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Aktenzeichen
15 P 2/06
Datum
29. Dezember 2006
Gericht
Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein
Gesetz
§ 99 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung
§ 99 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung

Beschluss: Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein am 29. Dezember 2006

15 P 2/06

Der Fachsenat entscheidet, dass Informationen zum Störfall in einem Kernkraftwerk von der Beklagten hätten herausgegeben werden müssen. Als Grundlage hierfür stützt sich das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen auf die Abwägung zwischen dem verfassungsrechtlich begründeten Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen einerseits und der "öffentlichen" Funktion des geltend gemachten Informationszugangsanspruchs andererseits. Der Informationszugang kann die Klägerin unter einen erhöhten Erklärungsdruck setzen, was im Sinne der Anlagensicherheit positiv zu bewerten ist. Insoweit hilft die Aktenöffentlichkeit bei der Realisierung einer wichtigen öffentlichen Aufgabe. Dies führt dazu, dass das öffentliche Interesse an einer Vorlage von störfallbezogenen Informationen überwiegt. Soweit sich der Antrag auf Informationszugang auf nicht störfallbezogene Unterlagen bezieht, behält der Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Klägerin seinen Vorrang. (Quelle: LDA Brandenburg)

Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Drittbetroffenheit Interessenabwägung Begriffsbestimmung in-camera Verfahren

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Anonymisierung aktualisiert am: 20. Februar 2007 SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT BERICHTIGT GEMÄß BESCHLUSS VOM 22. JANUAR 2007 SCHLESWIG, 24. JANUAR 2007 …, JUSTIZANGESTELLTE Az.:    15 P 2/06 (OVG 4 LB 2/06; VG12 A 182/02) BESCHLUSS In der Verwaltungsrechtssache … Klägerin und Berufungsbeklagten, Proz.-Bev.: … gegen das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren des Landes Schleswig-Holstein, Adolf-Westphal-Straße 4, 24143 Kiel, - - Beklagten und Berufungskläger, beigeladen und Berufungskläger: … Proz.-Bev.: … -2-
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-2- Streitgegenstand:    Umweltinformation; hier: Verweigerung der Vorlage von rkunden oder Akten (§ 99 Abs. 2 VwGO) hat der 15. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 29. Dezember 2006 beschlossen: Es wird festgestellt, dass die Verweigerung der Vorlage der Urkunden und Akten durch den Beklagten insoweit rechtswidrig ist, als sie folgen- de Aktenteile betrifft: Band/Seite               Betroffener Bereich / Inhalt 1/222-225                Temperaturüberwachung 1/330-336                Schadensanalyse 4/2-8                    Schadenssystematik 4/39-41                  Deckelduschleitung 4/207-209                Ermüdungsanalyse 4/215-220                Ermüdungsanalyse 5/281                    Radiolysegasbetrachtung 5/288-317und 5/318-      Deckelsprühleitung 332 5/333-362                Deckelsprühleitung 5/365-430                Deckelsprühleitung 5/463-504                Belastungsangaben 10/2-3                   Entwurfsbericht Im Übrigen ist die Verweigerung der Vorlage der Akten durch die Be- klagte rechtmäßig. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. -3-
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-3- Gründe : I. Die klagende Kraftwerksbetreiberin wendet sich gegen die Gewährung des Zugangs zu Informationen, die einem Verwaltungsvorgang des Beklagten aus der Zeit vom 14. De- zember 2001 bis zum 20. März 2002 entstammen und der im Zusammenhang mit einem Störfall im Kernkraftwerk der Klägerin am 14. Dezember 2001 (Leitungsabriss im Deckel- duschsystem) steht. Der Beklagte hat dem beigeladenen Verein den Informationszugang durch Bescheid vom 28. Oktober 2001 gestattet, sobald der Bescheid unanfechtbar wird; von der Gestattung ausgenommen wurden die Blätter 3- 12, 50 – 64 und 92 – 99 des Ordners 9 und weitere Aktenteile, die geschwärzt oder als Betriebs- und Geschäftsge- heimnisse der Klägerin eingestuft wurden (s. dazu das Verfahren 15 P 3/06). Die Klägerin erhob dagegen Klage; die Beklagte sah davon ab, ihren Verwaltungsvor- gang, der die von der Beigeladenen gewünschten Informationen enthält, bei Gericht vor- zulegen. Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt. Das Oberverwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten und der Beigeladenen zugelassen. Aufgrund des Beschlusses vom 04. April 2006 ist die Rechtssache dem Fachsenat nach § 99 Abs. 2 VwGO zur Entscheidung über die Frage vorgelegt worden, ob „die Erteilung der vom Beigeladenen begehrten Informationen gemäß Bescheid des Beklagten vom 28.10.2002 schutzwürdige Rechte der Klägerin beeinträchtigt“; in den Gründen des Beschlusses heißt es, der vorlegende Senat könne ohne Einsichtnahme in die vorzulegenden Akten nicht beurteilen, ob der Berufung stattzugeben sei. Der Beigeladene habe dem Grunde nach Anspruch auf Informationen über den Störfall vom 14.12.2001; dieser ergebe sich auch aus der unmittelbar wirkenden Richtlinie 2003/4/EG vom 28. Januar 2003 (ABl. EG L 41/26 v. 14.02.2003). Eine Gegenvorstellung der Beigeladenen gegen den Beschluss blieb erfolglos. Im Haupt- sacheverfahren sind die Gerichtsakten zum Verfahren VG 12 B 16/03 / OVG 4 MB 100/03 beigezogen worden, die auch hier vorliegen. II. 1. Hinsichtlich der allgemeinen verfahrensrechtlichen Fragen verweist der Senat auf sei- nen im Verfahren 15 P 3/06 ergangenen Beschluss vom heutigen Tage, in dem ausge- führt wird: -4-
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-4- „1. a. Der Einwand (der Beigeladenen), über die vorgelegte Frage entscheide nicht der gesetzliche Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), ist unbegründet. Im Anwendungsbereich des § 99 Abs. 2 VwGO hat allein der nach § 189 VwGO zuständige Fachsenat zu ent- scheiden. Dabei geht es nicht, wie die Beigeladene befürchtet, (unzuständigerweise) um die “Hauptsachefrage”, sondern allein um eine feststellende Entscheidung gem. § 99 Abs. 2 VwGO zur Aktenvorlageverweigerung. Ob die Entscheidung nach § 99 Abs. 2 VwGO faktisch zur Erfüllung des im Ausgangsrechtsstreit verfolgten Klageanspruchs führen kann oder führt, hat nichts mit dem (richtigen) gesetzlichen Richter zu tun. Der vorlegende Se- nat bleibt vor Beginn und nach Abschluss des Vorlageverfahrens zuständig. b) Der Annahme der Beigeladenen, die Beklagte müsse nur die zum “Ob” der Vorlage- pflicht entstandenen Akten vorlegen, ist nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass bezüg- lich dieser Akten(-teile) eine Vorlage nicht verweigert worden ist, würde eine nur darauf bezogene Entscheidung das Problem nur verschieben, nicht aber lösen. Über die Vorlage bzw. die Geheimhaltungsbedürftigkeit der vom Hauptsacheverfahren betroffenen Akten könnte der vorlegende Senat (wiederum) nicht entscheiden. Im Verfahren 4 LB 1/06 ist ein “in camera”-Verfahren ausgeschlossen. Die Frage, ob (und ggf. wie) der Gesetzgeber das “in camera”-Verfahren auch im Hauptsacheverfahren hätte regeln können (oder re- geln könnte), ist vorliegend nicht zu entscheiden (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 14.03.2006, 1 BvR 2087/03 u. a., EuGRZ 2006, 159/168 [zu II.2.b.dd]). 2. Das Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO ist sowohl in Fällen eröffnet, in denen der Streit um eine Aktenvorlage nur inzident, im Rahmen der Entscheidung über einen ande- ren Streitgegenstand, relevant ist, als auch dann, wenn – wie vorliegend – in der Haupt- sache um ein Auskunfts- bzw. Informationsverlangen gestritten wird. a) Der Gesetzeswortlaut erfasst – generell – den Fall, dass Behörden die Vorlage von Akten und Urkunden verweigern, ohne danach zu differenzieren, ob diese Verweigerung das “Hauptsache”-Verlangen betrifft oder ob sie im Zusammenhang mit einem anderen Verfahrens- bzw. Streitgegenstand erfolgt. b) Die Gesetzesmaterialien vermitteln keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass eine solche Dif- ferenzierung beabsichtigt war. Ihnen ist vielmehr das gesetzgeberische Ziel zu entneh- men, die Entscheidung über die Pflicht zur Vorlage “sensibler”, geheimhaltungsbedürftiger Vorgänge (gerade) aus Geheimschutzgründen bei einem Spruchkörper zu konzentrieren und (auf diesem Wege) zugleich ein sog. “in camera”-Verfahren bei dem Hauptsachege- richt auszuschließen (vgl. Golembiewski, NordÖR 2001, 421/422 f.). c) Auch nach Sinn und Zweck des § 99 Abs. 2 ist eine Einschränkung des Anwendungs- bereichs des § 99 Abs. 2 VwGO auf inzidente Aktenvorlagepflichten nicht zu begründen. Die in §§ 99 Abs. 2, 189 VwGO bestimmte Konzentration der Entscheidungszuständigkeit bei einem Senat soll unabhängig davon gelten, ob die Aktenvorlage “Hauptsache” oder “Nebenstreit” im Ausgangsrechtsstreit ist. Die – (auch) im Vorlagebschluss (S. 3) ange- sprochene – Möglichkeit, dass nach einer Aktenvorlage im Ausgangsverfahren eine Erle- digung der Hauptsache eintreten könnte, ist (wenn und soweit dies überhaupt der Fall ist [siehe dazu unten d]), hinzunehmen. d) Soweit die Beigeladene einwendet, die Entscheidung nach § 99 Abs. 2 VwGO sei keine “Zwischenentscheidung” mehr, übersieht sie, dass das vorlegende Gericht vor einer Vor- lage nach § 99 Abs. 2 VwGO zu entscheiden hat, ob nach den in Betracht kommenden gesetzlichen Grundlagen ein Anspruch des Klägers auf “Zugang” zu den verweigerten Akten überhaupt bestehen kann (s. dazu unten zu 4.). Dies ist der Sache nach mit dem Vorlagebeschluss des 4. Senats vom 04. April 2006 geschehen. In einem Fall (wie hier), in dem die Aktenvorlage bereits Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens ist, bedarf es in einem solchen Beschluss ausnahmsweise keiner besonderen Ausführungen zur -5-
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-5- Erheblichkeit der vorzulegenden Akten mehr (BVerwG, Beschl. v. 29.03.2006, 20 F 4/05, NVwZ 2006, 1423). Mit einer Hauptsacheerledigung ist nicht “automatisch” zu rechnen, wenn - nach der Ent- scheidung gem. § 99 Abs. 2 VwGO - im Ausgangsrechtsstreit Akteneinsicht gem. § 100 VwGO gewährt wird. Die Akteineinsicht nach § 100 VwGO dient der Gewährung rechtlichen Gehörs zur Füh- rung des Prozesses, nicht zugleich auch der Erfüllung des eingeklagten Anspruchs, der (seiner Form nach) nicht nur auf bloßen Informationszugang im Prozess, sondern auf In- formationsüberlassung, insbesondere durch Herausgabe oder Überlassung ungeschwärz- ter Kopien gerichtet ist. Das vorlegende Gericht wird bei einer Entscheidung über dieses weitergehende Begehren des Klägers die rechtlich geschützten Belange der Beigelade- nen zu berücksichtigen haben. Bei Gewährung einer Akteineinsicht nach § 100 VwGO steht das “Wie” der Einsichtnahme im Ermessen des Hauptsachegerichts (vgl. BFH, Urt. v. 26.01.2006, III B 166/05, BFH NV 2006, 963). Soweit eine hinreichende Information des Klägers bzw. seiner Prozessbevollmächtigten für Zwecke der weiteren Prozessführung durch eine Einsichtnahme bei Gericht möglich ist, hat die Anfertigung von Ablichtungen im Rahmen des § 100 Abs. 2 VwGO zu unterbleiben (vgl. VGH Kassel NVwZ-RR 2002, 784). Nach diesen Grundsätzen wird z. B. gem. § 111 GWB auch bei einer Einsichtnahme in Angebote oder preisrelevante Unterlagen konkurrierender Wettbewerbsteilnehmer verfah- ren. Weiter wird § 172 Nr. 2 GVG u. U. zu beachten sein, und zwar auch hinsichtlich der Öffentlichkeit einer Akteneinsicht oder –erörterung. Der Zugang zu Umweltinformationen muss auch “unterhalb” von Geheimhaltungsansprü- chen der Beigeladenen das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachten. Nach Art. 3 Abs. 4 Satz 1 lit. b Richtlinie 20043/4/EG kann der Informationszugang für bestimmte, insbeson- dere sensible Informationen auch durch die Erteilung von Auskünften oder durch die Ein- sichtnahme an einem bestimmten Ort – ohne die Möglichkeit der Anfertigung von Kopien – erfolgen. Dies gilt insbesondere für solche Informationen, die – als solche – keinen un- mittelbaren Umwelt- oder Störfallbezug haben oder deren Bedeutung sich in einem kon- kreten Umweltbezug (hier: bzgl. des Störfalls vom 14.12.2001) nicht erschöpft, weil sie weitere Relevanzen, z. B. in Bezug auf Industriespionage, Wettbewerbsschutz, geistige Schutzrechte, Sabotage- oder Terrorgefahren o. ä., aufweisen. Die Überlassung von Ko- pien (wie es der Kläger beantragt) kann in solchen Fällen nicht beansprucht werden. Der Hinweis der Beigeladenen darauf, dass der Kläger (in einem anderen Fall) eine be- hördliche Studie vollständig im Internet veröffentlicht habe (Schriftsatz vom 07.12.2006), mag die Problematik der Herausgabe von Kopien u. ä. belegen; für die hier zu entschei- dende Frage ist daraus nichts Sachliches abzuleiten. 2 a) Hinsichtlich der von der Beigeladenen verteidigten Betriebs- und Geschäftsgeheim- nisse, die mittlerweile – auf welchem Weg auch immer – der Öffentlichkeit tatsächlich zu- gänglich geworden sind, ist ein Bedürfnis für eine Entscheidung nach § 99 Abs. 2 VwGO entfallen (Fluck/Theuer, Informationsfreiheitsrecht, Lbl., Stand Okt. 2006, § 8 Rn 221 ff). Insoweit sind die Veröffentlichungen in Zeitschriften (vgl. “Nucleonics Week” v. 07.03.2002, S. 1, 9 f.; Hartel/Kleen in: atw 2002, 470-474 und 493-497; “Der Spiegel 10/2002, S. 216, 15/2002, S. 104), Fachpublikationen (Eurosafe 2002; Jahresbericht 2002 / Deutsches Atomforum), veröffentlichte Fachvorträge (Stoll, Framatome, April 2003) oder Internetseiten (“kkb.de/kraftwerk/b-tech-daten”) relevant. Aus diesen Veröffentlichungen sind die Anordnung der Deckelsprühleitung im Sicherheitsbehälter sowie Fotos der Bruchstellen zu entnehmen (atw, a.a.O., S. 471/472). Soweit die streitigen Akten diese Informationen enthalten (Bd. 7 S. 61, Bd. 5 S. 45), bedarf es danach keiner Entscheidung nach § 99 Abs. 2 VwGO mehr. … -6-
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-6- 3. … Eine Entscheidung nach § 99 Abs. 2 VwGO setzt voraus, dass im Hauptsachever- fahren ein Anspruch des Klägers auf Zugang zu den im Berufungsantrag bezeichneten (weiteren) Umweltinformationen dem “Grunde” nach in Betracht kommt. a) Der vorlegende Senat ist in seinem Beschluss vom 04. April 2006 ohne erkennbare inhaltliche Einschränkung oder Begrenzung davon ausgegangen, dass ein solcher An- spruch besteht. Die dort niedergelegte materielle Rechtsauffassung ist für das vorliegende Verfahren bindend (BVerwG, Beschl. v. 15.08.2003, 20 F 8.03, NVwZ 2004, 105; Beschl. v. 24.11.2003, 20 F 13.03, BVerwGE 119, 229). Die Bindung betrifft – insbesondere – die dem Vorlagebschluss tragend zugrundeliegende Rechtsauffassung, dass die Richtlinie 2004/3/EG nach Ablauf der Umsetzungsfrist unmit- telbare Wirkung entfalte und Rechtsgrundlage des geltend gemachten Informationsan- spruchs sei (S. 3 u. des Beschl.-Abdr. 4 LB 1/06). Auf den Erlass des Beklagten vom 07.03.2005 – V 751 – kommt es daher nicht an. Die (von der Beigeladenen nach wie vor anders beurteilte [Schriftsatz vom12.12.2006, S. 2]) Frage, ob sich die unmittelbar wirk- same Richtlinie 2004/3/EG nur zu Lasten des Staates und nicht zu Lasten eines privaten Dritten auswirken darf, ist nach dem bindenden Vorlagebeschluss vom 04.04.2006 mit Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 07.01.2004 (Rs. C 201/02, NVwZ 2004, 593/596, Rn. 57 [vgl. aber zuvor Rn. 56 mit Hinw. auf EuGH, NJW 1994, 2473 „Faccini Dori“]) anders entschieden worden. Der Beklagte und die Beigeladene befinden sich nach Ergehen des Vorlagebeschlusses vom 04. April 2006 allerdings in einer Lage, in der sie der “spezifischen” Geheimschutz- prüfung gem. § 99 Abs. 2 VwGO ihren Lauf lassen müssen, ohne über die – vorrangigen - Fragen, ob und inwieweit alle begehrten Informationen ihrer Art nach – entgegen der An- sicht der Beigeladenen [s. Schriftsatz v. 28.05.2005 im Verfahren VG 12 A 182/02, S. 10- 11] - überhaupt “Umwelt”informationen sind und ob (wie vom vorlegenden Gericht ange- nommen) die Richtlinie 2003/4/EG vom 28. Januar 2003 unmittelbare Wirkung entfaltet, streitig mündlich verhandeln und diese ggf. einer höchstrichterlichen Entscheidung zufüh- ren zu können. Der Beschluss über die Vorlage an den Senat nach § 189 VwGO ist – als solcher – unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Im vorliegenden Fall bestand indes nach Erlass des Vorlagebeschlusses ausreichend Gelegenheit für die Beteiligten, ihre Standpunkte zu den o. a. Fragen darzulegen. Die Beigeladene hat sich – zusätzlich – im Verfahren über die Gegenvorstellung gegen den Beschluss des vorlegenden Senats vom 04.04.2006 Gehör verschafft. Inhaltlich hat der vorlegende Senat im Einzelnen nicht geprüft, ob der Anspruch für alle im Antrag des Klägers vom 06.02.2006 bezeichneten Unterlagen begründet ist; diese Prü- fung wird ggf. im weiteren Hauptsacheverfahren nachzuholen sein (mit entsprechenden Auswirkungen auf die Handhabung eines Akteneinsichtsbegehrens; s. o. zu 2.) b) Die übrigen Voraussetzungen einer Entscheidung nach § 99 Abs. 2 VwGO sind gege- ben. Die Vorlagefrage im Beschluss vom 04. April 2006 ist – soweit erforderlich – ausle- gungsfähig; der vorlegende Senat ersucht um eine Feststellung, inwieweit die Verweige- rung der Aktenvorlage im Umfang der im Berufungsantrag vom 06.02.2006 benannten weiteren Aktenteile durch den Beklagten rechtmäßig ist. …“ 2. Die Klägerin hält die nach dem Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2002 dem Informationszugang des Beigeladenen „geöffneten“ Akten insgesamt für geheimhaltungs- bedürftig. Die Gründe des – jeweils im Einzelfall geltend gemachten – Geheimschutzan- -7-
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-7- spruchs hat sie ausreichend und detailliert dargelegt (u. a. Schriftsätze vom 26.02.2004 und 28.04.2005 [insb. S. 18-68, 83-84]). a) Aspekte der öffentlichen Sicherheit (z. B. Anlagensicherung [vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG], Gefahr von [Terror-] Anschlägen Dritter, Sabotageschutz [s. dazu Schriftsatz v. 28.04.2005, S. 72 ff.]) oder andere Allgemeinbelange (Exportkontrolle [Schriftsatz v. 30.11.2006, S. 2]) stehen der Aktenvorlage nicht entgegen. Diese Belange sind der Be- klagten bzw. den dafür zuständigen Polizei- und Ordnungsbehörden bzw. Fachbehörden überantwortet. Von dort sind keine Geheimhaltungsaspekte geltend gemacht worden; sie sind für den Senat im Rahmen des § 99 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 VwGO auch nicht ersicht- lich. Die in den Akten enthaltenen vertraulichen Unterlagen der Reaktorsicherheitskommission (RSK) sind von der Beklagten – zu Recht (s. den Beschluss im Parallelverfahren 15 P 3/06) – zurückgehalten worden. Soweit die Klägerin meint, auch der RSK-Vortrag (Band 9, S. 202-237) und der RSK-bericht (Band 9, S. 238) dürfe nicht vorgelegt werden, macht sie dafür keine Rechtsgründe geltend. Solche sind auch nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Klägerin auf eine „vertrauliche Behandlung“ dieser Unterlagen vertraut hat, genügt nicht, um insoweit in ihrem Sinne zu entscheiden. b) Soweit die Klägerin sich auf eine „freiwillige“ Überlassung von Unterlagen bezieht, bleibt dies ebenfalls erfolglos. Insoweit kann ebenfalls auf den im Parallelverfahren 15 P 3/06 ergangenen Beschluss verwiesen werden: „… Den formellen, mit Hinweis auf freiwillig überlassene Unterlagen (Art. 4 Abs. 2 Satz 1 lit. g der Richtlinie 2003/4/EG) begründeten Einwänden … ist nicht zu folgen. …. Es ist nicht festzustellen, dass und ggf. welche … Unterlagen von der Beigeladenen [Klägerin] freiwillig überlassen worden sein sollen. Die Beigeladene ist gem. § 19 Abs. 1 S. 3 AtG i. V. m. § 139 b Abs. 1 GewO bzw. gem. § 19 Abs. 2 S. 2 AtG sowie – bei einem Störfall – gem. §§ 6 Abs. 1, 9 Abs. 2 der Verord- nung über den kerntechnischen Sicherheitsbeauftragten und über die Meldung von Stör- fällen und sonstigen Ereignissen [AtSMV] vom 14.10.1992 (BGBl. I. S. 1766) zur gestei- gerten Mitwirkung bei der Sachaufklärung verpflichtet. Dem entsprechend heißt es im angefochtenen Bescheid (S. 3), die Unterlagen und Berichte der Beigeladenen seien auf- grund der im atomrechtlichen Aufsichtsverfahren bestehenden Pflicht eingereicht worden. Im Regelfall ist nicht davon auszugehen, dass im Rahmen eines atomrechtlichen Auf- sichtsverfahrens gem. § 19 AtG bzw. der Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 AtMSV Unterlagen nur “freiwillig” eingereicht werden. Auch wenn kein ausdrückliches Verlangen erfolgt (§ 19 Abs. 2 S. 2 AtG), entspricht die Vorlage grundsätzlich der o. g. Mitwirkungspflicht der Bei- geladenen. Sollte dies (ausnahmsweise) für – im Einzelnen bei deren Überlassung zu bestimmende – Unterlagen anders sein, müsste der Anlagenbetreiber dies ausdrücklich vermerken. Ein routinemäßig auf allen Unterlagen der Beigeladenen aufgedruckter Ver- -8-
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-8- merk genügt insoweit nicht. Die Aktenvorlage und –einsicht ist damit nicht von einer Zu- stimmung der Beigeladenen gem. Art. 4 Abs. 2 lit. g der Richtlinie 2003/4/EG abhängig.“ c) Zur Aktenvorlage bzgl. personenbezogener Daten nimmt der Senat auf den im Parallel- verfahren 15 P 3/06 ergangenen Beschluss Bezug (zu 5.b.cc(2)). d) Es verbleiben die auf das Kraftwerk und seine technischen Anlagen und Installationen sowie auf dessen Betrieb bezogenen sowie die im Zusammenhang mit dem Störfall vom 14.12.2001 stehenden Akteninhalte. Die Klägerin meint, insoweit verletze die Aktenvorla- ge und der ihr folgende Informationszugang der Beigeladenen ihre Betriebs- und Ge- schäftsgeheimnisse. aa)    Zum Geltungsgrund und zum Schutzbereich von Betriebs- und Geschäftsgeheim- nissen hat der Senat im Parallelverfahren 15 P 3/06 – allgemein – ausgeführt: „ [Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse] … umfassen alle auf ein Unternehmen bezoge- nen Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem be- grenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat, wobei Betriebsgeheimnisse im Wesentlichen technisches, Geschäftsgeheimnisse im Wesentlichen kaufmännisches Wissen umfassen (vgl. zu dieser Begriffsbestimmung BVerfG, Beschl. v. 14.03.2006, a.a.O., S. 166 [zu C.I.2.b.aa der Gründe]). … Die Frage [des Vorliegens von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen] ist einem Zeugenbeweis nicht zugänglich; sie betrifft keine Tatsachen-, sondern eine Rechts- frage, deren Klärung durch das Gericht zu erfolgen hat. …. Das in den o. a. Unterlagen enthaltene technische bzw. kaufmännische Wissen ist recht- lich geschützt. Es ist verfassungsrechtlich dem Schutzbereich der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und für einzelne Bereiche auch demjenigen der Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) zu- zuordnen; im Zivil-, Straf- und im öffentlichen Recht findet dieser Schutz zahlreiche Aus- prägungen (z. B. in § 85 Abs. 1 GmbHG, § 17 UWG, § 111 GWB, § 203 Abs. 2 StGB, § 139b Abs. 1 S. 3 GewO, § 30 VwVfG, § 88 a LVwG, § 10 Abs. 2 BImSchG, § 30 Abs. 2 Nr. 2 AO). Der Schutz kann auch auf erworbenen Lizenzen (§§ 9, 15, 23 PatG), gewerbli- chen Schutzrechten oder sonstigen vertraglichen Abmachungen (sog. nondisclosure agreements) beruhen. … Die … Aktenteile (Betriebshandbuch, Systemschaltpläne, Schnittzeichnungen, Belastungsangaben) sind als Betriebsgeheimnisse (i. w.) technischer Art einzustufen, denn sie sind nicht offenkundig und nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich. Die Beigeladene [hier: Klägerin] hat an ihrer Nichtverbreitung auch ein be- rechtigtes Interesse, denn die Informationen betreffen Know-How, sind geldwert und füh- ren zumindest dazu, dass die Möglichkeit eines Nachbaus der damit betroffenen Anlagen- teile oder eines “Abgleichs” mit vergleichbaren Anlagenteilen oder –sektionen in anderen Kraftwerken besteht. Darüber hinaus können Informationen über technische Konzepte oder Auslegungen zum Verlust oder zur Minderung von Entwicklungsvorteilen führen. -9-
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-9- Schließlich kann der Zugang zu Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen auch negative Auswirkungen auf die Marktposition … zeitigen. Die Einwände des Klägers [hier: des Beigeladenen] dagegen tragen nicht. Soweit er dar- auf verweist, dass “am Markt” angebotene Konstruktionen und Systeme nicht (mehr) ge- heim sein könnten, mag dies für standardisierte, von jedermann zu erwerbende Bauteile gelten. Auf die vorliegend betroffenen Elemente des Spezialanlagenbaus ist das nicht zu übertragen. Dabei kann offen bleiben, ob den “beteiligten Wirtschaftskreisen” (…) die hier betroffenen Systeme und Anlagenteile durch den Informationsaustausch oder die bran- cheninterne Fachdiskussion bekannt sind. Im europa- oder weltweiten Maßstab verblei- ben berechtigte Geheimhaltungsinteressen nicht nur gegenüber anderen Betreibern, son- dern auch in Bezug auf ausländische Staaten, die selbst Betreiber kerntechnischer Anla- gen sind und als Stromerzeuger im europäischen Wettbewerb mit der Beigeladenen ste- hen. Auch wenn (oder soweit) im Kernkraftwerk … nur “veraltete” Technik oder Know- How betroffen sein sollte, besteht ein anzuerkennendes Geheimhaltungsinteresse, weil mit deren Offenlegung ein bestimmter Entwicklungsstand zugänglich wird, auf dessen Kenntnis Dritte keinen Anspruch haben. Auch im gewerblichen Rechtsschutz ist im Übri- gen anerkannt, dass eine Tatsache nicht etwa neu oder eigentümlich im Sinne des Pa- tentrechts zu sein braucht, um als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis qualifiziert werden zu können; vielmehr genügt es, dass es sich um technisches bzw. geschäftliches Wissen handelt, das dem Durchschnittsfachmann nicht ohne Weiteres zur Verfügung steht (BGH, Urt. v. 16.10.1962, KZR 11/61, GRUR 1963, 207/211; BGH, Urt. v. 20.05.1966, KZR 10/64, GRUR 1966, 576/581). Nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 und 3 der Richtlinie 2003/4/EG ist zwar eine enge Auslegung von Ablehnungsgründen gegen einen Informationszugang vorgeschrieben. Der Schutzbe- reich der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse … bedarf vorliegend indes keiner Ausle- gung; er ist eindeutig betroffen (…). Welche „Wertigkeit“ die für einen Geheimnisschutz angeführten Argumente haben, ist keine Frage der Auslegung des Ablehnungsgrundes. Dies ist vielmehr im Rahmen der – gebotenen – Abwägung des Ablehnungsgrundes ge- gen das geltend gemachte Informationsinteresse zu prüfen.“ Von diesen Erwägungen ist auch vorliegend auszugehen. bb) Die betroffenen Aktenteile und die von der Klägerin angegebenen Bereiche und Gründe für eine Geheimhaltung sind Folgende: - 10 -
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- 10 - Band/Seite      Betroffener Bereich / Inhalt    Angegebene Gründe für eine Geheimhaltung 1/37      Rohre                         Technisches Know-How, wirtschaftlicher Wert 1/64      Rohre                         Werkstoffe, chem. Zusammensetzung; Know- How, Nachbau möglich 1/68f. und 2/17- Rohre                         Know How, ermöglicht Nachbau 24 1/73      Rohre                         Isometrie, Know How Fa M., Nachbau wäre möglich 1/85-86 und 88- Körperschallüber-              Know How, Nachahmungsgefahr durch Wett- 89       wachungssystem                bewerber 1/94-104     Reparaturkonzept              kein Zusammenhang mit dem Störfall vom 14.12.2001 1/222-225     Temperaturüberwachung         Rückschlüsse auf Betriebsweise des Reaktors 1/ 236-239    Rohre                         Know How, Nachbau wäre möglich 1/264-270b     Bauprüffolgeplan              Know How, Nachbau wäre möglich 1/330-336     Schadensanalyse               Rückschlüsse auf Programmierung der Anlage möglich 1/370      Flanschen                     Erleichtern Nachbau 2/26-71     Nachkühlleitung               Maßprüfung; Know How, von Konkurrenten verwendbar 2/123-125     Betreiberanweisung             „anlagerelevante Parameter“ 4/2-8      Schadenssystematik            Know How der MPA Stuttgart 4/10-16     Rohre                         Maßprüfung; ermöglicht Nachbau 4/34-38     Nachkühlleitung               Maßprüfung; ermöglicht Nachbau 4/39-41     Deckelduschleitung.           Know How (Ausführungssystematik) 4/97 u. 99    Bauprüffolgeplan              Know How Fa. B. und Kl.; Nachbau möglich 4/107-121und    Rohre                         Know How, Nachbau möglich (Verteilsysteme) 4/122-152 4/172      Rohre                         Isometrie, Know How, Nachbau möglich 4/173-174     Temperaturverläufe            Know How 4/177-179     Werkstoffe                    Verzeichnis ermöglicht Nachbau 4/180-181     Angebot                       Geschäftsgeheimnis des TüV Nord 4/207-209     Ermüdungsanalyse              Deckelsprühleitung; Know How; Nachbau mög- lich 4/210-214     Rohre (Berechnung)            Know How; - aus 1999, kein Zshg. zum Störfall 4/215-220     Ermüdungsanalyse              Nachkühlltg; lässt Rückschlüsse auf Auslegung zu - 11 -
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