagte hat beantragt,                                                                       20 21 die Klage abzuweisen. Sie hat ergänzend vorgetragen: Sie halte an ihrer Rechtsauffassung fest, dass die                 22 Kommission keine Behörde im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG sei. Sie sei ein Sachverständigengremium, das die Verkehrsauffassung beschreibe. Die beantragte Einsichtnahme sei ausgeschlossen, weil der Inhalt der Protokolle einer durch Rechtsvorschrift geregelten Geheimhaltungsvorschrift und außerdem einem Amtsgeheimnis im Sinne von § 3 Nr. 4 IFG unterliege. Zu den Regelungen im Sinne dieser Norm gehörten auch Vorschriften in Geschäftsordnungen, die - wie hier - auf gesetzlicher Grundlage erlassen worden seien. Die Geschäftsordnung enthalte hinsichtlich der Protokolle Geheimhaltungsregelungen. Zum einen seien die Sitzungen der Kommission und der Fachausschüsse nicht öffentlich, zum anderen entscheide das jeweilige Gremium im Einvernehmen mit dem Ministerium, ob und inwieweit die Öffentlichkeit über den Verlauf und das Ergebnis der Sitzung unterrichtet werde (§ 5 Abs. 3 und 4 GO). Hinzu komme, dass die Mitglieder der Kommission über die Beratungen Verschwiegenheit zu bewahren hätten. Hieraus ergebe sich, dass auch ein Amtsgeheimnis nach § 3 Nr. 4 IFG vorliege. Auch der Hilfsantrag sei nicht begründet, da die in den Protokollen festgehaltenen Einzelheiten nicht derart anonymisiert werden könnten, dass sie keinerlei Rückschlüsse auf die Personen mehr zuließen. Im Nachgang zu einem am 13. November 2009 vor dem Verwaltungsgericht durchgeführten               23 Erörterungstermin hat die Beklagte mitgeteilt, dass das Plenum und die betroffenen Fachausschüsse "Fleisch und Fleischerzeugnisse" und "Alkoholfreie Getränke" am 12. Januar 2009 nach § 5 Abs. 4 GO eine Unterrichtung des Klägers entsprechend seinem Haupt- und Hilfsantrag ausdrücklich abgelehnt hätten. Zudem habe das Ministerium nicht die Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder der Kommission nach § 1 Abs. 3 Satz 2 GO aufgehoben. Die Protokolle der Kommission sowie der Fachausschüsse würden nicht als reine Ergebnisprotokolle abgefasst. In ihnen würde der Sitzungsverlauf und die jeweils vertretenen Standpunkte und Vorschläge - teils personen-, teils gruppenbezogen - http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2010/8_A_475_10urteil20101102.html           22.08.2011
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Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 475/10                                                   Seite 5 von 16 festgehalten. Die Protokolle der Sitzungen des Fachausschusses für Fleisch und Fleischerzeugnisse vom 11. Januar 2001, 1. und 2. Februar 2001 und 8. Juni 2001 seien zudem unter Geltung der vorangegangenen Geschäftsordnung entstanden, wonach ausdrücklich "über den Gang der Verhandlung eine Niederschrift aufzunehmen" gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 25. Februar 2010 abgewiesen. Zur                 24 Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Informationen. Zwar sei die Kommission als allein verfügungsberechtigte Stelle Behörde im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG und damit auskunftsverpflichtete Stelle. Sie sei ein organisatorisch verselbständigtes und nicht vollständig integriertes Gremium, da sie gemäß § 16 Abs. 1 LFGB nur "beim" Ministerium gebildet werde. Sie habe ein eigenes Präsidium und verfüge über ein Sekretariat. Zudem nehme die Kommission Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr, indem sie die so genannten Leitsätze als Bestandteile des Lebensmittelbuchs nach § 15 Abs. 1 LFGB verfasse. Diese seien dem Bereich des schlicht- hoheitlichen Verwaltungshandelns in Form von hohe Verbindlichkeit besitzenden Empfehlungen zuzurechnen. Allerdings greife der Versagungsgrund des § 3 Nr. 4 IFG ein. Nachdem das Plenum und die Ausschüsse ausdrücklich eine Information des Klägers abgelehnt hätten, stünden die in der Geschäftsordnung festgelegten Bestimmungen über die Nichtöffentlichkeit der Sitzungen und Vertraulichkeit der Beratung (§ 1 Abs. 2 Satz 2, § 6 Abs. 3 Satz 2, § 5 Abs. 3 Satz 2 GO) dem Anspruch entgegen. Die Geschäftsordnung sei zwar kein Gesetz im formellen Sinne und unterfalle damit nicht dem Begriff der "Rechtsvorschrift" im Sinne des § 3 Nr. 4 IFG. Jedoch sei von einem besonderen Amtsgeheimnis im Sinne dieser Vorschrift auszugehen. Ein besonderes Amtsgeheimnis sei gegeben, wenn es ausdrücklich geregelt und das Geheimhaltungsbedürfnis durch legitime Zwecke gerechtfertigt sei. Dies sei der Fall. Die Vertraulichkeit sei in einer aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung (§ 16 Abs. 2 Satz 2 LFGB) ergangenen Geschäftsordnung ausdrücklich niedergelegt. Der Schutzzweck der Verschwiegenheitspflicht rechtfertige die Vertraulichkeit und damit ein besonderes Amtsgeheimnis. Die Kommission sei von Gesetzes wegen heterogen besetzt und stehe aufgrund der erheblichen Bedeutung der zu erarbeitenden Leitsätze unter besonderem Augenmerk der Öffentlichkeit. Für die Beschlussfassung sei ein hohes Maß an Kompromissbereitschaft erforderlich. Dies zeige sich an dem grundsätzlich bestehenden Erfordernis einstimmiger Leitsatzbeschlüsse (§ 16 Abs. 3 Sätze 1 und 2 LFGB). Ohne den Schutz der Vertraulichkeit könnten Mitglieder sachgerechte Meinungsäußerungen unterlassen, weil sie fürchten müssten, hierfür öffentlich zur Rechenschaft gezogen zu werden. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Protokolle nicht nur als reine Ergebnisprotokolle geführt würden, sondern den Verlauf der Debatte mit Namensnennung nachzeichneten und überdies persönliche Erklärungen mit Namensnennung zu Protokoll gereicht werden könnten. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass die Leitsatzentwürfe sowie die Leitsätze selbst veröffentlicht würden. Auch der Hilfsantrag habe keinen Erfolg, da auch bei Schwärzung der Namen eine                       25 Identifikation der sich äußernden Mitglieder möglich sei, indem aus dem Inhalt und dem Argumentationsgang Rückschlüsse auf die namentlich bekannten Mitglieder - unter Umständen mit Hilfe der Anwesenheitsliste - gezogen werden könnten. Zur Begründung seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung trägt der Kläger                  26 ergänzend vor: Die Ausnahmetatbestände des Informationsfreiheitsgesetzes seien eng auszulegen, da mit dem Informationsfreiheitsgesetz das allgemeine Amtsgeheimnis aufgehoben werden solle. Der Begriff der Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnisse des § 3 Nr. 4 IFG sei an das Bundesdatenschutzgesetz angelehnt und setze - wie auch die übrigen Regelungsvarianten des § 3 Nr. 4 IFG - voraus, dass die Geheimhaltungspflichten auf gesetzlichen Vorschriften beruhten. Dies ergebe sich auch aus dem Parlamentsvorbehalt. Bei der Geschäftsordnung der Kommission handele es sich jedoch nicht um ein Gesetz. Selbst wenn man eine untergesetzlich angeordnete Verschwiegenheitspflicht ausreichen ließe, müsse diese jedenfalls dasselbe Geheimhaltungsniveau aufweisen wie die gesetzlich geregelten Berufs- und besonderen Amtsgeheimnisse. Dies sei bei der in der Geschäftsordnung statuierten Verschwiegenheitspflicht nicht der Fall, denn sie erreiche nicht ein vergleichbares Mindestschutzniveau. So seien Verstöße nicht sanktionierbar, auch sei die http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2010/8_A_475_10urteil20101102.html              22.08.2011
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Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 475/10                                                  Seite 6 von 16 Pflicht disponibel. Die Funktionsfähigkeit der Kommission sei bei einer Herausgabe der Informationen nicht gefährdet, da der Gesetzgeber von Kommissionsmitgliedern ausgegangen sei, die ihren auf die Verbraucheröffentlichkeit abzielenden Auftrag trotz Kontroversen, die in einer meinungspluralen Gesellschaft immer denkbar seien, erfüllen könnten. Zumindest habe die Beklagte eine Funktionsunfähigkeit nur unsubstantiiert behauptet. Dass auch bei einer Schwärzung Rückschlüsse auf das Abstimmungsverhalten möglich sein sollen, sei im Übrigen widersprüchlich, da dies unterstellen würde, dass sämtliche Mitglieder der Kommission ihrer Gruppenzugehörigkeit entsprechend - vorhersehbar - argumentieren würden. Auch andere Ausschlussgründe (§ 4 Abs. 1 Satz 1, § 3 Nr. 3 b IFG) lägen nicht vor. Außerdem verletze das Urteil Art. 5 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. GG. Der Kläger beantragt,                                                                               27 28 das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. Februar 2010 zu ändern und die Besc der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission vom 6. September 2007 und 6. Novembe 2007 aufzuheben, sowie die Beklagte zu verpflichten, ihm Einsicht in die Protokolle der Sitzungen 29 des Plenums der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission vom 2. Oktober 2001, 27. November 2002 und vom 17. Dezember 2003, 30 des Fachausschusses "Fleisch und Fleischerzeugnisse" der Deutschen Lebensmittelbuch- Kommission vom 11. Januar 2001, vom 1./2. Februar 2001, 8. Juni 2001, vom 21. April 2005 und vom 17. Februar 2006 31 sowie des Fachausschusses "Alkoholfreie Getränke" der Deutschen Lebensmittelbuch- Kommission vom 26. Juni 2001, vom 29. Januar 2002, vom 15. April 2002 und vom 22. August 2002 32 in der Form zu gewähren, dass ihm entsprechende Fotokopien zur Verfügung gestellt w Die Beklagte beantragt,                                                                             33 34 die Berufung zurückzuweisen. Die Beklagte hält daran fest, dass die Kommission keine Behörde im Sinne des                        35 Informationsfreiheitsgesetzes sei. Den Leitsätzen komme keine "hohe Verbindlichkeit" zu, wie das Verwaltungsgericht meine. Auch sei die Feststellung der Verkehrsauffassung kein schlicht-hoheitliches Verwaltungshandeln; denn die Leitsätze seien nicht darauf gerichtet, eine Rechtsfolge herbeizuführen oder zumindest gezielt auf den Rechtsverkehr einzuwirken. Sie seien eher mit unverbindlichen Auskünften und Hinweisen vergleichbar. Der Ausschlussgrund des § 3 Nr. 4 IFG greife ein, da nicht ersichtlich sei, dass "Rechtsvorschriften" nach dieser Vorschrift nur Gesetze im formellen Sinne seien. Richtigerweise genüge auch eine abstrakt-generelle Bestimmung wie die Geschäftsordnung, die auf einer gesetzlichen Grundlage beruhe. Die Begründung zum Gesetzentwurf benenne lediglich beispielhaft gesetzliche Geheimhaltungsregelungen. Auch dass Verwaltungsvorschriften nach der Systematik des § 3 Nr. 4 IFG nicht ausreichten, sei kein Gegenargument, denn anders als eine Verwaltungsvorschrift entfalte die Satzung als Rechtsnorm unmittelbare Bindungswirkung, ohne dass es einer dienstlichen Weisung oder einer mit einer Satzung übereinstimmenden Verwaltungspraxis bedürfe. Die Annahme des http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2010/8_A_475_10urteil20101102.html             22.08.2011
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Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 475/10                                                    Seite 7 von 16 Klägers, auch für das Amtsgeheimnis sei eine gesetzliche Regelung erforderlich, laufe darauf hinaus, dass die beiden letzten Alternativen des § 3 Nr. 4 IFG überflüssig wären, weil sie keinen über die 1. Alternative hinausgehenden Anwendungsbereich hätten. Für die Frage, ob ein besonderes Amtsgeheimnis vorliege, sei vielmehr maßgebend, ob sich der spezifische Schutzzweck der Regelung von der nicht geschützten allgemeinen Pflicht zur Amtsverschwiegenheit qualitativ unterscheide. Dies treffe bei der in der Geschäftsordnung geregelten Verschwiegenheitsverpflichtung zu. Hinsichtlich der angeblich fehlenden Sanktionsmöglichkeit übersehe der Kläger § 353 b StGB. In der mündlichen Verhandlung hat der Senat den Stellvertretenden Leiter der Kommission,              36 Dr. Q. , sowie Frau I. (Sekretariat der Kommission) informatorisch zur Arbeitsweise der Kommission angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen. Nachdem die Beklagte zugesagt hat, dem Kläger die Beratungsergebnisse aus den im Klageantrag bezeichneten Sitzungen mitzuteilen, haben die Beteiligten insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der                   37 Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Entscheidungsgründe:                                                                                  38 Soweit das Verfahren hinsichtlich der in den Protokollen wiedergegebenen Ergebnisse in der            39 Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, ist es entsprechend §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Zur Klarstellung ist das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit für wirkungslos zu erklären (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO). Hinsichtlich des aufrechterhaltenen Klageantrags, der sich auf den übrigen Protokollinhalt -          40 insbesondere auf den in den Protokollen wiedergegebenen Beratungsverlauf - bezieht, ist die zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage insoweit zu Recht abgewiesen. Die Verpflichtungsklage            41 ist - wie vom Verwaltungsgericht angenommen - zulässig. Die Klage ist jedoch unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf die Erteilung der von ihm mit seinem Antrag vom 26. Januar 2007 begehrten Informationen gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG vom 5. September 2005 (BGBl. I S. 2722) zu. Zwar ist der Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes eröffnet, insbesondere handelt es sich bei der Kommission um eine Behörde i.S.d. § 1 Abs. 1 IFG (I.). Einem Anspruch des Klägers steht jedoch der Ablehnungsgrund des § 3 Nr. 3 b IFG entgegen (II.). Da die Ausschlussgründe des § 3 IFG nebeneinander anwendbar sind, kann offen bleiben, ob darüber hinaus der Ausschlussgrund des § 3 Nr. 4 IFG vorliegt, der bislang im Mittelpunkt des Streits stand (III.). Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. GG (IV.) I. Der Anwendungsbereich des Gesetzes ist nach § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG eröffnet.                        42 Danach hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes                       43 einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. 1. Der Kläger ist als natürliche Person anspruchsberechtigt. Er begehrt Zugang zu amtlichen           44 Informationen. 2. Die Kommission ist auch Behörde des Bundes im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG und                  45 damit (selbst) auskunftsverpflichtete Stelle. Der Begriff der Behörde ist im IFG nicht definiert; er entspricht jedoch nach der                     46 Gesetzesbegründung dem des § 1 Abs. 4 VwVfG. 47 Vgl. BT-Drs. 15/4493, S. 7. http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2010/8_A_475_10urteil20101102.html               22.08.2011
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Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 475/10                                                   Seite 8 von 16 Danach ist Behörde jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Dem              48 Informationsfreiheitsgesetz liegt mithin ein weites funktionales Behördenverständnis zugrunde; auch Maßnahmen der Legislativorgane und der Gerichte werden erfasst, soweit sie als Verwaltungstätigkeit zu qualifizieren sind. 49 Vgl. nur Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, Kommentar, 2009, § 1 Rn. 77 ff., und Ros Informationsfreiheitsgesetz, Handkommentar, 2006, § 1 Rn. 40. Die Anknüpfung an § 1 Abs. 4 VwVfG bedeutet nicht, dass auch das                                     50 Verwaltungsverfahrensgesetz anwendbar sein muss; der Rückgriff erfolgt allein zur Begriffsbestimmung. 51 Schoch, a.a.O., § 1 IFG Rn. 79; Sitsen, Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, 20 S. 99. Ausgehend von § 1 Abs. 4 VwVfG sind Behörden ohne Rücksicht auf die konkrete                         52 Bezeichnung alle vom Wechsel der in ihnen tätigen Personen unabhängigen, mit hinreichender organisatorischer Selbständigkeit ausgestatteten Einrichtungen, denen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung und entsprechende Zuständigkeiten zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung, d.h. zum Handeln mit Außenwirkung in eigener Zuständigkeit und im eigenen Namen übertragen sind. 53 Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl. 2010, § 1 Rn. 51; Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2006, § 7 Rn. 29. a) Die hier zu beurteilende Kommission besitzt zunächst die notwendige organisatorische              54 Selbständigkeit, um selbst als Behörde des Bundes im Sinne des § 1 Abs. 1 IFG angesehen zu werden. Die die Behördeneigenschaft prägende gewisse organisatorische Selbstständigkeit kommt                55 regelmäßig in eigenem Personal, eigener Leitung sowie einem Mindestmaß an Unabhängigkeit bezogen auf die Entscheidungsbefugnisse zum Ausdruck. Sie fehlt bei Behördenteilen wie etwa Abteilungen oder Referaten. 56 Vgl. Rossi, a.a.O., § 1 IFG Rn. 41; Knack/ Hennecke, VwVfG, 9. Aufl. 2010, § 1 Rn. 69; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 1 VwVfG Rn. 53. Gremien, die ausschließlich eine beratende Funktion haben und organisatorisch in eine                57 Behörde eingegliedert sind, sind nicht selbstständig, sondern Teil dieser ihrerseits auskunftsverpflichteten Behörde. 58 Vgl. BT-Drs. 15/4493, S. 7, Schoch, a.a.O., § 1 IFG Rn. 81; Sitsen, a.a.O., S. 88 f. Nichts anderes dürfte für nicht organisatorisch in eine Behörde eingegliederte, unselbständige       59 beratende Bundesgremien gelten; auch insoweit ist ein Auskunftsbegehren nach dem Informationsfreiheitsgesetz bei der beratenen Behörde geltend zu machen, sofern diese über eine Ausfertigung der Unterlagen verfügt. 60 Vgl. Sitsen, a.a.O., S. 88 f.; Jastrow/Schlatmann, Informationsfreiheitsgesetz, Komment 2006, § 1 Rn. 26 f.; ebenso Anwendungshinweise zum IFG - Bek. d. BMI v. 21.11.2005 - 130 250/16 - GMBl 2005, S. 1346 ff. -, Nr. 5 (als Beispiel wird jeweils der Beirat Verwaltungsverfahrensrecht beim BMI genannt). 61 http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2010/8_A_475_10urteil20101102.html              22.08.2011
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Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 475/10                                                   Seite 9 von 16 Hiervon ausgehend ist die Kommission organisatorisch hinreichend selbstständig. Sie wird nach § 16 Abs. 1 LFGB "beim" Ministerium gebildet, ist also nicht vollständig in das Ministerium integriert. Sie hat ein eigenes Präsidium (§ 2 GO) und ein vom Ministerium zur Verfügung gestelltes Sekretariat, über das der Schriftverkehr geführt wird (§ 4 GO). Hierdurch wird sichergestellt, dass die Kommission auch nach außen selbständig auftreten kann. Die Kommission ist zudem unabhängig und keinen Weisungen des Ministeriums unterworfen (s. dazu näher unter b). Zwar schränken verschiedene Einflussmöglichkeiten des Ministeriums auf die Kommission                62 deren Selbstständigkeit ein. So bestellt etwa das Ministerium den Vorsitzenden der Kommission und erlässt nach Anhörung der Kommission eine Geschäftsordnung (§ 16 Abs. 2 LFGB). Die Entscheidung über die Unterrichtung der Öffentlichkeit erfolgt ebenfalls durch das jeweilige Gremium erst im Einvernehmen mit dem Ministerium (§ 5 Abs. 4 Satz 1 GO). Derartige Einflussmöglichkeiten stellen jedoch das notwendige "gewisse" oder "hinreichende" Maß an Selbstständigkeit der Kommission nicht in Frage. 63 Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 1 VwVfG Rn. 53; Rossi, a.a.O., § 1 IFG Rn. 40. b) Die Kommission hat auch die Befugnis zu eigenverantwortlichem Handeln im eigenen                  64 Namen. Aufgabe der Kommission ist es, Leitsätze für das Deutsche Lebensmittelbuch zu beschließen            65 (§ 15 Abs. 2 LFGB). Das Deutsche Lebensmittelbuch ist eine Sammlung von Leitsätzen, in denen Herstellung, Beschaffenheit oder sonstige Merkmale von Lebensmitteln, die für die Verkehrsfähigkeit der Lebensmittel von Bedeutung sind, beschrieben werden. Die Kommission erarbeitet diese Leitsätze im Rahmen der Geschäftsordnung unabhängig (vgl. näher § 5 zu Ladung und Sitzungsverlauf sowie Abschnitt 3 der Geschäftsordnung zur Erarbeitung und Änderung von Leitsätzen). Zwar können Vertreter und Beauftragte des Ministeriums, seiner nachgeordneten Einrichtungen und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie an Sitzungen teilnehmen, auch sind sie auf ihr Verlangen jederzeit zu hören (§ 5 Abs. 5 GO); eine Einflussnahme des Ministeriums auf den Inhalt der Leitsätze findet jedoch nicht statt. Letzteres hat der Stellvertretende Vorsitzende in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich herausgestellt. Einwände der Bundesregierung würden stets beraten; die Bundesregierung habe aber kein Vetorecht. Die Kommission sei unabhängig und lege auf diesen Status auch in der Praxis großen Wert. Auch im vorliegenden Verwaltungsverfahren hat das Ministerium ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es keinerlei Einwirkungsmöglichkeiten hinsichtlich der Herausgabe von Protokollen der Kommission besitze. Der Umstand, dass die Veröffentlichung der Leitsätze nach § 15 Abs. 3 Satz 1 LFGB durch              66 das Ministerium im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie erfolgt, schränkt die Eigenverantwortlichkeit der Kommission bei der Erarbeitung der Leitsätze nicht entscheidend ein, da das Einvernehmen lediglich die nachrangige Phase der Veröffentlichung betrifft; das Erstellen der Leitsätze selbst liegt demgegenüber - wie ausgeführt - allein im Aufgabenbereich der Kommission. Ebenso wenig spricht § 15 Abs. 3 Satz 2 LFGB, wonach die Veröffentlichung von Leitsätzen aus rechtlichen oder fachlichen Gründen abgelehnt oder rückgängig gemacht werden kann, durchgreifend gegen die Annahme einer eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung. Wie der Wortlaut nahelegt, handelt es sich hierbei um eine Art Fach- und Rechtsaufsicht, durch die sichergestellt werden soll, dass die Leitsätze insbesondere mit dem geltenden Recht übereinstimmen. Kommt es zu einem derartigen Ablehnungsfall - was bisher soweit ersichtlich erst selten geschehen ist 67 vgl. Meyer, in: Meyer/Streinz, LFGB. BasisVO, 2007, § 15 LFGB Rn. 17, sieht die Geschäftsordnung im Übrigen ein besonderes Verfahren vor, wonach die                       68 Kommission mit der Frage neu befasst werden muss (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 2 GO). Auch dies zeigt, dass es bei der eigenverantwortlichen Erstellung der Leitsätze durch die Kommission http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2010/8_A_475_10urteil20101102.html              22.08.2011
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Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 475/10                                                 Seite 10 von 16 bleibt und diese insbesondere nicht auch nicht im Ausnahmefall durch die in § 15 Abs. 3 Satz 1 LFGB genannten Ministerien verändert oder ersetzt werden können. Darüber hinaus ist die Kommission berechtigt, dem Ministerium Vorschläge zur Änderung von           69 gesetzlichen Vorschriften zu machen (§ 13 Abs. 2 GO). c) Die Kommission ist ferner befugt, außenwirksam zu handeln.                                       70 Die Behördeneigenschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG setzt u.a. voraus, dass die              71 Stelle aufgrund von Vorschriften des öffentlichen Rechts mit der Befugnis zu außenwirksamem Handeln ausgestattet ist. Hierunter fällt die Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten, zum Abschluss von öffentlich-rechtlichen Verträgen im eigenen Namen oder zu sonstigem schlicht-hoheitlichen Handeln. 72 Vgl. Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 1 Rn. 242, 140 ff.; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 1 VwVfG Rn. 52; kritisch zu diesem Erfordernis für den Behördenbegriff des IFG Sitsen, a.a.O., S. 98 ff. m.w.N. Hier kommt allein letzteres in Betracht. Die Handlungsform des schlicht-hoheitlichen                73 Verwaltungshandelns ist eine Sammelbezeichnung für alle nicht regelnden Verwaltungstätigkeiten. Hierzu zählen etwa Realakte, Realhandlungen oder dem Bürger bekanntgegebene Verwaltungsentscheidungen wie Empfehlungen, Beratungen, Warnungen, Belehrungen oder schlichte Informationen. Verbindendes Element ist, dass sie zwar nicht wie ein Verwaltungsakt eine Rechtsfolge festsetzen, aber auf Grund öffentlichen Rechts und in Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz erfolgen. 74 Vgl. Ehlers, a.a.O., § 35 Rn. 1 f.; Schmitz, a.a.O., § 1 VwVfG Rn. 144 f. Ob außenwirksames Handeln - und damit das Vorliegen einer Behörde - auch bei solchen                75 Stellen anzunehmen ist, die nur intern gutachterlich-beratend tätig werden, ist umstritten, 76 dafür etwa Schmitz, a.a.O., § 1 VwVfG Rn. 243 m. w. N.; dagegen Kopp/Ramsauer, a.a § 1 Rn. 52, kann im vorliegenden Fall aber dahinstehen, da der Kommission durch die ihr in § 15 Abs. 2          77 LFGB zugewiesene Aufgabe, Leitsätze zu beschließen, die Befugnis zusteht, außenwirksam tätig zu werden. Die im Deutschen Lebensmittelbuch zusammengefassten Leitsätze werden amtlich im                     78 Bundesanzeiger oder im Gemeinsamen Ministerialblatt veröffentlicht. Ihnen fehlt zwar die Rechtsverbindlichkeit. Sie haben aber im Rechtsverkehr eine große - faktische - Bedeutung. Dies genügt für die Annahme einer schlicht-hoheitlichen Tätigkeit; es muss sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht um eine gezielte Einwirkung auf den Rechtsverkehr handeln. Das Lebensmittelbuch ist besonders in Bereichen, in denen keine rechtlichen Vorgaben                79 bestehen, die Grundlage für die Beurteilung der Verkehrsfähigkeit der in den Leitsätzen beschriebenen Lebensmittel und stellt damit für Hersteller, Verbraucher und Gerichte eine wichtige Auslegungshilfe dar. Die Leitsätze haben zwar keine Rechtsnormqualität, werden aber als "Sachverständigengutachten von besonderer Qualität" eingestuft; sie begründen eine Vermutungswirkung dafür, was der Verbraucher von einem in den Leitsätzen beschriebenen Lebensmittel erwartet und was als herrschende Verkehrsauffassung anzusehen ist. Ein Gegenbeweis, etwa durch ein Sachverständigengutachten, ist zulässig. 80 http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2010/8_A_475_10urteil20101102.html             22.08.2011
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