Taser für die Polizei NRWWas in den Dienstanweisungen steht – und was nicht

Wir haben die Taser-Dienstanweisungen aus Nordrhein-Westfalen frei geklagt und mit einem Forscher besprochen. 

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Im Vordergrund ist das Wappen von NRW, das anstatt der Wappenelemente einen Taser und einen Blitz zeigt. Im Hintergrund ist der Begrif "Polizei" zu lesen.

eigene Bearbeitung

Polizisten drücken einen Mann zu Boden. Dann kommt ein weiterer Polizist dazu, richtet seinen Taser auf den am Boden Liegenden und versetzt ihm einen Elektroschock. Im April 2021 verbreitet sich ein Video dieser Szene im Internet. Viele sehen es, auch Bjarne Rest. Für ihn ist es der Anlass, eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zu stellen: Er beantragt die Dienstanweisungen der Polizei Nordrhein-Westfalen für Taser, oder Distanzelektroimpulsgeräte (DEIG) wie sie im Polizeideutsch heißen. Damals ahnt Rest noch nicht: Es wird zwei Jahre dauern, eine Klage und einen Gerichtsprozess brauchen, bis er das Dokument sehen wird.

„Ich habe damit gerechnet, dass die Polizei sich quer stellt. Aber ich dachte, spätestens nach einem Widerspruch ist das geklärt“, sagt Rest. Doch einen Widerspruch sieht das nordrhein-westfälischen Informationsfreiheitsgesetz nicht vor. Rest muss gegen die Ablehnung direkt klagen, um seine Anfrage nicht sofort zu verwerfen. „Bürger:innenfreundlich ist das nicht“, sagt er. FragDenStaat unterstützt ihn bei der Klage.

Gericht hält Polizei-Argumentation für unplausibel

Vor Gericht argumentiert die Polizei, dass „Störer“ sich mit den Dokumenten auf Einsatzszenarien der Polizei vorbereiten könnten. So werde womöglich der Erfolg der polizeilichen Maßnahme verhindert. Darum könne die Polizei ihre Dienstanweisung nicht veröffentlichen. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hält das für unplausibel. Es entscheidet: Die Polizei NRW muss ihre Taser-Dienstanweisungen herausgeben. 

Und was steht drin? Der erste Satz des Dokuments weist darauf hin, dass die Gewalt gegen Polizist:innen gestiegen sei. Taser könnten dazu beitragen, diese Gewalt zu reduzieren. Zugleich könnten Taser der Dienstanweisung zufolge auch das Verletzungsrisiko des sogenannten polizeilichen Gegenübers senken. 

Doch so einfach wie in der Dienstanweisung beschrieben, ist es nicht. „Taser können töten“, sagt der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes. Besonders Herzkranke und psychisch Kranke seien gefährdet. Für Menschen, die etwa psychotisch sind, wirke es besonders bedrohlich, wenn Uniformierte sie umkreisen und ihren Taser ziehen. Der Drang, sich zu verteidigen, ja, mit Gewalt gegen Polizist:innen vorzugehen, werde so nur stärker. Ein Taser eskaliere die Situation, statt sie zu entschärfen, sagt Feltes.

Gern hätten wir von der Polizei in NRW gewusst, wie oft sie die Taser bisher eingesetzt hat – und wie oft tatsächlich durch den Tasereinsatz Gewalt gegen Polizisten reduziert werden konnte. Trotz mehrerer Nachfragen schickt das Landesamt für Polizeiliche Dienste keine Antworten auf unsere Fragen.

Schwanger, gebrechlich, psychisch krank: Wer darf getasert werden?

Über den Umgang mit psychisch Kranken steht in der Dienstanweisung kein Wort. „Das halte ich für einen wesentlichen Mangel“, sagt Feltes. Denn unter den von der Polizei getöteten Menschen sind in Deutschland auffällig oft psychisch Kranke oder Menschen in psychischen Ausnahmesituationen. Auch zu Herzkrankheiten steht nichts in der Dienstanweisung. Allerdings findet sich der Hinweis, keine sichtbar Schwangeren, Gebrechlichen oder Menschen unter 14 Jahren zu tasern. 

Gesundheitsrisiken

Gesundheitsrisiken

Bodycams vor einem potentiellen Tasereinsatz einzuschalten, ist laut Dienstanweisung „zulässig und erwünscht“. Verpflichtend ist es demnach nicht. Polizeiforscher Feltes sagt dazu: „Ich kenne keinen Polizisten, der seine Bodycam freiwillig einschaltet, wenn er den Taser zieht.“ Feltes fordert, dass die Bodycam sich automatisch einschaltet, sobald Polizist:innen den Taser aus der Halterung zieht.

Bodycams

Bodycams

Nach dem Willen der Polizei hätte nie öffentlich werden sollen, nach welchen Vorgaben die Beamt:innen Taser einsetzen und wie wenig sie dabei über die Gefahren informiert werden. Das Dokument war von der Behörde als „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch” (VS-NfD) klassifiziert worden. Dass solche Dienstanweisungen als einfach Verschlusssache eingestuft werden, hält Polizeiforscher Feltes für nicht nachvollziehbar. Nach einem Blick in die Dienstanweisungen aus NRW sagt er: „Da steht nichts drin, was geheim bleiben müsste.“

Polizist:innen haben bereits gegen Taser-Anweisung verstoßen

Wer die Dienstanweisungen kennt, kann prüfen, ob die Polizei sich daran hält. Bei einem Einsatz in Dortmund verstießen Polizist:innen offenbar gegen die Taser-Dienstanweisung. Im August 2022 erschoss ein Dortmunder Polizist den 16-jährigen Mouhammed Dramé. Der aus dem Senegal geflohene Jugendliche war in einer psychischen Ausnahmesituation und drohte im Hof einer Jugendeinrichtung damit, sich mit einem Messer umzubringen. Taser „werden grundsätzlich in statischen Einsatzlagen eingesetzt“, steht in der Dienstanweisung. Nachdem die Beamt:innen Dramé mit Pfefferspray besprühten, ging er auf sie zu. Eine dynamische Lage. Trotzdem schossen zwei Polizist:innen mit Tasern auf ihn. Ein dritter Polizist tötete Dramé mit fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole. 

Dynamische Lage

Dynamische Lage

Die jetzt veröffentlichten Dienstanweisungen sind von 2021. Sie entsprechen dem Stand zum Zeitpunkt, als Bjarne Rest die Dokumente angefragt hatte. Er weiß schon, welche Information er als nächstes beantragt: die aktuellen Dienstanweisungen zu Tasern der Polizei in NRW.

zum Urteil

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