Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG NRW)
Ihr Antrag auf Informationszugang an das Innenministerium NRW vom 13.03.2017
Aktenzeichen: 209.2.3.1.16-1927/17
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Sehr geehrter Herr Semsrott,
am 06.06.2017 haben Sie sich nach § 13 Abs. 2 IFG NRW an mich gewandt und mitgeteilt, beim Innenministerium NRW den o.g. Antrag auf Übersendung der Formulierungshilfe zum "Gesetz zur Stärkung der Transparenz" gestellt zu haben, welcher mit Bescheid vom 06.04.2017 abgelehnt wurde. Aufgrund Ihres Vermittlungsersuchens habe ich diesen Ablehnungsbescheid einer informationsfreiheitsrechtlichen Prüfung unterzogen. Diese Prüfung hat ergeben, dass zwar nicht alle der vom Innenministerium angeführten Ausnahmetatbestände hier eingreifen dürften, jedoch zumindest der des § 7 Abs. 2 lit. a IFG NRW sowie ggf. der des § 7 Abs. 1 IFG NRW. Aus diesem Grund sehe ich davon ab, den Vorgang gegenüber dem Innenministerium aufzugreifen und hoffe insoweit auf Ihr Verständnis.
Zu den einzelnen Aspekten, die zur Begründung der Ablehnung angeführt werden, teile ich Ihnen das Ergebnis meiner rechtlichen Prüfung mit:
1.) Antragsberechtigung nach § 4 Abs. 1 IFG NRW
Die Ablehnung des Informationszugangsantrags begründet das Innenministerium zunächst damit, dass Sie nicht antragsberechtigt i.S.v. § 4 Abs. 1 IFG NRW seien, da Sie als eingetragener Verein den Status einer juristischen Person besäßen. Die Frage der Antragsberechtigung hat sich mittlerweile zwar durch Ihre Mitteilung vom 27.05.2017, dass Sie den Antrag nun als Privatperson stellen, erledigt. Gleichwohl sei in diesem Zusammenhang Folgendes angemerkt: Nach oberverwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung ist selbst bei einem unterstellten Vorschieben einer natürlichen durch eine juristische Person kein Anlass für eine Ablehnung gegeben, vgl. OVG NRW vom 21.08.2008, Az. 8 B 913/08: "Das IFG NRW stellt für das Vorliegen eines Informationszugangsanspruchs nicht auf das Vorliegen eines besonderen Interesses oder auf die Motive des jeweiligen Antragstellers für dessen Informationszugangsbegehren ab. Angesichts dessen ist es unerheblich, ob der jeweilige Antragsteller die Weitergabe der Informationen an eine andere natürliche oder an eine juristische Person beabsichtigt. Wollte man auf diesen Umstand abstellen, liefe dies der gesetzgeberischen Intention entgegen, den Anspruch gerade nicht vom Nachweis eines rechtlichen, eines berechtigten oder eines sonstigen Interesses abhängig zu machen. Deshalb ist es auch unerheblich, ob ein Antragsteller im Sinne eines "Strohmanns" lediglich von einer juristischen Person vorgeschoben wird." Hintergrund der Beschränkung des Anwendungsbereichs auf natürliche Personen in § 4 Abs. 1 IFG NRW ist die gesetzgeberische Intention, den allgemeinen Informationszugangsanspruch ausdrücklich als Bürgerrecht zu regeln. Dieses Bürgerrecht kann aber grundsätzlich jede natürliche Person in Anspruch nehmen. Eine informationssuchende Person kann nicht deshalb von dem Anspruch auf freien Zugang zu Informationen ausgeschlossen sein, weil sie die E-Mail, mittels derer sie den Antrag gestellt hat, mit einer Signatur versehen hat, in welcher neben ihrem Namen auch der eingetragene Verein, für den sie tätig ist, aufgeführt ist.
2.) Verwaltungstätigkeit i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 IFG NRW
Weiter begründet das Innenministerium die Ablehnung damit, dass es sich bei der Entwicklung der Formulierungshilfe nicht um eine dem Anwendungsbereich des IFG NRW nach dessen § 2 Abs. 1 Satz 1 unterfallende Verwaltungstätigkeit, sondern vielmehr um eine Unterstützungshandlung der Landesregierung für die Regierungsfraktionen im Zusammenhang mit einem Gesetzgebungsverfahren handele. Nach der Rechtsprechung des OVG NRW vom 15.01.2014, Az. 8 A 467/11, ist in einem solchen Fall klar zwischen dem Erlass einer Norm und deren Vorbereitung zu unterscheiden: "Die Vorbereitung von Normen durch Stellen i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG ist Verwaltungstätigkeit im materiellen Sinne. Dies gilt nicht nur für die Vorbereitung von Gesetzen, sondern - erst recht - auch für die Vorbereitung untergesetzlicher Normen." Die Erstellung einer Formulierungshilfe gehört zu den üblichen Aufgaben eines Ministeriums und unterscheidet sich im Prinzip nicht von der Erarbeitung eines Gesetzentwurfes der Landesregierung. Die Formulierungshilfe wird den Regierungsfraktionen zwar im Zusammenhang mit einem beabsichtigten Gesetzgebungsverfahren zur Verfügung gestellt, dies führt aber nicht dazu, dass die Erstellung der Formulierungshilfe nach § 2 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW als eine Tätigkeit des Landtages zu bewerten ist. Die Erarbeitung einer Formulierungshilfe ist im Sinne der Rechtsprechung des OVG eine Vorbereitung und nicht der Erlass einer Norm, so dass diese Tätigkeit - entgegen der Auffassung des Innenministeriums - dem sachlichen Anwendungsbereich des IFG NRW unterfällt.
Es kommt also im Weiteren darauf an, ob ein Ablehnungsgrund nach § 7 IFG NRW vorliegt.
3.) Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung i.V.m. § 7 Abs. 2 lit. b IFG NRW
Das Innenministerium ordnet die Formulierungshilfe dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zu. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 03.11.2011, 7 C 3/11, dazu folgendes festgestellt: "Diese ausgehend vom Gewaltenteilungsprinzip insbesondere im Parlamentsrecht entwickelte Rechtsfigur schließt zur Wahrung der Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Regierung einen auch von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich ein (siehe zuletzt BVerfG, Beschluss vom 17. Juni 2009 - 2 BvE 3/07). Zu diesem Bereich gehört die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und -internen Abstimmungsprozessen vollzieht." Dieser verfassungsrechtlich geschützte Bereich ist hier im Zusammenhang mit dem ebenfalls vom Innenministerium angeführten Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 2 lit. b IFG NRW ("Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und der Eigenverantwortung der Landesregierung") zu sehen (vgl. dazu OVG NRW vom 02.06.2015, Az. 15 A 2062/12).
03.11.2011
Bei der Frage, ob durch die Offenbarung der Information die Funktionsfähigkeit und die Eigenverantwortung der Landesregierung beeinträchtigt wird (diese Voraussetzung sieht sowohl die Rechtsfigur des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung als auch § 7 Abs. 2 lit. b IFG NRW vor), ist im Einzelfall ein hoher Maßstab anzulegen. Das Vorliegen dieser Voraussetzung erscheint nur in wenigen Fällen überhaupt denkbar. Hier kann die zum Zeitpunkt der Fertigung der Formulierungshilfe amtierende Landesregierung zum jetzigen Zeitpunkt bzw. seit der Neubildung des Kabinetts am 30.06.2017 bereits aus diesem Grund nicht mehr in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden kann. Geht man davon aus, dass das Vorhaben auch in der nun laufenden Legislaturperiode möglicherweise aufgegriffen werden könnte, besteht die Möglichkeit einer Beeinträchtigung im Prinzip zwar auch für die neue Landesregierung. Es erscheint allerdings zweifelhaft, ob die Offenlegung der Formulierungshilfe eine solche konkrete Beeinträchtigung der bisherigen bzw. der neuen Landesregierung verursachen würde.
4.) Schutz von Entwürfen zu Entscheidungen nach § 7 Abs. 1 IFG NRW
Weiter bezieht sich das Innenministerium auf § 7 Abs. 1 IFG NRW, die Ablehnung des Informationszugangsantrags für Entwürfe zu Entscheidungen. Bei der Formulierungshilfe handelt es sich nach der Beschreibung durch das Innenministerium um eine gesetzesvorbereitende Maßnahme und damit zumindest mittelbar um einen solchen Entwurf zu einer Entscheidung. Nach § 7 Abs. 3 S. 1 IFG NRW sind nach Abs.1 vorenthaltene Informationen allerdings nach Abschluss des jeweiligen Verfahrens zugänglich zu machen. Mit Ablösung der letzten Landesregierung und damit auch der entsprechenden Regierungsfraktion, für die das MIK die Formulierungshilfe erstellt hat, könnte das damalige Verfahren einen Abschluss gefunden haben. Es ist allerdings nicht von vornherein auszuschließen, dass das Vorhaben auf die eine oder andere Weise weiterhin auch für die neue Landesregierung als Grundlage für entsprechende Vorhaben dienen könnte. Daher ist nicht mit Sicherheit davon auszugehen, dass das Verfahren im Sinne von § 7 Abs. 3 IFG NRW tatsächlich zum Abschluss gekommen ist. Zudem endet der Schutz des § 7 Abs. 1 IFG NRW auch nicht mit dem Regierungswechsel. Das bedeutet zwar nicht, dass die Formulierungshilfe zu keinem zukünftigen Zeitpunkt offen gelegt werden müsste. Solange das Verfahren unter Umständen aber noch nicht abgeschlossen ist, wäre ein Anspruch auf Information unter diesem Aspekt nicht gegeben.
5.) Schutz des Willensbildungsprozesses nach § 7 Abs. 2 lit. a IFG NRW
Schließlich begründet das Innenministerium seine Entscheidung mit dem Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 2 lit. a IFG NRW, dem Schutz des Willensbildungsprozesses innerhalb von und zwischen öffentlichen Stellen. Zweck der Bestimmung des § 7 Abs. 2 lit. a IFG NRW ist es, die nach außen vertretene Entscheidung einer Behörde nicht dadurch angreifbar zu machen, dass interne Meinungsverschiedenheiten oder unterschiedliche Auffassungen zwischen mehreren beteiligten Stellen veröffentlicht werden. Nach OVG NRW vom 09.11.2006, Az. 8 A 1679/04 bedarf der Ausschlussgrund § 7 Abs. 2 lit. a IFG NRW einer an dessen Schutzzweck orientierten einschränkenden Auslegung. Danach sei jedenfalls für solche Unterlagen ein Zugangsanspruch in der Regel nicht ausgeschlossen, die weder interne Meinungsverschiedenheiten noch unterschiedliche Auffassungen innerhalb einer Behörde oder zwischen verschiedenen Behörden erkennen lassen.
Der Unterzeichner des Bescheids schließt es nicht aus, dass die Formulierungshilfe "in Teilen Positionen enthält, die nicht von allen Ressorts der Landesregierung geteilt werden", also insofern unterschiedliche Auffassungen erkennen lässt. Diese Aussage wird gestützt durch die Tatsache, dass das vorherige Kabinett keine abschließende Entscheidung zu dem Vorhaben getroffen hat. Was wiederum darauf hindeutet, dass die vorherige Regierung zu der Formulierungshilfe keine einheitliche, von allen getragene Auffassung hatte. Im Ergebnis lässt sich nicht widerlegen, dass die Formulierungshilfe auch Meinungsverschiedenheiten enthält, sodass insofern vom Vorliegen des Ausnahmetatbestands des § 7 Abs. 2 lit. a IFG NRW auszugehen ist. Auch der Regierungswechsel führt zu keiner anderen Bewertung, da das Gesetzesvorhaben auch in der neuen Legislaturperiode aufgegriffen werden könnte oder zumindest als Basis für weitere Entscheidungen herangezogen werden könnte.
Dem Innenministerium habe ich eine Kopie dieses Schreibens zur Information übersandt.
Mit freundlichen Grüßen
Somit folgender der Satz in der Begründung, auch ohne Verweis auf die Landesverfassung oder des Grundgesetzes und seiner gerichtlichen Interpretation grob falsch: "Die Entscheidung, ob und wie ein Gesetz geändert werden soll einschließlich der Frage, zu welchem Zeitpunkt eine solche Gesetzesänderung erfolgen soll, unterliegt allein der Entscheidung der Landesregierung."
Der Wille der Komunen stellt gegenüber den Bürgerwillen nach Kontrollmöglichkeiten der Ausgaben von den Komumen kein Mehrheitswille da.
BVerfG, Urteil vom 17. August 1956 – 1 BvB 2/51 –, BVerfGE 5, 85-393: (Verfassungswidriges Verbot der KPD) 495 Die staatliche Ordnung der freiheitlichen Demokratie muß demgemäß systematisch auf die Aufgabe der Anpassung und Verbesserung und des sozialen Kompromisses angelegt sein; sie muß insbesondere Mißbräuche der Macht hemmen. Ihre Aufgabe besteht wesentlich darin, die Wege für alle denkbaren Lösungen offenzuhalten, und zwar jeweils dem Willen der tatsächlichen Mehrheit des Volkes für die einzelnen Entscheidungen Geltung zu verschaffen, aber diese Mehrheit auch zur Rechtfertigung ihrer Entscheidungen vor dem ganzen Volke, auch vor der Minderheit, zu zwingen. Dem dienen die leitenden Prinzipien dieser Ordnung wie auch ihre einzelnen Institutionen. Was die Mehrheit will, wird jeweils in einem sorgfältig geregelten Verfahren ermittelt. Aber der Mehrheitsentscheidung geht die Anmeldung der Forderungen der Minderheit und die freie Diskussion voraus, zu der die freiheitliche demokratische Ordnung vielfältige Möglichkeiten gibt, die sie selbst wünscht und fördert, und deshalb auch für den Vertreter von Minderheitsmeinungen möglichst risikolos gestaltet.