Klage zu Datteln IVWas geht in Armin Laschets Kopf vor?

Auch nach der Inbetriebnahme von Datteln IV, dem größten Schwarzbau Deutschlands, sperrt sich die NRW-Landesregierung gegen Transparenz. Wäre sie rechtlich verpflichtet, Unterlagen zu Lobby-Gesprächen künftig herausgeben, würde sie diese vernichten. Deswegen verklagen wir Armin Laschets NRW-Staatskanzlei.

-
Aktionstag bei Datteln 4 –

Vor einem halben Jahr ist das Steinkohlekraftwerk Datteln IV – wegen jahrelanger Probleme mit rechtswidrigen Genehmigungen auch bekannt geworden als „Deutschlands größter Schwarzbau“trotz zahlreicher Proteste in den regulären Betrieb gegangen. Und das, nachdem die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission im Januar 2019 von einer Inbetriebnahme abgeraten und die Bundesregierung beteuert hatte, die Empfehlungen „eins zu eins“ umsetzen zu wollen.

Wie konnte das passieren? Weil das Land Nordrhein-Westfalen uns dazu keine Auskunft gibt, verklagen wir es.

Kohlekraft plötzlich eine gute Idee für den Klimaschutz

Im November 2019 überraschte Ministerpräsident Laschet die Öffentlichkeit mit der Aussage, dass durch die Inbetriebnahme von Datteln IV unterm Strich CO2-Emissionen reduziert werden könnten. Eine Äußerung, für die er Erstaunen und vehemente Kritik erntete. So hatte doch die Kohlekommission der Bundesregierung auf Basis ihrer wissenschaftlichen Untersuchungen von einer Inbetriebnahme abgeraten.

Und auch Berechnungen belegen, dass Datteln IV zu zusätzlichen jährlichen Emissionen zwischen 6 und 8,4 Millionen Tonnen CO2 führt – erste Altmeiler werden demgegenüber frühestens 2022 abgeschaltet und bieten wohl bestenfalls ein Einsparpotenzial, das einen laufenden Betrieb von Datteln IV gerade einmal aufwiegen könnte.

Die Empfehlung der Kohlekommission, Datteln IV nicht in Betrieb zu nehmen, rief beim Betreibers Uniper zunächst Missstimmung hervor, verbunden mit der Aufforderung gegenüber der Bundesregierung, „umgehend“ miteinander zu sprechen. Gespräche mit Uniper führten dann auch Vertreter*innen der schwarz-gelben Koalition, darunter der Ministerpräsident Laschet, Umweltministerin Schulze-Föcking und Wirtschaftsminister Pinkwart. Sie trafen sich im Vorfeld der Inbetriebnahme diverse Male mit dem Betreiber des Kohlekraftwerks hinter verschlossenen Türen – mit dem Ergebnis, dass der 1000 Megawatt starke Meiler seit Mai 2020 regulär am Stromnetz ist.

Was geht in Armin Laschets Kopf vor?

Ein großes Problem dabei ist, dass nach Auskunft der Staatskanzlei während dieser Treffen keine Protokolle gefertigt worden sind. Umso größer ist daher das Interesse an den sogenannten Gesprächsvorbereitungsprotokollen. Diese fertigte die Staatskanzlei zur „umfassenden Information“ der politischen Leitung im Vorfeld der Treffen an. Wir sind der Meinung, dass sich aus den Unterlagen klare Hinweise ergeben werden, warum die schwarz-gelbe Landesregierung entgegen aller wissenschaftlicher Ratschläge Datteln IV vehement unterstützte.

Die Staatskanzlei möchte diese Unterlagen insbesondere unter Verweis auf den Schutz der „Vertraulichkeit der Beratungen“ geheim halten. Dieser Ausnahmetatbestand im Umweltinformationsgesetz (UIG) soll die ungestörte Durchführung behördlicher Verfahren vor öffentlichem Druck und dem „Hineinregieren Dritter“ schützen.

Was Datteln IV anbelangt, ist schon nicht klar, welches Verfahren nun angesichts der Inbetriebnahme von Datteln IV konkret noch zu schützen wäre. Die schwarz-gelbe NRW-Landesregierung will offenbar vor allem die intransparente Arbeitsweise der Staatskanzlei verteidigen. So droht sie, im Falle einer Transparenzpflicht künftig gar nicht mehr umfassend beraten zu können oder entsprechende Unterlagen aus einem Beratungsprozess zu „vernichte[n]“.

Regierung ist Bürger*innen Rechenschaft schuldig

Ein solch unverhohlenes Bekenntnis zur Intransparenz ist heutzutage schon eher selten. Zumal das in zweiter Instanz zuständige Oberverwaltungsgericht NRW für Bereiche, die schützenswerter erscheinen als Lobbyisten-Gespräche, in einem anderen Verfahren im Grunde schon alles gesagt hat: Regierungen haben Entscheidungsprozesse ordnungsgemäß zu dokumentieren und sich gegenüber den Bürger*innen zu erklären.

Für Hinterzimmerpolitik mit mächtigen Kohle-Lobbyisten ist hier kein Platz. Offenbar braucht die Staatskanzlei eine Extraeinladung, die wir beim Verwaltungsgericht Düsseldorf nun beantragt haben.

Unterstützen Sie unsere Klage mit Ihrer Spende!

zur Anfrage

zur Klage

/ 19
PDF herunterladen
Verwaltungsgericht Düsseldorf Bastionstraße 39 40213 Düsseldorf Per bea 23.10.2020 Aktenzeichen: 29 K 4407/20 Mein Zeichen: […] In der Verwaltungsrechtsstreitigkeit Johannes Filter ./. Land Nordrhein-Westfalen - 29 K 4407/20 - bedanke ich mich für die gewährte Fristverlängerung und die Übersendung der Akte aus dem Verwaltungsverfahren. Die Klage begründe ich nunmehr wie folgt. Die zulässige Klage ist begründet. Der den begehrten Informationszugang ablehnende Bescheid verletzt den Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch auf Zugang zu den begehrten Informationen nach § 2 Abs. 1, Satz 1 UIG NRW. I. Gesprächsvorbereitungen sind Umweltinformationen gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 lit. a), b), Nr. 6 UIG Laut Widerspruchsbescheid vom 20.3.2020 (bereits vorgelegt als Anlage K 6) teilte der Beklagte mit, dass es im Zeitraum zwischen dem 27.6.2017 und 2.2.2020 drei Treffen des Ministerpräsidenten des Beklagten bzw. des Staatssekretärs und „Chefs der Staatskanzlei“ Nathanael Liminski mit Vertretern der Uniper SE („Uniper“), der 1
1

Betreiberfirma des Kohlekraftwerks Datteln IV („Datteln IV“) gegeben habe, zu de- nen jeweils „abstrakte Gesprächsvorbereitungen“ erstellt worden seien. Diese hät- ten auch Ausführungen zu dem Datteln IV enthalten. Mit Blick auf die anstehenden Gespräche dienten die durch die „Fachebene“ erstellten Gesprächsvorbereitungsun- terlagen der „umfassenden Information“ der politischen Leitung (sog. „Leitungs- ebene“) und enthielten zu diesem Zweck Erwägungen und Vorschläge der Mitarbei- terebene zum Themenkomplex Datteln IV (S. 2 des Widerspruchsbescheids, bereits vorgelegt als Anlage K 6). Ob die aufgeführten „Aspekte, Überlegungen und Gedan- ken der Fachebene“ in den Gesprächen durch die Leitungsebene überhaupt oder mit dem vorgeschlagenen Inhalt verwendet worden seien, sei aus den Dokumenten selbst nicht ersichtlich (S. 4 des Widerspruchsbescheids). Dass es sich bei diesen Gesprächsvorbereitungen, soweit sie Datteln IV oder sonstige energie- und klimabezogene Gesprächsthemen, betreffen, um Umweltinformatio- nen gemäß § 2 S.3 UIG NRW i.V.m. § 2 Abs. 3 Nr. 3 lit. a) b), Nr. 6 UIG handelt, wurde seitens des Beklagten im Verwaltungsverfahren zu Recht nicht in Zweifel gezogen. Zu den Umweltinformationen zählen insoweit Maßnahmen oder Tätigkeiten, die sich auf die Umweltbestandteile wie u.a. Luft und Atmosphäre, Wasser, Boden, Landschaft und natürliche Lebensräume auswirken oder wahrscheinlich auswirken (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 lit. a) UIG), insbesondere auch politische Konzepte, Abkommen, Pläne und Programme (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 lit. b) UIG). Umfasst ist auch der Zustand der menschlichen Gesundheit und Sicherheit sowie die Lebensbedingungen der Men- schen, soweit sie jeweils vom Zustand der Umweltbestandteile oder von Maßnah- men oder Tätigkeiten, die sich auf diese auswirken oder wahrscheinlich auswirken, betroffen sind oder sein können (§ 2 Abs. 3 Nr. 6 UIG). Der Begriff der Umweltinfor- mation schließt Informationen ein, die lediglich mittelbaren Bezug zur Umwelt ha- ben, sich allerdings auf diese beziehen oder Einflussnahmen auf die Umwelt doku- mentieren (BVerwG, Urt. v. 23.2.2017 – 7 C 31/15, NVwZ 2017, 1775, 1780). Erfasst werden davon sowohl die direkten als auch die indirekten Auswirkungen menschli- cher Aktivitäten (BVerwG, Urt. v. 21. 2. 2008 - 4 C 13/07, NVwZ 2008, 791 792). Ein gewisser Umweltbezug der Maßnahme oder Tätigkeit ist ausreichend. Die Infor- mation muss selbst keinen unmittelbaren Umweltbezug aufweisen. Es ist ausrei- chend, wenn die betreffenden Daten Informationen über die umweltwirksamen Maßnahmen oder Tätigkeiten enthalten. Ein sicherer Nachweis über die Auswirkun- gen muss nicht erbracht werden. Ausreichend ist die Möglichkeit einer Beeinträch- tigung von Umweltbestandteilen oder -faktoren. Hier scheiden nur fernliegende Be- fürchtungen aus (BVerwG, Urt. v. 8.5.2019 – 7 C 28/17, NVwZ 2019, 1514, 1515). 2
2

Somit zählen zu den Umweltinformationen auch Daten, die Grundlage von Planun- gen der Maßnahmen und Tätigkeiten sind, die sich auf die Umwelt auswirken (BVerwG, Urt. v. 23.2.2017 – 7 C 31/15, NVwZ 2017, 1775, 1780). Diesbezüglich un- terfallen auch Angaben über und aus politischen Konzepten und Planungen, Abkom- men, Vereinbarungen und Programmen sowie deren verwaltungstechnischer Voll- zug dem UIG und damit der Informationspflicht (BeckOK InfoMedienR/Karg, 29. Ed. 1.5.2020, UIG § 2 Rn. 100/101). Das Verwaltungsgericht Berlin bewertete sämtliche Daten, darunter Gesprächsvorbereitungsunterlagen und -vermerke, allgemeine Vor- lagen und Vermerke und Entwürfe, die in Zusammenhang mit der 13. Novelle des AtG mit dem Ziel des „Atomausstiegs“ im Bundeskanzleramt vorliegen, als Umwel- tinformationen. Als nicht erforderlich sah das Gericht an, dass diese Informationen auch konkret in dem Gesetz ihren Niederschlag gefunden haben (VG Berlin, Urt. v. 18.12.2013 – VG 2 K 249.12, ZUR 2014, 433, 434). Das Oberverwaltungsgericht Ber- lin-Brandenburg bestätigte dies (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 13.11.2015 – OVG 12 B 6.14, ZUR 2016, 170). Existenz und Betrieb von Datteln IV ist in den letzten Jahren immer wieder kontro- vers diskutiert worden. Die Diskussion dauert auch jetzt nach Inbetriebnahme weiter an. Die Genehmigungsfähigkeit von Datteln IV ist seit mehr als 10 Jahren Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheidungen, die wiederholt zu Lasten des Kraftwerkbetriebs ausgegangen sind. Beweis: Auszug Wikipedia zur Geschichte von Datteln IV, Stand: 23.10.2020, beigefügt als Anlage K 7 Zusätzlich steht die Kohle als „Klimakiller“ auch politisch unter Druck – der Ausstieg aus der Kohle als schmutzige Energiequelle ist im Grundsatz beschlossene Sache. Am 3.7.2020 haben Bundestag und Bundesrat das sog. Kohleausstiegsgesetz verabschie- det, mit dem ein Ausstieg aus der Kohle bis spätestens 2038 gelingen soll. Beweis: Pressemitteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 3.7.2020 „Generationenprojekt Kohle- ausstieg final beschlossen“, beigefügt als Anlage K 8 3
3

Die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission hatte im Januar 2019 empfohlen zwecks Erreichung der Klimaziele auf eine Inbetriebnahme von Datteln IV zu verzichten. Beweis: Pressemitteilung der Bundesregierung vom 31.1.2019 „Der Einstieg in den Kohleausstieg“ beigefügt als Anlage K 9 Für ein politisches Comeback von Datteln IV sorgte Anfang November 2019 der Mi- nisterpräsident des Beklagten: „Experten haben den geplanten vierten Block des Steinkohlekraftwerks Datteln in Nordrhein-Westfalen schon mehrmals für tot erklärt. Doch immer wieder erlebte die vermeintliche Bauruine ein überraschendes Comeback - diesmal sorgt Armin Laschet für eine Wiederauferstehung der besonderen Art: Deutschlands neues Kohlekraftwerk schützt das Klima, behauptet der NRW-Ministerpräsident, deswegen sollte es trotz nationalen Kohleausstiegs ans Netz.“ Beweis: Artikel aus „Spiegel Online“, „Laschets krumme Kohlerech- nung“ vom 28.11.2019 beigefügt als Anlage K 10 Vorher war es laut Auskunft des Beklagten (Anlage K 2/4, bereits vorgelegt) zu meh- reren Treffen des Ministerpräsidenten des Beklagten bzw. des „Chefs der Staats- kanzlei“ und Uniper gekommen. Im Januar 2020 ist Datteln IV dann für erste Syn- chronisationen mit dem Stromnetz verbunden worden. Am 30.5.2020 ist Datteln IV in den produktiven Betrieb gegangen. Beweis: Artikel des Westdeutschen Rundfunks (Wdr.de), „Proteste gegen den Start von Kraftwerk Datteln 4“ vom 30.5.2020 beigefügt als Anlage K 11 Dass sich der Betrieb des größten Kohlekraftwerks Deutschlands auf Luft, Atmo- sphäre, Wasser, Lebensräume von Mensch und Tier, die Lebensumgebung und Ge- sundheit der Menschen auswirkt, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Aus den ge- schilderten zeitlichen Zusammenhängen wird deutlich, dass ein zeitlicher und sach- bezogener Zusammenhang zwischen den Gesprächen der Staatskanzlei und Uniper 4
4

und der Inbetriebnahme von Datteln IV besteht. Entsprechend führt der Beklagte im Widerspruchsbescheid (S. 3, bereits vorgelegt als Anlage K 6) aus: „Es handelt sich bei den herausverlangten Dokumenten um Gesprächs- vorbereitungsunterlagen im Hinblick auf Treffen mit Vertretern von Uniper. Bei derartigen Treffen bestand im abgefragten Zeitraum immer auch die Möglichkeit, dass das Kohlekraftwerk thematisiert werden würde“. Unzweifelhaft sind die auf die Treffen bezogenen Gesprächsvorbereitungsunterla- gen und natürlich die Gespräche selbst, die laut Auskunft des Beklagten jedoch nicht protokolliert worden sind, insoweit Teil von Maßnahmen und Tätigkeiten, die sich auf Umweltbestandteile, den Zustand der menschlichen Gesundheit und Lebensbe- dingungen der Menschen auswirken. Auch unabhängig von einer tatsächlichen The- matisierung im Rahmen der „Lobbygespräche“ handelt es sich bei den Unterlagen, in denen die „Fachebene“ der Staatskanzlei Fakten, Aspekte, Gedanken und Überle- gungen zu Datteln IV aufbereitet, um Umweltinformationen. II. Keine Ablehnungsgründe nach § 8 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 UIG Es liegen auch keine Versagungsgründe gemäß § 8 UIG vor. Die Darlegungslast hier- für liegt bei dem Beklagten, die sich auf das Vorliegen der Ablehnungsgründe nach § 8 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 UIG beruft. Die Darlegungen aus dem Verwaltungsver- fahren genügen dem jedoch nicht ansatzweise. Soweit dem Beklagten im Verwaltungsverfahren die Ablehnungsgründe nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 UIG („nachteilige Auswirkungen auf die Vertraulichkeit der Beratungen“) (hierzu unter 1.) bzw. nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 („interne Mitteilungen“) (hierzu unter 2.) thematisiert, gehen die Ausführungen bereits an dem in der Rechtsprechung aner- kannten gesetzlichen Maßstab und Schutzzweck der eng zu handhabenden Ausnah- metatbestände vorbei und sind mit Blick auf den konkreten Antragsgegenstand folg- lich unsubstantiiert. Der Beklagte trägt zusammengefasst nichts zur Gefahr einer un- sachgemäßen Beeinflussung eines mit Blick auf Datteln IV laufenden behördlichen Verfahrens vor, sondern ausschließlich dazu, dass eine Offenlegungspflicht generell dazu führen würde, dass man die Arbeitsweise der Staatskanzlei dahingehend än- dern müsse, künftig entsprechende Dokumente der „Fachebene“, die Informationen für die „Leitungsebene“ zusammentragen, frühzeitig zu „vernichten“, damit sie nicht öffentlich werden. Dieser Vortrag ist insgesamt irritierend und belegt einmal mehr die Wichtigkeit der Veröffentlichung Dokumentationen für den öffentlichen umwelt- politischen Diskurs. Das überwiegende öffentliche Interesse ergibt sich hier vor al- 5
5

lem auch daraus, dass mangels sonstiger Dokumentation der Erwägungen des Be- klagten zu Datteln IV ausschließlich die Gesprächsvorbereitungsunterlagen Auf- schluss darüber geben können, welche Optionen hinsichtlich Datteln IV mit Blick auf den geplanten Kohleausstieg und die Erreichung der Klimaziele durchdacht worden sind und welche für Datteln IV sprechenden Aspekte den Ministerpräsidenten des Beklagten dazu bewogen haben könnten, entgegen der Empfehlung der durch die Bundesregierung eingesetzten Kohlekommission sich für die Inbetriebnahme von Datteln IV stark zu machen, mögen die Unterlagen als solche nach dem Vortrag des Beklagten auch keinerlei Aufschluss über den Willensbildungsprozess des Minister- präsidenten (hierzu sogleich) geben (hierzu unter 3.). 1. Keine nachteiligen Auswirkungen auf die Vertraulichkeit der Beratungen von infor- mationspflichtigen Stellen (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 UIG) Die Voraussetzungen des § 2 S. 3 UIG NRW i.V.m. § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UIG sind nach dem aus dem Verwaltungsverfahren bekannten, pauschalen Vortrag nicht erfüllt. Danach ist das Bekanntgeben von Informationen abzulehnen, soweit es nachteilige Auswirkungen auf die Vertraulichkeit der Beratungen von informationspflichtigen Stellen hätte, es sei denn, das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiegt. Die Darlegungslast für die ernsthafte und konkrete Gefährdung der Vertraulichkeit der Beratungen und der negativen Auswirkungen auf die Entscheidungsfähigkeit der informationspflichtigen Stelle liegt bei der den Informationszugang verweigernden Stelle. Die Darlegung darf nicht abstrakt, sondern muss anhand der Umstände des Einzelfalles nachvollziehbar erfolgen (BVerwG, Urt. v. 29.9.2015 – 4 CN 1.15, ZUR 2016, 170, 171). a) Kein tauglicher Vertraulichkeitsgegenstand - Die Gesprächsvorbereitungsunterla- gen spiegeln den Beratungsvorgang nicht wider Der Schutz der Vertraulichkeit der Beratung von informationspflichtigen Stellen dient der Ermöglichung eines unbefangenen und freien Meinungsaustausches inner- halb der Behörde. Schutzgut ist der behördliche Entscheidungsprozess, der eine of- fene Meinungsbildung erfordert, um eine effektive, funktionsfähige und neutrale Entscheidungsfindung zu gewährleisten. Hiervon ausgehend bezieht sich der Begriff der Beratung allein auf den Beratungsvorgang. Ausgenommen vom Schutzbereich der Vorschrift sind das Beratungsergebnis und der Beratungsgegenstand. Dem Schutz der Beratung unterfallen Interessenbewertungen und Gewichtung einzelner Abwägungsfaktoren, deren Bekanntgabe Einfluss auf den behördlichen Entschei- dungsprozess haben könnte. Der Schutz gilt danach vor allem dem Beratungsprozess 6
6

als solchem, also der Besprechung, Beratschlagung und Abwägung, mithin dem ei- gentlichen Vorgang des Überlegens. Zum demgegenüber nicht geschützten Bera- tungsgegenstand können insbesondere Sachinformationen oder gutachterliche Stel- lungnahmen im Vorfeld gehören, also die Tatsachengrundlagen und Grundlagen der Willensbildung. Die amtlichen Informationen sind deshalb nur dann geschützt, wenn sie den Vorgang der behördlichen Willensbildung und Abwägung abbilden oder je- denfalls gesicherte Rückschlüsse auf die Meinungsbildung zulassen. Das trifft zwar auf viele Informationen zu, die in einem Verwaltungsverfahren anfallen; das ge- samte Verwaltungsverfahren als solches fällt damit aber nicht unter den Begriff der Beratung (vgl. OVG NRW, Urt. v. 30.08.2016 – 15 A 2024/13, Rn. 53 m.w.N.). Aus den Ausführungen des Beklagten wird schon nicht klar, welcher konkrete be- hördliche Entscheidungsprozess sich in den Gesprächsvorbereitungen abbilden könnte. Dies ergibt sich bereits daraus, dass nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten die Bezirksregierung Münster entsprechend ihrer Zuständigkeit im Jahr 2017 die (neue) Genehmigung für das Kraftwerk erteilt hat (vgl. Auszug Wikipedia-Artikel zum Kohlekraftwerk Datteln, bereits vorgelegt als Anlage K 7). Bei Vorliegen der Geneh- migungsvoraussetzungen muss eine Genehmigung erteilt und ansonsten versagt werden. Hierbei handelt es sich nicht um eine politische, sondern um eine rechtliche Frage; eine Zuständigkeit des Beklagten für entsprechende Genehmigungsverfahren ist hier auch nicht ersichtlich. Vielmehr dürfte es sich bei den Treffen, denen die Ge- sprächsvorbereitungsunterlagen dienen sollten, um „politisch motivierte“ Treffen über die politische Perspektive von Datteln IV gehandelt haben, die in die Kategorie „Lobbyismus“ fallen. Auch hat der Beklagte nicht abgeschichtet, welche in den Gesprächsvorbereitungen enthaltenen Informationen dem ggf. geschützten Beratungsvorgang und welche den von vornherein ungeschützten Bereichen Beratungsergebnis und Beratungsgegen- stand unterfallen, insbesondere reine Sachinformationen darstellen. Es ist davon auszugehen, dass in der Gesprächsvorbereitung bereits diverse Sachinformationen und gutachterliche Stellungnahmen enthalten sind, die als Tatsachengrundlagen und Grundlagen eines potenziellen Willensbildungsprozesses nicht dem Schutzge- genstand unterfallen. Der Beratungsvorgang ist im Übrigen auch nur insoweit ggf. geschützt, als die betreffenden Informationen Rückschlüsse auf die Meinungsbil- dung der „Leitungsebene“, welche die politischen Entscheidungen trifft, zulassen. Dass dem so sein könnte, widerlegt der Beklagte mit seinem Vortrag im Verwaltungs- verfahren selbst, indem er ausführt, dass der Gesprächsvorbereitung nicht zu ent- nehmen sei, „was letztendlich von der Leitung politisch gebilligt ist“: 7
7

„Allerdings lassen die Gesprächsvorbereitungen keinen Aufschluss über den tatsächlichen Inhalt der geführten Gespräche zu – weder über tat- sächlich zur Sprache gekommene Themen noch über die zu einzelnen Themen geäußerten Standpunkte. Möglicherweise ist nicht ein einziger der in den Vorbereitungen aufgeführten Aspekte, Überlegungen und Ge- danken der Fachebene in den Gesprächen von der Leitungsebene über- haupt oder mit dem vorgeschlagenen Inhalt verwendet worden. All dies ist aber den Vorbereitungsunterlagen im Nachhinein nicht zu entneh- men und mangels eines Gesprächsprotokolls auch nicht durch Hinzu- nahme weiterer Unterlagen zu erkennen.“ Daher ist davon auszugehen, dass die Gesprächsvorbereitungsunterlagen insgesamt schon nicht vom Schutzzweck des Ausnahmetatbestands umfasst sind. b) Der Zugang zu den Gesprächsvorbereitungsunterlagen hat keine nachteiligen Aus- wirkungen auf die Vertraulichkeit der Beratungen informationspflichtiger Stellen Der Beklagte hat im Verwaltungsverfahren auch nicht dargelegt, ob und inwieweit die Offenlegung der Gesprächsvorbereitungsunterlagen betreffend die Treffen des Beklagten mit dem Datteln IV-Betreiber Uniper nachteilige Auswirkungen auf künf- tige behördliche Beratungen haben könnte. Hierfür ist auch nichts ersichtlich. Soweit eine zukünftige Wirkung auf die Entscheidungsfindung im weiteren Verlauf befürch- tet wird, müsste dies in dem jeweiligen konkreten Fall dargelegt werden. Eine pau- schale Ausdehnung des Schutzes auf sämtliche abgeschlossenen Beratungsvorgänge oder das Verwaltungsverfahren und die Arbeitsweise einer behördlichen Stelle als solche sind nicht angezeigt. Grundsätzlich endet der Schutz, sobald die Entscheidungsfindung abgeschlossen ist. Für einen verlängerten Schutz besteht grundsätzlich kein Bedürfnis (BeckOK InfoMe- dienR/Karg, 29. Ed. 1.5.2020, UIG § 8 Rn. 34a). Etwas Anderes kann nur dann gelten, wenn eine Beeinflussung der konkreten Entscheidungsfindung im Einzelfall noch zu befürchten steht (Landmann/Rohmer UmweltR/Reidt/Schiller, 92. EL Februar 2020, UIG § 8 Rn. 1-3). Der Umstand des Abschlusses des Verfahrens und der seitdem ver- gangene Zeitraum sind insoweit in die Prüfung der Beeinträchtigung bzw. der nach- teiligen Auswirkungen auf die Vertraulichkeit (laufender bzw. zukünftiger) Beratun- gen mit einzustellen (OVG Münster, Urt. v. 30.8.2016 – 15 A 2024/13, NVwZ-RR 2017, 525, 527 mwN; OVG Berlin-Brandenburg Urt. v. 13.11.2015 – OVG 12 B 16.14, BeckRS 2015, 55429, Rn. 27). 8
8

aa) Nachteilige Auswirkungen auf anstehende, konkrete behördliche Entscheidungen sind nicht dargelegt Aus den Ausführungen des Beklagten im Verwaltungsverfahren werden keine nach- teiligen Auswirkungen auf die Vertraulichkeit der Beratungen hinsichtlich konkreter behördlicher Entscheidungen über Datteln IV deutlich. Die von der Rechtsprechung geforderte einzelfallbezogene Prüfung hat soweit ersichtlich nicht stattgefunden. Der Verweis, dass Beratungs- und Abwägungsvorgänge nicht offenbart werden müssten, „sofern die Offenbarung Einfluss (sic) auf den behördlichen Entscheidungs- prozess haben könnte“, ist nicht korrekt – und findet sich im Übrigen so auch nicht in den von dem Beklagten im Widerspruchsbescheid (bereits vorgelegt als Anlage K 6, S. 2) zitierten Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts NRW wieder. Viel- mehr betont auch das Oberverwaltungsgericht NRW in ständiger Rechtsprechung, dass es der substantiierten Darlegung konkreter nachteiliger Auswirkungen auf den konkreten Beratungsprozess im betreffenden Themenfelder bedarf. Hierfür genügt insbesondere nicht jeder Rechenschaftsdruck, den die politischen Entscheidungsträ- ger/innen durch die öffentliche Wahrnehmung der Beratungen verspüren könnten: „Bei der von § 8 I 1 Nr. 2 UIG geforderten Prüfung negativer Auswirkun- gen genügt nicht jede allgemein in Betracht zu ziehende, nachteilige Auswirkung, sondern nur eine ernsthafte, konkrete Gefährdung der ge- schützten Belange (ebenso OVG Koblenz, NVwZ 2007, 351 [zu einer ver- gleichbaren landesgesetzlichen Vorschrift]; vgl. auch OVG Berlin-Bran- denburg, Urt. v. 8. 5. 2008 – 12 B 24/07, BeckRS 2008, 37152 [es fehle bereits an substanziierten tatsächlichen Anhaltspunkten für eine erheb- liche Beeinträchtigung]). […] Zwar ist die Gefahr eines gewissen Rechtfertigungsdrucks nicht von der Hand zu weisen. Hierdurch wird der Behörde aber nicht die Möglich- keit genommen, den eigentlichen Entscheidungsprozess in Ruhe und un- ter Abwägung aller unterschiedlichen Argumente vorzunehmen, denn dieser Abwägungsprozess im eigentlichen Sinne bleibt – wie oben dar- gelegt – geschützt. Dass gerade die Einsichtnahme in die konkrete Stel- lungnahme […] – etwa wegen ihres besonders brisanten Inhalts – prob- lematisch sei, hat die Bekl. nicht geltend gemacht. Sonstige konkrete Anhaltspunkte für eine ernsthafte Gefährdung der vertraulichen Bera- tungen […] sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. (OVG Münster, Urt. v. 3. 8. 2010 - 8 A 283/08, NVwZ 2011, 375, 377) 9
9

Auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg betont die Notwendigkeit, nachteilige Auswirkungen mit Blick auf den konkreten Beratungsgegenstand sub- stantiiert darzulegen: „Der Informationszugang kann nach der Konzeption des Gesetzgebers mithin nicht allein unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der Beratungen abgelehnt werden. Vielmehr bedarf es im jeweiligen Einzelfall der Prü- fung, ob nachteilige Auswirkungen auf den Schutz der in Rede stehen- den Beratungsvorgänge zu besorgen sind (BVerwG, Urt. v. 27. Septem- ber 2007 - 7 C 4/07 - juris). Dies entspricht den europarechtlichen Vor- gaben in Art. 4 Abs. 2 Buchst. a) der Richtlinie 2003/4/EG, nach dem die Mitgliedstaaten einen Ablehnungsgrund vorsehen können, wenn die Be- kanntgabe von Umweltinformationen negative Auswirkungen auf die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden hätte, sofern eine derar- tige Vertraulichkeit gesetzlich vorgesehen ist.“ (OVG Berlin-Brandenburg Urt. v. 8.5.2008 – 12 B 24/07, BeckRS 2008, 37152, bestä- tigt durch BVerwG, Urt. v. 2.8.2012 - 7 C 7/12, NVwZ 2012, 16191) Entsprechend betont der Europäische Gerichthof (EuGH) in ständiger Rechtspre- chung auf Basis der auch für die Auslegung des UIG maßgeblichen Art. 4 Abs. 2 lit. a Umweltinformationsrichtlinie und Art. 4 Abs. 4 Buchst. a des Übereinkommens von Aarhus die enge Auslegung der Ausnahmetatbestände und das Erfordernis der sub- stantiierten Darlegungen möglicher nachteiliger Auswirkungen auf den behördli- chen Entscheidungsprozess gerade durch das Bekanntwerden der bestimmten her- ausverlangten Dokumente: „Daher kann der bloße Verweis auf die Gefahr nachteiliger Auswirkun- gen durch den Zugang zu internen Dokumenten und dadurch, dass inte- ressierte Parteien auf das Verfahren Einfluss nehmen könnten, nicht zum Nachweis dafür ausreichen, dass die Verbreitung der Dokumente den Entscheidungsprozess des betreffenden Organs ernstlich beein- trächtigen würde.“ (EuGH, Urt. v. 13.7.2017 – C-60/15 P, NVwZ 2017, 1276 Rn. 83) Die Rechtsprechung bezieht sich wohlgemerkt auf noch nicht abgeschlossene Ver- waltungsverfahren, in denen noch konkrete behördliche Entscheidungen ausstehen. In diesem Fall jedoch hat das Kohlekraftwerk Datteln IV den produktiven Betrieb den 10
10

Zur nächsten Seite

Für eine informierte Zivilgesellschaft spenden

Unsere Recherchen, Klagen und Kampagnen sind essentiell, um unsere Politik und Verwaltung transparenter zu machen! So können wir unsere Demokratie stärken. Daraus schlagen wir kein Profit. Im Gegenteil: Als gemeinnütziges Projekt sind wir auf Spenden angewiesen.

Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit!

Jetzt spenden!

Klage gegen Uni FU Berlin muss in der Plagiatsaffäre um Dr. Giffey für Transparenz sorgen

Obwohl die Doktorarbeit von Franziska Giffey Plagiate enthielt, entzog die Freie Universität Berlin der Bundesfamilienministerin ihren Doktortitel nicht. Der Prozess dahinter blieb allerdings weitgehend intransparent. Deswegen verklagen wir die Uni.