Bundeszentrale für politische BildungDemontage in 6 Schritten

Im Januar ließ das Bundesinnenministerium die Bundeszentrale für politische Bildung im Streit um die Definition von Linksextremismus auflaufen. Interne Dokumente zeigen jetzt, dass der Streit durch Interventionen der Bild-Zeitung und des Innenministers Seehofer eskalierte – und wie verächtlich einzelne Beamte auf wissenschaftliche Expertise schauen.

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Eine Mauer, auf der "Look left" und "Look right" geschrieben steht
Rechts sieht das Innenministerium nicht so viel –

Unsplash

Als das Bundesinnenministerium von Horst Seehofer (CSU) im Januar eine Textpassage der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) zu Linksextremismus ändern ließ, griff es in die Unabhängigkeit der Behörde ein. Das zeigten wir im März in einer gemeinsamen Recherche mit der taz.

Anhand neuer Dokumente, die wir heute nach einer Anfrage ans Innenministerium auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes gemeinsam mit der taz veröffentlichen, lässt sich der interne Entscheidungsprozess im Ministerium in der bpb-Affäre nachvollziehen. Aus den E-Mails wird deutlich, dass der Streit zur Textpassage eigentlich schon beigelegt war, dann aber durch die Bild-Zeitung und den Innenminister selbst eskaliert wurde. Die bpb-Affäre in 6 Schritten:

Schritt 1: Scharniere nach rechts

Zwar zettelte die rechte Szene auf Twitter im Januar eine Kampagne gegen die bpb an, um die wissenschaftliche Definition von „Linksextremismus“ in einem bpb-Online-Dossier ändern zu lassen. Das Innenministerium handelte allerdings erst einige Tage später, nachdem die Kampagne von der Bild-Zeitung und CDU-Abgeordneten aufgegriffen wurde.

Wie aus den internen E-Mails hervorgeht, wandte sich die Bild-Zeitung mit einem Tweet von Hubertus Knabe zur bpb-Affäre an den Bundestagsabgeordneten Thorsten Frei (CDU), um ihn um einen Kommentar zu bitten: „Haben Sie da ein griffiges Zitat für uns?“, fragte der Bild-Mitarbeiter den Abgeordneten. Knabes Arbeit wurde wiederholt AfD-Nähe vorgeworfen.

Frei, der Kuratoriumsvorsitzender der bpb ist, gab der Bild ein griffiges Zitat, ignorierte offenbar eine weitere Presseanfrage der neurechten „Jungen Freiheit“ und wandte sich über seinen Mitarbeiter sogleich ans Bundesinnenministerium, damit diese den Sachverhalt „genauer in den Blick“ nehmen möge.

Schritt 2: Druck durch Presseanfragen

Die Bild-Zeitung wandte sich anschließend mit der Bitte um Stellungnahme auch an das Innenministerium. Das sagte der Bild zu, die bpb aufzufordern, sein Online-Dossier zu ändern. Anderfalls habe das Ministerium die Befürchtung, „dass Bild andernfalls titelt ‘BpB relativiert Linksextremismus und BMI findet nichts dabei’“, so das für die bpb zuständige Referat in einer internen E-Mail.

Schritt 3: Eskalation durch das Ministerbüro

Das Innenministerium verständigte sich daraufhin mit der bpb auf eine Änderung des Online-Dossiers, das eine stärker differenzierte Definition des Begriffs „Linksextremismus“ aufweisen sollte. Die Einigung wurde allerdings kurz darauf aufgehoben, nachdem das Ministerbüro von Horst Seehofer intervenierte.

Das hatte nämlich den zwischenzeitlich erschienenen Bild-Bericht zur bpb-Affäre gelesen und um interne Stellungnahme gebeten. Bei der Neuformulierung des bpb-Textes sollte nicht alleine das für die bpb zuständige Referat mitarbeiten, sondern auf Geheiß des Ministers auch das dem Geheimdienst näher stehende Referat ÖSII3 – das für Terrorismus und Extremismus zuständig ist.

Schritt 4: Wissenschaft beiseite

Das Referat für öffentliche Sicherheit schritt direkt zur Tat und schlug eine neue Definition von Linksextremismus vor, die vom Geheimdienst verwendet wird und nicht von der Wissenschaft. In einer internen E-Mail heißt es dazu: „Ich fänd besser, wenn wir diese Formulierung nehmen würden, als irgendwelche Wissenschaftler zu zitieren.“ Auch ein Kollege stimmt dem zu: „Einheitliche Definitionen sind beim Internetauftritt von Bundesbehörden vorzugswürdig“.

Dass die Bundeszentrale für politische Bildung keine normale Bundesbehörde ist und nicht einfach „irgendwelche Wissenschaftler“ zitiert, sondern den renommierten Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke, störte hier niemanden. Der Vorschlag wurde akzeptiert und die bpb angewiesen, sie zu übernehmen.

Schritt 5: Presse anlügen

Als die taz im Anschluss an die Affäre das Ministerium um eine Stellungnahme bat, sagte das Pressereferat offenbar die Unwahrheit. Das Ministerbüro von Horst Seehofer sei nicht involviert gewesen – wie die internen E-Mails zeigen, stimmt dies jedoch nicht. Auch auf erneute Presseanfrage der taz später blieb das Ministerium bei seiner Version.

Schritt 6: Wiederholen

Wie aus einer kleinen Anfrage der Grünen im Bundestag hervorgeht, hat das Innenministerium in den vergangenen Jahren öfters auf die bpb Einfluss genommen als bislang bekannt. Wir hatten bereits berichtet, wie das Ministerium eine Einladung des Künstlers Philipp Ruch von einer Konferenz wieder rückgängig machen ließ. Im Jahr 2015 wies das Innenministerium auf Beschwerde des Arbeitgeberverbands BDA die bpb an, eine Publikation zu Wirtschaftspolitik einzustampfen.

Offenbar veranlasste das Innenministerium aber auch im Jahr 2016 im Zusammenhang mit der bpb-Wandzeitung „Sexismus begegnen“, eine Passage zu streichen. Im Rahmen des bpb-Schülerwettbewerbs 2018/2019 zu Karl Marx veranlasste das Ministerium eine Überarbeitung der Aufgabenstellung.

In der vergangenen Woche wiederum erreichte die Bild-Zeitung mit Anfragen ans Innenministerium, dass die bpb einen Instagram-Post verändern musste. Die sächsische Landeszentrale für politische Bildung zog daraufhin eine Einladung an den Autoren Mohamed Amjahid zurück.

Dies dürfte die Debatte über die Unabhängigkeit der bpb weiter befeuern. Neben der Forderung, die bpb einem anderen Ministerium als dem Innenressorts zu unterstellen, könnte die bpb auch zu einer Obersten Bundesbehörde gemacht werden, die keinem Ministerium untersteht – ratsam wäre es in jedem Fall, die bpb dem Innenministerium zu entziehen, das offenbar keine Zitate von „irgendwelchen Wissenschaftlern“ duldet.

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