Lebensmittelgutscheine nach SGB II & SGB XII
Nach allgemeinem Kenntnisstand sind Leistungen nach dem SGB II kostenfrei auf ein genanntes Konto anzuweisen oder als Barscheck zuzustellen. Leistungen sind vorrangig als Geldleistung zu erbringen. Als Ausnahmetatbestände für die abweichende Erbringung von Leistungen sind in § 24 SGB II nur „Drogen- oder Alkoholabhängigkeit sowie im Falle unwirtschaftlichen Verhaltens“ genannt.
Unter ausdrücklicher Berufung auf interne Handlungsanweisungen der Bundesagentur berichteten verschiedene Kunden übereinstimmend, dass ihnen beim zuständigen Jobcenter nur Lebensmittelgutscheine angeboten wurden, obwohl sie versichert hatten, nicht zu den oben genannten Ausnahmegruppen zu gehören. Und das obwohl ein Bargeldautomat für Geldkarten im Haus vorgehalten wird und auch die Ausgabe von Barschecks möglich ist.
Die Mitarbeiter des Jobcenters benennen regelmäßig weitere „Ausnahmetatbestände“.
1. verzögerte Antragsbearbeitung führt kurzfristig zur persönlichen Notlage
2. Buchungsfehler und Falschanweisung verzögern die Auszahlung
3. Nachleistung bei überhöhter Einkommensanrechnung
4. Bei Neukunden in akuter Notlage
5. bei Aufsuchen der „Notfallsprechstunde“
6. . . .
Das Jobcenter blieb den Nachweis der Rechtskonformität immer schuldig. Hausinterne Weisungen zu diesen erweiterten Sonderregelungen gäbe es nicht. Man setze das geltende Recht und die Handlungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit um.
Betroffene umschreiben diese Leistungsgewährung mit den Gutscheinen mit dem fetten Aufdruck „Jobcenter“ als peinlich, beschämend, demütigend und empfinden die Gutscheinpraxis als einen Eingriff in ihre Bürgerrechte.
In Ermangelung geeigneter Vertragspartner wird den Leistungsberechtigten ein abweichendes Verkaufsverhalten aufgezwungen und der freie Wettbewerb unzulässig manipuliert.
Bitte übersenden Sie mir
1. die Rechtsgrundlagen für oben genannte erweiterte Ausnahmetatbestände,
2. die Gesetzesvorlagen (Gutachten, Bundesgesetzblatt o.ä.)
3. die Handlungsanweisungen der Bundesagentur zu Geld und Sachleistungen
4. benennen Sie Untersuchungen und Studien zur Praxis der Gutscheinvergabe
5. welche Rechtsmittel sind möglich, um Geldleistungen zu erhalten?
Ergebnis der Anfrage
§ 24 SGB II regelt die abweichende Erbringung von Leistungen:
(2) Solange sich Leistungsberechtigte, insbesondere bei Drogen- oder Alkoholabhängigkeit sowie im Falle unwirtschaftlichen Verhaltens, als ungeeignet erweisen, mit den Leistungen für den Regelbedarf nach § 20 ihren Bedarf zu decken, kann das Arbeitslosengeld II bis zur Höhe des Regelbedarfs für den Lebensunterhalt in voller Höhe oder anteilig in Form von Sachleistungen erbracht werden.
Als eine weitere 4. Ausnahme für die Vergabe von "Lebensmittelgutscheinen" anstelle von Bargeld kamen später noch Sanktionen über 30% hinzu.
Ungeachtet dieser klaren gesetzlichen Rahmenvorgaben, nutzen einige Jobcenter, darunter das Jobcenter Märkischer Kreis, die Gutscheine zur Disziplinierung und Demütigung ihrer Kunden und verletzen damit regelmäßig die Persönlichkeitsrechte der Leistungsberechtigten.
Die Bundesagentur für Arbeit sieht keinen Handlungsbedarf, solchem "Dorfrecht" Einhalt zu gebieten, bezeichnet aber die einzelnen Jobcenter als eigenverantwortlich für die Ausgabe und Abrechnung der ausgegebenen Gutscheine:
"Für die Abrechnung des Lebensmittelgutscheins ist das jeweils ausstellende Jobcenter zuständig. Die Abrechnung erfolgt über das IT-Fachverfahren A2LL unter Verwendung der jeweiligen Kunden – bzw. Bedarfsgemeinschaftsnummer, § 51a SGB II."
Die Frage nach der Auskunftspflicht zur Anzahl der jährlich ausgegebenen Gutscheine wird ausweichend ignoriert. Es wurde ausdrücklich nicht nach einer "statistischen Erhebung" über die Bewilligung von Gutscheinen gefragt, sondern nach der jeweils letzten Nummerierung der Gutscheine. Die laufende Nummerierung macht die Benennung der jährlichen Gesamtzahl einfach.
Fazit:
Die Gutscheinvergabepraxis einiger Jobcenter missachtet die gesetzlichen Vorgaben.
Die Bundesagentur nimmt ihre Kontrollaufgaben hier ausdrücklich nicht wahr.
Die Abrechnung in den Jobcentern entzieht sich möglicherweise einer ordentlichen Rechnungslegung., da nicht einmal die jährlich ausgegebenen Gutscheine beziffert werden können.
Aus den bisherigen Recherchen ist nicht auszuschließen, dass Steuergelder veruntreut werden, da offensichtlich die Abrechnung mit den Discountern unzureichend dokumentiert werden.
Anfrage teilweise erfolgreich
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Datum31. Mai 2013
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2. Juli 2013
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