Versammlungsfreiheit und Berliner PolizeiKlage gewonnen, keine Informationen

In wessen Dienst steht eigentlich die Berliner Polizei? Nach unserer Klage merkte die Behörde, dass sie nicht im Besitz der angefragten Informationen sei. Vor Gericht offenbarte sie ein problematisches Verständnis von demokratischer Kontrolle und Versammlungsfreiheit.

- Lennart Armbrust, Lennart Lagmöller
#unteilbar-Demo in Berlin –

Seit fast zwei Jahren hat Berlin ein neues Versammlungsfreiheitsgesetz, das das alte Bundes-Versammlungsgesetz ablöste. Es lässt Klarheit und Kohärenz vermissen, aber enthält eine wichtige Neuerung: Vermummungen und Schutzausrüstung auf Demos sind in der Hauptstadt nur noch dann verboten und strafbar, wenn die Polizei vorher ein Verbot für den Einzelfall erlässt. Das kann im Vorfeld allgemein geschehen, oder auch auf der Versammlung mündlich durch Durchsagen oder das Ansprechen einzelner Teilnehmer:innen.

Bisher unklar allerdings: Wie viele Anordnungen dieser Art spricht die Polizei aus? Sind sie rechtskonform? Um darauf Antworten zu erhalten, mussten wir die Polizei verklagen.

Aus unserer Sicht darf die Polizei diese Anordnungen nur zu bestimmten Zwecken ergehen lassen und muss dabei zurückhaltend sein, um dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu möglichst großer Wirkung zu verhelfen. Auch soll die Polizei Anordnungen laut Gesetzgeber möglichst im Vorfeld veröffentlichen und zwar aus drei Gründen: Erstens sollen Teilnehmer:innen die Möglichkeit haben, Repressalien zuvorzukommen und sich an behördliche Anordnungen halten können. Zweitens sollten alle Teilnehmer:innen sowie die Anmelder:innen der Versammlung die Möglichkeit haben, im Vorfeld in einem Eilverfahren oder auch nachträglich die Rechtmäßigkeit der Anordnungen überprüfen zu lassen. Und drittens wird so auch eine öffentliche Kontrolle sichergestellt. Die Polizei veröffentlicht, soweit wir das nachvollziehen können, solche Anordnungen bisher überhaupt nicht. In einigen Fällen forderte sie gar die Anmelder:innen auf, Teilnehmer:innen schon bei der Mobilisierung zur Demo über bestehende Anordnungen in Kenntnis zu setzen. Es ist jedoch nicht Aufgabe der Versammlungsleitung, Verwaltungsakte des Staates, die sie ggf. selbst für rechtswidrig hält, bekannt zu geben.

Wir wollten uns einige dieser Anordnungen ansehen und überprüfen, ob die rechtlichen Bedingungen eingehalten werden. Die Polizei beantwortete unsere Anfrage zunächst überhaupt nicht. Nachdem wir dann nach vielen Sachstandsanfragen und Monate später klagten, bekamen wir nach dem Prozess die ernüchternde Antwort: Es liegen keinerlei Informationen vor. Diese Auskunft hätte die Polizei laut Informationsfreiheitsgesetz (IFG) innerhalb von zwei Wochen geben müssen. So hat es über eineinhalb Jahre gedauert. Das zwischenzeitlich geführte Verfahren hinterließ den Eindruck, dass die Polizei Berlin plan- und kenntnislos auf den Gebieten der Informationsfreiheit und Versammlungsfreiheit agiert und versucht, Antragssteller:innen abzuschrecken.

Berliner Polizei hat keine Lust auf Informationsfreiheit

Erst nach unserer Untätigkeitsklage fing die Polizei plötzlich an zu arbeiten. Die vorgetragene Argumentation war jedoch so pauschal und abwegig, dass man davon ausgehen muss, dass die Polizei dies vorschiebt und versucht, so Anfragen auszusitzen und Anfragesteller:innen Steine in den Weg zu legen, um sie schließlich von IFG-Anfragen abzuhalten.

Die Polizei Berlin vertrat zunächst die Ansicht, dass es sich beim Heraussuchen von Informationen aus den Versammlungsakten um die Generierung neuer Informationen handeln würde. Die Generierung neuer Informationen wäre tatsächlich nicht vom Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz umfasst. Aber hier sollten keine neuen Informationen generiert werden, sondern Anordnungen nur aus Akten herausgesucht und zugesendet werden. Das ist genau das, wofür das IFG gemacht ist. So verstand es auch die Richterin. Um jedoch ein Urteil über diesen von der Polizei Berlin auch in anderen Verfahren bemühten Argumentationstrick zu vermeiden, erkannte die Polizei Berlin den Anspruch auf die Informationen an und sicherte zu, die begehrten Informationen herauszusuchen und zuzusenden.

Zudem sei der Aufwand unverhältnismäßig hoch. Doch konnte die Polizei diesen pauschalen Vortrag nach anderthalb Jahren Bearbeitungszeit nicht weiter konkretisieren. So konnte sie in der mündlichen Verhandlung nicht angeben, wie viel Arbeit ihr das Durchschauen der Akten nach angefragten Informationen machen würde. Auch gäbe es keine Erfassung, denn die Versammlungsakten werden nach wie vor in Papier geführt. Dies ist besonders bemerkenswert in einem Fall, in dem die Polizei die Anordnungen zumindest teilweise sogar eigenständig veröffentlichen soll. Allein dies hinterlässt den Eindruck, dass die Polizei Berlin 23 Jahre nach Inkrafttreten des IFG Berlin immer noch nicht die technischen und personellen Vorkehrungen für eine transparente, dem*der Bürger*in verpflichtete Verwaltung geschaffen hat.  Hier ist die Politik gefragt – so wären die 3,75 Millionen Euro für eine Polizeiwache am Kottbusser Tor sicher besser in ein effizientes Aktenverarbeitungssystem und Personal für die Beantwortung von Bürger:innenanfragen investiert.

Keinen Plan zur Versammlungsfreiheit

Doch der Umstand, dass der Behörde keine Informationen vorliegen, sorgt auch hinsichtlich der Versammlungsfreiheit für Bedenken. So ist es zwar erfreulich, dass für den angefragten Zeitraum keine versammlungsbeschränkenden Anordnungen ergingen. Doch scheint es bei der Polizei Berlin keinerlei koordinierten Umgang mit der neuen Rechtslage zum Versammlungsrecht zu geben. Es existieren bei der Polizei Berlin nach eigener Aussage keinerlei Dienst- oder Geschäftsanweisungen bzw. Verwaltungsvorschriften bezüglich des neuen Berliner Versammlungsgesetzes. Bürger*innen können also die Anwendung der neuen versammlungsrechtlichen Normen schwerlich vorhersehen und sich darauf einstellen.

Dies sorgt für erhebliche Unsicherheiten, die aufgrund des nur nachträglich gewährten Rechtsschutzes im Verwaltungsrecht auch so hingenommen werden müssen. Eine Versammlungsteilnehmer*in weiß schließlich nicht, ob die Polizei über mögliche – strafbewährte – versammlungsrechtliche Anordnungen im Vorhinein über ihre Medienkanäle informiert, vor Ort durchsagt, nur gegenüber Einzelpersonen erlässt oder die Anmelder*innen in der Pflicht sieht über Anordnungen zu informieren. So äußerte sich beispielsweise die Vertreterin der Behörde, dass es ja womöglich auch mündliche Anordnungen gäbe, die in den Akten nicht dokumentiert werden würden. Dies wäre sowohl rechtsstaatlich als auch hinsichtlich des Grundrechts der Versammlungsfreiheit höchst bedenklich. Denn eine solche Anordnung stellt einen hohen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar und zieht bei Zuwiderhandeln Strafbarkeiten nach sich. Allein deshalb obliegt der Behörde eine Dokumentationspflicht.

zur Anfrage und Gerichtsentscheidung

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