Wie Innenminister Seehofer die Seenotrettung blockieren wollte
Bundesinnenminister Horst Seehofer versucht seit Jahren, die zivile Seenotrettung zu behindern. Wie ein von uns veröffentlichter persönlicher Brief von Seehofer an seinen Kabinettskollegen Andreas Scheuer zeigt, wollte er im Sommer auch deutsche Rettungsschiffe festsetzen lassen.

Die Situation an den EU-Außengrenzen ist in diesem Jahr äußerst angespannt. Nachdem verschiedene Medien aufdeckten, dass die EU-Grenzpolizei Frontex an illegalen Pushbacks von Flüchtlingen mitwirkten und die deutsche Bundespolizei unter Horst Seehoferdie Vorgänge vertuschte, stehen die Einsatzkräfte unter Druck.
Wie von uns veröffentlichter Schriftverkehr zwischen Innenminister Seehofer und Verkehrsminister Andreas Scheuer jetzt zeigt, versuchte Seehofer im Frühjahr zudem persönlich, die zivile Seenotrettung blockieren zu lassen. In einem Brief an seinen Kollegen drang Seehofer im Mai darauf, dass das Rettungsschiff „Alan Kurdi“ der Organisation Sea-Eye dauerhaft festgesetzt werden sollte. Der Spiegel berichtete zuerst darüber.

Seehofer wollte letztes ziviles Rettungsschiff blockieren
Die Begründung Seehofers: Die Seenotrettungen „belasteten die Beziehungen zu unseren europäischen Partnern“ in Italien. Um die „Alan Kurdi“ am weiteren Auslaufen zu hindern, solle Scheuer, dessen Verkehrsministerium für die Zulassung von Schiffen zuständig ist, sich der Argumentation Roms anschließen.
Die italienische Regierung hatte die Seenotretter zuvor mit Verweis auf angeblich zu kleine Abwassertanks sowie Einschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise festgesetzt, nachdem die Besatzung der „Alan Kurdi“ Dutzende Menschenleben gerettet und seeuntüchtigen Boote evakuiert hatte.
Innenminister argumentiert mit Abwasser
Scheuers Verkehrsministerium, das zuvor über eine Änderung der Schiffssicherheitsverordnung selbst versucht hatte, Seenotrettung zu blockieren, folgte Seehofer allerdings nicht. Seine Beamten diktierten ihm in seine Antwort, dass ein Verweis auf zu kleine Abwassertanks zu unerwünschten Nebenwirkungen führen könnte. Dann müssten nämlich auch deutsche Marineschiffe festgesetzt werden, wenn sie Menschen retten und in Italien um Ausschiffung bitten.
Das Innenministerium gab uns die Dokumente auf Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz erst heraus, nachdem wir den Beamten eine Untätigkeitsklage angedroht hatten. Zwar sind die Dokumente teilweise geschwärzt, jedoch lässt sich aus dem Zusammenhang erschließen, dass es in den Briefen um das Schiff „Alan Kurdi“ geht.
7) --- emi/Al 4 4/14 a. I 7 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat Horst Seehofer Bundesminister Herrn Andreas Scheuer, MdB HAUSANSCHRIFT Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur Aft-Moabit 140 Invalidenstraße 44 10557 Berlin 10116 Berlin POSTANSCHRIFT 11014 Berlin TEL +49(0)30 18 681 -go FAX +49(0)30 18 681-41.1 Minister@bmi.bund.de wyvw.bmi.bund.de Berlin, 7. Mai 2020 Sehr geehrter Herr Kollege, die durch Nichtregierungsorganisationen im Mittelmeer betriebenen Seenotrettungen und die daraus resultierende Ausschiffung von Asylsuchenden in den Anrainerstaaten des Mittelmeeres beschäftigen mein Haus seit geraumer Zeit. Dass diese Vorgänge nicht nur Auswirkungen auf weichenstellende europäische Zukunftsprojekte wie die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems haben, sondern vor dem" Hintergrund der häufig unter der Bundesflagge fahrenden Schiffe auch die Beziehungen zu unseren Partnern an den europäischen Außengrenzen belasten, liegt auf der Hand. Vor dem Hintergrund der auf dem Spiel stehenden Beziehungen zu wichtigen Partnern, insbesondere M. ist seitens der Bundesregierung entschlossenes Handeln gefordert. Nachdem das unter deutscher Flagge fahrende Schiff 11111111111 des eigMait Vereins trotz der aufgrund der COVID-19-Pandemie geschlossenen Häfen und eines eindringlichen Appells meines Hauses erneut Personen vor der Küste aufgenommen und nach alliverbracht hat, wurde das Schiff von den MM. Behörden am 5. Mai 2020 aufgrund technischer Defizite adrninistrativ beschlagnahmt. Die Ma» Behörden haben hierbei unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass die festgestellten Unregelmäßigkeiten

Seite 2von 3 auch eine Maßnahme des' Flaggenstaates erfordern, weldher für die Einhaltung der internationalen und nationalen Norman durch das Schiff verantwortlich sei. Mein Haus wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach von den.1111111111111Behörden auf die diesbezüglich unterschiedliche rechtliche Bewertung der zuständigen" MUM Behörden und der deutschen Flaggenstaatsbehörde hingewiesen. Vor dem Hintergrund dieser Äußerungen ist der von der Unterabteilung Schifffahrt aus Ihrem Haus dankenswerterweise übermittelte Vermerk vorn 28. April 2020, welcher die zur Erlangung der erforderlichen internationalen Schiffsicherheitszeugnisse maßgeblichen Kriterien erläutert, rechtlich im Ergebnis aber wenig überzeugend. Es besteht nach meiner Auffassung - eine erhebliche »Diskrepanz zwischen den Anforderungen an die Ausrüstung von Frachtschiffen, weiche im vorliegenden Falle an die 1111111111rangelegt werden, und den tatsächlichen Erfordernissen, welche in der selbsterklärten Mission des Schiffes liegen. So wird beispielsweise die Größe der Abwasserhaltetanks bei Nicht-Fahrgastschiffen an der Anzahl der Besatzungsmitglieder bemessen. Dies werde durch die MOM auch erfüllt. Allerdings besteht der tatsächliche Zweck des Schiffes nach mehrfacher öffentlicher Bekundung des Vereins in der regelmäßigen Aufnahme einer nicht vorhersehbaren Zahl von Personen von häufig ihrerseits nicht seetauglichen Schiffen. Die für diese Anzahl an Personen selbst nach eigenem Bekunden nicht ausgelegte got stellt die Behörden der Anrainerstaaten des Mittelmeers somit regelmäßig wissentlich vor die Herausforderung, auf medizinische Notfälle reagieren zu müssen. Die für den Zweck der Seenotrettung oftmals offenkundig unzureichende Ausstattung trägt - dazu bei, dass bereits wiederholt humanitäre Notlagen im Nachgang zu der Aufnahme einer großen Anzahl von Personen nur durch den nachdrücklichen Einsatz der Bundesregierung knapp abgewendet werden konnten. Die Rechtspflicht zur Seenotrettung wird durch die Bundesregierung selbstredend nicht in Frage gestellt, jedoch besteht für die Bundesrepublik Deutschland auch gegenüber den europäischen Partnern eine Verpflichtung, dass zivile Seenotrettungsschiffe unter Bundesflagge für ihren beabsichtigten Zweck in hinreichendem Maße ausgestattet sind. Vor diesem Hintergrund bin ich für eine erneute Prüfung einer für den beabsichtigten Zweck genügenden Ausrüstung der genannten Schiffe unter Würdigung der Rechtsauffassung derallain Behörden sehr dankbar. Ich möchte auch angesichts der erläuterten europapolitischen Implikationen nachdrücklich darum bitten, Kontakt zu den betreffenden 1.11.111111. Behörden aufzunehmen, um deren sicherlich 'nicht

Seite 3von 3 unbegründete Bedenken hinsichtlich der technischen Tauglichkeit des in Frage stehenden Schiffes zu erörtern und anschließend entsprechend zu handeln. Mit freundlichen Grüßen
