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Aktenzeichen
T-474/08
Datum
21. Oktober 2010
Gericht
Gericht der Europäischen Union
Gesetz
Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 (Transparenzverordnung)
Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 (Transparenzverordnung)

Urteil: Gericht der Europäischen Union am 21. Oktober 2010

T-474/08

Stützt der Antragsteller seine Akteneinsichtsbegehren neben der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 auch auf ein primärrechtliches Zugangsrecht und nennt das Organ bei seiner Entscheidung als Rechtsgrundlage nur die Verordnung, kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Organ die Akteneinsicht auf der Grundlage eines primärrechtlichen Akteneinsichtsrechts stillschweigend abgelehnt hat. Das besondere Interesse, das ein Antragsteller zu einem Dokument geltend machen kann, das ihn persönlich betrifft (hier vor einem Zivilgericht eines Mitgliedstaates geführtes Verfahren), kann nicht als überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne der Verordnung Nr. 1049/2001 berücksichtigt werden. Bei der Ausübung des Ermessens, über das das Organ bei der Anwendung der Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu den Unterlagen verfügt, muss es das Interesse der Öffentlichkeit an der Verbreitung und das geschützte öffentliche Interesse, das die Zugangsverweigerung rechtfertigt, gegeneinander abwägen; ein besonderes persönliches Interesse des Antragstellers ist nicht zu berücksichtigen. Die Ausnahmeregelung der Verordnung zum Schutz der Privatsphäre und Integrität des Einzelnen ist zwingend abgefasst, so dass die Kommission verpflichtet ist, den Zugang zu Dokumenten zu verweigern, die nachweislich darunter fallen. (Quelle: LDA Brandenburg)

(Gesetzliche) Geheimhaltungspflichten Interessenabwägung Konkurrierende Rechtsvorschriften

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InfoCuria                                                     http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&... Recht aus dem durch die Verordnung Nr. 1049/2001 umgesetzten Art. 255 EG unterscheidet, und er sich zu diesem Zweck auf bei ihm vorliegende besondere Tatsachen, insbesondere die Notwendigkeit beruft, für die Zwecke des Verfahrens vor einem belgischen Zivilgericht Zugang zu den Dokumenten zu erlangen, ist offensichtlich, dass dieser Antrag sowohl durch seine Rechtsgrundlage als auch durch die Kriterien und Verfahren, die für seine Behandlung gelten, in keiner Weise unter die Voraussetzungen und das Verfahren der Akteneinsicht fällt, die in dieser Verordnung festgelegt sind. Daher kann der ursprünglichen Antwort der Kommission und der angefochtenen Entscheidung, die sich beide ausdrücklich nur auf das Verfahren der Verordnung Nr. 1049/2001 beziehen, keine stillschweigende Ablehnung des auf eine andere Grundlage gestützten Antrags entnommen werden. 40  Infolgedessen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Kommission den Antrag des Klägers auf Akteneinsicht auf der Grundlage eines primärrechtlichen Akteneinsichtsrechts, das sich von dem Recht aus dem durch die Verordnung Nr. 1049/2001 umgesetzten Art. 255 EG unterscheidet, stillschweigend abgelehnt hat. 41  Der dritte Klagegrund ist daher zurückzuweisen. 42  Im Übrigen ist zu bemerken, dass der Zugang zu den bei der Kommission befindlichen Dokumenten für die Zwecke eines Rechtsstreits vor einem Gericht eines Mitgliedstaats in erster Linie durch den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gewährleistet ist, der sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergibt und der die Gemeinschaftsorgane und insbesondere die Kommission, die für die Anwendung des Vertrags Sorge zu tragen hat, verpflichtet, ein nationales Gericht aktiv zu unterstützen, bei dem ein Rechtsstreit über einen Vertrag zwischen der Kommission und ihrem Vertragspartner anhängig ist und das es für erforderlich hält, Informationen über deren vertragliche Beziehungen einzuholen. Diese Unterstützung, die verschiedene Formen annehmen kann, kann auch darin bestehen, Unterlagen, die die Gemeinschaftsorgane in Wahrnehmung ihrer Aufgaben gesammelt haben, an die nationalen Gerichte zu übermitteln (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Gerichtshofs vom 13. Juli 1990, Zwartveld u. a., C‑2/88 IMM, Slg. 1990, I‑3365, Randnrn. 16 bis 22; Urteile des Gerichtshofs vom 11. Juli 1996, SFEI u. a., C‑39/94, Slg. 1996, I‑3547, Randnr. 50, und vom 22. Oktober 2002, Roquette Frères, C‑94/00, Slg. 2002, I‑9011, Randnr. 93; Urteil des Gerichts vom 18. September 1996, Postbank/Kommission, T‑353/94, Slg. 1996, II‑921, Randnr. 64). 43  Außerdem berührt nach Erwägungsgrund 16 der Verordnung Nr. 1049/2001 die Regelung über den Zugang der Öffentlichkeit zu den Unterlagen der Organe, der durch diese Verordnung verwirklicht wird, nicht das Recht der Justizbehörden auf Zugang zu Dokumenten. 44   Daher kann das belgische Zivilgericht in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit die Kommission um Vorlage von Schriftstücken oder Informationen ersuchen, die es für die Entscheidung über die Begründetheit des Antrags auf Verurteilung des Klägers für erforderlich hält. Der Umstand, dass das belgische Gericht nicht in der Lage ist, bestimmte Dokumente im Zusammenhang mit der Kündigung des Vertrags zu bezeichnen, hindert es nicht von vornherein daran, die Kommission, wenn es dies für erforderlich hält, um die Vorlage aller Dokumente im Zusammenhang mit dieser Kündigung, insbesondere des Schriftwechsels zwischen der Delegation der Kommission in Moskau und dem russischen Begünstigten aus dem Vertrag, zu ersuchen. 45        Sollte sich die Kommission weigern, dem Ersuchen des belgischen Zivilgerichts um die Übermittlung von Informationen oder Unterlagen ganz oder teilweise nachzukommen, kann das Gericht den Gerichtshof anrufen. Der Gerichtshof führt nämlich auf dem besonderen Gebiet der Rechtshilfe die gerichtliche Nachprüfung durch, ob die Kommission ihre Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit erfüllt hat, wenn er darum von einem nationalen Gericht ersucht wird (Beschluss vom 13. Juli 1990, Zwartveld u. a., oben in Randnr. 42 angeführt, Randnr. 23, und Beschluss des Gerichts vom 12. Dezember 2007, Atlantic Container Line u. a./Kommission, T‑113/04, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 24). 7 von 12                                                                                                              29.12.2011 09:19
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InfoCuria                                                      http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&... 46    Wenn die Verweigerung von Unterlagen oder Informationen nicht mit berechtigten Gründen des Schutzes der Rechte Dritter oder einer möglichen Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und Unabhängigkeit der Union im Fall der Preisgabe dieser Angaben gerechtfertigt wird, kann der Gerichtshof der Kommission die Übermittlung der Informationen oder Unterlagen aufgeben, die das belgische Zivilgericht für die Entscheidung über die Begründetheit der bei ihm anhängigen Klage für erforderlich hält (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Gerichtshofs vom 6. Dezember 1990, Zwartveld u. a., C‑2/88 IMM, Slg. 1990, I‑4405, Randnrn. 11 bis 13). Zum ersten Klagegrund: Verletzung des Primärrechts Vorbringen der Parteien 47    Nach Ansicht des Klägers ergibt sich ein Akteneinsichtsrecht für eine Person, die Partei eines gerichtlichen Verfahrens ist, aus dem EU‑Vertrag in der Fassung vor dem Vertrag von Lissabon und den darin verankerten bzw. anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Ein solches Recht ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts. 48    Von den im EU‑Vertrag in der Fassung vor dem Vertrag von Lissabon verankerten Grundsätzen macht der Kläger das Recht auf eine gute Verwaltung und das Recht auf ein faires Verfahren geltend. Art. 6 Abs. 1 EU erkenne den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und die Grundsätze an, die allen Mitgliedstaaten gemeinsam seien. In den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bestünden entsprechende Vorschriften über die Akteneinsicht für die an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten. Das Recht auf ein faires Verfahren, das voraussetze, dass ein Verfahrensbeteiligter die ihn betreffenden Unterlagen, die sich im Besitz der Gegenpartei befänden, einsehen und verwenden könne, sei damit über den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung. 49   Das Recht auf ein faires Verfahren sei in Art. 6 Abs. 1 EMRK vorgesehen, der nach Art. 6 Abs. 2 EU im Gemeinschaftsrecht anwendbar sei. Da der Rechtsstreit, derentwegen Einsicht in die im Besitz der Kommission befindlichen Unterlagen beantragt worden sei, zivilrechtlicher Art sei, finde Art. 6 Abs. 1 EMRK auf das vorliegende Verfahren Anwendung, das nur ein Nebenverfahren zu dem bei dem belgischen Gericht anhängigen Verfahren sei. Der Anspruch auf ein faires Verfahren enthalte im Kern den Grundsatz, dass ein Beteiligter an einem Verfahren Subjekt dieses Verfahrens sein und damit auch angemessene Mitwirkungsrechte besitzen müsse. 50  Der Kläger beruft sich auch auf Art. 41 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 364, S. 1). Danach habe jede von einem Verwaltungsverfahren betroffene Person das Recht auf Zugang zu den sie betreffenden Akten. 51      Ferner sei das Recht des Klägers auf Zugang zu den das TACIS‑Projekt und den Vertrag betreffenden Akten Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör, das wiederum zum Grundsatz der Waffengleichheit in jedem gerichtlichen Verfahren gehöre. Im Übrigen hätte dem Kläger von der Kommission sogar schon vor Erlass der Entscheidung über die Rückforderung des im Rahmen des Vertrags gezahlten Vorschusses Akteneinsicht gewährt werden müssen. 52  Nach Ansicht des Klägers ist die von der Kommission geschaffene Situation „kafkaesk“, denn zum einen verlange sie vom Kläger, im Einzelnen genau zu bezeichnen, welche Unterlagen für seine Verteidigung von Bedeutung seien, obwohl nur ein vollständiger und unbegrenzter Zugang zu den Vertragsunterlagen ihn dazu in die Lage versetzen würde, und zum anderen müsse er sich gegen Vorwürfe verteidigen, die die Kommission im Verfahren vor dem belgischen Zivilgericht erhoben habe, wozu er aber wegen der Weigerung, ihm die für seine Verteidigung zweckdienlichen Informationen zu übermitteln, nicht in der Lage sei. Der Kläger zieht daraus den Schluss, dass die Kommission nicht unparteiisch handele. 8 von 12                                                                                                               29.12.2011 09:19
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InfoCuria                                                     http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&... 53  Die Kommission vertritt die Ansicht, dass dieser Klagegrund zurückzuweisen sei. Würdigung durch das Gericht 54   Mit seinem ersten Klagegrund macht der Kläger geltend, dass die Kommission mit der Versagung des Zugangs zu den von ihm erbetenen Unterlagen oder Informationen gegen mehrere Normen des Primärrechts verstoßen habe, nämlich gegen den EU‑Vertrag in seiner Fassung vor dem Vertrag von Lissabon und die dort verankerten allgemeinen Grundsätze. Zu diesen Grundsätzen gehörten das Recht auf eine gute Verwaltung und das Recht auf ein faires Verfahren. Im Übrigen sehe Art. 41 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Grundrechtscharta der Europäischen Union das Recht einer jeden von einem Verwaltungsverfahren betroffenen Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten vor. Schließlich sei der Zugang zu den Unterlagen, die das TACIS‑Projekt und den Vertrag beträfen, Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör, das wiederum Bestandteil des Grundsatzes der Waffengleichheit in jedem gerichtlichen Verfahren sei. 55   Mit diesem Klagegrund wird ein Rechtsfehler gerügt. Die Kommission soll gegen die erwähnten Vorschriften verstoßen haben, weil sie nicht berücksichtigt habe, dass der Kläger mit seinem Antrag um einen Zugang zu Unterlagen oder Informationen ersucht habe, die für seine Verteidigung im Verfahren vor dem belgischen Zivilgericht notwendig seien. Im Kern rügt der Kläger, dass die Kommission für die Entscheidung über seinen Antrag seine Eigenschaft als Partei eines gerichtlichen Verfahrens bei der Anwendung der Verordnung Nr. 1049/2001 nicht berücksichtigt habe. 56  Nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 steht das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe „[j]ede[m] Unionsbürger sowie jede[r] natürliche[n] oder juristische[n] Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat“ zu. Daraus folgt, dass diese Verordnung den Zugang aller zu öffentlichen Dokumenten gewährleisten soll und nicht nur den Zugang des jeweiligen Antragstellers zu den ihn betreffenden Dokumenten (Urteil des Gerichtshofs vom 1. Februar 2007, Sison/Rat, C‑266/05 P, Slg. 2007, I‑1233, Randnr. 16; Urteile des Gerichts vom 26. April 2005, Sison/Rat, T‑110/03, T‑150/03 und T‑405/03, Slg. 2005, II‑1429, Randnr. 50, und vom 6. Juli 2006, Franchet und Byk/Kommission, T‑391/03 und T‑70/04, Slg. 2006, II‑2023, Randnr. 136). 57    Die in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen vom Zugang zu Dokumenten sind zwingend abgefasst, so dass die Organe verpflichtet sind, den Zugang zu den Dokumenten zu verweigern, die nachweislich unter diese Ausnahmeregelungen fallen (Urteil vom 1. Februar 2007, Sison/Rat, oben in Randnr. 56 angeführt, Randnr. 16, und Urteil vom 26. April 2005, Sison/Rat, oben in Randnr. 56 angeführt, Randnr. 51). 58    Zwar gibt Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 dem Antragsteller die Möglichkeit, die Anwendung der dort geregelten Ausnahmen zu verhindern, doch muss dazu die Verbreitung des Dokuments, zu dem der Zugang beantragt wird, durch ein „überwiegendes öffentliches Interesse“ gerechtfertigt sein (Urteil Franchet und Byk/Kommission, oben in Randnr. 56 angeführt, Randnr. 135). 59   Das besondere Interesse, das ein Antragsteller am Zugang zu einem Dokument geltend machen kann, das ihn persönlich betrifft, kann nicht als überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 berücksichtigt werden, gleichgültig, ob dieses Interesse in den Verteidigungsrechten des Antragstellers oder in der Gewährleistung einer geordneten Rechtspflege begründet liegt (Urteil Franchet und Byk/Kommission, oben in Randnr. 56 angeführt, Randnrn. 137 und 138). Daher begeht das Organ, das den Zugang zu bestimmten Unterlagen auf der Grundlage einer Ausnahmebestimmung nach Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 verweigert, keinen Rechtsfehler, wenn es in dem von einem Kläger angeführten besonderen Interesse kein überwiegendes öffentliches Interesse erblickt, das die Verbreitung der angeforderten Unterlagen rechtfertigt (Urteil Franchet und Byk/Kommission, oben in Randnr. 56 angeführt, Randnr. 139). 9 von 12                                                                                                              29.12.2011 09:19
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InfoCuria                                                     http://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?doclang=DE&... 60   Im vorliegenden Fall rügt erstens der Kläger nicht die Anwendung der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen auf seinen Antrag auf Akteneinsicht. Zwar stellt er in der Erwiderung im Rahmen des zweiten Klagegrundes in Anbetracht des Zeitablaufs seit Erfüllung des Vertrags die Anwendung der ersten Ausnahme in Frage. Doch zum einen kann diese Rüge, wenn sie zum ersten Klagegrund gehört, nicht als Erweiterung dieses Klagegrundes betrachtet werden, da das rechtliche und tatsächliche Vorbringen neu ist, und zum anderen beruht sie auf Umständen, die dem Kläger bei Einreichung seiner Klage bekannt waren. Nach Art. 44 § 1 Buchst. c in Verbindung mit Art. 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts muss die Klageschrift den Streitgegenstand nennen und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten, und neue Angriffs‑ und Verteidigungsmittel können im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind (Urteil des Gerichts vom 15. Oktober 2008, Mote/Parlament, T‑345/05, Slg. 2008, II‑2849, Randnr. 85). Daher ist diese erst in der Erwiderung erhobene Rüge unzulässig. 61   Zweitens ist die in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahme vom Zugang zu den Dokumenten zwingend abgefasst, so dass die Kommission verpflichtet ist, den Zugang zu den Dokumenten zu verweigern, die nachweislich unter diese Ausnahmeregelung fallen. Im vorliegenden Fall bestreitet der Kläger nicht, dass die Kommission den Nachweis erbracht hat, dass die vollständige Verbreitung der angeforderten Dokumente den Schutz des öffentlichen Interesses in Bezug auf das Privatleben und die Integrität der einzelnen Person beeinträchtigen würde. Somit kann der Schutz des besonderen Interesses, das der Kläger geltend macht, nicht der Anwendung der zwingenden Ausnahmevorschrift des Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1049/2001 entgegenstehen (vgl. oben, Randnr. 59). 62      Was drittens die Anwendung der in Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme angeht, kann der Kläger diese Ausnahme wegen der besonderen Art des von ihm geltend gemachten Interesses, das nicht als überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne der Bestimmungen berücksichtigt werden kann (vgl. oben, Randnr. 59), nicht in Frage stellen. 63    Daher kann der erste Klagegrund die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht in Frage stellen und ist deshalb zurückzuweisen. Zum zweiten Klagegrund: Rechtsfehler der Kommission bei der Ausübung ihres Ermessens Vorbringen der Parteien 64        Der Kläger trägt vor, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 den Organen zwar einen Ermessensspielraum bei der Entscheidung über die Gewährung des Zugangs zu den in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen einräume, die Ausübung dieses Ermessens sich aber an den von der Verordnung genannten Zielen, also den Interessen Dritter oder öffentlichen Interessen, ausrichten müsse. Die Organe müssten bei der Ausübung ihres Ermessens nicht nur diese Ziele beachten, sondern seien auch an die Grundsätze und Grundrechte gebunden, die zugunsten einer Person bestünden, die sich auf die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1049/2001 berufe. Daher müsse das Organ bei der Ausübung seines Ermessens die spezielle Situation dieses Betroffenen besonders in Bezug auf Dokumente beachten, die ihn beträfen oder seine Interessen tangierten. In gleicher Weise müsse die besondere Situation des Betroffenen bei der Abwägung seines Interesses an der Akteneinsicht und der Interessen Dritter und öffentlicher Interessen berücksichtigt werden. 65  Im vorliegenden Fall habe die Kommission ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt und daher einen Rechtsfehler begangen, indem sie der besonderen Situation des Klägers keinen Vorrang eingeräumt und die Ermessensspielräume in rechtswidriger Weise eingeengt habe. 66     In der Erwiderung führt der Kläger aus, dass die Ausnahme in Bezug auf den Schutz des 10 von 12                                                                                                             29.12.2011 09:19
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