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Aktenzeichen
10 A 10091/10
Datum
23. April 2010
Gericht
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Gesetz
Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG)
Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG)

Urteil: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz am 23. April 2010

10 A 10091/10

Das Oberverwaltungsgericht weist die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Entscheidung der Erstinstanz zurück, die einem Insolvenzverwalter auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Auskunft über Vollstreckungsaufträge und Zahlungen an Gläubiger (Sozialversicherungsträger) im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zugestanden hat. Weder die Vorschriften der Insolvenzordnung noch die des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind "Regelungen in anderen Rechtsvorschriften", die dem Informationsfreiheitsgesetz vorgehen. Nur solche Vorschriften verdrängen das Informationsfreiheitsgesetz, die denselben Regelungsgegenstand, nämlich Zugang zu amtlichen Informationen, haben. Der Ausnahmetatbestand zum Schutz laufender Gerichtsverfahren dient dem Schutz der Rechtspflege und kann nicht auf bevorstehende Gerichtsverfahren angewandt werden. Weder das Sozialgeheimnis noch fiskalische Interessen stehen dem Informationszugang entgegen. (Quelle: LDA Brandenburg)

Konkurrierende Rechtsvorschriften Begriffsbestimmung Schutz besonderer Verfahren Antragsberechtigung Fiskalische Interessen

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10 A 10091/10.OVG 4 K 1059/09.NW Die Entscheidung ist rechtskräftig! OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ URTEIL IM NAMEN DES VOLKES In dem Verwaltungsrechtsstreit des Herrn …, - Kläger und Berufungsbeklagter - Prozessbevollmächtigte:     Rechtsanwälte …, gegen die Bundesrepublik Deutschland, …, - Beklagte und Berufungsklägerin - wegen        Verfahren nach dem Informationsfreiheitsgesetz
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-2- hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. April 2010, an der teilgenommen haben Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling Richter am Oberverwaltungsgericht Hennig Richterin am Oberverwaltungsgericht Brink ehrenamtlicher Richter Sparkassenbetriebswirt Coßmann ehrenamtlicher Richter Landwirtschaftsmeister Klöppel für Recht erkannt: Die Berufung der Beklagten gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2009 ergangene Urteil des Verwaltungs- gerichts Neustadt an der Weinstraße wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, eine Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand Der Kläger begehrt als Insolvenzverwalter von der Beklagten Auskunft nach dem Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Infor- mationsfreiheitsgesetz – IFG). Mit Beschluss vom 16. Januar 2009 eröffnete das Amtsgericht Mainz das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma „M. T. GmbH“ (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Nach den diesem vorliegenden Unterlagen hatte die Insolvenzschuldnerin vor der Eröffnung des    Insolvenzverfahrens     aufgrund    verschiedener    Vollstreckungsaufträge Zahlungen       an   das   Hauptzollamt     Koblenz    geleistet,   das  für    die Sozialversicherungsträger das Vollstreckungsverfahren durchführt. Mit Schreiben -3-
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-3- vom 28. April 2009 bat der Kläger das Hauptzollamt um Übersendung einer Auflistung der dort vorliegenden Vollstreckungsaufträge sowie darüber hinaus um Mitteilung, wann, an welche Gläubiger und in welcher Höhe seit dem 29. Juli 2008 Zahlungen seitens der Insolvenzschuldnerin erfolgt sind. Mit Bescheid vom 16. Juli 2009 wies die Beklagte diesen Antrag mit der Begrün- dung zurück, dem Kläger stehe mit Blick auf das zu wahrende Steuergeheimnis ein allgemeiner Auskunftsanspruch nicht zu. Nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens hat der Kläger Klage erhoben und auf den Anspruch auf Informationszugang nach dem IFG verwiesen. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16. Juli 2009 und des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2009 zu verpflichten, ihm über die anhängigen und anhängig gewesenen Vollstreckungsverfahren gegen die „M. T. GmbH“, 5... Mainz, Auskunft zu erteilen durch eine Auflistung sämtlicher Vollstreckungsaufträge unter Angabe, wann an welche Gläubiger und in welcher Höhe Zahlungen seit dem 29. Juli 2008 geleistet worden sind. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, eine Auskunftserteilung an einen Insolvenzverwalter im Rahmen eines laufenden Insolvenzverfahrens widerspreche den Grundsätzen des Zivilrechts. Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, der Kläger habe auf der Grundlage des § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG einen Anspruch auf die begehrte Auskunft. Diesem Informationsanspruch gingen nach § 1 Abs. 3 IFG weder spezielle insolvenzrechtliche oder andere zivilrechtliche Auskunftsrechte noch § 30 der Abgabenordnung – AO – vor. Auch die im IFG geregelten Ausschlussgründe stünden ihm nicht entgegen. -4-
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-4- Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung trägt die Beklagte weiter vor, die Zubilligung eines Auskunftsanspruchs des Insolvenzverwalters nach dem IFG widerspreche dem in der Insolvenz- und Zivilprozessordnung geltenden Beibringungsgrundsatz. Danach müsse sich der Insolvenzverwalter seine Informationen     zur  Vorbereitung  eines  Gerichtsverfahrens   –   hier   eines Anfechtungsprozesses gemäß §§ 129 ff. Insolvenzordnung (InsO) – selbst beschaffen. Nur in Ausnahmefällen billige der Bundesgerichtshof dem Insolvenz- verwalter einen Auskunftsanspruch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB zu, wenn ein Anfechtungsgrund dem Grunde nach bereits feststehe und es nur noch um die nähere Bestimmung von Art und Umfang des Anspruchs gehe; im Übrigen sei nur der Insolvenzschuldner nach § 97 InsO zur Auskunft verpflichtet. Eine Abkehr hiervon durch das der Transparenz der Verwaltung dienende Informationsfreiheitsgesetz habe der Gesetzgeber nicht gewollt. § 97 InsO müsse daher als speziellere Norm nach § 1 Abs. 3 IFG der allgemeineren Vorschrift des § 1 Abs. 1 IFG vorgehen. Anderenfalls entstehe wegen der Notwendigkeit der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung eine Regelungslücke, die durch eine analoge Anwendung des § 3 Nr. 1 g) IFG zu schließen sei. Ein Anspruch auf Informationszugang bestehe danach schon dann nicht, wenn die Auskunft die Grundlagen für ein zivilgerichtliches Verfahren schaffen solle. Außerdem stünden dem Verlangen des Klägers die Ausschluss- gründe der §§ 3 Nr. 4 und 3 Nr. 6 sowie 6 IFG entgegen. Dessen Tätigkeit als Insolvenzverwalter begründe für ihn dabei keine Sonderstellung. Schließlich habe der Kläger nicht geltend gemacht, über die begehrten Informationen nicht zu verfügen, obwohl er insoweit darlegungspflichtig sei; sein Antrag könne daher auch nach § 9 Abs. 3 IFG abgelehnt werden. Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 16. Dezember 2009 die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen. -5-
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-5- Er verteidigt das angefochtene Urteil. Insbesondere bedarf es seiner Ansicht nach zur Wahrung der Einheit der Rechtsordnung keiner Beschränkung des Auskunftsanspruchs über den Wortlaut des Informationsfreiheitsgesetzes hinaus. Die weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten ergeben sich aus den zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze und den vorgelegten Verwaltungsvorgängen. Sämtliche Unterlagen sowie das Urteil des Senats vom 12. Februar 2010 – 10 A 11156/09.OVG - waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Entscheidungsgründe Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Erteilung der begehrten Auskunft zu Recht bejaht. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2009 und der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG. Hiernach hat jeder nach Maßgabe des Informationsfreiheitsgesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind gegeben. Der Kläger wird auch in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter als natürliche Person tätig und ist daher grundsätzlich anspruchsberechtigt. Als Rechtsträger des in die Hierarchie der Bundesfinanzverwaltung eingegliederten Hauptzollamtes Koblenz ist die Beklagte Anspruchsgegnerin. Die begehrte Auskunft betrifft die Voll- streckung rückständiger Beitragszahlungen an Sozialversicherungsträger, deren Aufzeichnung zur amtlichen Tätigkeit der Beklagten gehören (vgl. § 2 Nr. 1 IFG). Da der Senat der entsprechenden Begründung des Verwaltungsgerichts folgt, -6-
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-6- sieht er insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 130 b Satz 2 VwGO). Der hiernach eröffnete Anspruch auf Informationszugang durch Auskunftserteilung (vgl. hierzu § 1 Abs. 2 Satz 1 IFG) besteht unabhängig davon, aus welchem Interesse der Kläger diesen geltend macht. In der Begründung zum Gesetzentwurf des IFG wird der Zugang zur Information und die Transparenz behördlicher Entscheidungen als eine wichtige Voraussetzung für die effektive Wahrnehmung von Bürgerrechten angesehen. Das Informationsfreiheitsgesetz dient hiernach vor allem der demokratischen Meinungs- und Willensbildung, verbessert die Kontrolle staatlichen Handelns und ist insofern auch ein Mittel zur Korruptionsbekämpfung. Eine öffentliche Partizipation wird zudem, so die Begründung zum Entwurf des IFG, dazu beitragen, die Akzeptanz staatlichen Handelns zu stärken (BT-Drucks. 15/4493, S. 6). Da unabhängig von einer individuellen Betroffenheit Sachkennt- nisse entscheidende Voraussetzung für eine Beteiligung der Bürger an staatlichen Entscheidungsprozessen sind, ist der Informationsanspruch umfassend und voraussetzungslos (BT-Drucks. 15/4493, S. 1, 7); die Informationsfreiheit wird um ihrer selbst willen gewährt (vgl. Schoch, IFG, 2009, § 1 Rdnr. 19). Das mit der Informationserlangung verfolgte Ziel des Klägers – hier offenbar die Aufdeckung von nach dem Insolvenzrecht anfechtbaren Vermögensverschiebungen – ist demnach im Rahmen des § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG ohne Belang. Der somit grundsätzlich bestehende Informationsanspruch des Klägers ist nicht nach § 1 Abs. 3 IFG ausgeschlossen. Hiernach gehen Regelungen in anderen Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen mit Ausnahme des § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und des § 25 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch vor. Nur solche Vorschriften verdrängen nach der Formulierung des § 1 Abs. 3 IFG das Informationsfreiheitsgesetz, die denselben sachlichen Regelungsgegenstand, nämlich Zugang zu amtlichen Informationen, haben (vgl. BT-Drucks. 15/4493, S. 8: „Spezialgesetzliche Informationszugangsregelungen“). Die Begründung des Entwurfs des IFG nennt als Beispiele das Bundesarchiv- gesetz, das Umweltinformationsgesetz und das Stasi-Unterlagen-Gesetz. Vorrang haben darüber hinaus nur solche fachgesetzlichen Regelungen, die den identischen Sachverhalt abschließend – sei es in der gleichen Weise, sei es -7-
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-7- abweichend – regeln (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 12. Februar 2010 – 10 A 11156/09.OVG –, Juris und OVG NRW, Beschluss vom 28. Juli 2008 - 8 A 1548/07 -, Juris, sowie die Begründung zum Gesetzentwurf des Landes- informationsfreiheitsgesetzes Rheinland-Pfalz (LT-Drucks. 15/2085, S. 12). Die hier in Betracht kommenden insolvenz- und zivilrechtlichen Auskunftsrechte sowie § 30 der Abgabenordnung – AO – erfüllen diese Voraussetzungen nicht. §§ 97, 101 der Insolvenzordnung – InsO – regeln die Auskunfts- und Mitwirkungs- pflichten des Insolvenzschuldners bzw.           seiner Organe und Angestellten gegenüber dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem Gläubiger- ausschuss und auf Anordnung des Gerichts der Gläubigerversammlung. Damit treffen sie nicht nur zur Auskunftspflicht der Insolvenzgläubiger bzw. Dritter, die für die Insolvenzgläubiger vollstrecken, gegenüber dem Insolvenzverwalter keine Aussage, sondern verdrängen den Anspruch aus § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG schon deshalb nicht, weil ihr Regelungsgegenstand nicht der Zugang zu amtlichen Informationen ist. Vielmehr sind die über §§ 97, 101 InsO erlangbaren Informationen – wenn auch nicht immer im Einzelfall so doch typischerweise – nichtamtliche Aufzeichnungen von Privatpersonen (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 12. Februar 2010, a.a.O.; VG Stuttgart, Urteil vom 18. August 2009 - 8 K 1011/09 -, Juris; VG Hamburg, Urteil vom 23. April 2009 - 19 K 4199/07 -, Juris). Auch § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - schließt den Informations- zugangsanspruch des Klägers nicht aus. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Insolvenzverwalter nach dieser Vorschrift für die Insolvenzanfechtung grundsätzlich keine Auskunft von dem Insolvenzgläubiger – und folglich auch nicht von einem Dritten, der für diesen vollstreckt – verlangen. Etwas anderes gilt nur für den Fall, dass der Anfechtungsanspruch dem Grunde nach bereits feststeht (BGH, Urteil vom 6. Juni 1979 - VII ZR 255/78 -, Juris; Urteil vom 15. Januar 1987 - XI ZR 4/86 -, Juris). In Anbetracht des unspezifischen Regelungsgehalts des § 242 BGB stellt die Norm keine besondere Rechtsvor- schrift über den Zugang zu amtlichen Informationen im Sinne des § 1 Abs. 3 IFG dar. Vielmehr geht es bei der Bestimmung um die Art der Leistungsbewirkung im Zivilrechtsverkehr, nämlich nach Treu und Glauben. Bei der Ableitung eines -8-
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-8- Auskunftsanspruchs aus § 242 BGB handelt es sich um eine Fortbildung der Rechtsprechung, die § 242 BGB selbst nicht zu einer Informationszugangsnorm werden lässt (vgl. Schoch, a.a.O., § 1 IFG, Rdnr. 192 unter Verweis auf OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. Juni 2002 - 21 B 589/02 -, NVwZ-RR 2003, 800 sowie das Urteil des Senats vom 12. Februar 2010, a.a.O.). Selbst wenn aber die genannten insolvenzrechtlichen Auskunftsregelungen sowie § 242 BGB als vorrangige Vorschriften über den Informationszugang im Sinne des § 1 Abs. 3 IFG anzusehen wären, verdrängten sie nicht den Informationsanspruch aus § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG. Denn fachgesetzliche Spezialvorschriften gehen, wie dargelegt, nur vor, wenn und soweit sie den Informationszugang abschließend regeln. Das ist hier nicht der Fall. Den zitierten Vorschriften ist nicht zu entnehmen, dass (weitergehende) Informationsrechte des Insolvenzverwalters generell gesperrt sein sollen. §§ 97, 101 InsO sollen verhindern, dass der über alle das Insolvenzverfahren betreffenden Verhältnisse in der Regel am besten informierte Insolvenzschuldner bzw. seine Organe und Angestellten durch ihr Schweigen die Arbeit des Insolvenzverwalters und der weiteren genannten Personen und Gremien unnötig erschweren und Gläubigeransprüche über das vorhandene Maß hinaus weiter gefährdet werden. Die nach diesen Vorschriften anspruchsberechtigten Personen oder Einrichtungen sollen sich über die wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse des Schuldners umfassend informieren können, um im Hinblick auf die Gläubigerbefriedigung das Insolvenzverfahren sachgerecht und effektiv durchführen zu können. Ein auf § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG gestützter weitergehender Auskunftsanspruch läuft diesem Schutzzweck nicht entgegen. Vielmehr fördert er diesen Schutzzweck, indem er eine weitere Anreicherung der Insolvenzmasse wahrscheinlicher macht (vgl. Dauernheim/Behler/Heutz, Zip 2008, 2296, 2299). Ein abschließender Charakter lässt sich daher §§ 97, 101 InsO nicht entnehmen, auch nicht vor dem Hintergrund der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundes- gerichtshofs (Urteil vom 6. Juni 1979, a.a.O.; Urteil vom 15. Januar 1987, a.a.O.), nach welcher Auskunftsansprüche des Insolvenzverwalters im Hinblick auf eine mögliche Insolvenzanfechtung nur ausnahmsweise (nach § 242 BGB) bestehen. Der Bundesgerichtshof hat in den genannten Entscheidungen lediglich auf der -9-
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-9- Grundlage des damals geltenden Insolvenzrechts wegen des im Zivilprozessrecht geltenden Beibringungsgrundsatzes – danach ist es Sache der Partei, die notwendigen Tatsachenbehauptungen aufzustellen und Beweismittel zu benennen – die in den insolvenzrechtlichen Vorschriften geregelten Informationsrechte grundsätzlich als abschließend angesehen. Anhaltspunkte dafür, dass damit auch allgemeine Auskunftsansprüche ausgeschlossen sein könnten, finden sich in den Entscheidungen dagegen nicht. Vielmehr hat der Bundesgerichtshof das Ausforschungsverbot ausdrücklich als durch materiell-rechtliche Vorschriften überwindbar angesehen (Beschluss vom 7. Februar 2008 – IX ZB 137/07, Juris, m.w.N.). In seinem Urteil vom 13. August 2009 (Az.: IX ZR 58/06, Juris) hat er einen Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters gegenüber dem Finanzamt wegen des Verdachts anfechtbarer Zahlungen auf Steuerschulden auf der Grundlage      des   Informationszugangsgesetzes     Sachsen-Anhalt     nicht    von vornherein verneint, sondern lediglich ausgeführt, auf dieses Gesetz könne das Auskunftsbegehren schon deshalb nicht gestützt werden, weil das im Infor- mationszugangsgesetz vorgeschriebene Verwaltungsverfahren nicht durchgeführt worden sei. Im Übrigen hat der Gesetzgeber mit dem Informationsfreiheitsgesetz für die öffentliche Verwaltung das Prinzip der Aktenöffentlichkeit eingeführt, dem der    Gedanke      eines   Ausforschungsverbots     insoweit   fremd     ist.   Das Informationsfreiheitsgesetz ist Folge der Sonderstellung der öffentlichen Hand, die besondere Transparenzpflichten mit sich bringt. Diese besondere Pflichtenstellung bleibt auch dort bestehen, wo Teile der Staatsverwaltung im Einzelfall zugleich am Insolvenzverfahren als Insolvenzgläubiger teilnehmen bzw. für Insolvenzgläubiger im Rahmen der Vollstreckung tätig geworden sind. Das Informationsfreiheits- gesetz nimmt es in Kauf, dass dadurch Ansprüche aus der Insolvenzanfechtung gegen die öffentliche Hand – hier gegen Sozialversicherungsträger – unter erleichterten Bedingungen geltend gemacht werden können (vgl. das Urteil des Senats vom 12. Februar 2010, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Juli 2008, a.a.O.; VG Hamburg, Urteil vom 23. April 2009, a.a.O.); die „Einheit der Rechtsordnung“ wird daher entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten nicht tangiert. Als vorrangige Spezialvorschrift scheidet darüber hinaus auch § 30 AO, der das Steuergeheimnis regelt, aus. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Abgaben- - 10 -
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- 10 - ordnung bezüglich des Zugangs zu amtlichen Informationen eine abschließende Negativregelung getroffen hat (so BFH, Beschluss vom 9. Januar 2007 – VII B 134/05, 1141, Juris) oder ob § 30 AO selbst keine „andere Rechtsvorschrift über den Zugang zu amtlichen Informationen“ im Sinne des § 1 Abs. 3 IFG ist (so Schoch, a.a.O., § 1 IFG Rdnrn. 200 und 211). Denn das Steuergeheimnis ist hier nicht betroffen. Die Abgabenordnung findet gemäß deren § 1 Abs. 1 nur Anwen- dung auf Steuern, nicht aber auf Sozialversicherungsbeiträge. Nach alledem scheidet eine Verweigerung der begehrten Auskunft auf der Grundlage des § 1 Abs. 3 IFG aus. Der Anspruch des Klägers auf Informationszugang scheitert auch nicht an § 3 Nr. 1 g) IFG. Nach dieser Vorschrift ist der Antrag auf Informationszugang abzulehnen, wenn das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen (unter anderem) auf die Durchführung eines laufenden Gerichtsverfahrens haben kann. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor. Zum einen ist Zweck des § 3 Nr. 1 g) IFG – soweit es um Gerichtsverfahren geht – der Schutz der Rechtspflege. Geschützt wird das Gerichtsverfahren als „Institut der Rechtsfindung“ gegen negative Einflüsse, die von dem Informationszugang ausgehen können. Im Falle des Bekanntwerdens der Information muss mithin der Durchführung des gerichtlichen Verfahrens eine Beeinträchtigung drohen (vgl. Schoch, a.a.O., § 3 IFG, Rdnrn. 74, 89). Hierfür bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte, vielmehr stehen allenfalls Nachteile durch die Entscheidung in einem etwaigen Gerichtsverfahren zu befürchten. Zum anderen setzt § 3 Nr. 1 g) IFG nach seinem eindeutigen Wortlaut ein – hier nicht vorhandenes – laufendes Gerichtsverfahren voraus. Eine analoge Anwendung der Vorschrift im Wege des Erstrechtschlusses auf Fälle, in denen die Informationserlangung der Vorbereitung eines Gerichtsverfahrens dienen kann, scheidet entgegen der Rechtsansicht der Beklagten aus. Denn die Ausnahmetatbestände des § 3 IFG sind präzise und konkret formuliert. Sie sind, so die Begründung zum Gesetzentwurf des IFG (vgl. BT-Drs. 15/4493, S. 9), nach den üblichen Auslegungsregeln eng zu verstehen. Es besteht auch kein Bedürfnis für eine analoge Anwendung (so aber Cranshaw, Juris PR-InsR 17/2009 Anm. 4 mit der Begründung, der Gedanke des Ausforschungsverbotes gebiete eine Anwendung des Ausnahmetatbestandes - 11 -
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