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Aktenzeichen
26 K 2066/08
Datum
17. Oktober 2008
Gericht
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Gesetz
Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG)
Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG)

Urteil: Verwaltungsgericht Düsseldorf am 17. Oktober 2008

26 K 2066/08

Ein Deichverband ist verpflichtet, ein im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahren gegen ein Ingenieurbüro erstelltes Sachverständigengutachten als Fotokopie herauszugeben. Eine erhebliche Beeinträchtigung des Beweissicherungsverfahrens ist durch die Offenlegung nicht ersichtlich. § 299 Abs. 2 Zivilprozessordnung ist zudem keine besondere Rechtsvorschrift im Sinne des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen, die einer Akteneinsicht entgegenstünde. (Quelle: LDA Brandenburg)

Konkurrierende Rechtsvorschriften Schutz besonderer Verfahren

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Verwaltungsgericht Düsseldorf, 26 K 2066/08                                         Seite 1 von 5 Verwaltungsgericht Düsseldorf, 26 K 2066/08 Datum:                   17.10.2008 Gericht:                 Verwaltungsgericht Düsseldorf Spruchkörper:            26. Kammer Entscheidungsart:        Urteil Aktenzeichen:            26 K 2066/08 Tenor:                   Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 8. Januar 2008 verpflichtet, dem Kläger auf seinen Antrag vom 20. Dezember 2007 hin eine Kopie des Sachverständigengutachtens E im selbstständigen Beweisverfahren „Deichverband E1/A ./. Ingenieurbüro S“ vor dem Landgericht Düsseldorf zu gewähren. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. Tatbestand:                                                                                 1 Seit Ende des Jahres 2004 betreibt der Beklagte vor dem Landgericht                         2 Düsseldorf ein selbstständiges Beweissicherungsverfahren betreffend Mängel der in der zweiten Hälfte der 1990-er Jahre durchgeführten Deichsanierungsarbeiten zwischen E1-A und E1-T. Im Rahmen dieses Beweissicherungsverfahrens wurde durch den Gutachter E ein Sachverständigengutachten erstellt. Unter dem 20. Dezember 2007 beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf das IFG NRW bei dem Beklagten, ihm "Akteneinsicht in das erste Gutachten des Herrn Sachverständigen E" zu gewähren und bat um Zusendung einer Kopie des Gutachtens. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenem Bescheid vom 8. Januar 2008 ab. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus: Der Antrag sei gemäß § 6 S. 1 b) IFG NRW abzulehnen, da durch die Bekanntgabe des Gutachtens der Verfahrensablauf eines anhängigen Verwaltungsverfahrens erheblich beeinträchtigt würde. In einem Gutachten der vorliegend fraglichen Art würden zwangsläufig nicht nur Sachinformationen, sondern auch Ursachen und damit zusammenhängend Verantwortlichkeiten dargestellt. Auch gäbe es keine diesbezügliche öffentliche Verhandlung. Zudem enthalte das Gutachten einige Unklarheiten, die strittig geklärt werden müssten, und diesbezügliche Gespräche zwischen den Vertretern aller Parteien hätten gerade erst begonnen. Er, der Beklagte, sei bemüht, eine zufriedenstellende Lösung zu erreichen. Dabei könne der Verfahrensablauf durch öffentliche http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_duesseldorf/j2008/26_K_2066_08urteil20081... 09.12.2009
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Verwaltungsgericht Düsseldorf, 26 K 2066/08                                       Seite 2 von 5 Diskussionen erheblich beeinträchtigt werden. Unmittelbar nach vollständiger Klärung aller noch ausstehender Fragen könne eine Information der Öffentlichkeit über das Ergebnis des Beweissicherungsverfahrens erfolgen. Unabhängig vom allgemeinen Inhalt des Gutachtens könne aber mitgeteilt werden, dass das Gutachten die Sicherheit der Hochwasserschutzeinrichtung bestätigt habe. Der Kläger hat am 12. März 2008 die vorliegende Klage erhoben, zu deren                   3 Begründung er im wesentlichen geltend macht: Einer Offenlegung des Aktenvorganges entgegenstehende Ablehnungsgründe seien nicht ersichtlich. § 6 S. 1 b) IFG NRW erfasse die privatrechtliche Auseinandersetzung des Beklagten mit einem Dritten vor einem Zivilgericht gerade nicht. Ob eine analoge Anwendung möglich sei, könne dahinstehen, da jedenfalls durch eine Informationserteilung keine erhebliche Beeinträchtigung des Verfahrensablaufes erfolgen werde. Im übrigen würde durch eine öffentliche Diskussion die vom IFG NRW bezweckte Transparenz des Verwaltungshandelns vielmehr positiv gefördert. In dem Gutachten etwa enthaltene Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse der Beteiligten oder Dritter könnten geschwärzt werden. Auch urheberrechtliche Gesichtspunkte stünden dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen, da das Urheberrecht den Urheber vor einer unbefugten Benutzung seines Werkes schütze, eine Einsichtnahme in dasselbe aber ohne weiteres zulasse. Die Verweigerung des Beklagten sei umso verwunderlicher, als bereits zwei Bauschadengutachten existierten, die öffentlich bekannt seien. Der Kläger beantragt,                                                                     4 den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom                                 5 8. Januar 2008 zu verpflichten, ihm Einsicht in das "Sachverständigengutachten E im selbstständigen Beweisverfahren Deichverband E1/A ./. Ingenieurbüro S vor dem Landgericht Düsseldorf" zu gewähren. Der Beklagte beantragt,                                                                   6 die Klage abzuweisen.                                                               7 Zur Begründung führt er im wesentlichen aus: Schon die Voraussetzungen des §              8 4 Abs. 1 IFG NRW lägen nicht vor. Das Beweissicherungsverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf sei noch nicht abgeschlossen, da der Gutachter noch zahlreiche dem Landgericht eingereichte Fragestellungen zu beantworten habe. Auch könne es in einer laufenden zivilprozessualen Auseinandersetzung kein Einsichtsrecht Dritter in die Gerichtsakte geben. Dies folge aus § 299 Abs. 2 ZPO. Die in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommende bundesrechtliche Wertung könne nicht durch eine landesrechtliche Bestimmung unterlaufen werden. Zudem liege der Versagungsgrund des § 6 Abs. 1 b) IFG NRW vor. Diese Bestimmung sei analog auf anhängige sonstige Gerichtsverfahren anwendbar, da es auch hier um den "Schutz der Rechtsdurchsetzung" gehe. Andernfalls sei zu befürchten, dass zivil- oder strafrechtliche Verfahren massiv beeinträchtigt werden könnten, etwa durch Beeinflussung benannter Zeugen. Vorliegend könnten z. B. Außenstehende nach Kenntnis des Gutachtens Kontakt http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_duesseldorf/j2008/26_K_2066_08urteil20081... 09.12.2009
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Verwaltungsgericht Düsseldorf, 26 K 2066/08                                           Seite 3 von 5 zum Gutachter aufnehmen, um ihn bei den anstehenden Ergänzungsbegutachtungen zu beeinflussen. Wegen des weiteren Vorbringens der Verfahrensbeteiligten und des                              9 Sachverhaltes im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen. Entscheidungsgründe:                                                                         10 Die Klage ist zulässig. Zwar muss gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO dann, wenn                     11 ein Widerspruchsbescheid – wie vorliegend – nicht erforderlich ist, die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden. Jedoch bestimmt § 58 Abs. 1 VwGO, dass die Frist für ein Rechtsmittel ... nur zu laufen beginnt, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, ... das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich ... belehrt worden ist; ist dies nicht der Fall, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs gemäß § 58 Abs. 2 innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Da der Bescheid des Beklagten vom 8. Januar 2008 nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, ist die am 12. März 2008 erhobene Klage fristgerecht erhoben. Die Klage ist auch begründet. Der das Informationsbegehren des Klägers                       12 ablehnende Bescheid des Beklagten vom 8. Januar 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung der begehrten Information durch Übersendung einer Kopie des Sachverständigengutachtens E im selbstständigen Beweisverfahren "Deichverband E1/A ./. Ingenieurbüro S" vor dem Landgericht Düsseldorf (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Gemäß § 4 Abs. 1 IFG NRW hat jede natürliche Person nach Maßgabe dieses                      13 Gesetzes gegenüber den in § 2 genannten Stellenanspruch auf Zugang zu den bei der Stelle vorhandenen amtlichen Informationen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind vorliegend erfüllt. Der Beklagte ist gemäß § 1 Abs. 1 Wasserverbandsgesetz (WVG) eine Körperschaft des öffentlichen Recht und gemäß § 72 Abs. 1 S. 1 WVG i.V.m. § 1 der Verordnung über zuständige Aufsichtsbehörden nach dem Gesetz über Wasser- und Bodenverbände vom 14. Juli 1992 (SGV.NRW 77) untersteht er der Aufsicht des Landes; er ist damit eine Stelle i.S. des § 2 IFG NRW. Der Kläger ist schließlich auch eine natürliche Person und das von diesem zur Einsicht begehrte Gutachten ist bei dem Beklagten vorhanden. Es handelt sich bei dem Gutachten schließlich auch um eine amtliche Information, da es dem Beklagten anlässlich der Erfüllung seiner gesetzlich zugewiesenen Aufgabenwahrnehmung zugegangen ist. Dem Informationsbegehren des Klägers stehen schließlich auch nicht besondere                 14 Rechtsvorschriften i.S. des § 4 Abs. 2 S. 1 IFG NRW entgegen. Insbesondere handelt es sich bei der von dem Beklagten angeführten Vorschrift des § 299 Abs. 2 ZPO nicht um eine solche besondere Rechtsvorschrift. Gemäß § 299 Abs. 2 ZPO kann der Vorstand des Gerichts dritten Personen ohne Einwilligung der Parteien die Einsicht der (Prozess-) Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. – "Besondere Rechtsvorschriften" i.S. des § 4 Abs. 2 S. 1 IFG NRW können – dies zeigt schon der Wortlaut der Vorschrift – nur solche sein, die den selben Sachverhalt abschließend – sei es http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_duesseldorf/j2008/26_K_2066_08urteil20081... 09.12.2009
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Verwaltungsgericht Düsseldorf, 26 K 2066/08                                       Seite 4 von 5 identisch, sei es abweichend – regeln. Um die Bestimmung des Verhältnisses verschiedener Informationszugangsrechte untereinander vornehmen zu können, müssen vor allem deren jeweilige Regelungsmaterien berücksichtigt werden. Eine Vorrangigkeit kann nur dort angenommen werden, wo die jeweiligen Rechte die gleichen Anliegen verfolgen und/oder identische Zielgruppen erfassen. Eine besondere Rechtsvorschrift i.S. des § 4 Abs. 2 S. 1 IFG NRW liegt daher nur dann vor, wenn ihr Anwendungsbereich in sachlicher Hinsicht wegen spezifischer Anforderungen an die Information, die der Rechtsvorschrift unterfallen, und/oder in persönlicher Hinsicht wegen spezifischer Anforderungen an die Person, auf welche die Rechtsvorschrift Anwendung findet, beschränkt ist. Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. Januar 2005 – 21 B 1487/04 –.                         15 Hiervon ausgehend sperrt § 299 Abs. 2 ZPO das vorliegend                                 16 streitgegenständliche Begehren des Klägers nicht. Denn der Kläger begehrt (lediglich) die Aushändigung der Kopie eines bestimmten im gerichtlichen Beweissicherungsverfahren erstellten Sachverständigengutachtens, über das der Beklagte als Antragsteller des Beweissicherungsverfahrens verfügt. Demgegenüber wendet sich § 299 Abs. 2 ZPO nicht nur an das Gericht; die Vorschrift regelt vielmehr die Offenbarung der Prozessakte und damit des gesamten Streitstoffes einschließlich etwaiger richterlicher Hinweis- oder sonstiger Verfügungen an einen nicht am Verfahren beteiligten Dritten und damit einen Lebenssacherhalt, der mit dem Begehren des Klägers nicht vergleichbar ist. Damit kann aber § 299 Abs. 2 ZPO nicht als besondere Rechtsvorschrift i.S. des § 4 Abs. 2 S. 1 IFG NRW angesehen werden. Dem Begehren des Klägers steht schließlich auch nicht der allein noch in                 17 Betracht zu ziehende Ablehnungsgrund des § 6 S. 1 b) IFG NRW entgegen. Nach dieser Vorschrift ist der Antrag auf Informationszugang abzulehnen, soweit und solange durch die Bekanntgabe der Information der Verfahrensablauf eines anhängigen Verwaltungsverfahrens, eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens, eines Disziplinarverfahrens oder der Erfolg einer bevorstehenden behördlichen Maßnahme erheblich beeinträchtigt würde. Vorliegend kann offen bleiben, ob diese Bestimmung auf gerichtliche Verfahren, die in ihr ausdrücklich nicht aufgeführt sind, ungeachtet des Umstandes, dass die Ablehnungsgründe des IFG NRW grundsätzlich eng auszulegen sind, vgl. Landtagsdrucksache 13/1311 vom 12. Juni 2001, S. 9 zu § 6,                       18 analog angewandt werden kann.                                                            19 Bejahend: Franßen/Seidel, Das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-                  20 Westfalen, 2007, § 6 Rdn. 788. In diese Richtung auch Landtagsdrucksache 13/1311, wie vor, in der es ohne weitere nähere Begründung heißt, Nr. 2 betreffe den Ablauf von Gerichts- oder Disziplinarverfahren. Andererseits: Innenministerium NRW, Das Recht auf freien Informationszugang, Leitfaden zum Informationsfreiheitsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 18. Dort ist ausgeführt, dass in § 6 S. 1 b) IFG NRW gerichtliche Verfahren hingegen nicht erwähnt seien. Denn jedenfalls ist vorliegend nicht ersichtlich, dass das von dem Beklagten             21 betriebene Beweissicherungsverfahren durch eine Bekanntgabe des http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_duesseldorf/j2008/26_K_2066_08urteil20081... 09.12.2009
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Verwaltungsgericht Düsseldorf, 26 K 2066/08                                       Seite 5 von 5 Sachverständigengutachtens an den Kläger erheblich beeinträchtigt würde. Erheblich ist eine Beeinträchtigung dann, wenn sie von einigem Gewicht ist, was etwa dann der Fall sein kann, wenn die Gefahr besteht, dass ein Verfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden kann oder der Betroffene seine Rechte nicht wahrnehmen kann. Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. August 2008 – 8 B 913/08 – sowie                       22 Franßen/Seidel a.a.O. § 6 Rdn. 792. Hierbei bedarf es der konkreten Feststellung im Einzelfall, dass durch die               23 Freigabe der Information der Schutz des Ablaufs des jeweiligen Verfahrens tatsächlich erheblich beeinträchtigt würde. Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Juni 2002 – 21 B 589/02 –, NWVBL 2002,                 24 S. 441 (443). Vorliegend kann von einer erheblichen Beeinträchtigung des Ablaufs des                   25 landgerichtlichen Beweissicherungsverfahrens jedoch ersichtlich keine Rede sein. Das eine nach Bekanntgabe des Gutachtens an den Kläger möglicherweise im lokalen Bereich einsetzende Diskussion über die dort getroffenen Feststellungen das Gericht und/oder den Sachverständigen bei der weiteren Wahrnehmung ihrer Aufgaben beeinflussen könnte, ist nicht ansatzweise ersichtlich. Dies gilt aber auch für die weiter geäußerte Befürchtung, dass etwa interessierte Dritte versuchen könnten, den Sachverständigen zu beeinflussen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über                26 die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO. http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_duesseldorf/j2008/26_K_2066_08urteil20081... 09.12.2009
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