Die Informationsfreiheit in der Europäischen Menschenrechtskonvention

Die Rechtsprechung des EGMR und des BVerwG

von Anna Gilsbach

A. Einleitung

Die Informationsfreiheit ist auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) enthalten.1 Ihr Art. 10 ist die Entsprechung zu Art. 5 GG. Er enthält verschiedene Kommunikationsgrundrechte. Ausdrücklich ist auch der Schutz der Informationsfreiheit umfasst, die die EMRK als Freiheit definiert, In­formationen und Ideen ohne behördliche Ein­griffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.2 Enthalten ist also eine passive Komponente des Empfangs von Informationen, die der Informationsfreiheit gleicht, wie sie in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG geregelt ist. Außerdem ist mit der Weitergabe von Informationen eine aktive Komponente geschützt, die sich mit der Meinungsäußerungsfreiheit überschneidet3 und Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG entspricht.  

Eingriffe des Staates in die (passive) Informationsfreiheit sind nur dann gerechtfertigt, wenn die Vorgaben des Art. 10 Abs. 2 EMRK eingehalten werden. Danach kann die Ausübung der Informationsfreiheit Regelungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen sind, den dort genannten Zwecken dienen und zu deren Schutz in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind. Letzteres beschreibt eine Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung.4

B. Die (passive) Informationsfreiheit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erkennt keinen allgemeinen Anspruch auf Zugang zu staatlichen Informationen an5 und differenziert trotz des weiter gefassten Wortlautes von Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK danach, ob Informationen – wie es auch in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG vorgesehen ist – allgemein zugänglich sind.6 Dennoch hat er inzwischen in zwei Konstellationen ein Recht auf Zugang zu Informationen aus Art. 10 EMRK bejaht.

In der Sache Youth Initiative for Human Rights v. Serbia hat der Gerichtshof klargestellt, dass es einen Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK darstellt, wenn es eine rechtskräftige, die Behörde (auf Grundlage eines nationalen Informationsfreiheitsgesetzes) zum Informationszugang verpflichtende gerichtliche Entscheidung des zuständigen nationalen Gerichts gibt, der die Behörde nicht nachkommt.7

In der Entscheidung Magyar Helsinki Bizottság v. Hungary hat der Gerichtshof seine Rechtsprechung zur Informationsfreiheit für andere Fallkonstellationen zusammengefasst und konsolidiert. Ausgehend vom Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK, der die Informationsfreiheit als Bestandteil der Meinungsäußerungsfreiheit versteht, hat er aus seiner bisherigen Rechtsprechung vier Kriterien definiert, die im Einzelfall zu prüfen sind, um festzustellen, ob ein Eingriff in die Informationsfreiheit vorliegt. Danach muss die angefragte Information notwendig sein, damit die antragstellende Person ihre Meinungsfreiheit ausüben kann (Zweck der Informationsanfrage), die Information muss von öffentlichem Interesse sein (Art der Information), es muss beabsichtigt sein, die Information in der Rolle eines „public watchdog” der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen8 (Rolle der antragstellenden Person) und die Information muss bereit und verfügbar sein, wobei dies nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil eine Behörde selbst dafür sorgt, dass der Zugang erschwert ist (bereite und verfügbare Information).9

Mit dem letzten Punkt knüpfte der EGMR an seine Entscheidung Österreichische Vereinigung zur Erhaltung, Stärkung und Schaffung eines wirtschaftlich gesunden land- und forstwirt­schaftlichen Grundbesitzes v. Austria an, in der er entschieden hatte, dass es unverhältnismäßig ist, einen Antrag auf Informationszugang deshalb vollständig abzulehnen, weil die bei der Behörde vorhandenen Informationen vor der Zugänglichmachung zunächst zusammengestellt und anonymisiert werden müssten. Dabei merkte der Gerichtshof an, dass es besonders bemerkenswert sei, dass die angefragten Entscheidungen der Landesgrundverkehrskommission Tirol nicht sowieso von dieser veröffentlicht würden, da es sich seiner Ansicht nach um Entscheidungen in einer Angelegenheit von erheblichem öffentlichem Interesse handelte. Die Kommission habe sich dadurch aus eigener Entscheidung ein Informationsmonopol geschaffen. Eine bestimmte Art des Informationszugangs gab der Gerichtshof dabei aber nicht vor.10

Auch hatte der Gerichtshof zuvor bereits entschieden, dass das Sammeln von Informationen zur grundlegenden Vorbereitung von Presseveröffentlichungen gehört und deshalb als der Pressefreiheit immanent von dieser geschützt ist. Staatliche Maßnahmen, die den Zugang zu Informationen von öffentlichem Interesse behinderten, könnten daher auf in den Medien und verwandten Bereichen Tätige abschreckend wirken und einen Verstoß gegen Art. 10 EMRK darstellen.11 Diesen Ansatz führte er mit der Entscheidung Magyar Helsinki Bizottság v. Hungary weiter.

C. Art. 10 EMRK in der Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichte

Die deutsche Rechtswissenschaft12 und die Rechtsprechung13 entnehmen Art. 10 EMRK ebenfalls keinen eigenen Anspruch auf einen umfassenden und voraussetzungslosen Zugang zu behördlichen Informationen, der über das IFG oder andere Informationsfreiheits- und Transparenzgesetze hinausgehen würde. Als von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierter völkerrechtlicher Vertrag hat die EMRK in der innerdeutschen Rechtsordnung den rechtlichen Rang des des Ratifikationsgesetzes. Gemäß Art. 59 Abs. 2 GG ist dies der Rang eines einfachen Bundesgesetzes.14 Sie ist dem IFG des Bundes also gleichgeordnet.

Auch unter Berücksichtigung der Entscheidung Magyar Helsinki Bizottság v. Hungary ist das Bundesverwaltungsgericht bisher nicht der Auffassung gewesen, dass das jeweils nach nationalem Recht gefundene Ergebnis korrigiert werden müsse. Auch das BVerwG erkennt zwar an, dass etwa ein geltend gemachter Informationszugangsanspruch eines Journalisten und somit „public watchdog” in den Schutzbereich von Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK fällt. Es hält aber die im innerdeutschen Recht vorgesehenen Einschränkungen des Anspruchs, also die im IFG vorgesehen Ausschlussgründe, in den bisher entschiedenen Fällen für mit Art. 10 Abs. 2 EMRK vereinbar, weil diese in einer demokratischen Gesellschaft notwendig seien. Dies gelte etwa für die Ausschlussgründe zum Schutz von Persönlichkeitsrechten15 und ohnehin „regelmäßig”.16

D. Fazit

In den allermeisten Fällen wird Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK nicht weiterhelfen, wenn eine informationspflichtige Stelle einen Antrag auf Informationszugang ablehnt. Die Feststellung des EGMR, dass es einen Verstoß gegen Art. 10 EMRK darstellt, wenn eine Behörde einer sie verpflichtenden, rechtskräftigen nationalen Gerichtsentscheidung nicht nachkommt, ist eher eine Selbstverständlichkeit. Fälle, in denen eine deutsche informationspflichtige Stelle einem rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Urteil nicht nachkommt, werden jedoch eine Seltenheit sein und sich dann über die Verwaltungsvollstreckung lösen lassen. Sollte dies ausnahmsweise nicht funktionieren, kommt eine Beschwerde an den EGMR in Betracht, wenn der nationale Rechtsweg ausgeschöpft ist.

In der Entscheidung Magyar Helsinki Bizottság v. Hungary ging der EGMR zwar weiter, indem er Kriterien für Fälle aufstellte, in denen es keine nationale Gerichtsentscheidung gibt. Auch dies ließ sich vor den deutschen Verwaltungsgerichten jedoch bisher nicht fruchtbar machen.

Beachtenswert ist aber das zustimmende Sondervotum der Richter Sajó und Vučinić in der Sache Youth Initiative for Human Rights v. Serbia. Sie nahmen diesen Fall – in dem eine Belgrader NGO Beschwerdeführerin war – ausgehend von den Anforderungen, denen die Demokratie in der Informationsgesellschaft unterliegt, zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass im Internetzeitalter die Unterschiede zwischen Journalist*innen und anderen Angehörigen der Öffentlichkeit verwischen und eine widerstandsfähige Demokratie eine staatliche Transparenz erforderlich macht, die allen Bürger*innen dient und die alle Bürger*innen nutzen können.17 Ausgehend davon, dass der EGMR in Magyar Helsinki Bizottság v. Hungary noch deutlich macht, dass er die Rolle als „public watchdog” von antragstellenden Personen als ein wichtiges Kriterium für einen Anspruch auf Informationszugang aus Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK ansieht, kann argumentativ hieran angeknüpft werden, wenn die antragstellende Person weder zur Presse noch zu einer NGO gehört. Angesichts dessen, dass der EGMR in Magyar Helsinki Bizottság v. Hungary als weitere Beispiele für berechtigte antragstellende Personen akademische Researcher, Schriftsteller*innen, die über Themen von öffentlichem Interesse schreiben, Blogger*innen und Nutzer*innen von sozialen Medien18 nennt, sollte sich in den meisten Fällen begründen lassen, dass auch Personen, die weder Presse- noch NGO-Vertreter*innen sind, berechtige Antragstellerinnen sind, jedenfalls sofern sie nicht ausschließlich ein eigennütziges Interesse an der angefragten Information haben.19 Relevant wird dies allerdings nur, wenn ein Fall darüber hinaus geeignet ist und es erforderlich ist, sich vor dem EGMR auf Art. 10 EMRK zu berufen.

Nutzbar machen lässt sich dagegen in geeigneten Fällen die Entscheidung des EGMR in der Sache Österreichische Vereinigung zur Erhaltung, Stärkung und Schaffung eines wirtschaftlich gesunden land- und forstwirt­schaftlichen Grundbesitzes v. Austria. Die antragstellende NGO hatte sich in diesem Fall damit einverstanden erklärt, dass personenbezogene Daten geschwärzt würden und mitgeteilt, die Kosten für die Erfüllung ihres Antrags zu übernehmen.20 Die Tiroler Landesgrundverkehrskommission hatte den Antrag vollumfänglich abgelehnt und sich darauf berufen, dass es einen großen Aufwand verursachen würde, die angefragten Entscheidungen der Jahre 2000‒2005 zusammenzustellen und zu anonymisieren. Angesichts deren erheblicher Bedeutung für das öffentliche Interesse stellte der Gerichtshof einerseits fest, dass diese eigentlich grundsätzlich von der Kommission in einer Datenbank oder auf andere Weise veröffentlicht werden sollten. Da sie sich entschieden habe, dies nicht zu tun und so ein Informationsmonopol zu schaffen, ließ der EGMR es andererseits nicht gelten, dass sie sich nunmehr auf einen zu großen Verwaltungsaufwand zum Vorbereiten der Entscheidungen aus mehreren Jahren berufen wollte. Auch wenn er keine bestimmte Art und Weise des Informationszugangs vorschreiben wollte, sah der Gerichtshof die vollständige Ablehnung des Antrags unter diesen Umständen als unverhältnismäßig an.21 Dieser Ansatz lässt sich argumentativ im innerstaatlichen Verwaltungsverfahren aufgreifen, wenn sich die angefragte informationspflichtige Stelle auf einen überhöhten Verwaltungsaufwand beruft.22 Werden Informationen, die von erheblichem öffentlichen Interesse sind, nicht proaktiv von der Verwaltung veröffentlicht, z. B. weil es kein Transparenzgesetz gibt, ist insbesondere interessant, welche Bedeutung die Verwaltungsgerichte dieser behördlichen Entscheidung im Zusammenhang mit der Geltendmachung eines überhöhten Verwaltungsaufwandes beimessen werden. Rechtsprechung hierzu liegt bisher, soweit ersichtlich, nicht vor.

Kurzfassung/Abstract

Der Beitrag stellt knapp die in Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention enthaltene Informationsfreiheit und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hierzu dar. Außerdem wird die Anwendung von Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung dargestellt.

The article briefly presents the freedom of information contained in Art. 10 of the European Convention on Human Rights and the case law of the European Court of Human Rights in this regard. In addition, the application of Article 10 of the European Convention on Human Rights in German administrative case law is presented.

Keywords

Europäische Menschenrechtskonvention, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, öffentliches Interesse, Art. 10 EMRK, passive Informationsfreiheit

European Convention on Human Rights, European Court of Human Rights, public interest, Art. 10 ECHR, passive freedom of information

Autor*in

Rechtsanwältin Anna Gilsbach, LL.M., ORCID-ID 0009-0009-5216-7674, dka Rechtsanwälte Fachanwälte, Immanuelkirchstraße 3-4, 10405 Berlin, gilsbach@dka-kanzlei.de

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