Absprachen mit KohlelobbyWir fordern Transparenz per Eilverfahren

Das Bundeswirtschaftsministerium von Peter Altmaier hält wichtige Dokumente zu Absprachen im Zuge des Kohleausstiegs weiter unter Verschluss. Dagegen ziehen wir gemeinsam mit ClientEarth in einem Eilverfahren vor Gericht.

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Im Gegensatz zur Braunkohle ist die Steinkohle schon geliefert. Zurück bleiben Denkmäler, hier das Saarpolygon –

In wenigen Tagen soll das umstrittene Kohlegesetz verabschiedet werden, mit dem Kraftwerksbetreiber horrende Entschädigungssummen für das Braunkohle-Aus erhalten sollen. Doch es fehlt weiter an Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Bis heute legt die Bundesregierung nicht offen, welche wirtschaftlichen und rechtlichen Kriterien ihren Entscheidungen zugrunde liegen.

Gemeinsam mit den Umweltjurist*innen von ClientEarth haben wir bereits im März eine Anfrage nach dem Umweltinformationsgesetz an das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) gerichtet. Darin fordern wir Informationen zu den Verhandlungen zum Kohleausstieg, etwa die Berechnungsgrundlage für Entschädigungen an Konzerne, an. Doch das Ministerium lehnte den Antrag ab.

„Die wichtige Rolle, die die Zivilgesellschaft in der Umweltpolitik spielt, ist international anerkannt. Deswegen gibt es in Deutschland auch ein Recht auf den Zugang zu Umweltinformationen. Das wird vom Ministerium momentan komplett ignoriert. Es scheint, als wolle das Ministerium von Peter Altmaier der Öffentlichkeit unter keinen Umständen Einblick in seine Absprachen mit der Kohlelobby geben und die Herausgabe der Dokumente nun so lange hinauszögern, bis das Kohlegesetz verabschiedet ist”, so Prof. Dr. Hermann Ott, Leiter des Deutschlandbüros von ClientEarth.

Zivilgesellschaft wird absichtlich ausgeschlossen

Ohne Einsicht in diese Dokumente ist es zivilgesellschaftlichen Organisationen unmöglich, eine fachlich fundierte Bewertung der Kompensationszahlungen vorzunehmen. Auch diejenigen, die über das Gesetz entscheiden, können sich keine faktenbasierte Meinung darüber bilden, worüber sie abstimmen sollen.

Damit die Dokumente noch vor Verabschiedung des Kohlegesetzes eingesehen werden können, haben wir Widerspruch gegen die Entscheidung des BMWi eingelegt – und ziehen, nachdem das Ministerium auf den Widerspruch mehrere Wochen lang nicht geantwortet hat, nun mit einem Eilverfahren vor das Verwaltungsgericht Berlin.

Kohlegesetz: Intransparent, teuer, klimapolitisch untragbar

Bereits in der Vergangenheit hat ClientEarth das geplante Kohleausstiegsgesetz scharf kritisiert. Die enormen Ausgleichszahlungen an die Kohlebetreiber sind wenig plausibel : Studien zufolge werden Kohleunternehmen kaum noch wirtschaftliche Schäden durch den Kohleausstieg entstehen. Auch ist nicht klar, ob die Ausgleichszahlungen im Einklang mit dem EU-Beihilferecht stehen. Zudem macht sich die Bundesregierung durch die Verträge mit Braunkohleunternehmen erpressbar. So könnte ein klimapolitisch notwendiger Kohleausstieg vor 2038 zu Schadensersatz für die Betreiber führen.

Erst durch den LEAG-Skandal im Januar 2020 wurde deutlich, dass die vorgesehenen Entschädigungszahlungen in keinem Verhältnis zu den Verlusten von Kohleunternehmen stehen. So zeigen interne Geschäftsunterlagen, dass der von der LEAG ohnehin festgelegte Stilllegungszeitplan nahezu identisch mit dem Stilllegungszeitplan im aktuellen Entwurf des Kohlegesetzes ist - und das Unternehmen somit durch den Kohleausstieg kaum Verluste erleiden wird.

Gemeinsam mit zivilgesellschaftliche Partner:innen vereinen wir Expertisen, recherchieren zu unterschiedlichen Themen und decken so Missstände auf. Unterstützen Sie dies mit Ihrer Spende!

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Grolmanstr. 39 ~ 10623 Berlin Tel: 030/2800950 ~ Fax: 030/28009515 RA Thorsten Deppner Grolmanstr. 39 10623 Berlin            mail@kanzleideppner.de ~ www.kanzleideppner.de Verwaltungsgericht Berlin Kirchstraße 7 10557 Berlin Über den elektronischen Rechtsverkehr (beA) EILT! Unverzüglicher Informationszugang er- forderlich; Abschluss des Gesetzgebungsver- fahrens bereits am 3. Juli 2020! 26. Juni 2020 Mein Zeichen:   TD20-008 ClientEarth Antrag gem. § 123 Abs. 1 VwGO von ClientEarth – Anwälte der Erde e. V., Albrechtstraße 22 10117 Berlin, vertreten durch den Vorstand,                                                           – Antragsteller – – Verfahrensbevollmächtigter:       Rechtsanwalt Thorsten Deppner, Grolmanstr. 39, 10623 Berlin – gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, 11019 Berlin, vertreten durch den Minister,            – Antragsgegnerin – wegen: Zugang zu (Umwelt)Informationen. Streitwert: 5.000 Euro (Voller Auffangstreitwert wegen Vorwegnahme der Hauptsache). Namens und im Auftrag des Antragstellers beantrage ich, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem An- tragssteller sämtlichen Informationen, die dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zu den Verhandlungen zwischen der Braunkohleindustrie und/oder Landesre- gierungen der Braunkohleländer und/oder der Bundesregierung und ausführenden Mi- nisterien im Nachgang der Empfehlungen der Kommission „Wachstum, Strukturwan- del, Beschäftigung“, d. h. ab dem 26. Januar 2019, vorliegen, gegebenenfalls unter Schwärzung der in diesen Dokumenten enthaltenen schutzwürdigen personenbezoge- nen Daten zugänglich zu machen, sowie hilfsweise für den Fall dass und soweit der Hauptantrag abgelehnt werden sollte die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, über den
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Antrag des Antragstellers auf Informationszugang vom 4. März 2020 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts unverzüglich erneut zu entscheiden. Begründung I. Zum Sachverhalt Der Antragsteller beantragte am 4. März 2020 über die online Plattform https://fragdenstaat.de beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) den Zugang zu sämtlichen Informati- onen, die dem Bundeswirtschaftsministerium zu den Verhandlungen zwischen der Braunkohleindus- trie und/oder Landesregierungen der Braunkohleländer und/oder der Bundesregierung und ausfüh- renden Ministerien im Nachgang (d.h. ab dem 26. Januar 2019) der Empfehlungen der Kommission „Wachstum, Strukturwandel, Beschäftigung“ (KWSB) vorliegen. Insbesondere, aber nicht ausschließlich, wurde Zugang zu Informationen in jedweder Form zum Ablauf und Inhalt der Verhandlungen selbst beantragt, d. h. •  Informationen zu Anzahl, Art und Ausgestaltung der bisherigen Treffen mit Vertretern der Braunkohleindustrie (z.B. spezifische Betreiber von Kraftwerken oder Tagebauen oder In- dustrieverbände) und/oder der Landesregierungen der Braunkohleländer; •  Informationen, die die Diskussionen während dieser Treffen widerspiegeln (zum Beispiel, aber nicht ausschließlich: Protokolle, Mitschriften, Tonaufnahmen) •  Dokumentation der Ergebnisse dieser Treffen Darüber hinaus umfasste der Antrag Informationen in jedweder Form zur inhaltlichen Vorbereitung der Verhandlungsposition auf Seiten der Bundesregierung, insbesondere, aber nicht ausschließlich intern oder extern in Auftrag gegebene Gutachten und sonstige Ausarbeitungen, die sich auf folgen- de Inhalte beziehen: •  die Ermittlung der Entschädigungshöhe, inklusive unter wirtschaftlichen und rechtlichen Gesichtspunkten; •  die Entwicklung der Energieversorgungssicherheit und/oder der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit des Braunkohleabbaus und der -verstromung; die Berechnung der durch ei- nen Kohleausstieg hervorgerufenen höheren Rekultivierungskosten der Tagebaue; •  die Berücksichtigung möglicher Nachrüstungskosten von Kraftwerken mit Blick auf künfti- ge Änderungen des Immissionsschutzrechts. Ebenfalls umfasst war Schriftverkehr, inklusive Emails und deren Anhänge, die explizit oder implizit – 2 von 21 –
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auf die vorgenannten inhaltlichen Punkte beziehen, mit folgenden Akteuren: •   Vertretern der Braunkohleindustrie, •   Vertretern der Landesregierungen der Braunkohleländer und/oder Landesministerien; inner- halb des Bundeswirtschaftsministeriums oder zwischen Bundesministerien. Schließlich umfasste der Antrag auch den Zugang zu Gutachten und sonstigen Ausarbeitungen, die seitens der Betreiber von Kraftwerken und/oder Tagebauen zu den genannten inhaltlichen Aspekten vorgelegt wurden. Die Dokumentation der Anfrage ist online unter der Adresse https://fragdenstaat.de/anfrage/verhandlungen-mit-braunkohleindustrie/ zu finden. Mit dem als – Anlage ASt 1 – beigefügten Bescheid vom 3. April 2020 lehnte das BMWi den Antrag ab. Zur Begründung führte es aus, dass das Ministerium als oberste Bundesbehörde gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a UIG nicht zu den informationspflichtigen Stellen gehöre, soweit es im Rahmen der Gesetzgebung tätig werde. Dies sei im Hinblick auf die beantragten Informationen der Fall, weil diese in Vorbereitung des Kohleausstiegsgesetzes und des diesbezüglichen Gesetzgebungsverfahrens erstellt und verwendet worden seien. Mit dem als – Anlage ASt 2 – beigefügten Schriftsatz vom 4. Mai 2020 erhob der Antragsteller hiergegen Widerspruch, auf den das Ministerium bislang noch nicht einmal mit einer Eingangsbestätigung reagiert hat. Das Ministeri- um hat den Antragsteller auch nicht analog § 4 Abs. 5 UIG darauf hingewiesen, dass und warum die Bearbeitung des Widerspruchs mehr als einen Monat in Anspruch nehmen wird. II. Zur Zulässigkeit Der Antrag ist zulässig. Der Antrag ist insbesondere statthaft. Dem Antragsteller ist die Beantragung einer einstweiligen An- ordnung gegenüber dem Antragsgegner nicht gem. § 123 Abs. 5 VwGO verwehrt, denn es liegt kein Fall der §§ 80, 80a im Sinne dieser Vorschrift vor. In der Hauptsache wäre die Verpflichtungsklage zulässig, so dass der Eilrechtsschutz nicht über die Wiederherstellung oder Anordnung der aufschie- – 3 von 21 –
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benden Wirkung eines Rechtsmittels erfolgen kann. Der Antragsteller ist darüber hinaus auch antragsbefugt. Ihm steht auf Grundlage von § 3 Abs. 1 UIG möglicherweise ein Anspruch auf Zugänglichmachung der von ihm beantragten Informationen zu. III. Zur Begründetheit Der Antrag ist auch begründet. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch und kann sich auf einen Anordnungsgrund berufen. Auch liegt kein Verstoß gegen das grundsätzliche Verbot der Vor- wegnahme der Hauptsache vor. 1.    Anordnungsanspruch Der Antragsteller hat einen Anspruch auf den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung, weil ihm gem. § 3 Abs. 1 UIG ein Anspruch auf Zugang zu den beantragten Informationen zusteht. a)    Anspruch aufgrund der Vorschriften des Umweltinformationsgesetzes Der Anspruch des Antragstellers ergibt sich aus § 3 Abs. 1 des Umweltinformationsgesetzes (UIG). Das BMWi ist im konkreten Fall informationspflichtige Stelle gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UIG. Auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen liegen vor. aa) BMWi ist informationspflichtige Stelle Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 lit. a UIG sind oberste Bundesbehörden zwar nicht informationspflich- tig, soweit und solange sie im Rahmen der Gesetzgebung tätig werden. Dies ist hier entgegen der Begründung des Ablehnungsbescheids jedoch nicht der Fall. Die angefragten Dokumente sind we- der zeitlich noch funktionell Teil des vom UIG ausgenommenen Gesetzgebungsverfahrens. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 lit. a UIG ist ihrem Sinn und Zweck nach nicht auf die ange- fragten Informationen bzw. das Verfahrensstadium zum Zeitpunkt des Auskunftsantrags anwendbar und das BMWi daher informationspflichtig. (1) Enge Auslegung von § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 lit. a UIG Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ist eine enge Auslegung der vom BMWi herangezogenen Ausnahmevorschrift geboten. Für die Auslegung von § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 lit. a UIG ist die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2003/4/EG über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen maß- geblich, da § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 lit. a UIG der Umsetzung dieser Vorschrift in nationales Recht dient. Im Urteil des EuGH vom 18. Juli 2013, C-515/11, Rn. 26, heißt es zur Auslegung des Begrif- fes der „gesetzgebenden Eigenschaft“ in Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2003/4/EG über den Zugang – 4 von 21 –
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der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen: „Jedoch können die Gründe, aus denen sich der Gerichtshof für eine solche Auslegung entschieden hat, a priori keine weite Auslegung des Begriffs ‚gesetzgebende Eigenschaft‘ rechtfertigen“. Der Begriff der Gesetzgebung ist also nicht weit, sondern eng auszulegen, wie dies für Ausnahmere- gelungen charakteristisch ist. Die Formulierung „soweit und solange“ in § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 lit. a UIG impliziert einen An- fangs- und einen Endpunkt der gesetzgeberischen Tätigkeit. Danach ist der Begriff des Gesetzge- bungsverfahrens nicht uferlos. Entsprechend hat Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträ- gen im Fall C-204/09 zum zeitlichen Anwendungsbereich von Art. 2 Nr. 12 der Richtlinie 2003/4/ EG ausgeführt: „[…] Bei meiner Untersuchung … bin ich zu dem Ergebnis gelangt, dass Gremien der Exekutive, deren Aufgabe im Gesetzgebungsverfahren sich auf die Einbringung von oder Äußerungen zu Geset- zesentwürfen beschränkt, vom Begriff 'Behörde' ausgenommen werden können, soweit sie diese Aufgabe wahrnehmen. Bei jedem einzelnen Gesetzesvorhaben, in dessen Rahmen sie diese Aufgabe wahrnehmen, sollte die Ausnahme daher einsetzen, sobald die Gremien mit der Wahrnehmung der Aufgabe begin- nen, und enden, wenn die Wahrnehmung der Aufgabe abgeschlossen ist. Vor dem erstgenannten Zeit- punkt handeln sie einfach nur als Teil der Exekutive, indem sie die geplante Politik festlegen und for - mulieren. […]“ (Schlussanträge vom 22. Juni 2011 – C-204/09 –, Rn. 72) Auch ein Ministerium handelt daher nicht pauschal in gesetzgeberischer Funktion, sobald es sich in- haltlich mit einem gesetzgebungsrelevanten Thema beschäftigt. Vielmehr muss in jedem Fall geprüft werden, ob „die konkrete Aufgabe, die die Exekutive zum maßgebenden Zeitpunkt wahrnimmt, tat- sächlich Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens ist.“ (ebenda, Rn. 62) In seinem Urteil in Rechtssache C-204/09 hat der EuGH zwei spezifische Kriterien für die entspre - chende Prüfung festgelegt. Danach darf Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie zum einen „nicht so ausgelegt wer- den, dass seine Wirkung über das hinausgeht, was zum Schutz der von ihm gewährleisteten Interessen erforderlich ist“ und zweitens muss „die Reichweite der dort vorgesehenen Ausnahmen … unter Berücksichtigung der Ziele der Richtlinie bestimmt werden“ (EuGH, Urteil vom 14. Februar 2012 – C-204/09 –, Rn. 38). Sinn und Zweck der Norm ist dabei, „den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens zum Erlass von Gesetzen zu ge- währleisten“ (EuGH, Urteil vom 14. Februar 2012 – C-204/09, Rn. 43). Für die Berufung auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 lit. a UIG genügt daher nicht bereits irgendein themati- scher Zusammenhang von Umweltinformationen mit einem laufenden Gesetzgebungsverfahren, sondern es muss sich um Informationen handeln, die für ein noch nicht abgeschlossenes Gesetzge- bungsvorhaben zusammengestellt oder ausgewertet werden und deren Zugänglichmachung dem Schutzzweck von Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie widersprechen würde. Es muss also ein entsprechender funktional-inhaltlicher Zusammenhang bestehen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. März – 5 von 21 –
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2019 – OVG 12 B 13.18). Auf Grundlage dieser Auslegung von § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 lit. a UIG waren die im Auskunftsan- trag benannten Informationen herauszugeben. (2) Kein hinreichender zeitlicher Zusammenhang zur Gesetzgebungstätigkeit Die angefragten Dokumente stehen zwar im Zusammenhang mit einer ministeriellen Tätigkeit, die sich zeitlich z. T. mit der Arbeit am Kohleausstiegsgesetz überschnitt. Jedoch war diese gesetzesvor- bereitende Tätigkeit des Ministeriums spätestens mit dem Beschluss des Gesetzentwurfs für ein „Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung und zur Änderung weiterer Gesetze“ durch die Bundesregierung am 29. Januar 2020 abgeschlossen. Selbst wenn die beantragten Unterlagen bis dahin in einem funktionell-inhaltlichen Zusammenhang zu einem Gesetzgebungsver- fahren gestanden haben mögen (zu Zweifeln siehe sogleich), taten sie dies bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung und – erst Recht – zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag nicht mehr. Wesentliche Eckdaten wie etwa die Höhe der Entschädigungen an Braunkohlebetreiber sind im nachfolgenden Entscheidungsprozess nicht verändert worden, sondern unverändert in das Gesetz übernommen worden. Auch dies zeigt, dass die Entscheidungsfindung innerhalb der Regie- rung schon des Längeren abgeschlossen ist. Der Zeitrahmen, in dem Ministerien tatsächlich am Gesetzgebungsverfahren teilnehmen, ist inhalt- lich-funktional und entsprechend zeitlich stark eingegrenzt. Dies gilt z.B. für die Ausarbeitung einer Gegenäußerung (§ 53 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien) oder wenn Mi- nisterien zu einer nicht von der Bundesregierung erarbeiteten Gesetzesinitiative Stellung beziehen (§ 57 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien). Um den ordnungsgemäßen Ab- lauf zu gewährleisten ist sicherzustellen, dass diese Aufgaben in dem geforderten Zeitrahmen erfol- gen. Für die Ausarbeitung für Gesetzesvorlagen durch die Bundesregierung gibt es keinen vorgeschriebe- nen Zeitraum – einmal erarbeitete Vorlagen können auch aufgegeben werden. Dies kann jedoch nicht dazu führen, den Begriff der Gesetzgebung in dieser Hinsicht zeitlich unbegrenzt auszudeh- nen. Spätestens mit Beschluss eines Gesetzentwurfs ist der eine Zurückhaltung von Informationen möglicherweise rechtfertigende Grund eines Schutzes der internen Willensbildung der beteiligten Ministerien vorbei: Mit der regierungsseitigen Entscheidung über einen Gesetzentwurf ist die Wil- lensbildung insoweit abgeschlossen, für eine Fortdauer der Informationszurückhaltung besteht kein rechtfertigender Grund mehr. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als dem Gesetzesentwurf eine Phase intensiver politischer Willensbildung vorausgegangen war, die zumindest in politischer Hinsicht eine Selbstbindung des Ministeriums bewirkt haben dürfte. Wichtige Elemente dieses poli- tischen Willensbildungsprozesses waren die Empfehlungen der Kommission Wachstum, Struktur- – 6 von 21 –
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wandel und Beschäftigung vom Januar 2019 sowie die Bund-Länder-Einigung vom Januar 2020, die in der Öffentlichkeit bereits als Abschluss des Meinungsbildungsprozess zu den Eckpunkten des Kohleausstiegs innerhalb der Bundesregierung präsentiert wurde („Kabinett beschließt Kohleaus- stiegsgesetz“, https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2020/20200129-kabinett- beschliesst-kohleausstiegsgesetz.html). Am 24. Juni 2020 hat das Kabinett zudem über die Verträge mit den Kohlebetreibern beschlossen; auch hierzu ist somit die Meinungsbildung der Bundesregie- rung abgeschlossen. Glaubhaftmachung:        Presseerklärung des BMU, „Kabinett stimmt Vertrag mit Braun- kohlekraftwerksbetreibern               zu“,        verfügbar         unter https://www.bmu.de/pressemitteilung/kabinett-stimmt-vertrag- mit-braunkohlekraftwerksbetreibern-zu/. (3) Schutzzweck der Ausnahmebestimmung nicht erfüllt Eine so weite Auslegung des Begriffs der Gesetzgebung, wie sie das BMWi vorgenommen hat, wür- de zudem weit über den Schutzzweck von Art. 2 Nr. 12 der Richtlinie 2003/4/EG über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und damit auch § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 lit. a UIG hin- ausgehen. Durch eine Ausdehnung des Begriffs des Gesetzgebungsverfahrens in den Bereich der all- gemeinen Meinungsbildung und politischen Verhandlungen mit Interessenvertretern würde ein inak- zeptabler und normativ nicht gewollter Bereich der Geheimhaltung und Intransparenz geschaffen: „In Anbetracht der Ziele der Richtlinie rechtfertigen nur der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens zum Erlass von Gesetzen und die charakteristischen Merkmale des Gesetzgebungsverfahrens, das nor- malerweise die Information der Öffentlichkeit hinreichend gewährleistet, dass die Gremien, die die ge- setzgebende Gewalt ausüben oder an ihr mitwirken, von den Informationspflichten nach der Richtlinie befreit werden“ (EuGH, Urteil vom 14. Februar 2012 – C-204/09 –, NVwZ 2012, 491, Rn. 31). Entsprechende Überlegungen liegen auch den korrespondierenden Ausnahmeregelungen der Aar- hus-Konvention zugrunde. Gesetzgebungsorgane sind nicht etwa deshalb aus dem Anwendungsbe- reich des individuellen Umweltinformationszugangs ausgenommen, weil man ihnen „Geheimarbeit“ jenseits der Öffentlichkeit erlauben wollte – sondern weil die Vertrags- und Mitgliedstaaten davon ausgingen, dass im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens ohnehin eigene, ggf. weitergehende Transparenzregeln gelten. Dies trifft auf das eigentliche Gesetzgebungsverfahren auch zu: Die Referentenentwürfe werden an Verbände und Presse versandt, oft stehen sie auch der gesamten Öffentlichkeit online zur Verfü- gung. Sobald die Gesetzesentwürfe ins Parlament eigebracht werden, wird dies auf der Homepage https://dipbt.bundestag.de/dip21.web/bt als „Dokumentations- und Informationssystem für Parla- mentarische Vorgänge“ publiziert, inklusive aller Beratungsverläufe. In diesem Stadium sind jeder – 7 von 21 –
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Wortbeitrag und jeder Zwischenruf publik. Insoweit ist die Notwendigkeit eines darüber hinaus ge- henden Informationsanspruches im Sinne demokratischer Partizipation nicht unbedingt gegeben. Dies alles gilt aber nicht für Informationen aus dem Stadium, auf das sich der streitgegenständliche Antrag bezieht. Hier griffe nach Vorstellung des BMWi weder die für das Gesetzgebungsverfahren vorgesehene Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit noch die für Verwaltungsverfahren geltende Freiheit von Informationen. Einen solchen Raum der Geheimhaltung hat der Richtliniengeber, der von einer fugenlosen Öffentlichkeit von Gesetzgebung und Verwaltung ausgegangen ist, aber gerade nicht vorgesehen. Insoweit verweist der EuGH auf Art. 1 der Richtlinie (EuGH, Urteil vom 14. Fe- bruar 2012 – C-204/09 –, Rn. 39). Demnach sollen Umweltinformationen zunehmend öffentlich zugänglich gemacht und verbreitet werden, um eine möglichst umfassende und systematische Ver- fügbarkeit und Verbreitung von Umweltinformationen in der Öffentlichkeit zu erreichen. Nach Er - wägungsgrund 1 der Richtlinie tragen der erweiterte Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformati- onen und die Verbreitung dieser Informationen dazu bei, das Umweltbewusstsein zu schärfen, einen freien Meinungsaustausch und eine wirksamere Teilnahme der Öffentlichkeit an Entscheidungsver- fahren in Umweltfragen zu ermöglichen und letztendlich so den Umweltschutz zu verbessern. Nach Erwägungsgrund 16 beinhaltet das Recht auf Zugang zu Umweltinformationen, dass die Bekanntga- be von Informationen die allgemeine Regel sein sollte und dass Behörden nur in bestimmten, genau festgelegten Fällen befugt sein sollten, Anträge auf Zugang zu Umweltinformationen abzulehnen. Diesen Zielsetzungen wird eine Auslegung nicht gerecht, die jedwedes ministerielle Handeln und Verhandeln, insbesondere auch mit Unternehmen und privaten Interessenvertretern, das thematisch mit einem Gesetzgebungsvorschlag zusammenhängt, kategorisch von der Informationspflicht aus- schließt. Dieser „blinde Fleck“ wäre vorliegend für die demokratische Kontrolle besonders gravie- rend, weil Umweltverbände beispielsweise in die laufenden Verhandlungen des Ministeriums zu den öffentlich-rechtlichen Verträgen – anders als die Betreiber von Braunkohleanlagen – nicht eingebun- den sind. Es besteht insofern ein Ungleichgewicht im Zugang zu Informationen, der eine wirksame Teilnahme der Öffentlichkeit – vermittelt über Organisationen wie ClientEarth – an den Entschei- dungsverfahren verhindert. Eine kritisch-informierte Begleitung von Gesetzgebungsverfahren aus der Zivilgesellschaft ist in ei- nem demokratischen Gemeinwesen unerlässlich. Auch im vorliegenden Fall würde nicht die Zu- gänglichmachung der beantragten Umweltinformationen ein demokratisch geordnetes Gesetzge- bungsverfahren beeinträchtigen, sondern deren Zurückhaltung. Bis zum heutigen Zeitpunkt ist für die interessierte Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar, wie die Eckpunkte des Braunkohleausstiegs in der Bund-Länder-Einigung und dem Kohleausstiegsgesetzentwurf gerechtfertigt werden und auf Grundlage beispielsweise die Höhe der Entschädigungszahlungen an Betreiber von Braunkohleanla- – 8 von 21 –
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gen berechnet wurde. Unklar ist auch, wie unter diesen Umständen eine informierte Entscheidung innerhalb des Bundestages zu dem Gesetzesentwurf herbeigeführt werden soll. (4) Öffentliche Verträge und Verordnungen nicht von § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 lit. a UIG er- fasst Zudem ist vorsorglich darauf hinzuweisen, dass die Verhandlungen der Bundesregierung mit den Betreibern von Braunkohleanlagen über öffentlich-rechtliche Verträge mit dem Ziel der Reduzierung und Beendigung der Braunkohleverstromung, die in § 42 des Gesetzesentwurfes der Bundesregie- rung zu einem Kohleausstiegsgesetz vorgesehen sind, nicht von § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 lit. a UIG er- fasst sind. Dabei handelt es sich unter keinem Gesichtspunkt um eine gesetzgeberische Tätigkeit, sondern vielmehr um Einigungsbemühungen zur Vermeidung (weitergehender) gesetzlicher Rege- lungen. Dementsprechend kann die Verweigerung der Herausgabe von damit in Zusammenhang stehenden Informationen auch nicht auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 lit. a UIG gestützt werden. Auch die in einem früheren Entwurf des Gesetzes in dessen § 43 vorgesehene Rechtsgrundlage zum Erlass einer Rechtsverordnung für den Fall des Scheiterns der Verhandlung von öffentlich-rechtlichen Ver- trägen wäre nach der klaren Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 18. Juli 2013 – C-515/11 –, Rn. 36) nicht von § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 lit. a UIG erfasst. Entsprechende Informationen, die sich auf eventuelle vorbereitende Tätigkeiten des Ministeriums bezüglich einer solchen Rechtsverord- nung beziehen, sind also ebenfalls herauszugeben. (5) Hilfsweise: Differenzierungserfordernis bezüglich angeforderter Informationen Nur hilfsweise wird in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass kaum vorstellbar ist, dass sämtliche betreffende Informationen, die mit dem Antrag herausverlangt werden, der „Gesetz- gebungstätigkeit“ selbst in dem ausufernden Verständnis des BMWi zuzuordnen sind. Hier wäre dann aber zu differenzieren und die der Gesetzgebung zuzurechnenden Informationen wären ggf. zu schwärzen. Keinesfalls ist es jedoch rechtmäßig, den Antrag rundheraus und pauschal abzuleh- nen, ohne sich mit den Informationen und Unterlagen im Einzelnen auseinandergesetzt zu haben. Insbesondere bei den Informationen über sämtliche Treffen, Diskussionen und Verhandlungen mit Vertretern der Braunkohleindustrie handelt es sich um die Auseinandersetzung über wirtschaftspoli- tische Positionen und Vereinbarungen mit privaten Interessenvertretern. Diesbezüglich wird selbst das BMWi nicht behaupten wollen, dass es sich hierbei um Gesetzgebungstätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 lit. a UIG handelt. bb) Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen Auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen liegen vor. (1) Umweltinformationen Insbesondere handelt es sich bei den beantragten Informationen um Umweltinformationen im Sin- – 9 von 21 –
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ne des § 2 Abs. 3 UIG. Nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 UIG sind als Umweltinformationen unter anderem alle Daten über Maßnahmen und Tätigkeiten zu qualifizieren, die sich auf Umweltbestandteile aus- wirken oder wahrscheinlich auswirken (lit. a) oder den Schutz von Umweltbestandteilen bezwecken (lit. b). Im Hinblick auf den Ausstieg aus der Kohleverstromung sind gleich beide Tatbestände er- füllt: Die Abschaltung von Kohlekraftwerken und die Beendigung des Braunkohletagebaus wird sich erheblich auf mehrere Umweltbestandteile im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG auswirken, nament- lich auf Luft und Atmosphäre, Wasser, Boden, Landschaft und natürliche Lebensräume. Gleichzeitig bezweckt der Kohleausstieg als Klimaschutzmaßnahme den Schutz der Umweltbestandteile Luft und Atmosphäre. Das BMWi verfügt auch über die beantragten Informationen. Dies ergibt sich schon aus dem Ableh- nungsbescheid, in dessen Begründung das Ministerium die Existenz der beantragten Informationen zugesteht. Dort heißt es: „Die Informationen, die Gegenstand des Antrags sind, wurden in Vorbe- reitung des Kohleausstiegsgesetzes und des diesbezüglichen Gesetzgebungsverfahrens erstellt und verwendet.“ Darüber hinaus ergibt sich aus öffentlichen Quellen zweifelsfrei, dass die Umweltinformationen, zu denen die Antragstellerin Zugang beantragt hat, dem BMWi vorliegen. So heißt es in der Begründung zu § 42 des Gesetzesentwurfs zum Kohleausstiegsgesetz, der vor- sieht, dass die Bundesregierung mit Braunkohlebetreibern öffentlich-rechtliche Verträge zur Rege- lung verschiedener im Gesetzesentwurf benannter Aspekte des Braunkohleausstiegs abschließen soll: „Im Rahmen der Stilllegungszeitpunkte […] wird der Vertrag die einzelnen Modalitäten der Stillle- gungen regeln. Hierzu hat die Bundesregierung bereits Gespräche geführt. Die Stilllegungszeitpunkte wurden in intensiven Gesprächen mit den Betreibern der Braunkohleanlagen und den Betreibern der Tagebaue sowie deren Gesellschaftern umfassend evaluiert.“ (Entwurf eines Gesetzes zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung und zur Änderung weiterer Gesetze (Kohleausstiegsgesetz), Gesetzentwurf der Bundesregierung, Bundestags-Drucksache 19/17342, verfügbar unter https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/173/1917342.pdf, S.159) Aus dieser Formulierung ergibt sich, dass sich Vertreter des BMWi als federführendem Ministerium wiederholt mit Betreibern von Kohlekraftwerken sowie -tagebauen und deren Gesellschaftern ge- troffen haben. Es müssen also Informationen zu Zeitpunkt, Häufigkeit und Inhalt entsprechender Gespräche vorliegen. Weiter heißt im Gesetzesentwurf zu § 42 „Die Höhe der Entschädigung orientiert sich an der Vergütungsformel der Sicherheitsbereitschaft ge- mäß Anhang zum § 13g EnWG. Sie berücksichtigt entgangene Strommarkterlöse – sowohl aus der Vermarktung am Terminmarkt als auch durch den optimierten Betrieb erzielbare Mehrerlöse gegen- über einer Baseload-Fahrweise, Erlöse aus der Bereitstellung von Regelenergie und Redispatch, Wärme- – 10 von 21 –
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