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Aktenzeichen
G 09.2
Datum
22. Dezember 2009
Gericht
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Gesetz
§ 99 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung
§ 99 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung

Beschluss: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof am 22. Dezember 2009

G 09.2

Gegenstand des Hauptsacheverfahrens ist ein auf das Verbraucherinformationsgesetz gestützter Auskunftsanspruch. Der Fachsenat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs stellt fest, dass die beabsichtigte Vorlage von Akten des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit an das Verwaltungsgericht Ansbach rechtmäßig ist. Vorausgegangen war eine Stellungnahme des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit, das zum Ergebnis kam, eine Verweigerung der Vorlage komme nicht in Betracht. Der Fachsenat legt dar, dass es geboten ist, § 99 Abs. 2 VwGO nicht nur auf Sperrerklärungen, sondern auch auf die behördliche Anordnung der Offenlegung von Akten anzuwenden. Dass das Hauptsachegericht keinen förmlichen Beweisbeschluss zur Aktenvorlage erlassen hat, ist unschädlich. Eine Begründetheit des Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aktenvorlage sieht der Verwaltungsgerichtshof nicht, da die Voraussetzungen, auf die eine Sperrerklärung gestützt werden könnte, nicht vorliegen. Unter anderem kann sich der Antragsteller im Hinblick auf Rechtsverstöße nicht auf den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen stützen. (Quelle: LDA Brandenburg)

Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Prozessuales in-camera Verfahren

G 09.2

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

In der Verwaltungsstreitsache - Antragstellerin -

bevollmächtigt: Rechtsanwälte ** * *

gegen Freistaat Bayern,

v ertreten durch: Landesanwaltschaft Bayern Ludwigstr. 23, 80539 München

wegen

Verbraucherinformationsgesetz; hier Antrag der Klägerin nach § 99 Abs. 2 VwGO

  • Antragsgegner -

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO, durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Motyl, den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Wagner

ohne mündliche Verhandlung am 22. Dezember 2009 folgenden

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Beschluss:

I. Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit wird gemäß § 99 Abs. 2 Satz 6 VwGO beigeladen.

II. Es wird festgestellt, dass die beabsichtigte Vorlage der Akten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, soweit sie die Antragstellerin betreffen, in dem Umfang wie er im Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums vom 13. August 2009 festgelegt ist, an das Verwaltungsgericht Ansbach im Verfahren AN 16 K 08.01852 rechtmäßig ist.

III. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.

IV. Der Streitwert wird für das Zwischenverfahren auf 5000,-- Euro festgesetzt.

Gründe: I.

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Im Mai 2008 beantragte die Verbraucherzentrale Bayern beim Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (im Folgenden: Landesamt), ihr Auskunft nach dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG) über Beanstandungen bei Kochschinken, Formschinken und Schinkenimitaten in den Jahren 2007 und 2008 zu erteilen.

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Zu diesem Begehren hörte das Landesamt die Firmen, bei denen Beanstandungen ausgesprochen worden waren, gemäß § 4 Abs. 1 VIG an; zu den betroffenen Firmen zählt auch die Antragstellerin, die sich einer Auskunftserteilung widersetzte.

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M it Bescheid vom 1.9.2008 gab das Landesamt dem Antrag insoweit statt, als keine Ausschluss- und Beschränkungsgründe vorliegen und legte fest, dass die Auskunft schriftlich zwei Tage nach Bestandskraft des Bescheids erteilt werde.

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Mit Schreiben vom gleichen Tag übersandte das Landesamt der Antragstellerin einen Abdruck dieses Bescheids und legte in dem Begleitschreiben dar, dass die Interessenabwägung zu Gunsten der Verbraucherzentrale ausgefallen sei.

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Die Antragstellerin erhob daraufhin Klage mit dem Ziel, die Bescheide der Beklagten vom 1.9.2008 aufzuheben (AN 16 K 08.01852).

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Im gerichtlichen Verfahren legte der Beklagte entsprechend einer ersten Anforderung durch das Gericht (VG-Akt Bl. 71) zunächst nur die Akten vor, die sich auf das Verwaltungsverfahren zum Informationsanspruch beziehen. Mit Schreiben vom 12.6.2009 teilte das Gericht dem Beklagten mit, dass es nach Durchsicht der Akten zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die übersandten Akten "möglicherweise nicht ausreichend" seien. Daher werde gebeten, "die vollständigen Verwaltungsakten bis spätestens 17. Juli 2009 dem Gericht vorzulegen oder aber, falls hierfür nach Auffassung des Beklagten die Voraussetzungen vorlägen, eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 VwGO abzugeben.

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M it Schreiben vom 13.8.2009 nahm das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit als oberste Aufsichtsbehörde zur Aktenvorlage Stellung. Hinsichtlich der dem Gericht noch nicht vorgelegten Akten (Seiten 865 bis 958) komme eine Verweigerung der Vorlage nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht in Betracht. Keiner der in dieser Vorschrift genannten (drei) Gründe für eine Nichtvorlage läge tatbestandlich vor. Bei dem vom Landesamt festgestellten Sachverhalt handele es sich um einen Verstoß im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG; jegliches Abweichen von lebensmittelrechtlichen Vorgaben stelle einen Verstoß dar, unabhängig davon, ob den Betreffenden hieran ein Verschulden treffe. Liege tatbestandlich ein Verstoß vor, könne sich der Betroffene gegenüber einem Auskunftsbegehren nicht auf Ausschluss- oder Beschränkungsgründe nach § 2 Satz 1 Nr. 2 VIG berufen (§ 2 Satz 3 VIG). Unbeschadet dessen berühre der vom Landesamt festgestellte Sachverhalt kein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis; auch sei ein berechtigtes wirtschaftliches Geheimhaltungsinteresse der betroffenen Firma nicht ersichtlich. § 4 Abs. 3 Satz 3 VIG, der den Informationszugang erst nach Bestandskraft der Entscheidung über das Auskunftsbegehren vorschreibe, stelle kein Gesetz im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO dar. Es handele sich um eine rein verfahrensrechtliche Vorschrift; ihr gegenüber stelle § 99 VwGO eine prozessrechtliche Spezialnorm dar. Da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO bezüglich der noch nicht vor-

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gelegten Aktenteile nicht vorlägen, sei die Abgabe einer Sperrerklärung nicht möglich. Ermessenserwägungen erübrigten sich daher.

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Die Antragstellerin beantragt wegen der beabsichtigten Vorlage der Akten nach § 99 Abs. 2 VwGO festzustellen, dass die Vorlage der Akten in dem im Schreiben des Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit vom 13.8.2009 vorgesehen Umfang rechtswidrig ist. Der Antrag sei zulässig, da § 99 Abs. 2 VwGO erweiternd auszulegen sei. Der Vorlage der Akten stünde § 2 Satz 1 Nr. 2c VIG entgegen. Hiernach bestehe dann kein Informationsanspruch, wenn er sich auf Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse oder sonstige wettbewerbsrelevante Informationen beziehe, die in ihrer Bedeutung für den Betrieb mit einem Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis vergleichbar seien. Vorliegend würden bei Stattgabe des Auskunftsanspruchs und entsprechend bei der Aktenvorlage wettbewerbsrelevante Informationen offenbart. Die Verbraucherzentrale bezwecke durch Veröffentlichung der Information eine Kampagne gegen die Antragstellerin; dadurch werde der Wettbewerb beeinflusst. Die Antragstellerin besitze ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an der Geheimhaltung der Information. Die Aufsichtsbehörde könne sich auch nicht auf § 2 Satz 3 VIG berufen. Aus dieser Vorschrift sei im Wege des Umkehrschlusses zu folgern, dass alle Informationen, die nicht unter § 1 Satz 1 Nr. 1 VIG fielen, schützenswerte, wettbewerbsrelevante Informationen seien. Ein Verstoß im Sinne dieser Vorschrift liege jedoch nicht vor, denn dieser müsse in einem Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren festgestellt worden sein. Solange eine derartige förmliche Feststellung nicht vorliege, handele es sich bei der ausgesprochenen Beanstandung nur um eine Rechtsansicht der Behörde. 9

Darüber hinaus würde die Vorlage der Akten gegen die Verpflichtung zur Geheimhaltung nach Art. 7 Abs. 2 und 3 VO(EG) Nr. 882/2004 verstoßen, denn geheimhaltungsbedürftige Wahrnehmungen, die bei Kontrollen gewonnen worden seien, dürften nicht weitergegeben werden. Die vom Landesamt gezogenen Planproben seien Voruntersuchungen in einem laufenden Verfahren, so dass auch insoweit Geheimhaltungspflicht bestehe. Nach EG-Recht seien Behörden prinzipiell zur Beachtung von Untersuchungsgeheimnissen verpflichtet. Auch § 4 Abs. 3 Satz 3 VIG stehe der Vorlage der Akten entgegen.

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Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen. Er sei statthaft und auch zulässig. Ein förmlicher Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichts über die Aktenvorlage sei ausnahmsweise entbehrlich gewesen, da die (noch) zurückgehaltenen Akten

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zweifelsfrei rechtserheblich seien. Die vorliegende Konstellation sei mit der Fallgestaltung vergleichbar, dass die Vorlage der Akten Gegenstand des Hauptsachestreits sei. Der Antrag sei indes unbegründet. Die oberste Aufsichtsbehörde habe zu Recht entschieden, dass das Geheimhaltungsinteresse der Antragstellerin der Aktenvorlage nicht entgegenstehe. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin würden durch die Auskünfte Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse oder wettbewerbsrelevante Informationen im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 2c VIG nicht betroffen. Die beanstandete unzutreffende Etikettierung der Produkte seien Verstöße, die aufgrund des Befunds des Landesamtes dem jeweiligen Verursacher klar zugeordnet werden könne. Durch die Auskunft würde die Antragstellerin nicht "unschuldig" offenbart, sondern als für das Produkt Verantwortliche eindeutig und unmissverständlich benannt. Eine Verletzung des Betriebsgeheimnisses sei nicht zu befürchten, denn in den Verkehr gebrachte Produkte könnten von jedem, der über entsprechende Einrichtungen verfüge, ohne Weiteres analysiert werden. Die Antragstellerin verkenne, dass ein Verstoß im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 VIG jedes Abweichen von einem Gesetz oder einer sonstigen verbindlichen Regelung umfasse und sich gerade nicht nur auf Straf- oder Bußgeldtatbestände erstrecke. Das VIG ziele nicht auf eine Bestrafung des Dritten, sondern nur auf ein transparentes Verfahren ab. Im Übrigen ergebe sich aus § 2 Satz 3 VIG und dessen amtlicher Begründung, dass bei Vorliegen eines Verstoßes eine Berufung auf den Ausschlussgrund nach § 2 Satz 1 Nr. 2c VIG ausscheide. 11

Auch der behauptete Verstoß gegen die VO(EG) Nr. 882/2004 liege nicht vor. Die Verordnung ziele auf ein hohes Maß an Transparenz und möglichst raschen Information der Öffentlichkeit ab und begründe kein Schutzrecht zu Gunsten des kontrollierten Betriebes. Den in Art. 7 Abs. 3 der Verordnung aus Gründen der Geheimhaltung enthaltenen Beschränkungen trügen die Ausschluss- und Beschränkungsgründe des VIG Rechnung. Unter den in Art. 7 Abs. 3 VO weiterhin genannten "laufenden rechtlichen Verfahren" dürften Gerichtsverfahren zu verstehen sein. Darüber hinaus könne sich die Antragstellerin im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht auf § 4 Abs. 3 Satz 3 VIG berufen, denn das Verfahren diene gerade dem Schutz des Dritten.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.

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II.

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Der zulässige Antrag führt nicht zum Erfolg.

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  1. Der Antrag zielt auf die Feststellung durch den Fachsenat nach § 99 Abs. 2 VwGO ab, dass die Vorlage der Akten in dem von der obersten Aufsichtsbehörde mit Schreiben vom 13.8.2009 festgelegten Umfang rechtswidrig ist. Der Antrag ist statthaft, obwohl der Wortlaut des § 99 Abs. 2 VwGO lediglich das Verfahren bei Verweigerung der Aktenvorlage regelt, vorliegend es jedoch um die Absicht der obersten Aufsichtsbehörde geht, die Akten dem Verwaltungsgericht vollständig vorzulegen. Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass der Wortlaut dieser Vorschrift mit Blick auf Sinnzusammenhang, Entstehungsgeschichte und unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG weit auszulegen ist, so dass auch die behördliche Anordnung der Offenlegung der Akten erfasst wird (BVerwG vom 23.3.2007 - 20 F 3/06, Juris RdNr. 4 ff; vom 14.8.2003 20 F 1.03, Juris RdNr. 3 ff; OVG NRW vom 27.5.2009 - 13 F 13/03, Juris RdNr. 9 f; zustimmend: Schenke, NVwZ 2008, 938/939; Kopp/ Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, RdNr. 14 zu § 99). Dem schließt sich der Senat an, denn die Offenlegung der Akten stellt sich als actus contrarius zur Verweigerung ihrer Vorlage dar, so dass es rechtlich geboten ist, § 99 Abs. 2 VwGO auf beide Fallgestaltungen gleichermaßen anzuwenden.

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Der Zulässigkeit des Antrags steht auch nicht entgegen, dass das Verwaltungsgericht keinen förmlichen Beweisbeschluss über die Vorlage der Akten getroffen hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 24.11.2003 BVerwGE 119, 229/231; vom 12.1.2006 BVerwGE 125, 40/42 f), der sich der Senat angeschlossen hat (Beschluss vom 5.7.2007, BayVBl. 2008, 56; vom 23.9.2008 - G 08.1), setzt die Zulässigkeit des Antrags eines Verfahrensbeteiligten nach § 99 Abs. 2 VwGO voraus, dass das Gericht der Hauptsache zunächst darüber entscheidet, ob es die zurückgehaltenen Unterlagen benötigt, um den entscheidungserheblichen Sachverhalt umfassend aufklären zu können. Von einer förmlichen Entscheidung ist ausnahmsweise nur dann abzusehen, wenn die zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind; dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es bereits im Hauptsacheverfahren um die Verpflichtung der Behörde zur Aktenvorlage geht (BVerwG vom 29.3.2006 DÖV 2006, 655; vom 4.5.2006 - 20 F 2/05, Juris) oder sich die Entscheidungserheblichkeit der Unterlagen ohne Weiteres aus

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dem materiellen Recht ergibt (BVerwG vom 19.1.2009 - 20 F 23/07, Juris RdNr. 6; vom 24.11.2003, a.a.O., S. 230 f). Ein solcher Fall liegt hier vor.

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Gegenstand des Hauptsacheverfahrens ist der Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, mit dem der Verbraucherzentrale dem Grunde nach ein Anspruch auf Auskunft über Beanstandungen bei Schinken/Schinkenerzeugnissen, die von der Antragstellerin in Verkehr gebracht worden sind, zugesprochen worden ist. Dieser Auskunftsanspruch lässt sich nicht vom Akteninhalt, der die Beanstandungen enthält, trennen. Demgemäß ist diese Fallgestaltung in gleicher Weise zu beurteilen wie wenn die Vorlage dieser Akten selbst Gegenstand des Hauptsacheverfahrens wäre. Der Unterschied ist rein technischer Natur. Bei der Auskunft wird der Akteninhalt wiedergegeben, bei der Aktenvorlage wird die Akte tatsächlich zugänglich gemacht. Ist - wie hier - Gegenstand des Hauptsacheverfahrens ein Auskunftsbegehren über den Inhalt der Akte, ist ein förmlicher Beweisbeschluss entbehrlich (a.A. OVG Lüneburg vom 21.9.2009 - 14 PS 2/09). Etwas anderes gilt nur dann, wenn im Einzelfall im Vorfeld der Auskunft liegende Rechtsfragen zur Auslegung des zugrundeliegenden Informationsgesetzes (hier: Verbraucherinformationsgesetz) durch das Verwaltungsgericht zu klären sind (siehe dazu OVG Lüneburg, a.a.O., RdNr. 3 ff). Derartige vorab zu klärende Fragen stehen nicht im Raum, so dass der fehlende förmliche Beweisbeschluss der Zulässigkeit des Antrags nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht entgegen steht.

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Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Die Akten, deren Vorlage die oberste Aufsichtsbehörde beabsichtigt, enthalten Beanstandungen zu Schinkenerzeugnissen, die die Antragstellerin in den Verkehr gebracht hat. Sie kann daher geltend machen, durch die Aktenvorlage in ihren schützenswerten Interessen negativ betroffen zu werden.

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  1. Der zulässige Antrag ist jedoch nicht begründet. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden in Verwaltungsstreitverfahren zur Vorlage von Urkunden oder Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zu Auskünften verpflichtet. Geht es im Hauptsacherechtsstreit um die Frage, ob eine (beabsichtigte) Auskunftserteilung über aktenmäßig festgehaltene Vorgänge rechtmäßig ist, beschränkt sich die Vorlagepflicht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht auf diejenigen Akten, die bei der Behörde über das Auskunftsbegehren selbst entstanden sind, sondern erstreckt sich auch auf die Akten, auf deren Inhalt sich das Auskunftsbegehren bezieht (BVerwG vom 19.1.2009, a.a.O., RdNr. 7 m.w.N.; vom 21.2.2008 - 20 F 2/07, Juris RdNr. 9),

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d. h. in diesem Fall auf die Akten, deren Vorlage die oberste Aufsichtsbehörde in dem mit Schreiben vom 13.8.2009 festgelegten Umfang beabsichtigt. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO betrifft das Verhältnis zwischen der aktenführenden Behörde und dem Verwaltungsgericht, das über eine Streitsache zu entscheiden hat, für den der Akteninhalt relevant ist. In diesem Verhältnis liegt es im Ermessen der Behörde, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes davon absieht (BVerwG vom 19.1.2009, a.a.O., RdNr. 7 m.w.N.). Bei ihrer Entscheidung über die Vorlage der Akten nach § 99 Abs. 1 VwGO reicht es nach der Rechtsprechung grundsätzlich nicht aus, dass die oberste Aufsichtsbehörde auf die in Fachgesetzen im einzelnen normierten Gründe des Geheimschutzes verweist, vielmehr hat sie in ihre Ermessenserwägungen auch einzubeziehen, welche rechtsschutzverkürzende Wirkung die Verweigerung der Aktenvorlage im Hauptsacheverfahren für den Betroffenen haben kann. Insbesondere bei Dreipersonenverhältnissen, bei denen durch die Vorlage oder Nichtvorlage ein grundrechtlich geschütztes Geheimhaltungsbedürfnis betroffen sein kann, kann im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Geheimschutz so gewichtig sein, dass die Vorlage unterbleiben muss; ebenso ist denkbar, dass bei geringem Gewicht des individuellen Geheimschutzes wegen eines besonderen Allgemeininteresses die Vorlage der Akten geboten ist, ohne dass es einer Ermessensbetätigung bedarf. Dies kann bei Rechtsstreitigkeiten, die im Hauptsacheverfahren einen Anspruch auf Informationszugang betreffen, dazu führen, dass die prozessuale Entscheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO faktisch nicht jedoch rechtlich - weitgehend den Vorgaben des Hauptsacheverfahrens angenähert ist (BVerwG vom 19.1.2009, a.a.O., RdNr. 9; vom 21.2.2008, a.a.O., RdNr. 20; Mühlbauer, DVBl. 2009, 354/360).

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Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Entscheidung der obersten Aufsichtsbehörde, die Akten in dem im Schreiben vom 13.8.2009 festgelegten Umfang dem Verwaltungsgericht vorzulegen, nicht zu beanstanden, auch wenn sie ausdrücklich auf eine Ermessensausübung verzichtet hat. 20

Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit hat nicht verkannt, dass bei der prozessualen Erklärung nach § 99 Abs. 1 VwGO eine Ermessensausübung erforderlich ist, es hat aber ausdrücklich auf eine solche verzichtet, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen nach der zweiten Alternative des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO, auf die vorliegend allein eine Sperrerklärung gestützt könnte, nicht

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vorliegen. Eine solche Ermessensbetätigung war ausnahmsweise nicht erforderlich, weil das Ergebnis der Abwägung vorgezeichnet war.

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Gegenstand des Hauptsacheverfahrens ist ein auf das Verbraucherinformationsgesetz gestützter Auskunftsanspruch der Verbraucherzentrale, der nach der gesetzlichen Regelung nicht von der Geltendmachung eines besonderen rechtlichen Interesses abhängig ist. Für Informationsansprüche nach dem Umweltinformationsgesetz oder dem Informationsfreiheitsgesetz hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass der jeweilige Anspruch nicht oder jedenfalls nicht in erster Linie der Befriedigung privater Interessen dient (BVerwG vom 21.2.2008, a.a.O., RdNr. 24; vom 19.1.2009, a.a.O., RdNr. 13). Derjenige, der den Anspruch geltend macht, wird als Sachwalter der Allgemeinheit tätig. Vorgänge sollen transparent gemacht und das Umweltbewusstsein gestärkt werden. Nichts anderes gilt für den Auskunftsanspruch nach dem Verbraucherinformationsgesetz, das den Verbrauchern Zugang zu den bei Behörden vorhandenen Informationen über den Vollzug lebensmittelrechtlicher und futtermittelrechtlicher Vorschriften unabhängig von einem berechtigten individuellen Informationsinteresse verschafft. Das Verbraucherinformationsgesetz, das in Reaktion auf die Lebensmittelskandale der jüngeren Vergangenheit erlassen worden ist (BT-Drs. 16/5404 S. 7), verfolgt damit eine vergleichbare Zielrichtung wie das Umweltinformationsgesetz oder das Informationsfreiheitsgesetz (ebenso OVG NRW vom 27.5.2009, a.a.O., RdNr. 15 f).

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Die oberste Aufsichtsbehörde hat zutreffend entschieden, dass der Vorlage der Akten kein vorrangiges Geheimhaltungsinteresse der Antragstellerin entgegensteht. Eine Berufung auf entgegenstehende Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse (siehe dazu BVerfG vom 14.3.2006 BVerfGE 115, 205/230 f.; BVerwG vom 28.5.2009 - 7 C 18/08, Juris, Orientierungssatz) oder sonstige wettbewerbsrelevante Informationen, die in ihrer Bedeutung für den Betrieb mit einem Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis vergleichbar sind (§ 2 Satz 1 Nr. 2c VIG), ist gegenüber einem auf § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VIG gestützten Informationsanspruch nach § 2 Satz 3 VIG ausgeschlossen. Damit hat der Gesetzgeber klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass bei Rechtsverstößen ein berechtigtes Interesse des Unternehmers an der Geheimhaltung nicht besteht (BT-Drs. 16/5404 S. 12). Diese Regelung ist mit Blick auf das mit dem Verbraucherinformationsgesetz verfolgte Ziel folgerichtig, denn eine Offenlegung begangener Verstöße dient dem Verbraucherschutz und ist geeignet, weiteren Verstößen gegen lebens- und futtermittelrechtliche Vorschriften vorzubeugen.

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23 Die oberste Aufsichtsbehörde hat zutreffend entschieden, dass der Ausschlusstatbestand nach § 2 Satz 3 VIG eingreift. Das Landesamt ist aufgrund hinreichend konkreter Informationen zur Überzeugung gelangt, dass die Etikettierung des von der Antragstellerin in den Verkehr gebrachten Schinkenprodukts unzutreffend ist und daher einen Verstoß gegen § 1 Nr. 1 VIG darstellt; damit ist der Tatbestand des § 2 Satz 3 VIG erfüllt (Zielkens, NVwZ 2009, 1465/1466 f.) Ein Verstoß gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) liegt stets dann vor, wenn ein Vorgang nicht mit den darin festgelegten Vorschriften in Einklang steht. Diese Auslegung entspricht der europarechtlichen Definition eines Verstoßes. Ein Verstoß ist "die Nichteinhaltung des Futtermittel- oder Lebensmittelrechts und der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz" (VO-EG-Nr. 882/2004 vom 29.4.2004, Art. 2 Nr. 10). Eine unzutreffende Etikettierung von in den Verkehr gebrachten Lebensmitteln verstößt gegen § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LFGB. Auch wenn die Antragstellerin das fragliche Produkt nicht selbst hergestellt hat, liegt in dem Anbieten eines unzutreffend ausgezeichneten Produkts ein Verstoß. Der Einwand der Antragstellerin, ein Verstoß liege nur dann vor, wenn dieser in einem Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren geahndet worden ist, findet weder im Gesetzestext noch in der Begründung eine Stütze. Die Vorschrift differenziert vielmehr zwischen Verstößen und Maßnahmen und Entscheidungen, die im Zusammenhang mit den Verstößen getroffen worden sind; zu Maßnahmen und Entscheidungen im Sinne dieser Vorschrift zählt u. a. auch die Einleitung von Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren. Der mit dem Verbraucherinformationsgesetz bezweckte Verbraucherschutz steht ebenfalls der Einengung des Informationsanspruchs auf sanktionierte Verstöße entgegen. Auf die möglicherweise abweichende Einschätzung durch eine andere (nicht bayerische) Behörde kommt es entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht an.

24 Selbst wenn man einen engeren Begriff des Verstoßes zugrundelegen und in Übereinstimmung mit der Antragstellerin den Tatbestand des § 2 Satz 3 VIG verneinen wollte, kann sich die Antragstellerin nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Erteilung der Auskunft nach § 2 Nr. 2 lit. c VIG ausgeschlossen sei, weil durch die begehrten Informationen Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse oder sonstige wettbewerbsrelevante Informationen, die in ihrer Bedeutung für den Betrieb mit einem Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis vergleichbar sind, offenbart würden. Dieser Ausschlußtatbestand greift vorliegend nicht ein. Als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden nach höchstrichterlicher Rechtsprechung alle auf ein

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Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse umfassen im Wesentlichen technisches Wissen im weitesten Sinne; Geschäftsgeheimnisse beziehen sich vornehmlich auf kaufmännisches Wissen wie etwa Umsätze, Kundenlisten, Geschäftsbücher und anderes mehr (BVerfG vom 14.3.2006 BVerfGE 115, 205 /210 f.; BVerwG vom 28.5.2009 – 7 C 18/08, Juris, Leitsatz und Orientierungssatz). Auch für den Begriff der wettbewerbsrelevanten Informationen muss in enger Anlehnung an das Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis gelten, dass sie sich auf nicht offenkundige Umstände beziehen, die für den Wettbewerb mit Konkurrenten erheblich sind. Bei der streitgegenständlichen Auskunft geht es nicht etwa darum, in welchem Mischungsverhältnis bestimmte Inhaltsstoffe für das Produkt typisch sind, sondern allein darum, dass die auf dem Produkt angebrachte Etikettierung nicht mit dem Produktinhalt übereinstimmt. Dieses Abweichen betrifft kein Produktionsgeheimnis noch eine Information, die geeignet ist, die Stellung der Antragstellerin im Wettbewerb unberechtigt zu benachteiligen.

25 Die oberste Aufsichtsbehörde war auch nicht mit Blick auf Art. 7 VO(EG) Nr. 882/2004 gehalten, von der Aktenvorlage abzusehen. In dieser Verordnung werden allgemeine Regeln für die Durchführung amtlicher Kontrollen festgelegt, mit denen überprüft werden soll, ob die Bestimmungen, die dem Lebensmittel- und Gesundheitsschutz dienen, eingehalten werden (Art. 1 Abs. 1 VO). Die nach Art. 7 Abs. 3 VO vorgeschriebene Geheimhaltungspflicht "über Voruntersuchungen oder laufende rechtliche Verfahren" ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht einschlägig. Die amtliche Untersuchung der fraglichen Schinkenproben ist wenn nicht schon mit dem Ergebnis der chemischen Untersuchung, so doch spätestens mit der Beanstandung als der Bewertung des Untersuchungsergebnisses beendet (ebenso OVG NRW, a.a.O., RdNr. 29). Die Beanstandung liegt hier vor, so dass die Annahme einer Voruntersuchung neben der Sache liegt. Auch für die Annahme eines laufenden rechtlichen Verfahrens ist kein Raum, denn es ist weder ein Widerspruchsverfahren noch ein Gerichtsverfahren wegen der Beanstandungen aufgrund der bei der Kontrolle gewonnenen Erkenntnisse anhängig. 26

Ebenso wenig steht Art. 7 Abs. 2 VO (EG) 882/2004 der beabsichtigten Aktenvorlage entgegen; hiernach hat die zuständige Behörde sicherzustellen, dass keine geheimhaltungsbedürftigen Informationen, die bei Wahrnehmung der Kontrollaufgaben ge-

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wonnen worden sind, weitergegeben werden. Mit der Festlegung von Ausschluss- und Beschränkungsgründen in § 2 VIG ist dem Rechnung getragen worden. Im Übrigen teilt der Senat die Auffassung des OVG Nordrhein–Westfalen, dass die Bestimmung ersichtlich auf eine wirkungsvolle Kontrolle durch die Kontrollbehörde abzielt und kein Schutzrecht zugunsten der von der Kontrolle betroffenen Firmen und Personen begründet (OVG NRW vom 27.5.2009, a.a.O., RdNr. 29).

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Ebenso wenig musste die Regelung nach § 4 Abs. 3 Satz 3 VIG die oberste Aufsichtsbehörde zur Abgabe einer Sperrerklärung veranlassen. Nach dieser Vorschrift darf der Informationszugang erst dann erfolgen, wenn sie bestandskräftig ist. Der Einwand der Antragstellerin verkennt, dass das Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO gerade die Prüfung beinhaltet, ob aus Gründen des Geheimhaltungsbedürfnisses auch des Dritten eine Aktenvorlage in Betracht kommt. Für diese Prüfung ist die verfahrensrechtliche Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 3 VIG, die das Verwaltungsverfahren im Vollzug dieses Gesetzes betrifft, nicht einschlägig. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geht als prozessuale Spezialnorm dieser Vorschrift vor (vgl. BVerwG vom 13.6.2006, Juris RdNr. 6)

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  1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung aus § 52 Abs. 2 GKG.

Rechtsmittelbelehrung

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Dieser Beschluss kann innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) schriftlich einzulegen.

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Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an einer deutschen Hochschule im Sinn des Hochschulrahmen-

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gesetzes mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u.a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.

31 Dr. Motyl Schmitz Dr. Wagner