Portrait Vera Deleja-Hotko

Grußwort

2022 war ein weiteres Jahr, in dem wir für Transparenz und Pressefreiheit gekämpft haben - für uns selbst und alle anderen.

Wir haben Gerhard Schröder auf Basis des Presserechts verklagt, noch keine Antwort bekommen, jedoch FragDenStaat als Zeitung herausgegeben, weil das Gericht uns eine Auskunft verweigert hatte. In einem Bündnis haben wir der Bundesregierung einen Entwurf für ein Transparenzgesetz vorgelegt. Wir haben die “NSU-Akten”, die eigentlich 120 Jahre unter Verschluss bleiben sollten, veröffentlicht. Für unsere User*innen den Klageautomaten auf der Plattform eingerichtet.

Aber nicht nur das: Generell hat unsere Seite ein neues Design sowie einen neuen Aufbau bekommen. Damit unsere User*innen noch leichter einen Überblick über all die Bereiche bekommen können.

Und damit auch andere mit uns mitkämpfen, haben wir erstmals eine Summer School abgehalten, um so unser Wissen weiterzugeben.
Viel Vergnügen beim Lesen des Jahresberichts 2022.

Vera Deleja-Hotko
Leitung Recherche

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Megaphone an einer Hand, die aus einem Laptop kommt. Das Megaphone stößt Pfeile und Dokumente aus.

Kampagnen & Aktionen

2022 haben wir auf verschiedene Missstände aufmerksam gemacht und gemeinsam mit unserer Community für Transparenz gesorgt.

Kampagnen-Updates

Koalitionstracker

Im Koalitionsvertrag versprechen Regierungen gern die tollsten Vorhaben, die sie später gar nicht umsetzen. Deswegen haben wir mit Wikimedia Deutschland und anderen Organisationen den Koalitionstracker gebaut, mit dem Sie die Regierungsarbeit der Ampel-Koalition live verfolgen können. Die Bilanz aus dem ersten Jahr: Nicht einmal ein Drittel der 268 Vorhaben wurde bisher überhaupt angefasst.

Wie ist die Lage?

Was klar ist: Keine Person darf in Länder abgeschoben werden, in denen ihr ernsthafte Gefahren drohen. Was nicht immer klar ist: Wo droht Gefahr? Genau das sollen die Lageberichte des Auswärtigen Amts feststellen. Gemeinsam mit ProAsyl und unserer Community sorgen wir dafür, dass die Berichte veröffentlicht werden.

Druckerzeugnis

Wir staunten nicht schlecht, als das Verwaltungsgericht Berlin uns im Juni 2022 eröffnete, dass FragDenStaat keine Presse sei. Die Begründung: Nur, wer Recherchen auf Papier druckt, zählt zur Presse und kann sich bei Behördenauskünften auf die Pressefreiheit berufen. Also haben wir FragDenStaat einfach ausgedruckt und daraufhin letztinstanzlich bestätigt bekommen: Wir sind jetzt offiziell Presse.

Klima-Helpdesk ongoing

Die Klimakrise beschäftigt uns alle sehr. Bereits 2021 haben wir daher den Klima-Helpdesk eingerichtet, mit dem wir Privatpersonen, Journalist*innen oder soziale Initiativen dabei unterstützen, das Umweltinformationsgesetz für ihre Ziele zu nutzen. Auch 2022 konnten wir so wichtige Umweltinfos befreien: von Kohlelobby bis Kraftwerksemissionen, von Autobahntunnel bis Feldhamsterparzelle.

Ein Mensch springt euphorisch vor einem Gerichtsgebäude in die Höhe

Klagen

Inzwischen haben wir 142 Klagen eingereicht. Presserechtliche Verfahren sowie Klagen auf EU-Ebene kamen dazu. So klagen wir gemeinsam mit Sea-Watch gegen Frontex und gegen das EU-Parlament wegen eines griechischen Nazi-Abgeordneten. Der Bundesgerichtshof hat in der letzten Instanz entschieden, dass unsere Veröffentlichung des Glyphosat-Gutachtens rechtmäßig war - ein großer Sieg gegen die Bundesregierung. Und das Bundesverwaltungsgericht hat geurteilt, dass der wissenschaftliche Beirat des Finanzministeriums seine Protokolle offenlegen muss. Außerdem haben wir erstritten, dass die Stiftung Klima- und Umweltschutz M-V der Presse Auskünfte erteilen muss. Für Transparenz bezüglich der Lobby-Tätigkeiten von Gerhard Schröder ging es durch mehrere Instanzen. Die gute Nachricht: Durch das Verfahren sind wir nun offiziell als Presse anerkannt. Die gewünschten Informationen haben wir aber leider immer noch nicht. Ein wichtiges Urteil für alle Antragsteller*innen gab es im Sommer vom OVG Münster: Die standardmäßige Abfrage von Postanschriften über FragDenStaat seitens der Behörden ist unzulässig.

Im Januar hat unsere Auswertung gezeigt, dass Deutschland eines der wenigen Länder ist, das überhaupt Gebühren für Informationsanfragen erhebt. Dagegen kämpfen wir weiterhin und ermutigen, zu klagen. In unserem Hilfebereich haben unsere Legal-Ehrenamtlichen bereits für drei häufige Ablehnungsgründe Tipps zusammengetragen, damit unsere User:innen den Behörden etwas entgegensetzen können. Das Großprojekt 2022 “Offenes Handbuch zur Informationsfreiheit” ist aktuell in den letzten Zügen.

142 Klagen eingereicht

1 Stiftung zur Auflösung gedrängt

Recherchen

Gemeinsam mit dem ZDF Magazin Royal haben wir 2022 die “NSU-Akten” veröffentlicht, die ursprünglich 120 Jahre geheim bleiben sollten. In einer weiteren Sendung haben wir uns dem bürokratischen Chaos in den Ausländerbehörden gewidmet und aufgezeigt, was für Folgen das für Betroffene hat. Unsere Recherchen zur zwielichtigen Stiftung Klima- und Umweltschutz in Mecklenburg-Vorpommern haben zur Auflösung dieser beigetragen und die Brandenburger Landesregierung ist durch uns in Erklärungsnöte wegen des Baus eines Abschiebezentrums am Flughafen BER gekommen. Unser Brüsseler Büro zeigte die finanzielle Beteiligung von EU-Mitgliedstaaten an Frontex-Einsätzen auf. Außerdem haben wir den unter Verschluss gehaltenen OLAF-Report über Frontex veröffentlicht. Über ein Jahrzehnt haben wir die Zahlungen der EU-Agrarsubventionen gesammelt und auf farmsubsidy.org aufbereitet. Gemeinsam mit nationalen und internationalen Medienpartner*innen haben wir die Daten ausgewertet. Die Analyse ergab unter anderem, dass sich die Vergabe der Gelder nach unfairen Kriterien richtet und die klimaschädliche Landwirtschaft davon profitiert. In einer weiteren Recherche ging es um die Bundestagslobby. Wir veröffentlichten gemeinsam mit abgeordnetenwatch interne Briefe, die eine gezielte Interessensvertretung zahlreicher Unternehmen durch Bundestagsabgeordnete belegen.

109 Artikel im Blog veröffentlicht

5.096 neue Newsletter-Abos

2 wichtige Leaks geheimer Dokumente

Plattform

Im Frühjahr 2022 hat unser Tech-Team ein neues Tool für unsere Plattform entwickelt: den Klageautomaten. Nutzer*innen können nun automatisiert prüfen, ob bei ihrer Anfrage eine Untätigkeitsklage möglich ist.  Der Automat erstellt dann gegebenenfalls einen fertigen Klageentwurf. In unserer Entscheidungsdatenbank findet man inzwischen viele Urteile aus dem Bereich der Informationsfreiheit. Dem intransparenten Frontex-Portal haben wir durch einen technischen Zusatz einen Streich gespielt: Bislang gab die EU-Behörde Informationen nur über ihre eigene Plattform heraus. Dieses Vorgehen machte es Anfragesteller*innen unmöglich, die erhaltenen Antworten öffentlich sichtbar zu machen. Durch ein von uns entwickeltes Tool konnten wir diese Taktik endlich beenden. Von nun an gibt es einen Button, der die Frontex-Daten direkt auf das FragDenStaat-Portal importiert, wo sie für alle zugänglich sind. Dazu kommen natürlich hunderte kleinere Verbesserungen, Fehlerbehebungen und die Wartung und Aktualisierung von Softwarekomponenten. Außerdem machen wir seit Juni mit Dokukratie zentrale Dokumente der Demokratie besser zugänglich.

29.250 Anfragen

  • davon 11.992 (teilweise) erfolgreich

9 Millionen Seitenaufrufe

2.701 Problemberichte und rund 4.000 E-Mails

Advocacy

In den Köpfen der Politiker*innen ist Informationsfreiheit langsam angekommen, aber bei der Umsetzung auf Papier hapert es noch. Trotz einiger großer Ankündigungen ist 2022 in Sachen Transparenzgesetze nicht viel passiert.

So versprach z.B. die Ampel-Koalition im Bund mehrfach, noch im selben Jahr Eckpunkte für das im Koalitionsvertrag versprochene Transparenzgesetz vorzulegen. Geschafft hat sie es nicht. Stattdessen haben wir im Oktober gemeinsam mit einem breiten Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen einen eigenen Entwurf vorgelegt, an dem sich die Regierungsparteien orientieren sollen.

Auch in Berlin wird das Vorhaben verschleppt. Erst brauchte der Senat ganze 20 Monate für die Zulässigkeitsprüfung unseres Volksentscheids. Dann blockierte die SPD auch noch eine Anhörung im Digitalausschuss zu ihrem eigenen Gesetzentwurf. Fortschritt sieht anders aus.

Mit ein paar Jahren Verspätung hat nun der sächsische Landtag ein Transparenzgesetz beschlossen, das 2023 in Kraft tritt, allerdings seinen Namen kaum verdient hat. Ob Niedersachsen das besser hinbekommt? Auch hier ist ein Transparenzgesetz Teil des neuen Koalitionsvertrags. Wir sind Teil des Bündnisses für Transparenz in Niedersachsen und werden die Erarbeitung des Gesetzes kritisch begleiten.

Detaillierte Informationen zur Gesetzeslage in Deutschland finden Sie in unserem Transparenzranking.

Top Bundesministerien

  1. Gesundheitsministerium: 508
  2. Innenministerium: 469
  3. Wirtschaftsministerium: 440

482 Anfragen an EU-Behörden

Finanzen 2022

Wir freuen uns sehr, mit einem Plus von 228.164 Euro das Jahr abschließen zu können. Neue Großprojekte, neue Mitarbeiter*innen und neue Klagen können 2023 kommen!

Ausgaben

Personalkosten

543.128 €

Widersprüche und Gebühren

8.516 €

Klagen

35.155 €

Fortbildungen und Coaching

9.848 €

Material und Technik

7.886 €

Aufträge, freie Mitarbeitende

164.451 €

Reisekosten und Verpflegung

2.746 €

Veranstaltungen

7.179 €

Brüssel Office

24.874 €
Verwaltungskosten 6.650 €
Gesamt 810.433

Einnahmen

Spenden

409.314 €

Fördergelder

623.417 €

davon über 50.000 Euro:

 

Luminate

100.000 €

Schöpflin Stiftung

100.000 €

NLnet

50.240 €

Bertha Foundation

79.830 €

Adessium

53.130 €
Honorare 5.866 €
sonstige Einnahmen 4.000 €
Gesamt 1.038.597 €

56 Kunsteditionen und 90 Welcome-Pakete versendet

1 Zeitung herausgebracht und 1.333 mal verschickt

4 neue Schreibtisch-Hooligans entworfen

 

FragDenStaat-Team 2022

Dank und Ausblick

Uns macht es Mut, zu sehen, dass unsere Arbeit Veränderungen bewegt und die Informationsfreiheit stärkt – sei es in der Politik der Bundesregierung oder auch auf kommunaler Ebene. Eure Rückmeldungen bestärken uns darin, dass wir auf dem richtigen Weg sind, eine noch größere Bewegung für Demokratie und Transparenz zu werden. Danke also an unsere 115.142 aktive FragDenStaat-Nutzer*innen, unsere tollen Ehrenamtlichen, unsere Medien- und Kooperationspartner*innen, unsere große Community und natürlich alle, die uns spenden und fördern.

2022 sind wir auch als Team gewachsen und arbeiten verstärkt daran, bei FragDenStaat einen Ort zu schaffen, der unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft oder sexueller Identität und unabhängig von der jeweiligen Lebensphase – entsprechende Interessen und Möglichkeiten nutzt und fördert. Kritisch sollen strukturelle Hürden und Barrieren identifiziert und folglich abgebaut werden. In unserem Verständnis funktioniert das vor allem durch steten Austausch, Beratung von Außen und mit der Bereitschaft von- und miteinander zu lernen.

2023 kann das Jahr der Transparenz werden. Mehrere Gesetzesvorhaben sind in der Pipeline, die wir begleiten. Selbst bleiben wir an Frontex dran und auch die weitere Aufarbeitung des NSU-Komplex steht auf der Agenda. Darüber hinaus wird es neue Projekte geben wie unseren Rechtsschutzfonds sowie eine Datenbank mit Gerichtsentscheidungen zur Presse- und Informationsfreiheit, über die wir bald mehr berichten können. Unsere Summer School findet ebenfalls wieder statt. Außerdem arbeiten wir an einigen großen Veröffentlichungen gemeinsam mit deutschen und internationalen Medien.