Sehr geehrter Herr Brustmeier,
in Ihrer ursprünglichen UIG-Anfrage vom 09.12.2022 haben Sie um Übermittlung des Genehmigungsbescheides und des vollständigen Antrags für den Tagebau Garzweiler ab 01.01.2023 gebeten. Zu dieser Anfrage wurden Sie zunächst auf die zu diesem Zeitpunkt bereits veröffentlichten Unterlagen auf den Internetseiten der Bezirksregierung Arnsberg bzw. der RWE Power verwiesen.
Mit E-Mail vom 31.12.2022 haben Sie dann um die Übermittlung der vollständigen Hauptbetriebsplanunterlagen gebeten. Ihnen wurden daraufhin am 10.01.2023 die in Teilen geschwärzten Antragsunterlagen gemäß Anlagenverzeichnis des Hauptbetriebsplanes des Tagebaus Garzweiler zur Verfügung gestellt. Die Schwärzungen wurden aufgrund von personenbezogenen Daten oder Darstellung detaillierter Lagepläne der Betriebsflächen inkl. sensibler Infrastruktur vorgenommen.
Darüber hinaus haben Sie aktuell in einer weiteren Nachfrage vom 11.01.2023, ohne Nennung von Gründen, konkret die Herausgabe der Anlagen 1.1, 1.2, 1.3, 1.4, 1.5, 1.6, 4.1, 4.2, 6.1, 6.2, 7, 8.1, 9.1, 10, 11.1, 11.2, 11.3, 11.4, 14.1, 14.2, 14.3.1, 14.4 des Hauptbetriebsplans des Tagebaus Garzweiler für den Zeitraum 01.01.2023 bis 31.12.2025 beantragt.
Diesen Antrag lehne ich ab.
Begründung
Die Anlagen 1.1, 1.2, 1.3, 1.4, 1.5, 1.6, 4.1, 4.2, 6.1, 6.2, 7, 8.1, 9.1, 10, 11.1, 11.2, 11.3, 11.4, 14.1, 14.2, 14.3.1, 14.4 des Hauptbetriebsplans des Tagebaus Garzweiler für den Zeitraum 01.01.2023 bis 31.12.2025 enthalten detaillierte Pläne des Tagebaus, in denen sensible Infrastruktur dargestellt ist. Hierbei handelt es sich um Fakten, deren Kenntnis es erleichtern würde, gezielte Angriffe auf Personen und sensible Infrastrukturen zu verüben.
I. Rechtliche Würdigung der Tatsachen
Nachteilige Auswirkungen auf bedeutsame Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 UIG
Gemäß § 2 S. 3 UIG NRW i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 1 UIG ist ein Antrag abzulehnen, soweit das Bekanntgeben der Informationen nachteilige Auswirkungen auf bedeutsame Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit hätte und gemäß § 8 Abs. 1 letzter Halbsatz UIG nicht das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe der Information überwiegt.[1]
1. Bedeutsame Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit
Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 UIG müssen zur Ablehnung eines Antrags nach dem UIG bedeutsame Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit von den negativen Auswirkungen betroffen sein.
Unter die bedeutsamen Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit fallen nach der Begründung im Regierungsentwurf auch Leben, Gesundheit, Freiheit, nicht unwesentliche Vermögenswerte sowie andere strafrechtlich geschützte Güter.[2] Davon umfasst ist auch die öffentliche Versorgungssicherheit mit Strom und Wärme.
1. Nachteilige Auswirkungen
Für die Beantwortung der Frage, ob die Bekanntgabe der begehrten Information nachteilige Auswirkungen auf die Schutzgüter hätte, bedarf es einer Prognoseentscheidung über die Auswirkungen der Bekanntgabe.[3] Der Prognose muss eine hinreichende Sachverhaltsermittlung zugrunde liegen. Sie muss inhaltlich nachvollziehbar und vertretbar sein.[4]
In der jüngsten Vergangenheit hat es zahlreiche Angriffe auf Infrastruktur für den Braunkohlentagebau gegeben.[5]
Der aktuellen Situation ist eine Vielzahl von Übergriffen vorausgegangen, die die Historie der Eskalation aufzeigen:
Laut Verfassungsschutzbericht 2019 wurden zahlreiche Straftaten gegen Personen bzw. Personen in Fahrzeugen verübt. Insgesamt wurden im Jahr 2019 mehr als "80 Gewaltstraftaten im Zusammenhang mit der Problematik 'Hambacher Forst' aus dem Phänomenbereich PMK-links erfasst. Es zeigt sich eine Kontinuität in der Ausübung von Gewalt gegen Personen und Sachen durch die Waldbesetzerszene im Hambacher Forst." (S. 31).
Darüber hinaus wurden von Januar 2019 bis Ende Juli 2020 mehr als 20 Angriffe auf Infrastruktur des Entwässerungsbetriebes verübt, z.B. durch Brandstiftung zerstört oder zumindest teilweise außer Betrieb gesetzt.
"Zu diesen Aktionen zählen u. a. zahlreiche Sachbeschädigungen an Infrastruktur, oft unter Einsatz von Brandsätzen, Angriffe auf Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes von RWE und Polizeikräfte sowie Bedrohungen, Nötigungen und gefährliche Eingriffe zum Nachteil von Anwohnern." [Verfassungsschutzbericht NRW 2019 (S. 177)]
Der Entwässerungsbetrieb dient der erforderlichen Senkung des Grundwasserspiegels und gewährleistet die Standsicherheit der Böschungen. Bei einer nachhaltigen Störung des Entwässerungsbetriebes könnte es zu einer Instabilität der Böschungen und damit zu einer Böschungsrutschung oder -umbildung kommen, durch die sowohl eine Gefahr für Leib, Leben und Gesundheit der Beschäftigten sowie auch für die Gerätschaften/ Einrichtungen des Betriebs entstünde. Eine derartige Rutschung könnte auch über die Oberkante hinausgreifen und damit eine ernste Gefahr für die Sicherheit der Umgebung des Tagebaus darstellen.
Faktisch wurde zuletzt am 08.01.2023 an einer Wasserrohrleitung im unmittelbaren Nahbereich der sogenannten "Mahnwache Lützerath" an einem Schieber einer Rohrleitung manipuliert, sodass ein abgeschlagener Rohrleitungsstrang mit Wasser beaufschlagt wurde. Dies führte zu einer Ausspülung an der Abbaukante in diesem Bereich, wodurch dieser aufgrund von Abbruchgefahr der Böschung großflächig abgesperrt werden musste.[6]
Der Verfassungsschutzbericht NRW 2021 stellt auf den Seiten 169 und 170 fest, dass sich die vorgenannte Szene seit dem beschlossenen Erhalt des Hambacher Forstes mit autonomen Linksextremisten wie den Interventionistischen Linken sowie dem von dieser beeinflussten Bündnis "Ende Gelände" Richtung Tagebau Garzweiler verschoben habe.
Die Entwicklungen der Straftaten seit 2012 und die Vielzahl der Anschläge lassen auch zukünftig weitere gezielte Aktionen mit erheblichen schädigenden Auswirkungen mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten.
Durch die beantragte Akteneinsicht würden Ihnen und damit der Öffentlichkeit Informationen zugänglich gemacht. Damit gäbe die Behörde diese Informationen aus der Hand und könnte die weitere Verbreitung nicht mehr steuern. Es kann dann nicht ausgeschlossen werden, dass potentielle Störer diese ebenfalls erhalten.
Die Kenntnis aller geforderten Informationen würde gezielte Angriffe erleichtern, wenn nicht erst ermöglichen.
Erneut sei auf das Folgende hingewiesen:
Laut Urteil vom VG Köln vom 20.09.2018 ist unerheblich, ob der Auskunftssuchende beabsichtigt, die Informationen weiterzugeben. Die theoretische Möglichkeit ist ausreichend. Ausschlaggebend ist, dass die Informationen im Falle einer Weitergabe geeignet sind, sich nachteilig auszuwirken. Durch die Entscheidung ist bestätigt, dass sicherheitsrelevante Informationen nicht weitergegeben werden müssen, da sonst die für diese Informationen verantwortliche Behörde deren mögliche Weiterverbreitung nicht mehr verhindern kann.
Dieses Risiko muss die Behörde daher nicht eingehen, unabhängig davon, ob der Auskunftssuchende beabsichtigt, die Informationen weiterzugeben oder nicht. Nach dieser Urteilsbegründung und im Rahmen dieser Risikoabwägung richtet sich das behördliche Handeln.
Bei den noch streitigen Daten handelt es sich um Informationen über neuralgische Punkte von Infrastruktur, deren Beeinträchtigung oder Zerstörung immense Auswirkungen auf den Betrieb und das gesamte Betriebsgelände hätte.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die gewünschten Informationen zu gezielten Anschlägen und zu einer Gefährdung für Leib und Leben der Mitarbeiter/innen genutzt würden.
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Bekanntgabe der gewünschten Informationen mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zu erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf bedeutsame Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit führen könnte.
1. Öffentliches Interesse an der Bekanntgabe der gewünschten Informationen
Gemäß § 8 Abs. 1 letzter Halbsatz UIG wären die gewünschten Informationen gleichwohl bekannt zu geben, wenn das öffentliche Interesse an der Herausgabe die potenziell gefährdeten Rechtsgüter und damit das Geheimhaltungsinteresse überwiegen würde.
Das würde zunächst voraussetzen, dass Ihrerseits ein weit über das üblicherweise immer zu unterstellende Informationsinteresse eines Informationssuchenden gerade an diesen Angaben besteht.[7]
Ein eigenes verfestigtes Interesse Ihrerseits am Erhalt der darüber hinaus begehrten Informationen und ihrer legalen Benutzung könnte möglicherweise ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Bekanntgabe begründen. Das haben Sie allerdings weder vorgetragen noch ist dies in entscheidungsrelevanter Art zu vermuten. Zwar ist Ihnen als kritischer Beobachter des Braunkohleabbaus durchaus ein grundsätzliches berechtigtes Interesse zu unterstellen. Ein verfestigtes eigenes Recht auf Information hinsichtlich der kritischen Details, das die genannten Schutzgüter überwöge, findet sich jedoch nicht.
Dagegen bestünde hier mit einer Veröffentlichung, z.B. zu den konkreten Punkten der kritischen Infrastruktur, eine Gefährdung bedeutender Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und zwar bis hin zu einer Bedrohung von Leib, Leben und Gesundheit anderer.
Zu dieser Frage gibt es Rechtsprechung: Ist beispielsweise zu befürchten, dass die Bekanntgabe von Daten über Atommüll-, Sonderabfall- oder sonstige Gefahrguttransporte Dritte dazu veranlasst, diese zu boykottieren, begründet dies in der Regel eine Gefährdung wichtiger Allgemeingüter, u.a. das Leben und die Gesundheit von Menschen bei externen Eingriffen in den Transportvorgang.[8] Nichts anderes kann auch für den Abbau, Transport und die Veredlung von Braunkohle gelten. Die Gefahrenlage durch die Bekanntgabe der Informationen wäre erhöht bzw. stellt sogar eine konkrete Gefahr dar, so dass auch das öffentliche Interesse hier nicht überwiegen kann. Bekanntlich ist es auch nicht erforderlich, dass der Antragsteller selbst eine Gefahr darstellt oder die Gefahr erhöht. Allein ausreichend ist, dass die Information potenziell einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden kann.[9]
Nach Abwägung des Informationsinteresses Ihrerseits und des Sicherungsinteresses andererseits tritt hier wegen des besonderen Gefährdungspotenzials überragender Schutzgüter (Leib, Leben, Sachgüter) Ihr Informationsinteresse an den kritischen Details zurück.
Nach Berücksichtigung aller bekannten Tatsachen und einer pflichtgemäßen Interessenabwägung verbleibt kein Raum, Ihrem Antrag vollständig stattzugeben.
Daher bleibt es bei den kritischen Daten bei einer Ablehnung der Herausgabe.
II. Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen diesen Bescheid können Sie innerhalb eines Monats nach
Bekanntgabe Widerspruch bei der Bezirksregierung Arnsberg, 59817 Arnsberg, erheben. Der Widerspruch ist schriftlich bei der Bezirksregierung Arnsberg einzureichen oder zur Niederschrift bei der Bezirksregierung Arnsberg, Seibertzstraße 1, 59821 Arnsberg, zu erklären.
Falls die Frist durch das Verschulden einer von Ihnen bevollmächtigten Person versäumt werden sollte, so würde deren Verschulden Ihnen zugerechnet werden.
Der Widerspruch kann auch durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments mit qualifizierter elektronischer Signatur an die elektronische Poststelle der Behörde erhoben werden. Die E-Mail-Adresse lautet:
<<E-Mail-Adresse>>.
Der Widerspruch kann auch durch De-Mail in der Sendevariante mit bestätigter sicherer Anmeldung nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes erhoben werden. Die De-Mail-Adresse lautet:
<<E-Mail-Adresse>>.
Fußnoten:
1 VG Köln, Urteil vom 20.09.2018 - 13 K 7211/16 - S. 10.
2 Landmann/Rohmer, UmweltR/Reidt/Schiller, UIG § 8, Rn. 17.
3 Landmann/Rohmer, UmweltR/Reidt/Schiller, UIG § 8, Rn. 7; VG Köln, Urteil vom 20.09.2018 - 13 K 7211/16 - S. 11.
4 VG Köln, Urteil vom 20.09.2018 - 13 K 7211/16 - S. 11.
5 Bsp.
https://rp-online.de/nrw/staedte/kreis-heinsberg/wieder-brandstiftung-am-tagebau-garzweiler_aid-81318321; https://www.welt.de/politik/deutschland/article242987229/Luetzerath-Aktivisten-werfen-Boeller-Flaschen-und-Steine-auf-die-Polizei.html; https://www.rnd.de/politik/luetzerath-video-soll-wurf-von-molotowcocktail-auf-polizei-zeigen-OMLTMSSJIP6D6HYLWT5VLVIXRQ.html.
6
https://www.rundschau-online.de/politik/proteste-in-luetzerath-rwe-spricht-von-sabotage-im-tagebaugebiet-388359?cb=1674630869449.
7 VG Köln, Urteil vom 20.09.2018 - 13 K 7211/16 - S. 10.
8 Landmann/Rohmer UmweltR/Reidt/Schiller, UIG § 8, Rn. 18.
9 VG Köln, Urteil vom 20.09.2018 - 13 K 7211/16 - S. 11.
Mit freundlichen Grüßen