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Aktenzeichen
3 K 4502/02
Datum
19. November 2002
Gericht
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Gesetz
Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG)
Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG)

Urteil: Verwaltungsgericht Düsseldorf am 19. November 2002

3 K 4502/02

Der Anwendbarkeit des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen auf die Niederschrift über die Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer steht nicht entgegen, dass Einrichtung und Aufgaben der Kammer bundesrechtlich geregelt sind. Ihre Wahlordnung stellt ferner keine abweichende Regelung im Sinne des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen dar. Die Niederschrift dokumentiert nicht den Wahlvorgang als solchen, sondern dessen Auswertung und fällt mithin nicht unter das Wahlgeheimnis. (Quelle: LDA Brandenburg)

Anwendungsbereich/ Zuständigkeit (Gesetzliche) Geheimhaltungspflichten Konkurrierende Rechtsvorschriften

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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_duesseldorf/j2002/3_K_4502_02urteil20021119.html Verwaltungsgericht Düsseldorf, 3 K 4502/02 Datum:                       19.11.2002 Gericht:                     Verwaltungsgericht Düsseldorf Spruchkörper:                3. Kammer Entscheidungsart:            Urteil Aktenzeichen:                3 K 4502/02 Tenor:                       Die Beklagte wird unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2002 verpflichtet, dem Kläger Einsicht in die Niederschrift des Wahlablaufs über die Wahl zur Vollversammlung 2001 zu gewähren. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet. Der Kläger ist Geschäftsführer eines Mitglieds der Beklagten und Mitglied der im Jahre               1 2001 gewählten Vollversammlung der Beklagten. Er begehrte Einsichtnahme in die Niederschrift über den Wahlablauf. Dies lehnte die Beklagte ab. Im Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2002 führte sie aus, das Informationsfreiheitsgesetz (IFG NRW) sei auf Industrie- und Handelskammern nicht anwendbar, weil dem Landesgesetzgeber die Rechtssetzungskompetenz fehle. Die Gesetzgebungskompetenz habe der Bundesgesetzgeber nach Art. 72, 74 Nr. 11 GG wahrgenommen. Die Ermächtigung nach §§ 1 Abs. 4, 12 IHKG an den Landesgesetzgeber, weitere Regelungen zu treffen bzw. diesen Aufgaben zu übertragen, beziehe sich auf Aufgaben, die sich für die Selbstverwaltung eigneten und im Wesentlichen mit dem Grundsatz des Gesetzes, die Wirtschaft zu fördern, zusammenhingen. Im Übrigen bestehe eine besondere Rechtsvorschrift im Sinne des § 4 Abs. 2 IFG NRW mit § 14 Abs. 2 der Wahlordnung, nach der der Wahlausschuss das Wahlergebnis unverzüglich nach Abschluss der Wahl feststelle, über den Wahlablauf eine Niederschrift anfertige und die Namen der gewählten Bewerber bekannt mache. Damit sei eindeutig geregelt, dass zur Bekanntmachungspflicht nur die Veröffentlichung der Namen der gewählten Kandidaten zähle. Im Übrigen handele es sich bei der Niederschrift über den Wahlablauf um ein Protokoll vertraulicher Beratungen im Sinne des § 7 Abs. 1 IFG NRW. Die Vertraulichkeit der Wahlniederschrift und der gesamten Wahlunterlagen diene dazu, das Wahlgeheimnis möglichst umfassend zu schützen. Aus § 72 Abs. 4 BWO ergebe sich ein allgemeiner Wahlrechtsgrundsatz, der auch für Kammerwahlen gelte. Danach seien die Wahlniederschriften nebst Anlage Unbefugten nicht zugänglich zu machen. Der Kläger erklärt, auf Grund einer Stellungnahme der Landesbeauftragten für den                     2 Datenschutz Nordrhein-Westfalen lägen Verweigerungsgründe nicht vor. 1 von 4
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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_duesseldorf/j2002/3_K_4502_02urteil20021119.html Er beantragt,                                                                              3 die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2002 zu                4 verpflichten, ihm Einsicht in die Niederschrift des Wahlablaufs über die Wahl zur Vollversammlung 2001 zu gewähren. Die Beklagte beantragt,                                                                    5 die Klage abzuweisen.                                                                      6 Sie macht geltend, es fehle an einer Rechtsgrundlage für den geltend gemachten             7 Anspruch. Auch die Ausführungen der Landesbeauftragten für den Datenschutz übersähen, dass § 14 Abs. 2 der Wahlordnung die Bekanntmachungspflicht abschließend regele. Entscheidungsgründe:                                                                       8 Die Klage ist als Verpflichtungsklage gem. § 42 VwGO zulässig und begründet.               9 Der Kläger hat Anspruch auf Einsichtnahme in die Niederschrift über die                   10 Vollversammlungswahl 2001. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 4 Abs. 1 IFG NRW. Danach hat jede natürliche Person nach Maßgabe des Gesetzes gegenüber den in § 2 genannten Stellen Anspruch auf Zugang zu den bei der Stelle vorhandenen amtlichen Informationen. Die Beklagte gehört zu den in § 2 genannten Stellen. Denn sie ist eine der Aufsicht des Landes unterstehende juristische Person des öffentlichen Rechts. Der Anwendbarkeit des § 2 IFG NRW steht nicht entgegen, dass die Errichtung der           11 Industrie- und Handelskammern sowie ihre Aufgaben bundesrechtlich geregelt sind. Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, so regeln sie gemäß Art. 84 Abs. 1 GG die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren, soweit nicht Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen. Der Begriff des Verwaltungsverfahrens im Sinne des Art. 84 Abs. 1 GG beschränkt sich nicht auf Verwaltungsverfahren im Sinne des § 9 der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder, also die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfungen der Voraussetzung, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist. Vielmehr umfasst der Begriff des Verwaltungsverfahrens im Sinne des Art. 84 Abs. 1 GG sämtliche das Wie" des Verwaltungshandelns betreffenden Regelungen, insbesondere Regelungen über Offenbarungs- und Verwertungverbote (vgl. BVerfGE 55, 319 ff.). Soweit das Bundesgesetz bestimmte Regelungsbereiche der Satzungsautonomie der             12 Kammern überträgt, kann darin zwar auch die Ermächtigung gesehen werden, entsprechende verfahrensrechtliche Regelungen zu erlassen. Indessen wird durch diese Delegation die Landesgesetzgebung im verfahrensrechtlichen Bereich nicht von vornherein vollständig verdrängt. § 14 Abs. 2 der Wahlordnung der Beklagten stellt ferner keine abweichende Regelung im Sinne des § 4 Abs. 2 IFG NRW dar. Nach § 14 Abs. 2 stellt der Wahlausschuss das Wahlergebnis unverzüglich nach Abschluss der Wahl fest, fertigt über den Wahlablauf eine Niederschrift an und gibt die gewählten Bewerber bekannt. Hieraus ergibt sich zwar, dass die Beklagte im Hinblick auf das Wahlergebnis lediglich verpflichtet ist, die gewählten Bewerber allgemein bekannt zu machen. Diese beschränkte Bekanntmachungsverpflichtung steht einem weiter gehenden individuellen Anspruch nach § 4 Abs. 1 IFG NRW jedoch nicht entgegen. Es handelt sich hierbei nämlich nicht um eine besondere Rechtsvorschrift über den Zugang zu amtlichen Informationen, die Auskunftserteilung oder die Gewährung von Akteneinsicht im Sinne 2 von 4
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http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_duesseldorf/j2002/3_K_4502_02urteil20021119.html des § 4 Abs. 2 IFG NRW. Vielmehr stellt § 14 Abs. 2 der Wahlordnung sicher, dass alsbald nach Abschluss der Wahl das Ergebnis den Beteiligten bekannt gegeben wird. Dagegen lässt sich der Norm nicht entnehmen, dass mit ihr im Übrigen eine Einsichtnahme in die aus Anlass der Wahl angefallenen amtlichen Informationen beschränkt werden sollte. Aus § 72 Abs. 4 BWO ergibt sich kein allgemeiner Grundsatz des Wahlrechtes, dass           13 Einsichtnahme durch Dritte in Wahlniederschriften zu verhindern wäre. Nach dieser Regelung haben Wahlvorsteher, Gemeindebehörden und Verwaltungsbehörden der Kreise sowie Kreiswahlleiter sicherzustellen, dass die Wahlniederschriften mit den Anlagen Unbefugten nicht zugänglich sind. Hieraus ergibt sich jedoch nicht, dass Einsichtnahme in Wahlniederschriften unzulässig wären. Insbesondere dient die Vorschrift nicht der Wahrung des Wahlgeheimnisses. Wenn sicherzustellen ist, dass die Wahlniederschrift mit den Anlagen Unbefugten nicht zugänglich gemacht werden dürfen, verfolgt dies den Zweck, die Unterlagen zur Nachprüfung der Wahlergebnisfeststellung legitimierten Wahlorganen zur Verfügung zu stellen und unter Umständen im Rahmen eines Wahlprüfungsverfahrens die Rekonstruierung des Wählerwillens zu ermöglichen (vgl. Schreiber, Kommentar zum BWG, 6. Auflage 1998, § 37 Rdz. 4). Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich also aus dem Schutz vor Verfälschungen, nicht aber aus der Geheimhaltung des Inhaltes der Wahlniederschrift. Der Zweck, die Wahlniederschrift vor Manipulationen zu schützen und eine spätere Nachprüfung der Wahl sicherzustellen, ist auch bei der Wahl zur Vollversammlung der Beklagten zu berücksichtigen. Er führt dazu, dass etwa dem Kläger nicht das Original der Wahlniederschrift oder gar Originalstimmzettel ausgehändigt werden dürften. Dagegen steht seinem Begehren auf Kenntnisnahme von dem Inhalt der Wahlniederschrift nichts entgegen. Die Beklagte kann etwa durch Anfertigung einer Kopie der Wahlniederschrift dem Kläger Kenntnis von deren Inhalt machen, ohne sie ihm unmittelbar zugänglich zu machen. Dem steht auch nicht der Grundsatz der geheimen Wahl entgegen. Die Niederschrift dokumentiert nicht den Wahlvorgang als solchen, also die Abgabe der Stimme, sondern die Auswertung des Wahlvorgangs durch Zählen der Stimmen. Dieser Feststellungsvorgang ist seinerseits gerade nicht auf Grund eines allgemeinen Grundsatzes geheim, sondern etwa bei Wahlen zum Bundestag ausdrücklich öffentlich, wie sich aus § 10 Abs. 1 BWG und § 54 BWO ergibt. Danach verhandeln, beraten und entscheiden die Wahlausschüsse und Wahlvorstände in öffentlicher Sitzung. Während der Wahlhandlung und während der Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses hat jedermann zum Wahlraum Zutritt. In diesen Regelungen findet das aus dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG abgeleitete Öffentlichkeitsprinzip seine einfachgesetzliche Ausprägung. Die Öffentlichkeit übt gegenüber den Wahlorganen damit eine Kontrollfunktion aus (vgl. Schreiber a.a.O., § 10 Anm 1). Der gesamte Willensbildungs- und Entscheidungsprozess einschließlich Diskussion, Beratung, Abstimmung und anschließender Beschlussfassung hat im Lichte der Öffentlichkeit stattzufinden (vgl. Schreiber a.a.O., unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Geheime Beratungen, Anhörungen, Abstimmungen und Auszählungen sind danach gesetzwidrig. Ob diese Grundsätze vollständig auf Kammerwahlen übertragbar sind, bedarf hier keiner näheren Feststellung. Jedenfalls trifft es nicht zu, dass allgemeine Wahlrechtsgrundsätze wie der der geheimen Wahl dem Einblick in die Niederschrift über die Wahlhandlung entgegenstünden. Allerdings ist zu beachten, dass die Stimmabgabe selbst geheim bleiben muss. Auch Unterlagen, aus denen sich etwa entnehmen lässt, wer von den Wahlberechtigten eine Stimme abgegeben hat, sind daher nach Abschluss der Wahl Dritten nicht zugänglich zu machen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur                  14 vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Berufung nach §§ 124 a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 VwGO      15 3 von 4
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