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Aktenzeichen
27 L 234.10
Datum
9. August 2010
Gericht
Verwaltungsgericht Berlin
Gesetz
Informationsfreiheitsgesetz Berlin (IFG)
Informationsfreiheitsgesetz Berlin (IFG)

Beschluss: Verwaltungsgericht Berlin am 9. August 2010

27 L 234.10

Der Eilantrag richtete sich auf eine Auskunft auf der Grundlage des Landespressegesetzes Berlin über ein von der Staatsanwaltschaft geführtes Todesermittlungsverfahren und wird vom Verwaltungsgericht abgelehnt. Eine Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache durch eine einstweilige Anordnung widerspricht grundsätzlich der Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes und kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Abwarten der Hauptsacheentscheidung unzumutbar wäre. Ein Informationsanspruch auf der Grundlage des Berliner Informationsfreiheitsgesetzes scheidet aus, weil das von der Staatsanwaltschaft geführte Todesermittlungsverfahren keine Verwaltungsaufgabe ist (§ 2 Abs. 1 Satz 2 IFG Berlin). (Quelle: LDA Brandenburg)

Interessenabwägung Konkurrierende Rechtsvorschriften Personenbezogene Daten Begriffsbestimmung Schutz besonderer Verfahren Prozessuales

VG 27 L 234.10

Abschrift

VERWALTUNGSGERICHT BERLIN BESCHLUSS

In der Verwaltungsstreitsache des Herrn , Antragstellers, Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte , g e g e n das Land Berlin, vertreten durch die Generalstaatsanwaltschaft Berlin, Elßholzstraße 30-33, 10781 Berlin, Antragsgegner,

hat die 27. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin durch

den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Neumann, den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Gau und den Richter am Verwaltungsgericht Keßler am 9. August 2010 beschlossen: Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

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Gründe Der Antrag,

den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller nach § 4 Abs. 1 Landespressegesetz Berlin Auskunft darüber zu erteilen, aufgrund welcher Tatsachen der Antragsgegner zu der Erkenntnis gekommen ist, dass die Jugendrichterin K_____ durch Suizid ums Leben gekommen ist sowie darüber, wo und wie die Leiche genau gefunden worden ist, welches genau die Todesursache ist, welche Fakten eine Fremdverursachung des Todes ausschließen und welche weiteren Erkenntnisse zu den Gründen des Suizids (Abschiedsschreiben o.ä.) vorliegen,

hat keinen Erfolg. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der vom Antragsteller geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sowie die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Eine Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache durch eine einstweilige Anordnung – wie sie der Antragsteller begehrt (mit der beantragten Erteilung von Auskünften erstrebt der Antragsteller dasselbe, was er auch in einem entsprechenden Hauptsacheverfahren erreichen könnte) – widerspricht grundsätzlich der Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes und kommt nur ausnahmsweise aus Gründen des Gebotes effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) in Betracht, nämlich dann, wenn das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache für den Antragsteller schlechthin unzumutbar wäre (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2004 – 1 WDS-VR 2.04 –, juris Rn. 3).

Dies setzt unter dem Gesichtspunkt der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs voraus, dass das Begehren in der Hauptsache schon auf Grund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden, bloß summarischen Prüfung des Sachverhalts erkennbar Erfolg haben wird, wobei an die Prüfung der Erfolgsaussichten ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 4). Für den Anordnungsgrund bedeutet dies, dass der Antragsteller glaubhaft machen muss, dass ihm ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 4).

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Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller das Vorliegen eines so verstandenen Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht hat. Denn jedenfalls fehlt es an der Glaubhaftmachung eines in dem vorstehend bezeichneten Sinne begriffenen Anordnungsanspruches. Nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand ist nicht mit hinreichender Sicherheit erkennbar, dass das Begehren des Antragstellers in einer entsprechenden, d.h. auf Erteilung der gewünschten Auskünfte gerichteten Hauptsache Erfolg haben wird.

Ein Anspruch auf Erteilung der begehrten Auskünfte steht dem Antragsteller nach dem Berliner Pressegesetzes vom 15. Juni 1965 (GVBl. S. 744), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. November 2009 (GVBl. S. 674), – BerlPresseG – nicht zu. Gemäß § 4 Abs. 1 dieses Gesetzes sind die Behörden verpflichtet, den Vertretern der Presse, die sich – wie der Antragsteller - als solche ausweisen, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Auskünfte zu erteilen, Auskünfte können nur unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 BerlPresseG verweigert werden. Ein derartiges Auskunftsverweigerungsrecht ist vorliegend gegeben. Dabei kann offen bleiben, ob die begehrten Auskünfte bereits nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BerlPresseG verweigert werden durften, insbesondere ob – wie der Antragsgegner vorträgt – das Geheimhaltungsinteresse bei noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren auf der Hand liegt. Denn der Antragsgegner hat die Erteilung der vom Antragsteller gewünschten – die behördlich ermittelten näheren Umstände des Todes von Frau H_____ betreffenden - Auskünfte jedenfalls nach § 4 Abs. 2 Nr. 4 BerlPresseG zu Recht verweigert. Nach dieser Vorschrift können Auskünfte verweigert werden, soweit ein schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde. Bei Erteilung der vom Antragsteller begehrten Auskünfte würden schutzwürdige private Interessen, nämlich das ideelle postmortale Persönlichkeitsrecht der Verstorbenen und das Persönlichkeitsrecht ihrer hinterbliebenen Angehörigen verletzt werden.

Ob der Auskunft entgegenstehende private Interessen schutzwürdig sind, ist durch Abwägung der für eine Auskunft streitenden Informationsinteressen mit den entgegenstehenden privaten Interessen zu ermitteln (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1984 – 7 C 139.81 juris Rn. 26). Für die Abwägung sind vor allem diejenigen Gesichtspunkte zu beachten, die bezüglich des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht entwickelt worden sind. Ein Auskunftsrecht hängt danach insbesondere davon ab, welches Maß das für die Auskunft streitende Informationsinteresse aufweist, in welche Sphäre des Persönlichkeitsrechts durch die Auskunftserteilung eingegriffen wird, wie schwer dessen Beeinträchtigung voraussichtlich ist und welche Folgen sich aus der Auskunftserteilung und ihrer Verweigerung ergeben (st. Rspr. der Kammer, vgl. Beschlüsse vom 7. Dezember 2007 – VG 27 A 359.07 – und vom 5. Oktober 2000 – VG 27 A 262.00 –, NJW 2001 S. 3799 [3800 f.] m.w.N.).

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Die vorstehend bezeichneten Persönlichkeitsrechte überwiegen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an den begehrten Auskünften. Dabei bedarf es keiner Klärung, in welchem Umfang das Persönlichkeitsrecht eines Menschen nach seinem Tod fortwirkt. Denn jedenfalls die Menschenwürde im Sinne des Art. 1 Abs. 1 GG wirkt nach dem Tod fort (vgl. BVerfG ZUM 2001, 584, 586). Die Menschenwürde der Verstorbenen würde verletzt, wenn der Antragsgegner über die im Schreiben des Pressesprechers der Generalstaatsanwaltschaft Berlin an den Antragsteller vom 16. Juli 2010 und der gemeinsamen Pressemeldung des Polizeipräsidenten in Berlin und besagter Generalstaatsanwaltschaft vom 3. Juli 2010, auf die in dem genannten Schreiben Bezug genommen wird, mitgeteilten Tatsachen hinaus Auskunft über die Umstände und die Hintergründe des Todes von Frau H_____ erteilen würde. Bei Verstorbenen ist insbesondere der allgemeine Achtungsanspruch geschützt (vgl. BVerfG ZUM 2001, 584, 586). Der Mensch kann in seinem Tod grundsätzlich Achtung und Zurückhaltung seitens der Medien beanspruchen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 21. Oktober 1998 – 15 U 232/97 –, juris Rn. 24). Ein Mensch, der Suizid begeht, kann dementsprechend grundsätzlich verlangen, dass in den Medien nicht eingehend über seinen Tod, insbesondere nicht über dessen nähere Umstände und Hintergründe, berichtet wird. Umstände, die eine Ausnahme von diesem Grundsatz rechtfertigen, sind im vorliegenden Fall nicht glaubhaft gemacht. Die Verstorbene, die sich nach den vom Antragsgegner im Schreiben des Pressesprechers der Generalstaatsanwaltschaft Berlin an den Antragsteller vom 16. Juli 2010 wiedergegebenen Ergebnis der gerichtsmedizinischen Untersuchung selbst tötete, hat für ihren Freitod ein abgelegenes Waldstück gewählt und sich damit einer öffentlichen Wahrnehmung der Umstände ihres Todes zu entziehen versucht. Die Hintergründe des Suizids liegen nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft im höchstpersönlichen Bereich. Gegenteilige Anhaltspunkte hat der Antragsteller nicht vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht. Die Umstände, dass die Verstorbene, die Richterin im Dienst des Landes Berlin war und zuletzt für Jugendstrafsachen zuständig war, in der Öffentlichkeit u. a. als Initiatorin des so genannten Neuköllner Modells und als Autorin eines nach ihrem Tod erschienen Buches über den Kampf gegen Jugendgewalt bekannt war bzw. ist, rechtfertigen ebenfalls keine Ausnahme von dem in Rede stehenden Grundsatz. Denn die Verstorbene hat sich nicht mit ihren persönlichen Angelegenheiten, ihrem privaten Bereich, sondern lediglich durch ihr berufliches Wirken in die Öffentlichkeit begeben. Die Öffentlichkeit hat dementsprechend kein berechtigtes Interesse daran, die genauen, anscheinend höchstpersönlichen Gründe des Suizids und dessen nähere Umstände, insbesondere die genaue Todesursache (und damit die gewählte Todesart), den vermutlichen Zeitpunkt des Todeseintritts, den genauen Fundort der Leiche – der genaue Zeitpunkt des Funds ergibt sich ohnehin aus Pressemeldung vom 3. Juli 2010 – sowie die genaue Situation, in der die Leiche gefunden wurde, zu erfahren, geschweige denn daran, alle Tatsachen, aufgrund deren der Antragsgegner zu der Erkennt-

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nis gekommen ist, dass die Verstorbene durch Suizid ums Leben gekommen ist bzw. eine Fremdverursachung ihres Todes auszuschließen ist. Daraus folgt zugleich, dass der Antragsgegner mit dem im Schreiben des Pressesprechers der Generalstaatsanwaltschaft Berlin an den Antragsteller vom 16. Juli 2010 mitgeteilten Tatsachen den presserechtlichen Auskunftsanspruch des Antragstellers vollumfänglich erfüllt hat; für eine auch nur teilweise Mitteilung der vom Antragsteller in seinem Rechtsschutzantrag bezeichneten Umstände ist im Hinblick auf den vorrangigen Schutz des Persönlichkeitsrechts der Verstorbenen und ihrer Hinterbliebenen kein Raum.

Der Antragsteller hat auch keinen Auskunftsanspruch aus Regelungen außerhalb des § 4 Abs. 1 BerlPresseG: Ein Auskunftsanspruch nach § 475 Abs. 1 Satz 1 StPO scheitert am Vorliegen des Versagungsgrunds des § 475 Abs. 1 Satz 2 StPO zum Schutz des Persönlichkeitsrechts der Verstorbenen und ihrer Angehörigen; insoweit wird auf die zuvor zum Vorliegen des § 4 Abs. 2 BerlPresseG dargelegten Gründe verwiesen. Ein Informationsanspruch des Antragstellers nach § 3 Abs. 1 des Berliner Informationsfreiheitsgesetzes vom 15. Oktober 1999 (GVBl. S. 561) – IFG - scheidet schon wegen § 2 Abs. 1 S. 2 IFG aus, denn das von der Staatsanwaltschaft geführte Todesermittlungsverfahren ist keine Verwaltungsaufgabe.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Es war der für das Hauptsacheverfahren anzunehmende Streitwert in voller Höhe festzusetzen, da die beantragte einstweilige Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache vollständig vorwegnehmen würde.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen die Sachentscheidung ist die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zulässig. Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz im Lande Berlin vom 27. Dezember 2006, GVBl. S. 1183, in der Fassung der Zweiten Änderungsverordnung vom 9. Dezember 2009, GVBl. S. 881) einzulegen. Die Frist für die Einlegung der Beschwerde endet zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses schriftlich oder in elektronischer Form zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.

Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer Hochschule im Sinn des

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Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus können auch die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneten Personen und Organisationen auftreten. Ein als Bevollmächtigter zugelassener Beteiligter kann sich selbst vertreten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; das Beschäftigungsverhältnis kann auch zu einer anderen Behörde, juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem der genannten Zusammenschlüsse bestehen. Richter dürfen nicht vor dem Gericht, ehrenamtliche Richter nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören.

Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 Euro übersteigt. Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin, schriftlich oder in elektronischer Form oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen. Sie ist innerhalb von sechs Monaten einzulegen, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat. Der Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten bedarf es nicht.

Neumann Keßler Gau

Ausgefertigt

Eckert Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle