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Aktenzeichen
3 K 693/07
Datum
5. Juni 2008
Gericht
Verwaltungsgericht Potsdam
Gesetz
Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz Brandenburg (AIG)
Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz Brandenburg (AIG)

Beschluss: Verwaltungsgericht Potsdam am 5. Juni 2008

3 K 693/07

Der Antragsteller begehrte erfolglos Einsicht in den Schriftwechsel zwischen dem Ministerpräsidenten und einer Bundesministerin. Das Verwaltungsgericht lehnt einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ab. Ob der Aktenbegriff des Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetzes erfüllt ist, wenn den Unterlagen eine Vorgangsbezogenheit fehlt, lässt das Gericht offen. Es stützt seine Ablehnung hauptsächlich auf den Ausnahmetatbestand zum Schutz des Willensbildungsprozesses zwischen Behörden, der auch nach Abschluss des Prozesses gilt. Behördenmitarbeiter sollen vielmehr auch künftig noch bereit sein, ihre Ansichten in Willensbildungsprozessen unbefangen und unabhängig zu äußern. Ein überwiegendes Einsichtsinteresse des Klägers ist nicht zu erkennen. (Quelle: LDA Brandenburg)

Anwendungsbereich/ Zuständigkeit Interessenabwägung Begriffsbestimmung Beratungsgeheimnis (behördlicher Entscheidungsprozess) Beziehungen zum Bund / zu anderen Bundesländern

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VERWALTUNGSGERICHT POTSDAM
BESCHLUSS
3 K 693/07
In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren
des Herrn
Klägers,
gegen

das Land Brandenburg, vertreten durch die Staatskanzlei des Landes Brandenburg, Heinrich-
Mann-Allee 107, 14473 Potsdam,

Beklagte,
wegen Datenschutzrecht
hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Potsdam
am 5. Juni 2008

durch

die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Vondenhof,
die Richterin am Verwaltungsgericht Goerdeler und

die Richterin am Verwaltungsgericht Tänzer

gemäß $ 87 a Abs. 1 VwGO

beschlossen:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Die Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.
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Gründe:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt W.Z.
aus B. ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung in dem insoweit maßgebli-
chen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs (OVG Bbg, Beschl. v.
26.04.2001 - 4 B 140/00 -) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, $ 166 der Verwal-
tungsgerichtsordnung i.V.m. $$ 114, 121 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Ablehnung des Antrages des Klägers auf Gewährung der Einsicht in den Briefwechsel
zwischen dem Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, Matthias Platzeck, und der Bun-
desministerin der Justiz, Brigitte Zypries - eine Gesetzesinitiative des Bundesrates zur Rege-
lung der nachträglichen Sicherungsverwahrung betreffend - durch den Beklagten ist rechtmä-
Big und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten ($ 113 Abs. 1 VwGO).

Der in Form eines einfachen Anschreibens ergangene Ablehnungsbescheid vom 28. März
2007 ist formell rechtmäßig.

Soweit diesem Anschreiben keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt worden war, hat dies
lediglich zur Folge, dass Fristen nicht in Lauf gesetzt werden konnten, die getroffene Ent-
scheidung wird hierdurch aber nicht rechtswidrig (vgl. Kopp/Schenke, VwGO Kommentar,
15. Auflage, $ 58 Rn. 3). Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Ablehnungsbescheid
auch im Sinne von $ 37 Abs. 1 VwVfGBbg hinreichend bestimmt. Hinreichende Bestimmt-
heit eines Verwaltungsaktes bedeutet, dass der Inhalt der getroffenen Regelung, der Entschei-
dungssatz im Zusammenhang mit den Gründen und den sonstigen bekannten oder ohne weite-
res erkennbaren Umständen, insbesondere für den Adressaten so vollständig, klar und un-
zweideutig erkennbar sein muss, dass er sein Verhalten danach richten kann (vgl.
Kopp/Ramsauer VwVfG Kommentar, 10. Auflage, $ 37 Rn. 5 ff.). Diesen Anforderungen
wird das Schreiben des Beklagten vom 28. Mai 2007 gerecht. Dessen Regelungsinhalt, die
Verweigerung der Einsicht in die gewünschten Unterlagen (ein Brief des Ministerpräsidenten
des Landes Brandenburg an die Bundesjustizministerin sowie zwei Antwortschreiben der
Bundesjustizministerin), ist für den Kläger ohne weiteres erkennbar. Auf welche Rechts-
grundlage sich die Entscheidung stützt, ist für die Frage der Bestimmtheit eines Verwaltungs-
aktes unbeachtlich.
2

-3-

Der angefochtene Ablehnungsbescheid ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Der
Kläger hat keinen Anspruch auf Einsicht in den Briefwechsel zwischen dem Ministerpräsi-
denten des Landes Brandenburg, Matthias Platzeck, und der Bundesministerin der Justiz, Bri-

gitte Zypries.

Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist $ 1 Akteneinsichts- und Informations-
zugangsgesetz (AIG) vom 10. März 1998, zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom
22. Juni 2005 (GVBl. V05, [Nr. 15], S. 210, 211). Danach hat jeder nach Maßgabe dieses Ge-
setzes das Recht auf Einsicht in Akten, soweit nicht überwiegende öffentliche oder private
Interessen nach den $$ 4 und 5 entgegenstehen oder andere Rechtsvorschriften bereichsspezi-

fische Regelungen für einen unbeschränkten Personenkreis enthalten.

Es ist bereits zweifelhaft, ob der Schriftwechsel, in den der Kläger Einsicht begehrt, eine Akte
im Sinne des AIG darstellt. Zwar wird der Begriff der Akte in $ 3 AIG sehr weit gefasst, da-
nach sind Akten alle schriftlich, elektronisch, optisch, akustisch oder auf andere Weise aufge-
zeichnete Unterlagen, soweit diese ausschließlich amtlichen oder dienstlichen Zwecken die-
nen. Lediglich Vorentwürfe und Notizen, die nicht Bestandteil des Vorganges sind und spä-
testens nach dessen Abschluss vernichtet werden, fallen nicht unter den Aktenbegriff. Dem
Aktenbegriff ist jedoch eine Vorgangsbezogenheit immanent, d. h. die betreffenden Auf-
zeichnungen müssen einem konkreten Verwaltungsvorgang zugehören (vgl. Kopp, VwVfG
a.a.0, $ 29 Rn. 13 sowie Landtagsdrucksache 2/4417 zu $ 3, S. 10). Der Schriftwechsel zwi-
schen dem Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg und der Bundesjustizministerin - der
dem Gericht vorliegt - weist keinen Bezug zu einer konkreten Verwaltungsangelegenheit auf.
Es handelt sich vielmehr um einen bloßen Meinungsaustausch im Rahmen einer Gesetzesini-
tiative des Bundesrates. Da die vom Bundesrat angeregte Regelung der nachträglichen Siche-
rungsverwahrung nicht der Kompetenz des Landes Brandenburg unterfällt, ist nichts dafür
ersichtlich, dass insoweit ein konkreter Verwaltungsvorgang existiert. Diese Frage bedarf
jedoch keiner abschließenden Klärung, selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellt,
dass es sich bei dem o. g. Schriftwechsel um eine Akte im Sinne von $ 3 AIG handelt, ist die

Ablehnung der. begehrten Einsichtnahme nicht zu beanstanden.

Dem Begehren des Klägers steht der Ausschlussgrund nach $ 4 Abs. 2 Nr. 1, 1. Halbsatz AIG
entgegen. Nach dieser Vorschrift soll der Antrag auf Akteneinsicht abgelehnt werden, soweit

sich der Inhalt der Akten auf den Prozess der Willensbildung innerhalb von und zwischen

An
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Behörden bezieht, es sei denn, dass das Interesse an der Einsichtnahme das entgegenstehende
öffentliche Interesse im Einzelfall überwiegt ($ 4 Abs. 2 letzter Halbsatz AIG). Unter dem
„Prozess der Willensbildung“ ist ein Vorgang des gemeinsamen Überlegens, Besprechens
bzw. Beratschlagens zu treffender Entscheidungen zu verstehen (vgl. OVG Schleswig, Urteil
vom 15. September 1998 -4 L 139/98- zum Begriff der Beratung i.S.v. $ 4 Abs. 1 Nr. 1,3.
Alt. UIG, NVwZ 1999, 670 f£.). $ 4 Abs. 2 Nr. 1 AIG soll sicherstellen, dass innerhalb der
Behörde oder zwischen Behörden im Vorfeld einer Entscheidung ein offener Meinungsaus-
tausch stattfinden kann, der für die Qualität der letztlich zu treffenden Entscheidung von gro-
ßer Bedeutung ist. Darüber hinaus wird auf diese Weise sichergestellt, dass es bei der politi-
schen Verantwortung der Behördenleitung für alle von der Behörde getroffenen Entscheidun-
gen verbleibt (vgl. Landtagsdrucksache, a.a.O., zu $ 4 Abs. 2 Nr. 1, S. 12). Damit soll eine
effektive, funktionsfähige und neutrale Entscheidungsfindung der Behörde gewährleistet wer-
den, denn die Gefahr des Bekanntwerdens von Meinungsäußerungen, die im Rahmen der Wil-
lensbildung getätigt werden, kann Einfluss auf die Unbefangenheit und Unabhängigkeit des
Willensbildungsprozesses haben (OVG Schleswig, a.a.O.). Um diesen Zweck zu gewährleis-
ten, besteht dann kein Anspruch auf Akteneinsicht, wenn aus den vor oder nach dem Prozess
der Willensbildung entstandenen Aktenteilen auf den Prozess der Willensbildung geschlossen
werden kann. Entgegen der Auffassung des Klägers werden die den Willensbildungsprozess
betreffenden Aktenteile durch $ 4 Abs. 1 Nr. 1 AIG nicht nur bis zum Abschluss dieses Pro-
zesses, sondern dauerhaft geschützt. Denn die Vorschrift regelt keine zeitliche Grenze des
Unterlagenschutzes. Sie soll vielmehr sicherstellen, dass Behördenmitarbeiter auch künftig
noch bereit sind, in Willensbildungsprozessen ihre Ansicht unbefangen und unabhängig zu

äußern, was einen unbegrenzten Schutz erfordert.

Der Schriftwechsel, in den der Kläger Einsicht begehrt, lässt zur Überzeugung der Kammer
Rückschlüsse auf den Willensbildungsprozess im Rahmen der Gesetzesinitiative zur Mög-
lichkeit einer nachträglichen Sicherungsverwahrung zu und wird deshalb vom Regelungsge-
halt des $ 4 Abs. 2 Nr. 1, 1. Halbsatz AIG erfasst. Er beinhaltet ausschließlich ein gemeinsa-
mes Überlegen im Rahmen der hinsichtlich der nachträglichen Sicherungsverwahrung zu tref-
fenden Entscheidung. Der Beklagte durfte deshalb die Einsichtnahme ablehnen. Dabei hatte er
keine ausdrücklichen Ermessenserwägungen darüber anzustellen, ob er entgegen der „Soll-
Vorschrift“ des $ 4 Abs. 2 AIG Akteneinsicht gewährt. Denn bei einer „Soll-Vorschrift“ han-
delt es sich um sog. intendiertes Ermessen, bei dem die Tatbestandserfüllung typischerweise

die Ermessenausübung vorzeichnet. Will die Behörde intentionsgemäß entscheiden, kann sie,
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wenn nicht der Fall besonderen Anlass gibt, auf Ermessenserwägungen verzichten (vel.
Schoch, VwGO Kommentar, Stand: September 2007, $ 114, Rn. 20). Vorliegend fehlt jeder
Anhaltspunkt dafür, dass besondere vom Beklagten nicht selbst zu vertretende überwiegende
Gründe für ein Abweichen von der Norm sprechen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO Kommentar,
$ 114 Rn. 21ff.). Der Kläger selbst hat nicht ansatzweise dargetan, warum sein Interesse an
der Einsichtnahme das entgegenstehende öffentliche Interesse überwiegen soll. Solche Grün-

de sind auch sonst nicht ersichtlich.

Ob hinsichtlich der Schreiben der Bundesjustizministerin darüber hinaus auch der Ableh-
nungsgrund nach $ 4 Abs. 1 Nr. 2 AIG gegeben ist, wonach der Antrag auf Akteneinsicht
abzulehnen ist, wenn durch das Bekanntwerden des Akteninhalts Angaben und Mitteilungen
öffentlicher Stellen, die nicht dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes unterfallen, ohne de-
ren Zustimmung offenbart würden, die ablehnende Entscheidung des Beklagten rechtfertigen

würde, bedarf danach keiner Klärung mehr.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen den Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde zu. Die Beschwerde ist innerhalb
von zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses bei dem Verwaltungsgericht Potsdam,
Allee nach Sanssouci 6, 14471 Potsdam schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeam-
ten der Geschäftsstelle einzulegen.

Vondenhof Goerdeler Tänzer
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