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Aktenzeichen
9 K 2474/08
Datum
1. Oktober 2009
Gericht
Verwaltungsgericht Hamburg
Gesetz
Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG)
Informationsfreiheitsgesetz Bund (IFG)

Urteil: Verwaltungsgericht Hamburg am 1. Oktober 2009

9 K 2474/08

Ein Insolvenzverwalter hat gegenüber einem Träger der Sozialversicherung, bei dem Arbeitnehmer des Insolvenzschuldners versichert waren, Anspruch auf Informationen über die von diesem Träger vereinnahmten Beträge. Insbesondere steht dem Anspruch nicht entgegen, dass der Kläger mit der Auskunft seine Chance für eine zivilrechtliche Auseinandersetzung verbessern möchte, da dessen Anspruch unabhängig von der Interessenlage besteht. Der vom Informationsfreiheitsgesetz vorgesehene Schutz wirtschaftlicher Interessen der Sozialversicherung bezweckt zudem nicht die Abwehr materiell berechtigter Ansprüche nach dem Insolvenzrecht. Schutzgut des Ausnahmetatbestands bezüglich der Durchführung laufender Gerichtsverfahren ist lediglich der Schutz gegen negative Einflüsse auf die Rechtsfindung. Insolvenzrechtliche Vorschriften haben aufgrund ihres anderen Regelungsgegenstandes keinen Vorrang gegenüber dem Informationsfreiheitsgesetz. (Quelle: LDA Brandenburg)

Konkurrierende Rechtsvorschriften Schutz besonderer Verfahren Fiskalische Interessen

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9 K 2474/08 Verwaltungsgericht Hamburg Urteil Im Namen des Volkes In der Verwaltungsrechtssache xxx - Kläger - gegen xxx, An Verkündungs                                                                - Beklagte - statt zugestellt. Prozessbevollmächtigter: xxx hat das Verwaltungsgericht Hamburg, Kammer 9, aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1. Oktober 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht die Richterin am Verwaltungsgericht den Richter am Verwaltungsgericht die ehrenamtliche Richterin den ehrenamtlichen Richter für Recht erkannt: Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 13.02.2008 und des Wider- spruchsbescheides vom 19.05.2009 verpflichtet, dem Kläger Auskunft über die bei der Beklagten vorhandenen amtlichen Informationen darüber zu geben, auf welche Weise sie welche Beträge von der Firma xxx, seit dem 1. Mai 2007 vereinnahmt hat. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstre- ckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet. Die Berufung wird zugelassen.
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-2- Rechtsmittelbelehrung: Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht zu. Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Hamburg, Lübeckertor- damm 4, 20099 Hamburg, einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Hamburgischen Oberverwaltungsgericht, Lübeckertordamm 4, 20099 Hamburg, einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begrün- dung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt zuge- lassen. Ferner sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bezeichne- ten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zugelassen. Ergänzend wird wegen der weiteren Ein- zelheiten auf § 67 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 und Abs. 5 VwGO verwiesen. Auf die Möglichkeit der Sprungrevision nach § 134 VwGO wird hingewiesen. Tatbestand: Der Kläger begehrt von der Beklagten Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Der Kläger ist durch Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 10. September 2007 (Az.:xxx) zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma xxx bestellt worden. Ar- beitnehmer der Insolvenzschuldnerin waren bei der Beklagten gesetzlich versichert. Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 4. Dezember 2007 auf, mitzuteilen, welche Beträge durch sie seit dem 1. Mai 2007 von der Insolvenzschuldnerin vereinnahmt wurden. Da ihm betriebswirtschaftliche Unterlagen nicht vorlägen, sei er auf die Auskünfte angewiesen. Die Beklagte verweigerte die Auskunft mit Schreiben vom 7. Dezember 2007 sowie vom 13. Februar 2008. Ein Auskunftsanspruch ihr gegenüber bestehe nach § 97 Insolvenzord- nung nicht. Dagegen wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 18. Februar 2008, dem die Beklagte mit Schreiben vom 6. März 2008 jedoch nicht abhalf. -3-
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-3- Der Kläger hat am 10. September 2008 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, er habe nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informatio- nen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz – IFG -) Anspruch auf Zugang zu den Infor- mationen. Die Beklagte als bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts un- terliege der für jede Bundesbehörde bestehenden und im öffentlichen Recht begründeten Verpflichtung, jedem auf einen entsprechenden Antrag hin Zugang zu den bei ihr vorhan- denen amtlichen Informationen zu gewähren. Er ist der Auffassung, dass Fragen des Krankenversicherungsrechts in keiner Weise berührt würden und der Auskunftsanspruch gemäß IFG nicht subsidiär sei. Es sei im vorliegenden Insolvenzverfahren nicht möglich, alle Informationen von der Insolvenzschuldnerin zu erhalten. Buchhaltungsunterlagen seien nur eingeschränkt vorhanden, Kassenbücher in den letzten Monaten vor Beantra- gung des Insolvenzverfahrens überhaupt nicht mehr geführt worden und der Geschäfts- führer der Insolvenzschuldnerin sei unbekannt verzogen. Es sei daher nicht nachvollzieh- bar, welche Gelder in welcher Art und Weise an welche Gläubiger geflossen seien. Die Beklagte hat demgegenüber die Klage für unzulässig gehalten und die sachliche Zu- ständigkeit des angerufenen Verwaltungsgerichts gerügt, da nach ihrer Auffassung das Sozialgericht Hamburg zuständig sei. Das Verwaltungsgericht Hamburg hat durch Beschluss vom 27. November 2008 den zum Verwaltungsgericht beschrittenen Rechtsweg für zulässig erklärt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss Bezug genommen. Mit ihrer dagegen erhobenen Beschwerde hat die Beklagte geltend gemacht, die Klage diene ausschließlich dazu, etwaige Ansprüche auf Erstattung unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung vorzubereiten. § 97 Insolvenzordnung regele abschließend, dass lediglich der Schuldner zur Auskunft gegenüber dem Insolvenzverwalter verpflichtet sei, nicht aber der potentielle Anfechtungsgegner. Diese spezielle Regelung gehe den allgemeinen Bestimmungen des IFG vor. So sei es auch in der insolvenzrechtlichen Rechtsprechung einhellige Meinung, dass es einen allgemeinen Auskunftsanspruch nicht gebe. Die Berufung auf Bestimmungen des IFG sei rechtsmissbräuchlich und könne we- der den Anspruch selbst begründen noch den Rechtsweg zur Verwaltungsgerichtsbarkeit eröffnen. Auch hätten der BGH (Beschl. vom 07.02.2008, IX ZB 137/07) und das OLG Hamburg (Urt. v. 05.10.2007, 1 U 40/06) entschieden, dass es keine materielle Verpflich- -4-
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-4- tung zur Auskunft über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs gegen sich selbst geben könne. Der vorzubereitende Anspruch des Klägers ziele auch nicht lediglich auf eine schlichte Erstattung von Beiträgen, sondern auf eine Reduktion der Beitragspflicht der Schuldnerin ab. Falls anfechtungsrechtlich erhebliche Zahlungen fest- gestellt und die Beklagte zur Erstattung verpflichtet sein sollte, finde eine Erstattung in das Vermögen der Schuldnerin nach der Insolvenzordnung statt. Dies würde zu einer vom Beitragsrecht nicht vorgesehenen Entlastung der Schuldnerin, die Beiträge abzuführen, führen. Der Kläger hat demgegenüber vorgetragen, dass er sehr wohl verpflichtet sei, im Rahmen seiner Möglichkeiten wirtschaftliche Vorgänge in der Vergangenheit aufzuarbeiten. Auch treffe ihn insbesondere die Pflicht, Steuererklärungen auch für die Vergangenheit abzugeben. Außerdem könnten sich aus entsprechenden Zahlungen neben Anfechtungs- ansprüchen auch sonstige Ansprüche ergeben, zum Beispiel gegen den Geschäftsführer. Gerade im vorliegenden Insolvenzverfahren würden nicht unerhebliche Ansprüche gegen den ehemaligen Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin geltend gemacht. Zur Begrün- dung etwaiger Ansprüche sei eine Aufklärung der wirtschaftlichen Lage der Insolvenz- schuldnerin vor der Beantragung des Insolvenzverfahrens unerlässlich. § 97 Insolvenz- ordnung regele ausschließlich die Rechtsbeziehung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Schuldner. Sonstige Auskunftsansprüche würden hierdurch nicht berührt. Er nehme hier im Rahmen des IFG die frühere Stellung des Schuldners ein und habe daher ein uneingeschränktes Auskunftsrecht. Die von der Beklagten zitierten Entscheidungen des BGH und des OLG Hamburg seien nicht einschlägig. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hat die Beschwerde der Beklagten mit Be- schluss vom 16. Februar 2009 (5 So 31/09) zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss Bezug genommen. Nach dem Hinweis des Gerichts, dass ein Widerspruchsverfahren erforderlich sei, legte der Kläger sein Schreiben vom 18. Februar 2008 gegen die Ablehnung der Auskunft und die ablehnende Antwort der Beklagten vom 6. März 2008 vor. Mit Schreiben vom 4. De- zember 2008 erhob der Kläger nochmals förmlich Widerspruch und beantragte, ihm die begehrte Auskunft zu erteilen. -5-
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-5- Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei zweifelhaft, ob der Anwendungsbereich des § 1 IFG eröffnet sei. Das Gesetz gelte gegenüber den Behörden des Bundes sowie für sonstige Bundesorgane- und einrichtun- gen. Die Beklagte als Sozialversicherungsträger sei bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts mit dem Recht der Selbstverwaltung und daher weder eine Behörde des Bundes noch eine Bundeseinrichtung. Selbst wenn sie in den Anwendungsbereich mit einbezogen wäre, bestehe aber kein Auskunftsanspruch, da die Regelung des § 9 Abs. 3 IFG entgegenstehe. Der Kläger als Insolvenzverwalter habe nach einer spezialge- setzlichen Vorschrift, nämlich § 97 Insolvenzordnung, einen Auskunftsanspruch gegen den oder die ehemaligen Verantwortlichen der Gemeinschuldnerin. Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.02.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2009 zu verpflichten, ihm Auskunft über die bei der Beklagten vorhandenen amtlichen Informationen zu erteilen, welche Beträ- ge durch die Beklagte auf welche Weise von der Firma xxx, seit dem 01.05.2007 vereinnahmt wurden. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie bezieht sich ergänzend auf das Urteil des BGH vom 13. August 2009, IX ZR 58/06. -6-
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-6- Eine Sachakte hat die Beklagte trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Sie verweist darauf, dass der Kläger die hier relevanten Schriftstücke eingereicht habe. Entscheidungsgründe: I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist der zum Verwaltungsgericht beschrittene Rechts- weg zulässig (s. Beschl. v. 27.11.2008; OVG Hamburg, Beschl. v. 16.02.2009, 5 So 31/09). II. Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Dem Kläger steht der geltend gemachte Aus- kunftsanspruch nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informatio- nen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz – IFG –) vom 05.09.2005 (BGBl. I, S. 2722) zu. Die Beklagte war daher unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 13. Feb- ruar 2008 und des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2009 zur Erteilung der bean- tragten Auskünfte zu verpflichten (§ 113 Abs. 5, Satz 1 VwGO). 1.      Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegen- über den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Der Kläger ist anspruchsberechtigt, obgleich er die Auskunft nicht in seiner Eigenschaft als Privatperson, sondern in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter und damit als Amtsträger begehrt. Der Insolvenzverwalter übt nach der in der Rechtsprechung und Lite- ratur überwiegend vertretenen Amtstheorie kraft eines ihm übertragenen (privaten) Amtes die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse im eigenen Namen aus. Er handelt als Partei kraft Amtes, bzw. Amtstreuhänder im eigenen Namen. Damit wird er als natürliche Person tätig und gehört somit zum Kreis der nach § 1 Abs. 1 Satz 1 -7-
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-7- IFG Anspruchsberechtigten (vgl.: OVG Münster, Beschl. v. 28.07.2008, 8 A 1548/07, Ju- ris; VG Hamburg, Urt. v. 23.04.2009, 19 K 4199/07, Juris; VG Stuttgart, Urt. v. 18.08.2009, 8 K 1011/09, Juris). Entgegen ihrer Auffassung ist die Beklagte auch anspruchsverpflichtet. Der Informations- anspruch nach § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG richtet sich gegen die Behörden des Bundes, wobei der Behördenbegriff dem des § 1 Abs. 4 VwVfG entspricht (vgl. Begründung zum Geset- zesentwurf, BT-Drucks. 15/4493 zu § 1 Abs. 1 Satz 1, S. 7). Danach ist Behörde jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Die Beklagte nimmt als bun- desunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß Art. 87 Abs. 2 Satz 1, 86 GG Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr. Denn als bundesunmittelbare Körper- schaften des öffentlichen Rechts werden diejenigen sozialen Versicherungsträger geführt, deren Zuständigkeitsbereich sich – wie bei der Beklagten – über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt. Der Anspruch besteht auf Zugang zu „amtlichen Informationen“ nach § 1 Abs. 1 i.V.m. § 2 Nr. 1 IFG. Dabei handelt es sich um jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung, unabhängig von der Art ihrer Speicherung (§ 2 Nr. 1 IFG). Der Kläger begehrt Informatio- nen über Vorgänge, nämlich Beitragszahlungen zum Beitragskonto der Insolvenzschuld- nerin bei der Beklagten. Hierbei handelt es sich um „amtliche Informationen“ im Sinne dieser Vorschrift. Denn Aufzeichnungen über diese Beitragszahlungen erfolgten im Hin- blick auf die der Beklagten als Sozialversicherungsträger übertragenen Zuständigkeiten der öffentlichen Verwaltung und somit zu einem amtlichen Zweck. Insbesondere steht dem Anspruch nicht entgegen, dass der Kläger später unter Umstän- den Anfechtungsansprüche gegen die Beklagte geltend machen will und mit der Auskunft seine Chancen für eine zivilrechtliche Auseinandersetzung verbessert werden (OVG Münster, Beschl. v. 28.07.2008, a.a.O.; VG Hamburg, Urt. v. 23.04.2009, a.a.O.). Denn der Anspruch des Klägers auf Information besteht unabhängig davon, aus welchem Inte- resse dieser geltend gemacht wird. Nach der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 1 IFG ist klargestellt, dass die Grundnorm des Informationsfreiheitsgesetzes einen „freien, voraus- setzungslosen Informationsanspruch“ gewährt (BT-Drucks. 15/4493, zu § 1, S. 7). Der Gesetzgeber betont, dass jeder gegenüber den Behörden und Einrichtungen des Bundes einen Anspruch auf Informationen haben (soll), „ohne hierfür ein rechtliches oder berech- -8-
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-8- tigtes Interesse“ geltend machen zu müssen. Danach ist das jeweils verfolgte Interesse nach dem Willen des Gesetzgebers für den Informationszugang von vornherein irrelevant. Ebenso wenig ist eine in diesem Sinne einschränkende Auslegung der Grundnorm mit der Gesetzessystematik zu vereinbaren. Das Gesetz sieht ein Regel-Ausnahme-Verhältnis vor: Der Informationszugang ist grundsätzlich unbegrenzt, er kann nur in den besonders geregelten Fällen ausgeschlossen werden. Die Ausnahmetatbestände sind konkret und präzise und damit eng auszulegen (vgl. BT-Drucks. 15/4493, zu §§ 3 – 6, S. 9). Insofern kann das im Gesetz vorgesehene Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht in der Weise durch- brochen werden, dass § 1 Abs. 1 IFG teleologisch reduziert wird, damit über die in den §§ 3 ff. IFG geregelten Fälle hinaus weiterreichende Ausnahmen geschaffen werden (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 23.04.2009, a.a.O.). 2. Der Informationsanspruch ist nicht gemäß § 1 Abs. 3 IFG ausgeschlossen. Zwar gehen danach Regelungen in anderen Rechtsvorschriften über den Zugang zu amt- lichen Informationen mit Ausnahme des § 29 VwVfG und des § 25 SGB X vor. Doch zäh- len die speziellen insolvenzrechtlichen Auskunftsansprüche (§§ 20, 97 Insolvenzordnung) nicht zu den vorrangigen Regelungen im Sinne von § 1 Abs. 3 IFG. Danach gehen dem Informationsfreiheitsgesetz nur solche Rechtsvorschriften vor, die den Zugang zu amtlichen Informationen regeln. Damit können nur solche Vorschriften das Informationsfreiheitsgesetz verdrängen, die – abstrakt – den identischen sachlichen Re- gelungsgegenstand haben wie der § 1 Abs. 1 IFG. Die vorrangige Rechtsvorschrift muss deshalb erstens Informationsrechte regeln, die nicht nur im Einzelfall, sondern ausschließ- lich oder jedenfalls typischerweise den Zugang zu amtlichen Aufzeichnungen gestatten. Außerdem muss sie Informationsrechte vorsehen, die nicht nur im Einzelfall, sondern aus- schließlich oder typischerweise an eine Behörde im Sinne von § 1 Abs. 1 IFG zu adressie- ren sind. Diese Voraussetzungen erfüllen die insolvenzrechtlichen Auskunfts- und Mitwirkungsvor- schriften in §§ 20, 97 Insolvenzordnung nicht. Sie regeln nicht den Zugang zu amtlichen Informationen bei einer Behörde im Sinne von § 1 Abs. 1 IFG (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 23. 04.2009, a.a.O.). § 97 Insolvenzordnung regelt lediglich die Auskunfts- und Mitwir- kungspflichten des Insolvenzschuldners gegenüber dem Insolvenzgericht, dem Insolvenz- verwalter, dem Gläubigerausschuss und auf Anordnung des Gerichts der Gläubigerver- sammlung. Ebenso regelt § 20 Insolvenzordnung nur die Auskunftspflicht des Schuldners -9-
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-9- im Eröffnungsverfahren gegenüber dem Insolvenzgericht bzw. einen vom Gericht einge- setzten vorläufigen Insolvenzverwalter nach § 22 Abs. 3 Insolvenzordnung. Der Informationsanspruch nach dem IFG läuft auch nicht dem Schutzzweck der Insol- venzordnung entgegen. Durch die Zuerkennung des Auskunftsanspruchs nach dem IFG wird das Auskunftsrecht des Insolvenzverwalters nicht über die Regelungen der Insol- venzverordnung hinaus erweitert. Mit der Geltendmachung eines derartigen Anspruchs macht er sich allein den Umstand zunutze, dass die Beklagte als bundesunmittelbare Kör- perschaft des öffentlichen Rechts der für jede Bundesbehörde bestehenden und im öffent- lichen Recht begründeten Verpflichtung unterliegt, jedem auf einen entsprechenden An- trag hin Zugang zu den bei ihr vorhandenen amtlichen Informationen zu gewähren. Der Anspruch findet also gerade in der besonderen Stellung der Beklagten als Bundesbehör- de seine Grundlage. In Anbetracht dessen sind keine Umstände ersichtlich, die es recht- fertigen könnten, dass die Beklagte einem Insolvenzverwalter gegenüber von der ihr all- gemein obliegenden Verpflichtung befreit sein sollte (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 28.07.2008, a.a.O.). 3.   Der Anspruch des Klägers ist auch nicht nach § 3 Ziffer 6 IFG ausgeschlossen. Da- nach besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn das Bekanntwerden der Informationen geeignet wäre, fiskalische Interessen des Bundes im Wirtschaftsverkehr (erste Alternative) oder wirtschaftliche Interessen der Sozialversicherung (zweite Alterna- tive) zu beeinträchtigen. Die nach der ersten Alternative geschützten fiskalischen Interes- sen des Bundes im Wirtschaftsverkehr sind nur dort berührt, wo der Staat wie ein Dritter als Marktteilnehmer am Privatrechtsverkehr teilnimmt und seine Informationen ebenso schutzwürdig wie die Privater sind. Insofern liefert § 3 Nr. 6 IFG die Entsprechung zu § 6 IFG (vgl. BT-Drucks. 15/4493 zu § 3 Nr. 6, S. 11). Zu den geschützten fiskalischen Inte- ressen gehört aber nicht die Abwehr materiell berechtigter Ansprüche nach dem Insol- venzrecht. Die Informationen dürfen nur zurückgehalten werden, soweit der Behörde Wettbewerbsnachteile drohen. Für die nach der zweiten Alternative geschützten wirt- schaftlichen Interessen der Sozialversicherung gilt nichts anderes. Die Sozialversiche- rungsträger werden nicht generell von dem Informationsfreiheitsgesetz ausgenommen. Eine solche Bereichsausnahme für bestimmte Teile der Verwaltung (hier die Sozialversi- cherungsträger) ist mit dem Anspruch auf Informationsfreiheit (§ 1 Abs. 1 IFG) nicht zu - 10 -
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- 10 - vereinbaren. Vielmehr schützt die Vorschrift die Träger der Sozialversicherung im Wirt- schaftsverkehr. Sie sichert Informationen im Wettbewerb der gesetzlichen Krankenkassen untereinander und im Wettbewerb zu den privaten Krankenversicherungen (BT-Drucks. 15/5606, S. 6). Informationen dürfen danach nur zurückgehalten werden, soweit der ge- setzlichen Krankenkasse Nachteile im Wettbewerb drohen. Davon kann aber nicht die Rede sein, weil alle gesetzlichen Krankenkassen insoweit gleich behandelt werden. Gegenstand des Auskunftsverlangens sind bestimmte Zahlungs- und Vollstreckungsvor- gänge. Diese Informationen lassen aber keine Rückschlüsse zu auf die Struktur der Mit- glieder, auf die Vertragsgestaltung oder auf sonstige Leistungsdaten, die im Wettbewerb der Krankenkassen relevant sind (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 23.04.2009, a.a.O.). Im Übri- gen sind die Beitragseinnahmen der Sozialversicherungsträger (mit Ausnahme der Ar- beitnehmeranteile nach § 28 e Abs. 1 S. 2 SGB 4 in der ab 1. 1. 2008 geltenden F.) insol- venzrechtlich nicht bevorrechtigt oder besonders geschützt. 4.   Der Anspruch auf Informationszugang ist auch nicht nach § 3 Nr. 1 g IFG ausge- schlossen. Danach besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn das Be- kanntwerden der Informationen nachteilige Auswirkungen haben kann auf die Durchfüh- rung eines laufenden Gerichtsverfahrens, den Anspruch einer Person auf ein faires Ver- fahren oder die Durchführung strafrechtlicher, ordnungswidrigkeitsrechtlicher oder diszi- plinarischer Ermittlungen. Die Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Schutzgüter dieser Norm sind die Rechtspfle- ge und der Gesetzesvollzug. Es werden das Gerichtsverfahren und das Verwaltungsver- fahren als – jeweiliges – „Institut der Rechtsfindung“ gegen negative Einflüsse, die von dem Informationszugang ausgehen könnten, geschützt (Schoch, IFG, Kommentar, 2009, § 3 Rn 74). Dieses steht hier jedoch nicht in Frage. Zudem liegt ein „laufendes“ Verfahren hier nicht vor. Laufend ist ein Gerichtsverfahren, wenn die Klage bereits anhängig und das Verfahren noch nicht beendet ist. Die Beklagte hat vielmehr die Sorge, für ein etwa bevorstehendes Anfechtungsverfahren prozessual Nachteile im Verhältnis zu privaten Insolvenzgläubigern zu erleiden. Dieses führt jedoch nicht zu dem Ausschluss nach § 3 Ziffer 1 g IFG. Ein Ausschluss von dem Informationszugang für ein bevorstehendes Verfahren ist nicht gerechtfertigt (vgl.: Jastrow/Schlatmann, Informationsfreiheitsgesetz, Kommentar, 2006, § 3 Rn 62; Schoch, - 11 -
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