Klage gegen LandesbeauftragtenWarum Behörden in Rheinland-Pfalz dem Weihnachtsmann antworten, nicht aber FragDenStaat

In einem Comic erklärt ein Landesbeauftragter für Informationsfreiheit, wie man an behördliche Informationen kommt. Wir machen es nach. Doch ausgerechnet der Landesbeauftragte stellt sich quer und verweigert uns die Auskunft.

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Weihnachtsmann vor dem Landeswappen von Rheinland-Pfalz

eigene Bearbeitung

Dieter Kugelmann trägt einen Titel, der kompliziert klingt, aber Hilfe verspricht: Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz. Er überwacht die Einhaltung der Informationsfreiheitsgesetze und berät Menschen bei der Antragstellung. Eigentlich. Denn tatsächlich behindert er systematisch den Zugang zu Informationen bei seiner eigenen Behörde. Darum erinnern wir ihn nun vor Gericht daran, dass es seine Aufgabe ist, für die Informationsinteressen einzelner zu kämpfen – und nicht dagegen.

Es begann mit einem Adventskalender

Letztes Jahr veröffentlichte Kugelmann als Teil des behördeneigenen Adventskalenders den Comic „der Weihnachtsmann und die Informationsfreiheit“. Darin versucht der Weihnachtsmann von der Baubehörde Informationen über alle Häuser mit Schornstein zu bekommen. Denn er will seine Route für Heiligabend planen. Doch der Behördenmitarbeiter verweigert ihm die Auskunft, weil der Weihnachtsmann angeblich die Voraussetzungen des Landestransparenzgesetzes (LTranspG) nicht erfülle. Die Weihnachtsbescherung droht auszufallen! Zum Glück eilt der hilfsbereite Informationsfreiheitsbeauftragte zu Hilfe und erklärt dem Mitarbeiter: Der Anspruch auf Information ist voraussetzungslos und die Behörde muss seinen Antrag bearbeiten. „Das zeigt mal wieder wie wichtig Transparenz und Offenheit in einem Rechtsstaat sind“, freut sich der Weihnachtsmann, als er die Informationen zu den Schornsteinen erhält. Das Weihnachtsfest ist gerettet.

Diese Geschichte hat uns inspiriert, bei Herrn Kugelmann einige Informationen zu der Adventskalender-Aktion anzufragen: Was hat dieser Comic gekostet? Was für ein Souvenir konnte man bei der Weihnachtsverlosung gewinnen? Und wie viele Menschen haben eigentlich das Kreuzworträtsel richtig gelöst? Außerdem wollten wir wissen, wie Kugelmann mit anderen Datenschutzbehörden zusammenarbeitet. All diese Informationen unterfallen zweifellos dem Landestransparenzgesetz von Rheinland-Pfalz. Und wir haben ja in dem Comic gelernt: Wir brauchen weder ein besonderes Interesse an der Information darlegen noch müssen wir irgendwelche Voraussetzungen erfüllen.

Umso überraschter waren wir von der Antwort: Weil wir unsere Frage per E-Mail gestellt hatten, benötige Kugelmann eine Postanschrift, um den Antrag zu bearbeiten. Konnte der Weihnachtsmann seine Anfrage bei der Baubehörde nicht einfach per Telefon stellen? Wozu eine Anschrift? Nun gut, vielleicht will uns die bürgernahe Behörde per Post ein übrig gebliebenes Souvenir aus der Weihnachtsverlosung zukommen lassen. Also teilen wir die Anschrift unserer Journalistin in Österreich mit.

Wurde der Weihnachtsmann belogen?

Tatsächlich finden wir wenige Tage später Post aus Mainz im Briefkasten: Der Landesbeauftragte bittet darum zu bestätigen, dass die über FragDenStaat gestellte Anfrage tatsächlich von uns stamme. Das sei zur Verhinderung von Identitätsmissbrauch erforderlich. Seltsam.

Die Baubehörde aus dem Comic hat doch die Anfrage einer Person beantworten, die sich am Telefon als Weihnachtsmann ausgab. Da hätte ein Identitätsmissbrauch doch näher gelegen als bei der FragDenStaat-Anfrage einer bekannten Journalistin.

Aber was soll‘s: Wir bestätigen über das FragDenStaat-Portal, dass die Anfrage von uns stammt. Wir wollen endlich die angefragten Informationen bekommen. Schon ein Tag nach unserer Bestätigung erhalten wir ein Schreiben per E-Mail. Es erklärt uns, dass unsere Anfrage nicht weiter bearbeitet werde, weil wir unsere Identität nicht preisgegeben hätten. Dazu sei nämlich eine behördliche Meldeanschrift in Deutschland erforderlich. Ohne eine solche sei unsere Identität nicht hinreichend erkennbar, es bestünde die Gefahr eines Identitätsmissbrauchs. Bis zur Angabe einer solchen inländischen Anschrift ließe man unsere Anfrage einfach liegen.

Nanu, was war passiert? Eine Recherche und einige weitere Anfragen beim Landesbeauftragten zeigen: Die Behörde geht bei allen Anfragen über FragDenStaat so vor. Das verstößt gegen das Landestransparenzgesetz und den europäischen Datenschutz.

Wie die Behörde ihre eigenen Regeln bricht

Das Landestransparenzgesetz von Rheinland-Pfalz enthält eine kleine Besonderheit: Hier muss bei der Antragstellung „die Identität erkennbar“ sein. In anderen Ländern und auf Bundesebene ist das nicht so. Eine anonyme Antragstellung, etwa unter dem Pseudonym „der Weihnachtsmann“, wäre dort denkbar. In Rheinland-Pfalz ist das hingegen nicht zulässig. Aber wir haben ja auch unter Klarnamen gefragt.

Für die Erkennbarkeit der Identität im Sinne von § 11 Abs. 2 LTranspG reicht aber die Angabe des Namens und einer Email-Adresse vollkommen aus. Schon die Forderung einer Postanschrift ist für die Bearbeitung einer Anfrage nicht erforderlich. Selbst wenn Gebühren erhoben werden sollten oder eine Ablehnung erfolgt, kann diese Entscheidung den Antragstellenden in elektronischer Form bekanntgegeben werden. Wenn aber eine Behörde die Postanschrift nicht unbedingt für die Aufgabenerfüllung benötigt, darf sie diese auch nicht erheben. Das besagt der europarechtliche Grundsatz der Datensparsamkeit aus Artikel 5 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), nachdem die Datenverarbeitung auf das „absolut notwendige Maß“ zu beschränken ist. Aus diesem Grund hat auch das OVG Münster in einem Verfahren von FragDenStaat gegen das Bundesinnenministerium entschieden, dass bei der Stellung von Informationsanfragen nach dem Bundes-IFG die Angabe einer Postanschrift nicht zur Voraussetzung für die Bearbeitung gemacht werden darf. Dem Landesbeauftragten für Informationsfreiheit, der neben der Informationsfreiheit ja auch den Datenschutz in seiner Behördenbezeichnung trägt, sollte dieser Grundsatz eigentlich nicht nur gut bekannt sein, sondern auch ganz besonders am Herzen liegen.

Inländische Meldeadresse – eine diskriminierende Anforderung

Jedenfalls aber die Forderung einer inländischen Meldeadresse ist rechtswidrig und wirft die Frage auf, ob bei der Behörde in Mainz eigentlich mehr Comic-Zeichner*innen als Jurist*innen beschäftigt sind. Denn Zugangsrecht steht grundsätzlich jeder Person unabhängig von Nationalität oder Wohnort offen. Deshalb müsste eigentlich auch die Anfrage eines Nutzers aus Japan beantwortet werden.

Der Landesbeauftragten für Informationsfreiheit schließt damit viele Menschen von einem Zugang zu amtlichen Informationen aus. Das sind einerseits Personen, die mangels Wohnsitz überhaupt nicht meldepflichtig sind und deshalb auch über keine Meldeanschrift verfügen, wie zum Beispiel Menschen, die keinen festen Wohnsitz haben, sich nur kurzfristige im Inland aufhalten oder Menschen, die eine Freiheitsstrafe verbüßen. Solchen ohnehin marginalisierten Gruppen den Zugang zu staatlichen Informationen kategorisch zu verwehren, ist zutiefst undemokratisch. Andererseits wird der Zugang aber auch für alle Menschen im Ausland, also den gesamten „Rest der Welt“, verwehrt. Dabei sieht keines der Informationsfreiheitsgesetze eine Beschränkung auf Menschen in Deutschland vor.

„Ob sich da nicht jemand einen schlanken Fuß machen will?“

Der Landesbeauftragten für Informationsfreiheit begründet sein Vorgehen mit der Verhinderung von Identitätsmissbrauch: Er befürchtet, Menschen könnten mit einer erfundenen oder fremden Identität missbräuchliche Anfragen stellen. Der Landesbeauftragten sieht dadurch die Funktionsfähigkeit seiner Behörde gefährdet. Die Schuld gibt er „Initiativen wie FragDenStaat“. Das geht aus einem internen Vermerk des Landesbeauftragten für Informationsfreiheit hervor, den FragDenStaat aus der Behörde befreit hat – natürlich unter Angabe einer inländischen Meldeadresse.

Die Befürchtung von massenhaften Identitätsmissbräuchen erscheint aber nur vorgeschoben. Möglicherweise will sich der Landesbeauftragten für Informationsfreiheit - mit den Worten des Weihnachtsmanns im Comic – „einen schlanken Fuß zu machen“. Denn es ist schon nicht erkennbar, dass es in der Praxis überhaupt zu einer nennenswerten Zahl solcher Missbrauchsfällen käme. Auf Nachfrage verweigerte der Landesbeauftragten für Informationsfreiheit Auskunft darüber, wie viele Fälle von Identitätsmissbrauch in den letzten Jahren festgestellt wurde, weil diese Information die öffentliche Sicherheit gefährde. Dabei war es ihm aber wichtig zu betonen, dass Fälle von „Identitätsmissbräuchen erfreulicherweise die Ausnahme“ seien und die allermeisten Personen die Anträge unter ihrer wahren Identität stellten. Wieso dann aber die Schikane?

Die Argumentation des Landesbeauftragten ist widersprüchlich. Sie stützt sich im Wesentlichen auf einen Absatz in der Verwaltungsvorschrift zum LTranspG. Hätte der Landesbeauftragten für Informationsfreiheit an der betreffenden Stelle aber nur einen Satz weitergelesen, wäre er auf Folgendes gestoßen: „Die Bestimmung gewährt der Behörde kein Recht zur Identitätsermittlung.“ Dementsprechend wurde auch in keinem der Fällen, in dem wir eine inländische Anschrift angegeben haben, eine Überprüfung beim Melderegister veranlasst. Wenn aber die Identität nicht ermittelt werden darf, wie soll dann ein Identitätsmissbrauch verhindert werden?

NSU-Akten, Krawall und Remmidemmi

Es scheint vielmehr, als sei die Arbeit von FragDenStaat der eigentliche Dorn im Auge von Dieter Kugelmann. Denn er begründet sein schikanöses Vorgehen unter anderem damit, dass FragDenStaat im Oktober 2022 die als Verschlusssache eingestuften NSU-Akten veröffentlichte. Für den Landesbeauftragten zeige sich darin, dass FragDenStaat nicht immer gesetzestreu handle. Deshalb seien besondere Schutzvorkehrungen bei elektronisch gestellten Anträgen über die Plattform erforderlich. Was die Aufklärung der Ermordnung von neun Menschen durch den „Nationalsozialistischen Untergrund“ mit dem befürchteten Identitätsmissbrauch bei Informationsanfragen zu tun haben soll, bleibt allerdings das Geheimnis des Landesbeauftragten.

Auch unsere letzte Spenden-Kampagne scheint nicht ganz den Geschmack des ehemaligen Professors einer Polizei-Hochschule getroffen zu haben. Unser Aufruf „Mit Liebe und Krawall für mehr Informationsfreiheit – werde Teil unserer Schreibtisch-Hoolgang!“ wecke eindeutige Assoziationen zu Menschen, die durch die Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auffallen. Das animiere unsere Nutzer*innen dazu, „missbräuchliche Anträge“ bei Behörden zu stellen.

Wir freuen uns natürlich, dass der Landesbeauftragte aufmerksam unsere Spendenkampagnen verfolgt und sprechen Ihm bei dieser Gelegenheit auch ausdrücklich eine Einladung aus, Ehrenmitglied der „Schreibtisch-Hooligang“ zu werden. Dennoch irritiert es uns, dass der Landesbeauftragte anstandslos einem unbekannten bärtigen Opa Informationen erteilt, damit dieser ungefragt an Feiertagen in möglichst viele Privatwohnungen einsteigen kann, aber gleichzeitig wegen eines humorvollen Kampagnen-Titels die öffentliche Sicherheit durch FragDenStaat gefährdet sieht.

Der Weihnachtsmann ist unser Zeuge

Im Ergebnis behindert der Kugelmann durch sein Vorgehen den Zugang zu Informationen bei seiner Behörde ganz massiv. Ob das rechtlich zulässig ist, wird nun das Verwaltungsgericht Mainz entscheiden. Wir haben Klage gegen den Beauftragten für Informationsfreiheit eingereicht, um Zugang zu Informationen zu bekommen.

Dass eine deutsche Meldeanschrift nicht erforderlich sein kann, hätte dem Landesbeauftragten für Informationsfreiheit eigentlich bei einem erneuten Blick in seinen Advents-Comic auffallen müssen. Schließlich hat auch der Weihnachtsmann von der Baubehörde die Informationen bekommen – obwohl er bekanntlich seinen Wohnsitz am Nordpol hat. Wir haben ihn vorsorglich als Zeugen benannt und sind zuversichtlich, dass es auch am Ende dieses Verfahrens heißt: „Das zeigt mal wieder, wie wichtig Transparenz und Offenheit in einem Rechtsstaat sind!“

zur Anfrage und Klage

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