Vermittlungsausschuss transparentAlle Protokolle der Verhandlungen aus 22 Jahren

Eines der einflussreichsten Gremien der deutschen Gesetzgebung ist gleichzeitig eines der intransparentesten. Wir veröffentlichen die Protokolle aus dem Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat aus den Jahren 1995 bis 2017 – auch zu den Hartz-Gesetzen und verfassungswidrigen Initiativen.

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Der Vermittlungsausschuss trifft sich im Dezember 2019, um über das Klimapaket zu verhandeln –

Bundesrat | Dirk Deckbar

Ob Hartz-Gesetze oder kürzlich das Bürgergeld, ob Erneuerbare-Energien-Gesetze oder Steuerreformen: Früher oder später erreichen die meisten großen und umstrittenen Gesetzespakete der Bundesregierung den Vermittlungsausschuss. Können sich Bundestag und Bundesrat nicht auf den Wortlaut von wichtigen Gesetzen einigen, kommen sie in dem gemeinsamen Ausschuss zusammen, in dem beide Häuser gleich stark vertreten sind. Wenn Gesetzentwürfe in die Politik der Bundesländer eingreifen, hat der Bundesrat eine Vetomacht. Die CDU kann auf diesem Wege derzeit die Regierungspolitik beeinflussen, obwohl sie im Bundestag nur Opposition ist – Kritiker nennen das ein „Demokratieproblem“.

Umso problematischer ist, dass kein Teil des demokratischen Prozesses so intransparent wie die „Dunkelkammer der Gesetzgebung“: Eine inhaltliche Aussprache über die geheimen Verhandlungen zwischen Vertreter*innen von Bundesrat und Bundestag gibt es im Bundestag nicht. Wie die Resultate genau zustandekommen, wissen außer den 16 Beteiligten kaum andere Bundestagsabgeordneten. Einigungsvorschläge aus dem Vermittlungsausschuss können im späteren parlamentarischen Verfahren nicht mehr verhandelt oder geändert, sondern nur noch insgesamt angenommen oder abgelehnt werden.

Hartz-Protokolle erstmals öffentlich

Bei den Verhandlungen wird allerdings grundsätzlich Protokoll geführt. Sie werden zwar nicht veröffentlicht, in der Regel aber nach dem Ablauf von zwei Legislaturperioden freigegeben. Nach Anfragen an den Vermittlungsausschuss veröffentlichen wir an dieser Stelle erstmals sämtliche 177 Protokolle aller Vermittlungsausschüsse zwischen Bundesrat und Bundestag in den Jahren 1995 bis 2017, insgesamt rund 8.000 Seiten.

Mit den Dokumenten sind jetzt unter anderem die Verhandlungen zwischen der damaligen rot-grünen Bundesregierung und der von Angela Merkel angeführten Opposition um die sogenannten Hartz-Gesetze und die „Agenda 2010“ im Jahr 2002 und 2003 frei zugänglich.

Aus den Protokollen der dutzenden Sitzungen wird beispielsweise deutlich, dass die Verhandlungsteilnehmer*innen – allen voran die damalige Oppositionsführerin Angela Merkel und Kanzler Gerhard Schröder sowie Ländervertreter wie Thilo Sarrazin und Peer Steinbrück – vereinbarten, die ohnehin schon restriktiv geplanten Hartz-Gesetze weiter zu verschärfen und Sozialprogramme zu streichen. Sarrazin und der damalige CDU-Ministerpräsident und spätere Bundespräsident Christian Wulff handelten dabei offenbar auch aus Angst vor möglicher Berichterstattung der Bild-Zeitung.

Dabei ging es in den Verhandlungen auch durchaus unfreundlich zu. Der damalige CDU-Ministerpräsident und spätere Bundespräsident Christian Wulff empörte sich beispielsweise über die SPD-Politiker Müntefering und Clement, die ihn beleidigt hätten.

Christian Wulff beschwert sich über Verhandlungen

Verfassungsrechtliche Probleme

Aber auch abseits von Beleidigungen stellt sich immer wieder die verfassungsrechtliche Frage, ob der intransparent verhandelnde Vermittlungsausschuss seine eigenen Kompetenzen überschreitet. Formell darf er nämlich eigentlich nur vorhandene Vorschläge zu Gesetzen verhandeln, die er aus Bundestag und Bundesrat erhält. Tatsächlich kommt es immer wieder vor, dass am Ende der Verhandlungen im Gremium völlig neue Gesetzesinitiativen stehen.

So geschehen etwa beim sogenannten Koch-Steinbrück-Papier 2003, das zu einem massiven Abbau staatlicher Subventionen führte. Durch die Initiative über den Vermittlungsausschuss hebelten SPD und Union damals das normale Gesetzgebungsverfahren aus. Das war verfassungswidrig, urteilte das Bundesverfassungsgericht ganze 16 Jahre später. Auch in anderen Verfahren wie bei der Einführung der Abschiebungsanordnung in § 58a des Aufenthaltsgesetzes handelte der Vermittlungsausschuss offenbar verfassungswidrig. Wie die Verfahren zustande kamen, lässt sich jetzt zumindest auch anhand der Protokolle nachvollziehen.

Die Veröffentlichtlichung der Protokolle ist der Auftakt unserer neuen Projektreihe „FragDenStaat-Bibliothek“, das durch Arcadia gefördert wird. Wir werden in den kommenden Monaten und Jahren weitere interessante Datenbanken mit amtlichen Dokumenten veröffentlichen. Mehr Infos dazu gibt es hier.

zu den Protokollen

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