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Aktenzeichen
4 LB 11/12
Datum
6. Dezember 2012
Gericht
Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein
Gesetz
Informationszugangsgesetz Schleswig-Holstein (IZG-SH)
Informationszugangsgesetz Schleswig-Holstein (IZG-SH)

Urteil: Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein am 6. Dezember 2012

4 LB 11/12

Die Finanzämter unterfallen dem Anwendungsbereich des Informationszugangsgesetzes. Das Nichtvorhandensein einer Informationszugangsregelung in der Abgabenordnung steht der Anwendung des Informationszugangsgesetzes nicht entgegen. Ein gesetzlich vorgesehener Ablehnungsgrund liegt nicht vor. Der Ablehnungstatbestand zum Schutz laufender Gerichtsverfahren dient nur dem Schutz der Rechtspflege, nicht jedoch dem des Prozesserfolgs einer Partei. Zivilprozessuale Einsichtsregelungen schließen einen außerhalb des Prozessrechts begründeten Informationsanspruch nicht aus. Eine missbräuchliche Antragstellung ist nicht zu erkennen; dies gilt auch im Hinblick auf die mögliche Verbesserung der Rechtsposition des Klägers im Amtshaftungsprozess. Das zwischenzeitlich in Kraft getretene Informationszugangsgesetz ist auf Anträge auf Informationszugang anwendbar, die noch vor seinem In-Kraft-Treten, also während der Geltung des früheren Informationsfreiheitsgesetzes gestellt worden sind. Dem Kläger steht als Betroffenem zudem noch ein datenschutzrechtlicher Informationsanspruch zu. Das Oberverwaltungsgericht bestätigt damit im Ergebnis das Urteil der Vorinstanz, das ein Finanzamt zur Gewährung der Akteneinsicht in Unterlagen zur eigenen steuerlichen Veranlagung des Klägers verpflichtet hatte. (Quelle: LDA Brandenburg)

Missbräuchliche Antragstellung Konkurrierende Rechtsvorschriften Beratungsgeheimnis (behördlicher Entscheidungsprozess) Schutz besonderer Verfahren Fiskalische Interessen

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Anonymisierung aktualisiert am: 18. Dezember 2012 SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT Az.:    4 LB 11/12                                verkündet am 06.12.2012 8 A 207/11                                …., Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle IM NAMEN DES VOLKES URTEIL In der Verwaltungsrechtssache des Herrn B., B-Straße, B-Stadt Kläger und Berufungsbeklagter, Proz.-Bev.: C., C-Straße, C-Stadt, - - gegen das Finanzamt Kiel-Süd, Hopfenstraße 2 a, 24114 Kiel Beklagter und Berufungskläger, Proz.-Bev.: Finanzministerium des Landes Schleswig-Holstein, Düsternbrooker Weg 64, 24105 Kiel, - - Streitgegenstand:       Datenschutzrecht/Informationszugangsgesetz -2-
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-2- hat der 4. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts auf die mündli- che Verhandlung vom 6. Dezember 2012 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwal- tungsgericht ….., die Richterin am Oberverwaltungsgericht ….., den Richter am Oberver- waltungsgericht ….. sowie die ehrenamtlichen Richterin …..t und den ehrenamtlichen Richter …. für Recht erkannt: Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts - Ein- zelrichter der 8. Kammer - vom 27. Februar 2012 wird zurück- gewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand: 1 Der Kläger begehrt Einsicht in die beim Finanzamt Kiel-Süd geführten Verwaltungsvor- gänge betreffend seine Veranlagung zur Einkommensteuer in den Jahren 1995 bis 1997. 2 Mit Schreiben vom 17. Juni 2010 sowie konkretisierend vom 07. und 23. Juli 2010 bean- tragte der Kläger, ihm bzw. seinem Prozessbevollmächtigten Akteneinsicht in die Ein- kommensteuerakten zu seiner Person beginnend mit dem Veranlagungsjahr 1995 zu ge- währen. Er stellte ausdrücklich klar, dass das im laufenden Verwaltungsverfahren befind- liche Veranlagungsjahr 1998 sowie spätere Jahre nicht von seinem Akteneinsichtsbegeh- ren umfasst seien, und legte eine Vollmacht seiner Ehefrau vor, mit der diese ihr Einver- ständnis mit einer Einsicht auch in den sie betreffenden Teil der Verwaltungsvorgänge erklärte. Rechtsanwalt Dr. …., der die Einsichtnahme durchführen solle, sei beauftragt, eine Schadensersatzklage des Klägers gegen das Land Schleswig-Holstein wegen ver- deckter Gewinnausschüttungen im Jahre 1996 und der dadurch vom Beklagten festge- setzten Steuern und wegen des beim Amtsgericht Neumünster beantragten Insolvenzver- fahrens zu führen. Mit Nachricht vom 13. September 2010 teilte das Finanzministerium des Landes Schleswig-Holstein dem beklagten Finanzamt mit, dass Rechtsanwalt Dr. ….. sich im Namen des Klägers an den Ministerpräsidenten und den Finanzminister -3-
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-3- des Landes Schleswig-Holstein gewandt und dargelegt habe, dass der Kläger von u.a. dem beklagten Finanzamt in den Ruin getrieben worden sei und die Geltendmachung noch zu beziffernder Schadensersatzforderungen beabsichtige. Nach Vermutung des Finanzministeriums diene daher das Akteneinsichtsbegehren der Vorbereitung einer Gel- tendmachung von Amtshaftungsansprüchen. Diesbezüglich verwies das Finanzministeri- um auf ein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 17. Dezember 2008 - IV A 3-S 0030/08/10001 -, wonach Beteiligten im Sinne von §§ 78, 359 Abgabenordnung (AO) auf Antrag Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten zu erteilen sei, wenn sie ein berechtigtes Interesse darlegten und keine Gründe für eine Auskunftsver- weigerung vorlägen. Ein berechtigtes Interesse soll nach Ziff. 3 des Schreibens u.a. dann nicht vorliegen, wenn die Auskunft dazu dienen kann, zivilrechtliche Ansprüche gegen den Bund oder ein Land durchzusetzen und Bund oder Land zivilrechtlich nicht verpflichtet sind, Auskunft zu erteilen (z.B. Amtshaftungssachen, Insolvenzanfechtung). Die Aus- kunftserteilung soll nach Ziff. 7 des Schreibens unterbleiben, soweit u.a. die Auskunft die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung der betreffenden Stelle oder die öffentliche Sicher- heit oder Ordnung gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nach- teile bereiten würde. 3 Auf die Nachfrage des Beklagten mit Schreiben vom 02. Juli 2010, welches berechtigte Interesse an der Akteneinsicht der Kläger darlegen könne, teilte dieser mit, ein solches Interesse ergebe sich aus dem verfassungsrechtlichen Gewicht seines Auskunftsinteres- ses, welches nur wegen eines gegenläufigen, überwiegenden Geheimhaltungsinteresses der Behörde zurückgestellt werden dürfe. 4 Mit Bescheid vom 22. September 2010 lehnt das beklagte Finanzamt den Antrag auf Akteneinsicht unter Berufung auf die Ausführungen im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen ab. Die Akteneinsicht solle nach den Ausführungen des Klägers der Durch- setzung zivilrechtlicher Ansprüche gegen das Land Schleswig-Holstein dienen. Somit sei ein berechtigtes Interesse nicht gegeben. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den Grundsätzen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 10. März 2008 (1 BvR 2388/03), da dort ein anders gelagerter Sachverhalt außerhalb eines Steuerfestsetzungs- bzw. Erhebungsverfahrens betroffen gewesen sei. -4-
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-4- 5 Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 07. Oktober 2010 Einspruch. Ihm stehe ein Anspruch auf Akteneinsicht u.a. nach § 5 des (damaligen) Gesetzes über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Schleswig-Holstein vom 09. Februar 2000 (IFG) sowie aus § 27 Landesdatenschutzgesetz (LDSG) zu. Einschränkungen des Infor- mationszuganges bestünden weder aus Landes- noch aus Bundesrecht. Es liege nicht nur die Einwilligung, sondern ein Auftrag des Betroffenen hinsichtlich der begehrten Akteneinsicht vor. Die Abgabenordnung stehe den genannten landesrechtlichen Vorschrif- ten nicht entgegen. Aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) ergebe sich ebenfalls, dass der Schutz des Steuergeheimnisses im öffentlichen Interesse nicht weiter reichen könne als der Schutz des Steuergeheimnisses im Interesse des Steuerpflichtigen. Im Übrigen könne in der Findung eines materiell richtigen Zivilurteils niemals eine negati- ve, einem Akteneinsichtsrecht entgegenstehende Auswirkung auf die Verwaltung gese- hen werden. Ein aus der Aktenkenntnis resultierender Vorteil, in einem Zivilverfahren bes- ser vortragen zu können, sei von der Behörde aufgrund ihrer rechtsstaatlichen Bindung hinzunehmen. 6 Mit Einspruchsentscheidung vom 28. April 2011 wies der Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies der Bescheid erneut auf die Ausführungen des BMF-Schreibens vom 17. Dezember 2008. Mit den hierin genannten Gesichtspunkten werde auch dem Inhalt des § 27 LDSG Rechnung getragen. Nach bei- den Vorgaben unterbleibe die Auskunftserteilung bzw. Gewährung von Akteneinsicht, soweit durch sie die Aufgabenerfüllung einer der beteiligten Stellen gefährdet werde. Das sei der Fall, wenn die Auskunft zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegen Bund oder ein Land dienen könne und diese nicht verpflichtet seien, Auskunft zu erteilen. Ein Akteneinsichtsanspruch ergebe sich auch nicht aus dem Informationsfreiheitsgesetz für das Land Schleswig-Holstein (IFG-SH), da dieses nur für den Anspruch auf Zugang zu Daten Dritter, nicht jedoch zu Daten hinsichtlich der eigenen Person einschlägig sei. So unterscheide das IFG-SH in den Ausnahmeregelungen des § 12 Abs. 1 zwischen dem akteneinsichtsbegehrenden Antragsteller und einem Betroffenen. 7 Ein Anspruch auf Akteneinsicht im Besteuerungsverfahren sei auch von der Recht- sprechung nicht anerkannt. Vielmehr enthalte die Abgabenordnung (AO) eine abschlie- ßende Negativregelung. -5-
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-5- 8 Am 30. Mai 2011 hat der Kläger Klage zum Finanzgericht C-Stadt eingereicht, welche mit Beschluss vom 08. November 2011 an das Verwaltungsgericht verwiesen worden ist. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren. Das IFG- SH stelle gegenüber der Abgabenordnung eine spezialgesetzliche Regelung dar. Für die Anwendung des IFG-SH bleibe auch neben der Abgabenordnung, welche weder einen Anspruch auf Akteneinsicht einräume noch eine solche Akteneinsicht verbiete, Raum. Die im IFG-SH genannten Einschränkungen für einen Informationszugang seien im vorliegen- den Falle nicht ansatzweise einschlägig. Der Beklagte unterliege als Behörde des Landes den Regelungen des IFG-SH. Eine dem § 1 Abs. 3 IFG des Bundes vergleichbare Subsi- diaritätsklausel gebe es im IFG-SH nicht. 9 Der Kläger habe als Ausfluss des verfassungsrechtlichen Rechts auf informationelle Selbstbestimmung einen Anspruch darauf, in Erfahrung zu bringen, welche Daten über ihn bei der Finanzverwaltung vorhanden seien. Dies habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 10. März 2008 klargestellt. Dort sei anerkannt worden, dass ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung auch bei einer Sammlung und Speicherung von Daten anzunehmen sei, die unter das in § 30 AO gere- gelte Steuergeheimnis fielen. Diese Gesichtspunkte träfen auch auf jeden von der dort entschiedenen Konstellation abweichenden sonstigen Steuerrechtsfall zu. Der Kläger ha- be in einem Rechtsstreit vor dem Finanzgericht und dem vorangegangenen Veranla- gungsverfahren erleben müssen, dass sich das Finanzamt auf Annahmen bezogen habe, die einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhielten. Es sei kein tragfähiger Grund er- sichtlich, der gegen eine Akteneinsicht des Klägers in die ihn selbst betreffenden Daten spreche. Vielmehr müsse aus den Akten hervorgehen, in welch skrupelloser Art und Wei- se er in den Ruin getrieben worden sei. 10 Der vom Finanzamt geltend gemachte Ausschlussgrund sei dem IFG-SH fremd. Ein Aus- schlussgrund könne lediglich bei Gefahr einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Akteneinsicht anzunehmen sein. Davon könne hier aber nicht die Rede sein. Der Kläger habe zuvor Akteneinsicht bereits vier Jahre vor seinem hier streitgegenständlichen Antrag genommen. 11 Auch der Bundesfinanzhof habe in seinem Beschluss vom 04. Juni 2003 - VII B 138/01 - aus der Abgabenordnung kein Verbot einer Akteneinsicht abgeleitet, vielmehr habe er -6-
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-6- einen Anspruch des Steuerpflichtigen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Akteneinsichtsbegehren anerkannt. Das im Rahmen des IFG-SH gewährte Recht auf In- formationszugang bestehe neben einem solchen in der finanzgerichtlichen Recht- sprechung entwickelten Anspruch. 12 Auch die vom Beklagten angeführten Gesichtspunkte betreffend Informationsrechte im zivilprozessualen Verfahren gingen fehl. Der Gesichtspunkt der Waffengleichheit im zivil- prozessualen Verfahren könne einen im Verwaltungsverfahren erlangten Informationsvor- sprung der Behörde nicht konservieren. Vielmehr sei das beklagte Finanzamt auch in ei- nem Zivilprozess gem. § 138 Abs. 1 ZPO zu wahrheitsgemäßem und vollständigem Vor- trag verpflichtet. 13 Der Kläger hat beantragt, 14                 ihm Einsicht in die im Zusammenhang mit seiner Veranlagung für die Jahre 1995 bis 1997 bei dem beklagten Finanzamt geführten Verwaltungsakten zu gewähren. 15 Der Beklagte hat beantragt, 16                 die Klage abzuweisen. 17 Die Klage sei bereits unzulässig, da dem Kläger das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehle. Ihm sei in einem finanzgerichtlichen Verfahren unter dem Aktenzeichen 3 K 209/02 bereits einmal Akteneinsicht bzw. jedenfalls die Möglichkeit hierzu gewährt worden. Jedenfalls sei die Klage unbegründet, da das IFG-SH wegen der Vorrangigkeit des Abga- benordnung als lex specialis nicht anwendbar sei. Der Bundesfinanzhof habe einen gene- rellen Anspruch auf Akteneinsicht nach der Abgabenordnung ausdrücklich abgelehnt. Aus der vom Beklagten angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. März 2003 könne der Kläger nichts für sich herleiten, da er - anders als der dortige Beschwerdeführer - genau wisse, welche ihn betreffenden Daten sich in den begehrten Akten befänden, da diese Daten seiner Besteuerung zugrunde gelegt worden und bereits Gegenstand des Rechtsstreits vor dem Finanzgericht gewesen seien. Die Daten seien auch für die Zukunft nicht von Bedeutung, da sie abgeschlossene Veranlagungszeiträume beträfen. -7-
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-7- 18 Für Daten, die im Rahmen eines Besteuerungsverfahrens geführt wurden, gelte auch au- ßerhalb eines konkreten Verwaltungsverfahrens weiterhin die Abgabenordnung. In die- sem Zusammenhang habe ein Steuerpflichtiger lediglich ein Recht auf Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen über einen Akteneinsichtsantrag. Dieses Ermessen sei vorlie- gend pflichtgemäß ausgeübt worden, indem eine Interessenabwägung vorgenommen sei. Dabei seien die Grundsätze zur Prüfung und Gewichtung eines berechtigten Interesses aus dem BMF-Schreiben vom 17. Dezember 2008 zutreffend einbezogen worden. Das Finanzamt sei als nachgeordnete Behörde des Landes Schleswig-Holstein an die vom BMF vorgenommenen Erwägungen gebunden gewesen. Das Schreiben sei als Verwal- tungsanweisung zur gleichmäßigen Handhabung des Ermessens anzusehen. 19 Das klägerische Begehren richte sich letztlich ausschließlich auf die Durchsetzung eines Schadensersatzanspruches gegen das Land Schleswig-Holstein. Nach den Verfahrens- regeln der ZPO bestehe (in dem anhängigen Zivilrechtsstreit) kein Anspruch auf Vorlage der Akten, da die vorzulegenden Urkunden bzw. konkret zu beweisenden Tatsachen nicht hinreichend dargelegt seien. Somit sei das Akteneinsichtsbegehren des Klägers als unzu- lässige Ausforschung zu werten. Die vom Kläger angeführte Vollständigkeitspflicht des Vortrages der Beteiligten aus § 138 Abs. 1 ZPO beinhalte keine Verpflichtung zur Vorlage der eigenen Akten, da die Zivilprozessordnung keine allgemeine Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweispflichtigen Partei kenne. 20 Mit Urteil vom 27. Februar 2012 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und den Beklagten zur Gewährung der beantragten Akteneinsicht verpflichtet. Die Klage sei zulässig; insbesondere fehle ihr nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Zwar habe der Kläger bestätigt, dass im Rahmen eines finanzgerichtlichen Verfahrens betreffend die Veranla- gung für das Jahr 1996 bereits einmal Akteneinsicht genommen worden sei. Eine erneute Einsicht sei jedoch erforderlich, weil es nunmehr um einen anderen rechtlichen Zusam- menhang gehe. 21 Ein Anspruch auf Auskunft ergebe sich für den Kläger bereits nach der Abgabenordnung. Diese enthalte zwar keine ausdrückliche Regelung über ein allgemeines Akteneinsichts- recht im Steuerverwaltungsverfahren. Die Rechtsprechung habe jedoch aus dem allge- meinen Recht auf Gehör und faires Verfahren einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie -8-
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-8- Entscheidung über den Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht entwickelt. Eine Ableh- nung der Akteneinsicht könne ermessensgerecht nur mit überwiegenden Belangen der Steuerverwaltung begründet werden. Insoweit könne auf allgemeine verwaltungsverfah- rensrechtliche Gesichtspunkte zurückgegriffen werden. Der Gesichtspunkt, dass Motiv des Auskunftsersuchens die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche und das Land zivil- rechtlich nicht zur Auskunftserteilung verpflichtet sei, stelle keinen tragfähigen entgegen- stehenden Belang dar. Infolge der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz könne es keinen Nachteil für die öffentliche Hand darstellen, wenn sich unter Verwendung der nachgefragten Information ein Amtshaftungsanspruch als berechtigt herausstelle. Viel- mehr sei der betroffene Verwaltungsträger zur Erfüllung eines solchen Anspruches ver- pflichtet. 22 Unabhängig hiervon ergebe sich ein Akteneinsichtsanspruch des Klägers aus § 4 IFG-SH. Der Anspruch auf Informationszugang gelte auch für den Beklagten als Behörde des Lan- des i.S.v. § 3 IFG-SH. Für Steuervorgänge, die der Abgabenordnung unterlegen hätten oder noch unterlägen, gelte nichts anderes. Die einen Informationszugang einschränken- den Gesichtspunkte seien ausschließlich den §§ 9 bis 12 IFG-SH zu entnehmen. Danach liege ein Ausschlusstatbestand nicht vor. Es handele sich um Unterlagen aus einem ab- geschlossenen Besteuerungsverfahren, die keine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder geschützte Daten Dritter gem. §§ 11 und 12 IFG-SH enthielten. 23 Die auf Antrag des Beklagten hiergegen mit Beschluss des Senats vom 21. Juni 2012 zugelassene Berufung wird wie folgt begründet: 24 Der Beklagte habe die Akteneinsicht des Klägers entsprechend den Ermessensgrundsät- zen des BMF-Schreibens vom 17. Dezember 2008 fehlerfrei abgelehnt. Nach der Recht- sprechung des BFH sei es rechtsmissbräuchlich, wenn ein Antrag auf Akteneinsicht der Erlangung von Informationen für die Durchführung eines zivilgerichtlichen Verfahrens die- ne. Es sei allein sachgerecht, Akteneinsicht zur Durchführung des Besteuerungsverfah- rens zu gewähren. Der zivilprozessuale Grundsatz der Waffengleichheit, dem Verfas- sungsrang zukomme, würde empfindlich gestört, wenn die Begründung eines Aktenein- sichtsbegehrens allein damit, dass Material für einen Amtshaftungsprozess gesammelt werden solle, als berechtigtes Interesse für ausreichend erachtet würde. Die Auskunfts- -9-
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-9- pflichten des Landes in einem Amtshaftungsprozess seien denjenigen einer Privatperson gleichzustellen. 25 Die Rechtsmissbräuchlichkeit des Auskunftsbegehrens ergebe sich hier auch unter dem Gesichtspunkt des unzulässigen Ausforschungsbeweisantrages. Nach dem zivilprozes- sualen Beibringungsgrundsatz sei keine Partei gehalten, dem Gegner das Material für seinen Prozesssieg zu verschaffen, wenn nicht materiell-rechtliche Auskunfts- und Vorla- gepflichten bestünden oder die Grundsätze der sekundären Darlegungslast eingriffen. Vorliegend bestehe keine materiell-rechtliche Auskunfts- und Vorlagepflicht, auch nicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Das Zivilgericht des anhängigen Amtshaftungspro- zesses sei dem Antrag des Klägers auf Vorlage der Akten nicht nachgekommen. Dem- nach könne der Kläger auch unter dem Gesichtspunkt der Gewährung rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens keinen Anspruch auf Vorlage der gewünschten Unterlagen ha- ben. Im Übrigen bedürfe es zur Verschaffung der Kenntnis der dem Kläger von vornherein bekannten Unterlagen wie der Steuererklärung und der Belege sowie der entsprechenden Verwaltungsakte keiner Akteneinsicht. Insofern könne das Akteneinsichtsbegehren allen- falls auf interne Vermerke und Aufzeichnungen gerichtet sein. Dabei handele es sich je- doch um Motive für ein Verwaltungshandeln, die nicht überprüfbar seien und auch nicht offengelegt werden müssten. 26 Im Rahmen des anhängigen Amtshaftungsprozesses gehe es um die Frage der Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung seitens der Finanzverwaltung. Die hierzu relevan- ten Informationen könne der Kläger den ihm bereits bekanntgegebenen Verwaltungsakten sowie dem Vortrag in dem seinerzeitigen finanzgerichtlichen Verfahren entnehmen. Auch im Amtshaftungsprozess seien bereits ein Vielzahl von Unterlagen vorgelegt worden. Ent- scheidend für die Frage der ermessensfehlerfreien Entscheidung über Akteneinsicht sei nicht, ob der Verwaltung ein Nachteil durch Geltendmachung eines berechtigten An- spruchs entstehen könne, sondern die Frage, ob ein berechtigtes Interesse des Klägers an einer Akteneinsicht bejaht werden könne. Dies sei aufgrund der zivilprozessualen Ein- bindung zu verneinen. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, dass ohne Akteneinsicht ein be- rechtigter Anspruch vereitelt würde. Vielmehr könne das Zivilgericht auf Basis bereits vor- gelegter Unterlagen ein Urteil fällen. Andernfalls hätte es den Beklagten auf Antrag des Klägers zur Vorlage der begehrten Akten verpflichtet. Im Rahmen des auszuübenden Er- messens überwiege das Interesse des Beklagten, keiner erheblichen Beeinträchtigung seiner Aufgabenerledigung durch Gewährung eines allgemein gehaltenen Akteneinsichts- - 10 -
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- 10 - gesuchs ausgesetzt zu sein, weil er andernfalls vor dem Hintergrund des § 30 AO ver- pflichtet sei, sämtliche Unterlagen nach Informationen Dritter, die dem Steuergeheimnis unterlägen, zu durchsuchen sowie das Kontrollmaterial und behördeninterne Vermerke auszusondern. 27 Dem Verwaltungsverfahrensgesetz entlehnte Gesichtspunkte seien im Rahmen der An- wendung der Abgabenordnung als der spezielleren Verfahrensordnung fehl am Platz. Die Abgabenordnung enthalte nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine abschließende Negativregelung für den Umgang mit den im Besteuerungsverfahren gespeicherten Da- ten. Die Nichtaufnahme einer Regelung zum Auskunfts- und Akteneinsichtsrechts des Steuerpflichtigen in der Abgabenordnung sei eine bewusste gesetzgeberische Entschei- dung und damit ein absichtsvoller Regelungsverzicht, welcher Sperrwirkung mit der Folge der Berücksichtigung auf der Ermessensebene entfalte. Der Gesetzgeber habe ein allge- meines Akteneinsichtsrecht im Steuerverwaltungsverfahren gerade zum Schutz Dritter und des Ermittlungsinteresses der Finanzbehörden sowie wegen des Verwaltungsauf- wandes für nicht praktikabel gehalten. Diese Überlegungen seien auch heute noch gültig. Nichts anderes könne für das Begehren einer Einsichtnahme in Steuerakten außerhalb eines Besteuerungsverfahrens gelten. Auch insoweit enthalte die Abgabenordnung eine abschließende Negativregelung. Der Kläger begehre Zugang zu Akten, welche dem Be- reich der Abgabenordnung unterfielen. Sein Begehren sei nach denselben Gesichtspunk- ten zu behandeln wie eine Akteneinsicht im Rahmen eines laufenden Besteuerungsver- fahrens. Mit Erlass der Abgabenordnung habe der Bundesgesetzgeber von seiner Kom- petenz gem. Art. 108 Abs. 5 S. 1 GG zur Schaffung eines von den Landesfinanzbehörden anzuwendenden abschließenden Verfahrensrechtes Gebrauch gemacht. Diese Entschei- dung könne landesrechtlich nicht geändert oder ergänzt werden. Andernfalls läge ein Ver- stoß gegen Art. 31 GG vor. Die Regelungen des IFG-SH bzw. des zwischenzeitlich in Kraft getretenen Informationszugangsgesetzes für das Land Schleswig-Holstein (IZG-SH) seien im Bereich der ausschließlich maßgeblichen Abgabenordnung nicht anwendbar. Aufgrund der umfassenden Sperrwirkung der Abgabenordnung für die Frage des Akten- einsichtsrechtes werde auf der Ermessensebene ein Rückgriff auf bestehende länderspe- zifische Gesetze ausgeschlossen. Gleiches gelte für einen gegenüber dem Zivilprozess- recht und entgegen den dortigen §§ 142, 421 f ZPO weitergehenden Zugang zu Unterla- gen auf der Basis eines Landesgesetzes. - 11 -
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