Trennung zwischen Amt und MandatEin Mensch, zwei Jobs, viele Fragen

In Deutschland gibt es eine verfassungsrechtliche Besonderheit: Regierungsmitglieder können gleichzeitig Abgeordnete bleiben, obwohl diese Funktionen mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten einhergehen. Insbesondere für die Informationsfreiheit hat sich dadurch eine rechtliche Grauzone entwickelt.

- Lennart Lagmöller

Wo beginnt politische Kommunikation?

Diese rechtliche Grauzone trat in der mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 2023 vor dem Verwaltungsgericht Berlin (Az. VG 2 K 124/22) zu Tage. Der Journalist Arne Semsrott begehrte nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) Zugang zu der SMS- und Messenger Kommunikation des damaligen Außenministers und Bundestagsabgeordneten Heiko Maas zum chaotischen (und rechtswidrigen) Afghanistan-Abzug im April 2021. In solchen auskunftsrechtlichen Verfahren gegen Minister*innen, die auch Abgeordnete sind, besteht grundsätzlich ein Spannungsverhältnis, da Abgeordnete wegen des in Art. 38 GG geschützten freien Mandats, anders als Ministerien, keine auskunftspflichtigen Stellen sind. Semsrott scheiterte mit seiner Klage sowohl hinsichtlich der Kommunikation auf dem Diensthandy als auch bezüglich der Kommunikation, die der Minister über sein Bundestagshandy führte. Das Heiko Maas vom Ministerium zur Verfügung gestellte Diensthandy hatte man nach dem Ausscheiden des Ministers trotz des noch nicht abgeschlossenen IFG-Verfahrens auf Werkseinstellungen zurückgesetzt. Ob von dem Antrag umfasste Kommunikation vorher auf dem Handy vorhanden war, blieb ebenso ungeklärt wie die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Form diese Kommunikation beim Auswärtigen Amt veraktet worden ist. Am Rande erwähnte das Gericht noch, dass auch auf Diensthandys des Auswärtigen Amts „politische Kommunikation“ stattfinden könne, die nicht Gegenstand des Informationsfreiheitsrechts sei.

Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor, aber das Gericht ließ in der mündlichen Verhandlung durchblicken, dass etwaige auf dem Bundestagshandy von Maas vorhandene Kommunikation schon deshalb nicht herausgegeben werden müsse, da sie nie beim Auswärtigen Amt vorhanden gewesen sei. Der faktische Zugriff des im Zeitpunkt des IFG-Antrags noch amtierenden Ministers Maas mache diese Informationen – ungeachtet ihres Inhalts – nicht zu amtlichen Informationen des Auswärtigen Amtes. Ist eine solche strikte Zweiteilung in den Fällen der Personalunion von Amt und Mandat überhaupt möglich und wie ist sie rechtsdogmatisch einzuordnen? Anlass, um sich im ersten Teil dieses Beitrags der Trennung von Amt und Mandat1) zu widmen und anschließend den Zusammenhang zu einer kritischen Verschleierungspraxis zu untersuchen.

Vereinbarkeit von Amt und Mandat als gängige und wenig umstrittene Praxis

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass die Personalunion von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat auf horizontaler Ebene in Deutschland eher die Regel als die Ausnahme ist. Lediglich vier der aktuell sechszehn Bundesminister*innen (Nancy Faeser, Klara Geywitz, Boris Pistorius, Wolfgang Schmidt) sind nicht gleichzeitig Abgeordnete des Bundestages. In der Geschichte der Bundesrepublik gab es überhaupt nur 60 Nicht-Abgeordnete, die Bundesminister*innen waren (Datenhandbuch Kap. 6.8.). Demokratietheoretisch ist die Vereinbarkeit von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat keine Selbstverständlichkeit. So kämpfte der linke Parteiflügel von Bündnis90/Die Grünen bis Ende der 90er Jahre gegen die Ämterhäufung, weil er sie für unvereinbar mit der Gewaltenteilung und -kontrolle hielt. Gleichzeitig diskutierte die Verfassungslehre die Frage, ob das Grundgesetz eine Inkompatibilität sogar vorsehe. Kritiker*innen nahmen die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG normierte Gewaltenteilung als Ausgangspunkt und verstanden die durch Art. 79 Abs. 3 GG unabänderlich vorgeschriebene Existenz „besonderer Organe“ als eine Notwendigkeit der Gewährleistung „von einander gesonderter Organe“. Dies lässt jedoch aus dem Blick, dass für eine parlamentarische Demokratie neben der Gewaltenteilung auch eine Gewaltenverschränkung typisch ist. Das Grundgesetz sieht eben keine „absolute Trennung, sondern eine gegenseitige Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Gewalten“ vor (BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1996 – 2 BvF 2/93 –, BVerfGE 95, 1-27, Rn. 44). So dürften sich damalige Vertreter der Inkompatibilitätsthese wie Epping (DÖV 1999, 529), von Münch (NJW 1998, 34) sowie Schneider/Zeh (Parlamentsrecht § 4 Rn. 38 Fn. 64) heute der ganz herrschenden Meinung gegenübersehen, dass das Grundgesetz die Vereinbarkeit von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat jedenfalls nicht ausschließt. Das Ergebnis wird auch aus dem Umkehrschluss von Art. 66 GG (einfachgesetzlich § 5 BMinG) gezogen. Diese Einigkeit überrascht insbesondere vor dem Hintergrund, dass heutzutage mehr Abgeordnete denn je Teil der Bundesregierung sein dürften. Schließt man parlamentarische Staatssekretäre und die immer wachsende Zahl der Regierungsbeauftragten ein, sind es 56 Abgeordnete und damit knapp 10% der Bundestagsmindestgröße, die regierungsnahe Tätigkeiten wahrnehmen und eigentlich als Abgeordnete die Regierung kontrollieren sollten. Denn die Ansicht des Volljuristen, Bundesjustizministers und Bundestagsabgeordneten Marco Buschmann, dass Regierungsmitglieder im Parlament gerade die Kontrolle der Exekutive stärken, dürfte zu weit gehen.

Inkompatibilität andernorts Normalität

Diese Verfassungsrealität ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Dafür genügt zunächst schon ein Blick in die Bundesländer, von denen etwa Bremen im Art. 108 Abs. 1 sowie Hamburg in Art. 39 Abs. 1 ihrer jeweiligen Verfassung vorsehen, dass Mitglieder der Regierung keine Parlamentsmandate ausüben dürfen. In Brandenburg hingegen sehen die parteiinternen Regelungen der Linken und der Grünen vor, dass ihre Mitglieder bei der Ernennung zu*r Minister*in ihr Landtagsmandat aufgeben. Auch im europäischen Vergleich dürfen Regierungsmitglieder unter anderem in Belgien (Art. 50), Frankreich (Art. 23), Luxemburg (Art. 54) und Schweden (Kap. 4 § 13) nach ihrer jeweiligen Verfassung ein Parlamentsmandat nicht ausüben (vgl. vollständige Übersicht). In der Regel ruht dann das Mandat oder wird von einem Stellvertreter ausgeübt.

Für Regelungen, wie sie Bremen und Hamburg treffen, gibt es gute Gründe. Sowohl das Abgeordnetenmandat als auch das Amt als Bundesminister*in sind anspruchsvolle Tätigkeiten, die jeweils „den ganzen Menschen“ verlangen (So das BVerfG (Urt. v. 5.11.1975 – 2 BvR 193/74) in seinem Diätenurteil jedenfalls bzgl. der Abgeordnetentätigkeit). Eine Umfrage der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 2018 unter Abgeordneten ergab, dass mehr als 90 Prozent der Parlamentarier 55 oder mehr Stunden arbeiten und fast die Hälfte mehr als 70 Stunden pro Woche arbeitet. Kaum vorstellbar also, dass Bundesminister*innen ihre Abgeordnetentätigkeit so ausfüllen, wie andere ämterlose Abgeordnete. Gleichzeitig sieht die „Orientierungshilfe zu den Rechtsverhältnissen der Mitglieder der Bundesregierung“ des Bundesinnenministeriums vor, dass Bundesminister*innen „ihre Arbeitskraft in vollem Umfang ihrem Amt zu widmen“ haben. Schneider/Zeh (Parlamentsrecht § 4 Rn. 32) prägten den Begriff der „faktischen Inkompatibilität“. Dass eine Person diese beiden Tätigkeiten nicht vollumfänglich ausfüllen kann, findet schließlich auch in der Vergütung von Abgeordneten Berücksichtigung. So wird gem. §§ 11, 29 AbgG die Abgeordnetendiät bei gleichzeitigem Einkommen aus einem Amtsverhältnis um die Hälfte gekürzt.

Abgrenzungsprobleme und Interessenkonflikte

Wenig verwunderlich also, dass die Tätigkeiten im politischen Alltag oft kaum voneinander abzugrenzen sind. Momentan wird wieder viel über den Interessenkonflikt bei der Nutzung amtlicher Ressourcen zur Förderung der eigenen politischen Ambitionen als Abgeordnete*r diskutiert. So wurde die Umwidmung des Twitter-Accounts der Bundesinnenministerin Nancy Faeser zu Wahlkampfzwecken in Hessen kritisiert. Vergangene Woche entschied das Amtsgericht Berlin-Mitte, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Nutzer*innen auf X blockieren darf, obwohl er dort – nach Ansicht des AG jedoch nicht überwiegend – als Gesundheitsminister und mit einem blauen, staatliche Institutionen kennzeichnenden, Haken auftrat. Es finden sich noch weitere Probleme. So etwa die Frage, wann ein*e Bundesminister*in, die auch Abgeordnete*r ist, sich auf die Indemnität gemäß Art. 46 GG berufen kann (exmpl.: OVG Münster, Urt. v. 04.10.1966, II A 16/65, DVBl 1967, 51, 53). Indes scheinen die Bundesministerien keine Notwendigkeit zur Regelung dieser Interessenkonflikte zu sehen. So ergaben verschiedenen Anfragen der Plattform fragdenstaat, dass in den Bundesministerien über die bereits erwähnte Orientierungshilfe hinaus keine internen Regelungen zu Interessenkonflikten eine*s Bundesminister*in mit einem Abgeordnetenmandat bestehen. Die Orientierungshilfe selbst stellt lediglich fest, dass Ministeramt und Abgeordnetenmandat kompatibel sind und führt Näheres zur Vergütung, Dienstreisen und Dienstwägen aus.

Schlupfloch für demokratische Kontrolle?

Wie das eingangs erwähnte Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin gezeigt hat, ist die Ministerkompatibilität auch eine Herausforderung für die Bestimmung des Umfangs von Auskunftsrechten. Abgeordnete sind nicht auskunftspflichtig, da sie weder Behörden im Sinne des Presserechts (vgl. § 4 Abs. 1 LPressG) noch im Sinne des Informationsfreiheitsrechts (vgl. § 1 Abs. 1 IFG) sind. Jedoch offenbarten einige Verfahren der jüngeren Vergangenheit, dass die Kommunikationskanäle von denen des Ministeriums nicht immer klar getrennt sind.

So teilte in einem weiteren auskunftsrechtlichen Verfahren bezüglich der Kommunikation Marco Buschmanns das Bundesjustizministerium zunächst mit, dass „Korrespondenz, die in Zusammenhang mit parteipolitischer Betätigung oder Abgeordnetentätigkeit steht“ nicht unter das IFG fällt und dem Ministerium in diesem Sinne keine Informationen vorlägen. Erst im Laufe des Klageverfahrens ergab sich, dass Buschmann in dem angefragten Zeitraum zwar keine E-Mails von seiner Ministeriumsadresse verschickt hat, jedoch drei E-Mails von seinem Abgeordnetenaccount. Bei den – ohne Anerkennung einer Rechtspflicht – bisher herausgegeben Dokumenten handelte es sich eindeutig um amtliche Kommunikation, in der die Pressestelle des Ministeriums Marco Buschmann um die Freigabe bestimmter Zitate bittet.

Auch der damalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer nutzte seine Bundestags-E-Mail-Adresse, um über die unionsrechtswidrige PKW-Maut zu kommunizieren. Scheuer ließ sich unter anderem von einem Abteilungsleiter des Ministeriums über seine Abgeordneten-E-Mail-Adresse bezüglich der damals diskutierten Einsetzung eines Untersuchungsausschusses briefen und stimmte seine Reaktionen diesbezüglich mit ihm ab. Die technische Infrastruktur des Bundestages zu nutzen, war ein zunächst erfolgreiches Manöver, denn dem eingesetzten Untersuchungsausschuss wurden erst nachträglich 320 Seiten E-Mails vorgelegt, die auch Kommunikation von der Abgeordnetenadresse Andreas Scheuers enthielten. In einem daraufhin angestrengten Verfahren nach § 17 Abs. 4 PUAG verpflichtete der Bundesgerichtshof den Untersuchungsausschuss, sich die auf den Servern des Bundestages gespeicherten Protokolldateien (Logfiles) bestimmter E-Mail Accounts des Bundestages vorlegen zu lassen. Der BGH (Beschl. v. 29.1.2021 – 1 BGs 42/21, 1 ARs 1/20, BeckRS 2021, 917 Rn. 38) stellte fest, dass, falls ein Bundesminister es zulässt, „dass Bedienstete des Ministeriums ihn unter seinen vom Deutschen Bundestag bereitgestellten E-Mail-Adressen zu Amtsgeschäften kontaktieren“ und er darauf antwortet, „er diesen Kommunikationsweg eigenverantwortlich für Dienstgeschäfte als Minister“ öffnet. Was auskunftspflichtig ist, wird hier richtigerweise funktional nach dem Inhalt der Information bestimmt und nicht nach der organisatorischen Zugehörigkeit der technischen Infrastruktur.

Gänzlich außerhalb der Reichweite auskunftsrechtlicher Ansprüche dürfte – jedenfalls nach Auffassung des VG Berlin – jede Kommunikation sein, die ein Minister mit Dritten über seine Abgeordnetenkanäle führt. Ob es eine solche Kommunikation im eingangs erwähnten Maas-Verfahren gegeben hat, wird wohl ungeklärt bleiben.

Ausblick und Fazit

Warum Abteilungen eines Ministeriums ihre Minister*innen über ihre Abgeordnetenadressen kontaktieren, wie im Fall Scheuer und Buschmann, lässt sich nur mutmaßen. Ebenfalls unklar bleibt, warum solche Kommunikation nicht veraktet wird. Die Auswahl der drei Verfahren zeigt zunächst, dass Lena Buß (Kompatibilitätsregeln für Angehörige der Legislativ- und Exekutivorgane im Mehrebenensystem, 2019, S. 114ff) in ihrer Dissertation einem Fehlschluss unterliegen dürfte, wenn sie feststellt, dass kein Regelungsbedarf bestehe, da „sowohl des Bundesregierungsmitglied als auch der Bundestagsabgeordnete dem Gemeinwohl des Bundes gegenüber verpflichtet“ sind und es somit unwahrscheinlich sei, „dass bei Ausübung beider Funktionen ein Interessenkonflikt besteht.“ Vielmehr zeigen die Beispiele, dass es einer Regulierung bezüglich der Interessenkonflikte bei Personalunion von Ministeramt und Abgeordnetenmandat bedarf. Mit verbindlichen Regeln zur Aktenführung ließen sich Auskunftsrechte besser durchsetzen. Auch die politische Diskussion um die Notwendigkeit der Abgeordnetenmandate von Bundesminister*innen muss nicht gescheut werden. Die Kompatibilität ist zwar de lege lata nicht ausgeschlossen. Das bedeutet aber nicht, dass eine Inkompatibilität nicht durch eine Grundgesetzänderung möglich oder gar wünschenswert wäre.

Dieser Text wurde zunächst auf dem Verfassungsblog unter der Lizenz CC-BY SA 4.0 veröffentlicht.

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