Deutschland pocht auf Geheimnisschutz, EU gibt Dokumente heraus (Update)
Wenn Gerichte entscheiden, ob Ministerien bisher geheime Dokumente nach dem Informationsfreiheitsgesetz herauszugeben haben, müssen sie den Beamten vertrauen. Die Dokumente selbst bekommen sie oft nicht zu Gesicht. Das nutzen Behörden aus – wie ein Fall des Verwaltungsgerichts Berlin zeigt.
Das Szenario, das das Bundesinnenministerium (BMI) als Antwort auf eine Anfrage nach internen Dokumenten beschwor, klang bedrohlich: Wenn es nach dem Informationsfreiheitgesetz seine Stellungnahme zum EU-US-Privacy Shield herausgeben müsste, könnten deutsche Interessen "empfindlich" geschädigt werden. Der Text der Stellungnahme sei mit französischen Kollegen an eine EU-Arbeitsgruppe gesendet worden. Eine "vertrauensvolle Arbeit" mit Frankreich und anderen EU-Mitgliedsstaaten sei bei einer Herausgabe gefährdet, das "Verhandlungsklima" auf EU-Ebene gestört.
Die Geschichte des BMI machte Eindruck. Nicht nur entschied das Ministerium, dass die Stellungnahme geheim bleiben muss. Auch das Verwaltungsgericht Berlin folgte im März 2018 der Entscheidung und urteilte, dass Antragssteller das Dokument nicht einsehen dürfen.
Dabei berief sich das Gericht auf die Begründung des Ministeriums. Es habe plausibel dargelegt, warum die Stellungnahme geheim bleiben müsse. Das Dokument selbst, um das es in der Klage ging, bekam das Gericht allerdings nicht zu sehen - wie üblich bei solchen Verfahren.
BMI gibt Dokument nicht heraus, EU schon
Hätte das Gericht das Dokument gesehen, hätte es vermutlich anders entschieden. Denn die Stellungnahme des BMI ist wahrlich unspektakulär. Auf einer halben DINA4-Seite beschreiben die Regierungen Deutschlands und Frankreich lediglich, dass ihnen Datenschutz besonders wichtig ist und sie die Implementierung des EU-US-Privacy Shields genau verfolgen werden.
Das geht aus unserer Anfrage an die EU hervor. Die verfügte als Adressat nämlich auch über die Stellungnahme - und gab uns das Dokument ohne Murren heraus. Nachteil für die internationalen Beziehungen? Kein Thema für die EU. Normale Dokumente wie Stellungnahmen werden auf EU-Ebene grundsätzlich herausgegeben. Die Begründung des BMI für die Ablehnung war offensichtlich vorgeschoben.
Gerichte prüfen nicht Dokumente, sondern Begründungen
Bei der Beurteilung einer möglichen Herausgabe geheimer Dokumente haben deutsche Verwaltungsgerichte grundsätzlich ein Problem: Oft sehen sie die Dokumente selbst nicht an. Würden sie dies tun, würden sie automatisch Teil der Gerichtsakten und damit auch den Klägern zugänglich. "In-camera-Verfahren" bei Klagen nach dem Informationsfreiheitsgesetz, bei denen Gerichten Dokumente im Verborgenen einsehen, sind zwar theoretisch möglich, aber nicht üblich.
Also prüfen die Gerichte vor allem, ob eine Ausnahme plausibel erscheint. Das ist gerade im Zusammenhang mit internationalen Beziehungen günstig für Behörden. Denn wenn die Herausgabe eines Dokuments nach Ansicht von Behörden die internationalen Beziehungen gefährdet, können Gerichte dies nur eingeschränkt in Frage stellen.
Wie der Fall der BMI-Stellungnahme zeigt, lädt die Regelung allerdings zu Missbrauch ein: Wenn Ministerien auch für unbedenkliche Dokumente schwere Geheimnis-Geschütze auffahren, kann die Verwaltungsgerichtsbarkeit den Ministerien offensichtlich nicht vertrauen. Die Gerichte sollten daher vor allem bei bestimmten Behörden grundsätzlich nicht nur prüfen, ob Ablehnungen plausibel erscheinen. Auch die Dokumente selbst sollten sie in Augenschein nehmen.
Update, 15.08.: Nachdem das BMI uns per Mail nicht geantwortet hat, verteidigt es jetzt auf Twitter sein Vorgehen: „Wir stehen zu unserer Entscheidung, die ja auch gerichtlich bestätigt worden ist.“
zur abgelehnten Anfrage ans BMI →
zur erfolgreichen Anfrage an die EU →
France and Germany take note of the adoption by the Commission of the decision on the adequacy of the protection provided by the EU-US “Privacy Shield”. This new framework will address the legal uncertainty which resulted from the invalidation by the ECJ of the previous decision on adequacy “Safe Harbor”. It provides an improved set of data protection requirements, and creates new mechanisms to secure the data flows between the EU and the US, for thousands of European companies and people. Nevertheless, as the protection of fundamental rights of European data subjects, especially as regards their right to private and family life and their right to protection of personal data, is a long commitment and a matter of high priority for our governments, we will pay close attention to the monitoring of the implementation of this agreement. The annual joint review offers an adequate opportunity to maintain a close dialogue with the US, with a view to identify and solve any issue which may arise from the application of this new framework, and allow for any improvement that may be deemed necessary, especially due to the entry into application in 2018 of the new European regulation. France and Germany emphasize on this occasion their strong commitment to promote high standards for data protection, preserving legitimate public policy objectives.